Kapitel 1 - Ein Sieg ohne Sieger (Teil 1)

Während Harry mühelos den durch die Luft wirbelnden Zauberstab von Lord Voldemort auffing, sank dieser lautlos mit einem ungläubigen Blick über das gerade passierte zu Boden. Ein letztes Mal leuchteten seine roten Augen auf, bevor sie sich trübten. Der dunkle Lord war besiegt. Endgültig.

Nach dem Lärm, den sowohl Harry als auch Voldemort bei ihrem Duell veranstaltet hatten, verursachte die anschließende Stille fast körperliche Schmerzen. Es schien, als wäre ganz Hogwarts in eine Starre verfallen. Alle Anwesenden fixierten ihre Augen auf Voldemort, als ob sie es noch immer nicht glauben konnten, dass es endlich vorbei war, dass endlich die Zeit angebrochen war, wieder zu leben ohne ständige Angst um sein eigenes Leben oder das seiner Lieben zu haben.

Nach wenigen Sekunden, welchen allen wie eine kleine Ewigkeit vorkamen, entlud sich die ganze Anspannung in einem wahren Geräuschorkan. Alle ließen ihre Anspannung heraus und suchten in der Menge nach Angehörigen um sich glücklich in die Arme zu fallen. Andere fingen an zu tanzen und zu singen. Es war als würde sich Hogwarts in einem kollektiven Freudentaumel befinden. Harry hingegen stand nach wie vor an seinem Platz und war unfähig etwas zu empfinden.

Aus den Augenwinkeln sah er wie Arthur Weasley zu seiner Frau Molly eilte, um nach ihr zu sehen. Molly hatte zwar Bellatrix unter Aufbietung all ihrer Kräfte besiegt, eine stark blutende Wunde ließ aber keinen Zweifel aufkommen, dass auch sie ihren Preis dafür zahlen musste. Mr. Weasley nahm seine Frau liebevoll in die Arme und strich durch ihr Haar. Auch wenn sich die beiden des Öfteren in die Haare bekamen, besonders wenn Mr. Weasley wieder mit seiner Steckersammlung oder anderen Muggelartefakten anfing, konnte man doch deutlich sehen, was für eine Liebe und Vertrauen zwischen den beiden herrschte.

Es tat Harry weh zu sehen, wie Mrs. Weasley an ihren Schmerzen litt und er wandte den Blick ab. Kurz sah er dabei erneut Ron und Hermine. Ron blickte in Richtung seiner Eltern und Harry erkannte das Entsetzen auf Rons Gesicht. Es war weißer als jeder Geist, den er jemals in Hogwarts gesehen hatte. Hermine blickte kurz zu Harry und ihre Augen trafen sich, doch bevor sie etwas sagen oder auf Harry zugehen konnte rannte Ron zu seinen Eltern und zerrte Hermine hinter sich her.

„Mum, Mum" schrie Ron außer sich vor Sorge.

Madame Pomfrey, die inzwischen eingetroffen war und sich um Mrs. Weasley kümmerte, hielt ihn zurück.

„Keine Angst mein Junge." „Deine Mutter hat zwar einen mir unbekannten Fluch abbekommen, aber es sollte nichts sein, was man in St. Mungos nicht wieder hinbekommen würde." versuchte sie ihn zu beruhigen.

„Dort gibt es die besten Heiler in der ganzen Zaubererwelt." „Ich kann hier nicht mehr tun als die Blutung zu stoppen und ihr etwas die Schmerzen zu nehmen." sagte sie etwas hilflos.

„Dein Vater wird sie gleich nach St. Mungos bringen" fuhr Madame Pomfrey in beruhigendem Ton fort.

Inzwischen waren die anderen Weasleys ebenfalls bei ihren Eltern angekommen. Auch Ihnen sah man die Strapazen des Kampfes gegen Voldemort und seinen Anhängern mehr als deutlich an. Die Angst um ihre Mutter übertraf jedoch alle anderen Emotionen.

„Macht Euch um mich keine Sorgen" wandte sich Molly mit schwacher Stimme an ihre Kinder. „Arthur bringt mich ins St. Mungos und nach ein paar Tagen bin ich wieder auf den Beinen." „Schließlich konnte ich es doch nicht zulassen, dass diese Todesserschlampe sich an meinen Kindern vergreift."

Mrs Weasley versuchte den Satz mit etwas Humor in der Stimme und einem Lächeln auf den Lippen zu sprechen, verursacht durch einen erneuten Schmerzanfall scheiterte der Versuch allerdings kläglich.

„Komm Arthur, ich trage Molly, dann geht es schneller" bot sich Hagrid an und nahm Molly sanft auf seine kräftigen Arme.

„Auf dem Vorplatz wartet schon euer alter Ford Anglia." grinste er Mr Weasley schwach an. „Er scheint gespürt zu haben, dass seine alten Besitzer ihn brauchen."

Zu dritt entschwanden sie mit schnellen Schritten der großen Halle.

„Was ist eigentlich mit Harry?" fragte Hermine urplötzlich in die Stille hinein. „Hat er etwas abbekommen bei seinem Kampf gegen Voldemort?"

Hermine blickte sich mit sorgenvoller Mine um, konnte aber durch das Gewimmel an Beinen und Körpern keine Spur von Harry erkennen.

„Lass uns zum Kampfplatz gehen, dort muss er ja noch sein" schlug Ron vor.

Diesmal war es Hermine, die losrannte und Ron hinter sich herzog. Nach einigen Metern lichtete sich die Menge. Es schien, als wollte niemand auch nur in die Nähe von Voldemort gehen, ungeachtet der Tatsache, dass er tot war.

Als Hermine und Ron den Kampfplatz fast erreicht hatten, kam ihnen Neville von dort entgegen. Sein linker Arm hing leblos am Körper herunter und sein Umhang bestand nur noch aus Stofffetzen. Er blutete aus mehreren kleinen Wunden, allerdings schien er die Schmerzen nicht zu spüren Er kam ihnen mit einem breiten Grinsen im Gesicht entgegen.

„Wir haben gewonnen! Es ist vorbei!" jubelte Neville.

„Wo habt ihr Harry gelassen?" fragte Neville, als er sah, dass sie nur zu zweit waren.

Ron und Hermine schauten sich verdutzt an.

„Ich dachte er ist bei Euch" fuhr Neville fort, während sein Lächeln mit einsetzender Erkenntnis sein Gesicht langsam verließ.

„Nein" entgegnete Hermine entgeistert „wir dachten er wäre noch am Ort des Kampfes, bei Voldemort, und wir wollten gerade zu ihm".

Nun sahen sich alle drei verständnislos an.

„Der dunkle Lord ist tot!" „Der dunkle Lord ist tot!" „Pottilein hat ihm den Gar ausgemacht" gackerte Peeves über den Köpfen der Menge und schwebte in sichtlich bester Stimmung auf und ab.

Neville erblickte Prof. McGonagall in der Menge und die drei eilten zu ihr.

Gerade als Hermine ihre Lehrerin mit der Frage nach Harry bestürmen wollte, fragte auch schon Prof. McGonagall mit einem bei ihr eher selten gesehenen verschmitzten Lächeln auf den Lippen: „Na, wo habt ihr denn unseren Helden gelassen?" Als sie jedoch die fragenden Gesichter sah, erfror ihr Lächeln.

„Soll das heißen, das sie Harry auch nicht gesehen haben Professor?" fragte Hermine.

„Ich dachte er wäre bei Euch" entgegnete ihr Prof. McGonagall inzwischen ebenfalls eher verwundert.

„Peeves" rief Hermine, die ein Geistesblitz traf, in Richtung Hallendecke, wo dieser gerade wieder singend seine Runde beendete „könntest Du bitte herkommen".

Ron und Neville schauten sich fragend an. Was hatte Hermine denn jetzt vor?

„Die Granger" schnaubte Peeves, der sich überraschend dem Wunsch gefügt hatte und auf die kleine Gruppe zuschwebte.

„Peeves" fragte Hermine „hast Du Harry gesehen?"

„Ich habe alles gesehen" gluckste er vor sich hin.

„Jetzt ist keine Zeit für Scherze" zischte Prof. McGonagall Peeves an.

Peeves fror förmlich in der Luft fest und schaute Prof. McGonagall lange an.

„Prof. McGonagall hat mir ihren Stock geliehen." „Ich habe das nicht vergessen" antwortete Peeves in einer für ihn ungewöhnlichen ruhigen und sachlichen Tonlage.

„Also" begann Hermine zu drängeln „was ist jetzt mit Harry?"

„Potter hat geleuchtet und ist disappariert" gackerte Peevs und schwebte davon bevor Hermine weiter fragen konnte.

Ron sah Hermine verständnislos an „Du hast doch gesagt, dass man in Hogwarts nicht apparieren oder disapparieren kann."

„Dem ist auch so" erwiderte Hermine entnervt und kämpfte sichtlich mit ihrer Fassung. „Oder?" wand sie sich unsicher an Prof. McGonagall.

„Natürlich" entgegnete ihre Lehrerin „apparieren oder disapparieren ist in Hogwarts und den umgebenden Ländereien nicht möglich." „Und gerade jetzt zum Zeitpunkt des finalen Kampfes wurde dieser Zauber noch einmal extra überprüft."

„Dumbledore" rief Neville und die anderen drei fuhren erschreckt herum in der irrigen Hoffnung, Dumbledore könne zurückgekommen sein.

„Wir könnten Dumbledore fragen" setzte Neville seine Bemerkung fort. „Er war schließlich der größte Schulleiter, den Hogwarts je hatte".

„Dann los" forderte Hermine und wollte schon wieder losrennen.

„Was ist denn hier los" wurden sie durch Luna und Ginny in ihrem Schwung gebremst. „Und wo ist Harry?"

„Das wüssten wir selber gerne" entgegnete Prof. McGonagall.

Die kleine Gruppe kämpfte sich ihren Weg durch die Menschenmenge. Überall lagen sich Familien, Freunde und Kollegen in den Armen und feierten. Man konnte sehen, wie nach und nach wieder das Leben in ihrer Gesichter zurückkehrte. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichte die Gruppe das ehemalige Büro von Prof. Dumbledore. Als sie eintraten, brannte lautstarker Applaus auf.

Alle ehemaligen Schulleiter standen in ihren Portraits und klatschten der eingetretenen Gruppe zu. Prof. McGonagall hob ihre Hand und die Portraits verstummten.

„Wo ist denn unser Harry Potter?" kam es von Phineas Nigellus. „Die Portraits in der großen Halle haben berichtet, dass er den dunklen Lord besiegt hat."

„Deswegen sind wir ja hier" entgegnete Prof. McGonagall inzwischen leicht besorgt.

„Albus" wandte sie sich an das Portrait und erzählte, was sie von Peeves erfahren hatten.

Anschließend herrschte eine Minute schweigen, bevor sich Dumbledore zu Wort meldete.

„Ich kann es Ihnen momentan leider nicht erklären Minerva" begann Dumbledore mit trauriger Stimme.

„Es stimmt, dass es nicht möglich ist, zu apparieren oder zu disapparieren." „Das musste ich auch das eine oder andere Mal zu meinem Leidwesen feststellen, als ich die Horkruxe suchte."

„Man vergisst es in meinem Alter nur gelegentlich" gluckste er. „Allerdings" fuhr er wieder mit ruhiger und sachlicher Stimme fort „kann ich mir nicht vorstellen, warum Peeves uns angelogen haben sollte." „Peeves ist für jeden Unsinn gut und er hat uns mehr als ein Mal das Leben schwer gemacht, aber als sie ihm damals ihren Gehstock gegeben haben oder ihm gesagt haben, wie die Schraube zu lösen ist ..."

„Ähm, das ist jetzt nicht wichtig" fiel Prof. McGonagall Dumbledore ins Wort.

Worum es ging, konnten Hermine, Ron, Ginny, Neville und Luna nicht erkennen. Die Tatsache, dass Prof. McGonagall etwas rot wurde, zeigte ihnen aber, dass es ein sehr spezielles Thema sein musste.

„Ja, sie haben recht Minerva" beendete Dumbledore die kurze Pause. „Nun, wo war ich?" „Ach ja, nein, ich glaube nicht, dass Peeves gelogen hat." „Er hat sie, Minerva, irgendwie ins Herz geschlossen."

Prof. McGonagall schaute ungläubig zu Dumbledore.

„Oh doch" fuhr der ehemalige Schulleiter fort. „Peeves hat ihnen die damalige, sagen wir mal Unterstützung, nicht vergessen."

„Dann haben wir ein Problem" fasste Luna in ihrer verträumten Art, welche gar nicht zur Situation passen wollte, zusammen. „Dann muss ein vierköpfiger Schwanzschnäbler in der großen Halle gewesen sein" erklärte Luna den verdutzen Anwesenden.

„Ja" fuhr sie fort, nachdem keiner Anstalten machte sie zu unterbrechen. „Mein Vater hat mir von denen erzählt." „Die können durch jeglichen Schutzzauber apparieren und disapparieren."

Hermine verdrehte ihre Augen, was Luna zum Glück nicht sah. Dafür fuhr Ron aus seiner Haut. „Du weißt genau, dass es solche Wesen nicht gibt" fauchte er sie an. „So ein Blödsinn hilft uns nicht weiter".

„Ach Ronald" entgegnete Luna „manchmal hast Du einen so beschränkten Horizont".

Man sah nur noch den Mund von Ron aufgehen. Zu einem Laut war er nicht mehr fähig.

„Hem, hem" kam es von der Türe.

Fortsetzung folgt …