„... hätte ich das ahnen können? Ich dachte, jemand wollte Sirius erwürgen!"
„Pettigrew, manchmal zweifle ich daran, auf welcher Seite du eigentlich stehst!"
Remus versuchte die Augen zu öffnen. Graue Schemen zogen vor ihnen hin und her. Er nahm Menschen wahr, die neben ihm knieten und um ihn herum standen. War das Moody? Oder ein Haufen Todesser? In seinem Zustand wusste er nicht, was das größere Übel wäre.
„Lupin?", knurrte eine Stimme an seinem Ohr.
Eindeutig Moody, also niemand, der ihn töten wollte. Schade.
„Remus? Es tut mir so leid! Wirklich, du musst mir glauben, ich hab dich nicht erkannt und dachte, du wärst ein Todesser und..."
„Nun lass ihn doch erstmal zu sich kommen." Das war James Stimme. James... und Peter. Etwas fehlte. Verzweifelt versuchte er sich zu erinnern. Wie in Zaubertränke war es diese eine bestimmte Zutat, von der Erfolg oder Niederlage abhingen, die ihm nicht einfallen wollte. Etwas wichtiges, etwas... Sirius! Er richtete sich auf, zumindest versuchte er es, doch sein Kopf rollte zurück in den Nacken und er konnte noch immer nicht die Augen öffnen. „Ssss..."
„Langsam, Junge, langsam.", das war wieder Moody. „Es ist alles in Ordnung." Eine raue Hand legte sich an seine Wange und etwas wurde ihm zwischen die Zähne gesteckt. „Trink das."
Eine dickflüssige übelriechende Substanz floss seinen Hals hinunter. Er hustete krampfhaft. „Na, na, komm, noch ein Schlückchen." Die Prozedur wiederholte sich. Jemand murmelte „Lumos" und langsam aber stetig hob sich der Schleier vor seinen Augen, bis er in den erleuchtete Haufen blinzelte, der sich um ihn gebildet hatte. Zaghaft hob seinen Arm und betastete seinen Hinterkopf. Heftiger Schmerz durchzuckte ihn und breitete sich auf seinen gesamten Körper aus. Moody hockte neben ihm auf dem Boden, die Flasche mit dem übelriechenden Trank noch in der Hand. Neben ihm standen Peter und James. Hinter ihnen liefen geschäftige Gestalten hin und her. Peter biss sich auf die Lippe und trat von einem Fuß auf den anderen, während James grimmig auf ihn hinunter blickte und sich dann mit einem erleichterten Grinsen umdrehte. „Was ist passiert? Wo ist..."
Erst jetzt bemerkte er, wohin James sich umgeschaut hatte.
Sirius saß, am Rande der erleuchteten Lichtung, an einen Baum gelehnt, beide Beine vor sich ausgestreckt, sein Rücken ruhte am Stamm, sein Blick war auf den Boden geheftet. Er sah genauso erschöpft aus, wie Remus sich fühlte. Dann hob er den Kopf, ließ ihn vorsichtig nach hinten gegen den Baumstamm fallen und schaute Remus mit einem Blick an, der so ausdruckslos war, als hätte ein Dementor ihm die Seele aus dem Leib gesogen. Er war von oben bis unten mit getrocknetem Blut überzogen, sein Haar war von verkrustetem Blut und Schmutz verfilzt. Trotzdem sah es für einen Moment so aus, als ob Sirius den Baum aufrecht hielt und nicht anders herum.
Remus schluckte. Er musste den Blick abwenden. Stattdessen konzentrierte er sich auf Moody.
Moody klopfte ihm auf die Schulter. Remus kämpfte dagegen an, sich zusammenzukrümmen. Seine Knie und Hände bluteten. Etwas warmes Klebriges lief ihm die Stirn hinunter und erst jetzt spürte er das beständige dumpfe Pochen in seinem Schädel.
„Was ist passiert? Wo wart ihr?" In seinem Kopf surrte es wie in einem Käfig voller Wichtel.
Moody, der seinem Blick gefolgt war, sagte: „Es geht allen gut. Potter hatte die weise Einsicht, sich nicht allein mit zwei mordlustigen Todessern zu duellieren. Im Gegensatz zu anderen hier Anwesenden." Moodys Blick bohrte sich in seinen.
„Peter war losgezogen, euch zu suchen.", sagte James. Peter sah ihn kleinlaut an und murmelte: „Ich hatte einfach nur so großen Hunger."
„Ich hab Rauch gerochen. Von einer Zigarette. Ich dachte, es hätten sich vielleicht ein paar Muggel in die Gegend verirrt, also bin ich in Deckung gegangen. Ich hatte doch nie Muggelkunde.", sagte James. „Ich wusste nicht, was ich mit ihnen reden sollte."
„Ja, ja.", unterbrach ihn Moody unwirsch. „Und als Potter erkannte, dass es sich nicht um ein paar harmlose Angler, sondern um die Anhänger von Du-weißt-schon-wem handelte, ist er sofort ins Ministerium appariert, um uns zu benachrichtigen. Kluger Schachzug, hätte bestimmt auch funktioniert, wenn wir nicht gerade auf einer Mission in Transsylvanien unterwegs gewesen wären. Naja, als wir schließlich hier ankamen, stürmte Pettigrew so eben aus dem Wald und jagte dir einen Fluch in den Rücken." Moody schielte zu Peter hinüber und grummelte dann kaum hörbar: „Du kannst von Glück sprechen, dass er nie der Hellste war."
„Es tut mir so leid, Remus.", sagte Peter mit flehendem Blick. „Ich wusste doch nicht, dass du es warst. Ich dachte, jemand wollte Sirius umbringen."
„Schon gut, schon gut.", sagte Remus und wedelte schwach mit einer Hand. „Es ist ja nichts passiert."
„Nichts passiert?", blökte Moody. „Junge, du kannst von Glück sagen, dass du noch am Leben bist." Er blickte auf das Blut an Remus Körper, auf das Blut, das über den gesamten Zeltplatz verteilt war und zu Sirius, der noch immer mehr tot als lebendig aussah. „Bei dieser Verwüstung müssen die Todesser mit Unverzeihlichen nur so um sich geworfen haben. Auf sie warten mindestens ein paar Jahre Azkaban. Ein gefundenes Fressen für die Dementoren... Wie, bei Merlins Bart, habt ihr das hier überlebt?"
Remus sah zu Sirius hinüber, doch er machte keinerlei Anstalten, sich an dem Gespräch zu beteiligen, sondern starrte auf seine Hände.
In dem Bruchteil einer Sekunde fasste Remus seine Entscheidung. „Ich weiß es nicht mehr so genau. Es ist alles etwas verschwommen. Einer der Todesser hat mich getroffen, dann hat Sirius ihm mit einem Schockzauber erledigt." Sirius' Kopf schnellte hoch, doch Remus vermied es mit aller Kraft, ihn anzusehen. Stattdessen konzentrierte er sich ganz auf Moody. „Sirius kam zu mir herüber, um sich zu überprüfen, dass ich nicht schwer verletzt worden war, wurde dann aber selbst von dem zweiten Todesser getroffen."
Er brach ab. Wenn er jetzt zugab, dass auch er einen unverzeihlichen Fluch abgegeben hatte, würde er den beiden Todessern bald in einer Zelle Gesellschaft leisten. Er schluckte krampfhaft.
„Und was passierte mit dem zweiten?", wollte Peter ungeduldig wissen.
Remus schwieg.
„Remus hat sich um ihn gekümmert.", sagte Sirius plötzlich. Seine Stimme krächzte, aber Remus hörte den Stolz in der Stimme.
James schnaubte amüsiert. „Wie? Hat Remus ihn in ein tiefschürfendes Gespräch über die Vorteile von Alraunenumtopfung während des Mondzyklus verwickelt?"
„Nein.", hustete Sirius mit einem leichten Grinsen und einem Seitenblick auf Remus. „Er hat einen Ast genommen, ihn niedergeprügelt und dann an einen Baumstamm gefesselt."
James starrte ihn an. Dann drehte er sich um und starrte Remus an. Vier Augenpaare richteten sich auf ihn und er wäre am liebsten im Erdboden versunken.
„Lupin?" Moody fing sich als erster. „Mit einem Ast? Niedergeprügelt?" Er blinzelte. „Ha, ha, ha. Das ich das noch erleben durfte! Ha, ha, ha, ha..."
Er schlug Remus auf die Schulter, dass er vor Schmerz zusammenzuckte.
„Oh, 'Tschuldigung." Moody stand auf. „Potter, morgen will ich den ausführlichen Bericht auf meinem Schreibtisch haben. Black, Lupin, ab ins St. Mungos. Pettigrew, du hilfst der Spurenverwischungs-Abteilung beim Aufräumen."
* * *
Remus saß leicht genervt in seinem Bett, während Heilerin Constance um ihn herum wirbelte, wie eine Henne um ihre Küken.
Er schaute auf, als die Tür aufging und sah Sirius, der belustigt die sich vor ihm entfaltende Szene beobachtete.
„Geht es ihnen auch wirklich gut? Möchten sie noch ein Glas Wasser oder noch ein Kissen?"
„Nein, vielen Dank, wirklich nicht." Remus hob protestierend die Hände.
„Soll ich ihnen ein Buch besorgen. Es kann ja so schrecklich langweilig sein. Am besten, ich bleibe einfach hier und leiste ihnen noch ein wenig Gesellschaft."
„Das ist wirklich nicht nötig."
„Wie wäre es mit etwas zu Essen, sie müssen einfach besser auf ihre Gesundheit achten!"
„Ich weiß ihre Bemühungen zu schätzen, aber...", in gespielter Überraschung riss er die Augen auf. „Oh, ein Besucher!"
Heilerin Constance fuhr herum. „Die Besuchszeit ist abgelaufen!", fauchte sie, als sie Sirius sah.
„Das ist schon in Ordnung.", sagte Sirius und zeigte ihr sein bezaubernstes Lächeln. „Ich bin nämlich auch Patient."
Sie funkelte ihn weiter an. „Nun gut." Sie drehte sich zu Remus um und sagte strahlend: „Sollte sie noch einen weiteren Wunsch haben, ein Wink mit dem Zauberstab genügt und ich eile herbei." Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, ging sie hinaus.
Sirius sah ihr nach, doch das Lächeln verschwand von seinem Gesicht, als er sich wieder Remus zu wandte.
„Sie ist ganz schön vernarrt in dich.", sagte er.
„James hat ihr erzählt, ich hätte eigenständig und schwerstverletzt vier Todessern ohne meinen Zauberstab und halbblind den Gar ausgemacht. Ich glaube, er wollte mir einen Gefallen tun."
„Hm." Sirius trat einen Schritt näher ans Bett heran und umfasste die Kante des Fußendes.
„Hat er aber nicht."
Sirius schwieg. Eine zeitlang sagte keiner ein Wort.
Remus sah hinab auf seine Hände.
Schließlich räusperte sich Sirius.
„Ja.", fragte Remus
„Also, ..."
„Ja?"
„Müssen wir jetzt über unsere Gefühle sprechen?", sagte Sirius ohne ihn anzusehen.
Remus verdrehte innerlich die Augen.
„Was da draußen passiert ist..."
„Was genau ist da daußen passiert, Sirius?"
„Du wurdest getroffen."
„Ich wurde getroffen."
„Und dann wurde ich getroffen..."
„Dann wurdest du getroffen."
Remus wartete. Geduldig. Ohne irgendeine Spur von Zorn. Oder Ungeduld.
Sirius schwieg.
Remus wartete weiter, mit höchstens einem Anflug von Ungeduld. Oder Zorn.
Sirius öffnete den Mund.
Und schloss ihn wieder.
Remus sorgfältig kontrollierte, über Jahre aufrechtgehaltene Fassade begann zu bröckeln.
„Ist das alles, was dir dazu einfällt?", zischte er. „Ich fass es nicht." Er begann zu zittern. Unterdrückte Wut, unterdrückte Angst, in diesem einen Moment brach alles offen, vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben. „Ich dachte, du wärst tot. Ich dachte, du wärst tot und ich wollte sie umbringen. Ich wollte sie töten, nicht mich verteidigen oder sie entwaffnen, nein, ich wollte sie auslöschen. Und ich habe nicht einmal darüber nachgedacht, dass sie mich treffen könnten. Es war mir egal. Es war mir egal, weil ich dachte du wärst tot... Und nun..." Er holte tief Luft und merkte, wie seine Stimme brach. Mühsam gewann er die Kontrolle über sich zurück. „Nun frage ich mich, was das bedeutet. Verstehst du?"
Remus lockerte seine Hände, die er in die Decke gekrallt hatte, um nicht Sirius in einem unkontrollierten Anfall doch noch zu erwürgen, denn mitten in seiner Rede hatte Sirius angefangen zu lächeln. Und nun, als er fertig war und sein Innerstes nach außen gekehrt hatte, da stand ihm Sirius gegenüber und grinste ihn nahezu unverschämt glücklich an.
„Das war mein großer, dramatischer Monolog, und du fängst an zu grinsen?"
Sirius nickte und trat um das Bettende herum auf ihn zu.
„Aber was bedeutet das jetzt?"
„Es bedeutet,", sagte Sirius immer noch glücklich lächelnd, „dass du mich magst, dass du mich interessant findest." Seine Stimme hatte einen singenden Tonfall angenommen.
Remus wusste nicht, ob er weinen oder lachen sollte.
„Sirius.", sagte er. „Wenn du sagst, ich finde dich interessant, dann meinst du doch nicht: 'Ich finde dich interessant, so wie ich Fungus-Infektionen interessant finde', oder?"
Sirius grinste und setzt sich auf Remus' Bettkante. „Nein, Remus, du findest mich interessanter, als du Fungus-Infektionen interessant findest."
Remus starrte ihn an, verdutzt. Dann beugte sich Sirius zu ihm vor, als wollte er ihm ein Geheimnis erzählen, außer, dass er näher kam und noch näher und schließlich musste Remus sich ein Stück zurück lehnen, denn es war einfach zu merkwürdig, Sirius zu küssen. Sie saßen in einem Krankenzimmer, nachdem sie die letzten Minuten damit verbracht hatten, über Todesser und Gewaltphantasien zu sprechen. Er fing fast an zu lachen. Fast.
Stattdessen stellte er erstaunt fest: „Du findest mich auch interessanter, als du Fungus-Infektionen interessant findest."
Sirius lachte auf und warf griff nach ihm. Warme Arme legten sich um seinen Nacken, seinen Rücken. Remus wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Er wartete ab. Sirius ließ ihn nicht los, sondern vergrub seine Gesicht in Remus' Nacken.
„Und was jetzt?", fragte Remus.
„Jetzt?", murmelte Sirius und seine Lippen berührten Remus' Haut. „Jetzt werden wir erstmal beide gesund. Dann apparieren wir zu dir. Oder zu mir. Und dann..." Sirius Atem streifte sein Ohr. „Dann werde ich dich küssen."
„Ja?"
„Ja."
„Okay." Remus dachte darüber nach. Vielleicht war es zu komisch, zu seltsam. So seltsam wie ein Werwolf als Vertrauensschüler, so seltsam wie drei Freunde, die zu Hund, Hirsch und Ratte wurden. So seltsam wie sein ganzes, beschissenes Leben. „Unter einer Bedingung."
„Welche?", sagte Sirius an seinem Hals.
„Nie wieder Camping-Trips!"
Ende
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