A/N: Der ganze Spaß hier ist zunächst einmal NICHT als Romanze ausgelegt und fügt sich auch - vor allem gegen Ende - nicht ganz reibungslos in den Reigen der Ereignisse des ersten Bandes. Quasi ein "so hätte es auch sein können", eine Reverie, ein Tagtraum.
Disclaimer: Ich träume nur den Traum eines anderen in eine andere Richtung. Selbstverständlich gehört mir dabei rein gar nichts respektive des Handlungsverlaufes.
Der erste Tag
Versagen. Das Wort, das seine Gedanken beherrschte. Versagt hatte er, versagt. Er hatte das Ei verloren, das so sicher geglaubt war. Zwar hatte er die Botin gefangen genommen, doch was war das für ein Erfolg? Sie war ungewöhnlich stark, was sowohl ihre magischen als auch ihre körperlichen Kräfte anbelangte. Es würde lange dauern, ihr auch nur den Ansatz einer Information über den Verbleib des Eis zu entlocken – selbst unter Folter. Galbatorix' Strafe für sein Unvermögen, den ungeschlüpften Drachen an sich zu nehmen, würde ungewohnt hart ausfallen. Dieser eine Moment, dieses kurze Zögern, der Augenblick der Irritation war es gewesen, der ihn hatte scheitern lassen. Er verfluchte sich für seine Selbstgefälligkeit. Hätte er sich nur nicht jenes Gefühl des Triumphes erlaubt, die elfische Botin in die Enge getrieben zu haben, dann befände sich das Ei jetzt in seinem Besitz. Doch was war geschehen? Natürlich hatte sie ihn überlistet, seine Unachtsamkeit geschickt genutzt, um ihr wertvolles Transportgut an irgendeinen Ort auf Alagaësia zu befördern, an dem es mit großer Wahrscheinlichkeit entweder niemals oder aber von einer Person gefunden werden würde, die genau wusste, wie sie dem Imperium durch den Besitz dieses Eies Schaden zufügen könnte. Er hoffte um seiner eigenen Existenz Willen, dass Ersteres der Fall war.
Oh ja, er hatte Angst vor dem Imperator. Dieser ehemalige Drachenreiter war die personifizierte Grausamkeit. Er ergötzte sich am Leiden anderer, lobte nie und ahndete Versagen auf drakonische Weise. Wer je in dem düsteren Thronsaal zu Uru'baen gestanden hatte und sein Leben diesem Tyrannen zur freien Verfügung angeboten hatte, der wusste, was es bedeutete, zu fürchten. Durza, der Schatten, wusste es als Galbatorix' rechte Hand besser denn jeder andere. Obwohl er im Reiche selbst gefürchtet war, erwies sich die Furcht vor ihm als Angehörigen einer Kaste, die man als Unglücksbringer und Todverheißer generell verabscheute, eher als Grausen mystischen Ursprungs. Die Präsenz des Königs rief jedoch ein ungleich beklemmenderes Gefühl hervor: Unrast, Entsetzten, gewürzt mit einem Schuss Lähmung und Atemlosigkeit. Kam man in seine Nähe, hatte man sofort das Gefühl, irgendetwas Dunkles, Lebendiges einzuatmen, das sich wie klebriger Puder über die Atemwege legte, einem Hals und Mund austrocknete und Schweiß auf Stirn und Handflächen trieb...
Eine jähe Bewegung seiner Gefangenen riss ihn abrupt aus seinen finsteren Überlegungen. Die Elfe, die er vor sich auf das Pferd gesetzt hatte, war aus ihrem tranceartigen Schlaf erwacht. Verwirrt wandte sie ihren Kopf, um etwas sehen zu können. Natürlich war das vollkommen unmöglich, dafür hatte er gesorgt. Eine Binde aus dicken Wollstoff nahm ihr die Sicht. Abgesehen davon war es in dem dichten Nadelwald, den er durchquerte, sowieso stockdunkel. Ihre Hände waren fest verschnürt ans Sattelhorn gebunden, ihre Füße unter dem Bauch der Stute gefesselt. Ein weiterer, am Sattel befestigter Strick hielt ihr schönes Elfenhaupt unten, sodass sie gar nicht erst in Versuchung kommen konnte, ihn durch ein rasches Zurückwerfen ihres Kopfes außer Gefecht zu setzen.
Eine Weile zog und zerrte sie noch an ihren Fesseln, dann gab sie auf und sank in sich zusammen, um wieder in ihren Wachschlaf zu verfallen. Durza spürte ihre vorsichtigen Versuche, seinen Geist zu berühren und ihre Verwirrung, als sie entgegen ihrer Erwartung nicht herausfand, mit wem sie es zu tun hatte. Schließlich resignierte sie auch auf dieser Ebene und zog sich in ihre eigene Gedankenwelt zurück.
Ihr Oberkörper lehnte schwer gegen seinen Brustkorb, ihre Körperwärme drang durch die vielen Schichten seiner Robe zu seiner Haut. Es war ein höchst merkwürdiges Gefühl. Er hatte mit mehr Widerstand gerechnet. Auf gar keinen Fall hatte er dieses gleichmütige, passive Verhalten erwartet. Normalerweise hätte er sie als seine Gefangene keineswegs so gut behandelt. Er hätte sie wohl hinter seinem Pferd herrennen lassen und notfalls auch geschleift, falls sie sich weigerte zu laufen. Der einzige Grund, der sie vor diesem Schicksal bewahrte, war ihre Zugehörigkeit zur Rasse der Elfen. Tatsächlich hatte Durza in seinem ganzen Leben nicht eine einzige Elfe lebendig zu Gesicht bekommen. Sie war wertvoll für ihn, ein lohnendes Objekt, um seinen Forscherdrang zu befriedigen. Er spürte, dass er, sofern er überhaupt jemals irgendetwas über diese Rasse erfahren wollte, das nicht auf irgendwelchen Legenden beruhte, sie gut behandeln musste.
Als der Morgen graute, zügelte er seine Stute unterhalb einer Felswand, von der beständig ein kleines Rinnsal herabtröpfelte. Ein passables Lager. Nicht dass er Schlaf nötig gehabt hätte, nein, er wollte sich dem Studium seiner Gefangenen widmen, bevor Galbatorix ihm jedwede Möglichkeit dazu nahm. Er löste ihre Fesseln soweit, dass er sie vom Pferd ziehen konnte und band sie an einem jungen, aber kräftigen Baum fest, die Arme straff auf den Rücken gebunden. Sie schwebte nun in einem Bewusstseinszustand, den ein Ahnungsloser wohl als Bewusstlosigkeit beschrieben hätte. Rasch flößte er ihr zwei Seren ein, die ihre magischen Fähigkeiten für die Dauer der nächsten drei Tage blockierten und sie gleichzeitig am Schlafen hindern würden. Er trug ständig einen begrenzten Vorrat an bestimmten Gebräuen mit sich herum, der dafür gedacht war, ihm im Falle einer Gefangennahme eine Flucht zu ermöglichen. Gelegentlich gebrauchte er diese Tränke auch für andere Zwecke.
Mit einer geradezu wissenschaftlichen Neugier beobachtete er, wie sie langsam der Umarmung des Schlafes entglitt und zu erwachen begann. Er ließ sich einige Schritte entfernt von ihr auf den Waldboden nieder und rührte sich nicht. Es dauerte eine Weile, bis sie endgültig wach war und ungleich kürzer, bis sie bemerkte, dass sich ihre Situation verändert hatte. Die fremde Magie, die bis vor kurzem noch ihre magische Kraft in Schach gehalten hatte, war verschwunden. An deren Stelle war nun eine dumpfe Taubheit getreten. Die Elfe spürte diesem Gefühl nach, doch sie fand seine Quelle nicht. Konfusion machte sich auf dem sichtbaren Teil ihrer Gesichtszüge breit, als sie den Duft des Tannenhains einsog und mit ihm die Witterung von etwas, das ganz und gar nicht zu diesem friedvollen, aromatischen Geruch passen wollte. Vorsichtig setzte sie sich auf und versuchte, die Augenbinde mithilfe ihrer Knie, zwischen die sie den Kopf gesenkt hatte, abzustreifen. Sie saß zu fest.
Durza entschloss sich, brennend vor Neugier auf ihre nun folgendende Reaktion, ihr das Augenlicht zurückzugeben. Als er sich von dem weichen Erdreich erhob, schrak sie ob des Raschelns seines Gewandes zusammen. Er spürte ihr mühsam unterdrücktes Zittern, als er hinter ihr auf die Knie sank und mit behutsamen Bewegungen den Knoten der Binde löste. Jeder Muskel ihres zarten Leibes war angespannt, ihr Atem flach und unhörbar. Ohne sie mehr als unbedingt notwendig zu berühren, zog er den Stoff von ihrem Gesicht. Sie bewegte sich nicht, bis er sich erhob und einige Schritte zurücktrat. Dann begann sie, sich verstohlen umzusehen, nur an den minimalen Bewegungen ihres Kopfes zu erkennen.
Während sie sich ein Bild von ihrer Umgebung machte, betrachtete der Schatten die Elfe eingehend. Ihr Körperbau unterschied sich nicht wesentlich von dem einer Menschenfrau, ihre spitzen Ohren ausgeschlossen. Vielleicht war sie etwas zierlicher als manch andere Frau, doch schien sie auf eine athletische Art muskulös. Sie hatte langes, schwarzes Haar, das von den Strapazen des Rittes zwar etwas zerzaust war, doch nichts von seinem geheimnisvollen Glanz verloren hatte. Ihr Gewand, eine schwarze Lederrüstung über einer einfachen Leinentunika und dunkelbraunen Wollhosen, passte ihr wie angegossen. Sie war voller Ruß und Dreck, ihr dunkler Umhang an einigen Stellen zerrissen. Trotz der Fesseln wirkte sie nicht wie eine Gefangene.
Unendlich langsam wandte sie schließlich den Kopf in seine Richtung, der Blick ihrer dunklen Augen huschte über den Waldboden, blieb letztlich an seinen Stiefeln hängen, tastete sich über seine Beine, sein Schwert, die reich verzierte Brustplatte zu seinen Augen. Erkennen, Entsetzen, Wut und Angst las er in den ihren. Einen Herzschlag später waren all diese Emotionen aus ihrem Blick verschwunden, Hass hatte sie ersetzt. Sie starrte ihn auf eine so intensive, geradezu bohrende Weise an, dass er begann, sich unwohl zu fühlen. Ihr sengender Blick brannte in seinem Geist. Dennoch hielt er den Blickkontakt, starrte eisig zurück, wartete ab, bis sie ihre Niederlage endgültig eingestand und den Kopf wieder nach vorn wandte. Dann erst setzte er sich langsam in Bewegung, umschritt sie einmal, ließ sich in ihrer Blickrichtung nieder und entfachte ein kleines Feuer gerade soweit außerhalb ihrer Reichweite, dass sie sich zwar noch wärmen, aber weder ihm noch sich selbst gefährlich werden konnte. Mithilfe seiner Magie hielt er es so klein wie möglich, um keine ungewollte Aufmerksamkeit auf das Lager zu lenken. Eine Weile noch betrachtete er sie, wie sie mit starrem Blick in die Ferne sah, geradewegs durch ihn hindurch, als existierte er nicht. Schließlich zog er ein schmales, ledergebundenes Buch unter seinem Umhang hervor und begann, mithilfe eines Stücks Holzkohle aus dem Feuer eine Zeichnung anzufertigen, die wohl irgendein Kraut mit bestimmten Heilwirkungen darstellen sollte. Man sah dem Bildnis an, dass er weder ein begabter Zeichner war noch aus Begeisterung zeichnete, sondern es wohl eher tat, um sich die Zeit zu vertreiben.
Später am Vormittag, die Sonne hielt sich vehement ihre Maske aus Wolken vors Gesicht, beschloss er, weiterzureiten. Selbstverständlich versuchte die Elfe zu fliehen, als er sie von dem Baum losband, um sie aufs Pferd zu setzen. Selbstverständlich blieb es bei dem Versuch. Keine zwei Schritte schaffte sie, ehe er sie mithilfe seiner Magie erstarrten ließ. Scharf attackierte er ihren Geist mit dem seinen, dass sie vor Schmerz das Gesicht verzog.
„Hör mir zu, Mädchen", seine Stimme ein düsteres, schneidend scharfes Wispern in ihren Gedanken. „Du hast die Wahl: Entweder du benimmst dich ordentlich und die Reise zum König wird halbwegs angenehm für dich verlaufen oder aber du verweigerst den Gehorsam. Im letzteren Fall wirst du die Strecke zu Fuß hinter dich bringen. Ohne deine Stiefel."
Die Antwort der Elfe bestand aus einem einzigen zornigen Blick. Als Durza die Starre von ihr nahm, blieb sie an Ort und Stelle stehen, ließ sich widerstandslos aufs Pferd setzen und erneut fesseln. Er verband ihr wieder die Augen, dann saß er ebenfalls auf und gab der Stute die Sporen.
Der Ritt zog sich bis spät in die Nacht. Mittlerweile hatte es zu regnen begonnen. Der Schatten hatte darauf verzichtet, die Nässe mit einem Zauber von sich und der Elfe abzuhalten. Im Gegensatz zu ihr musste er nicht fürchten, sich zu erkälten und hatte die Möglichkeit, sich später einfach mit Magie zu trocknen und zu wärmen. Seine Gefangene war wieder in ihre Trance verfallen, wohl, um ihre Kräfte für später aufzusparen, wenn sie dem König gegenüberstand.
Ein geradezu maliziöses Lächeln huschte über seine Lippen. Nein, der König würde diese Frau so schnell nicht zu Gesicht bekommen. Nicht nach Uru'baen, in die Hauptstadt, sondern nach Gil'ead würde er sie bringen. In seine Festung, in sein Reich, wo sie vorerst vor Galbatorix' Sadismus und Jähzorn sicher wäre. Sie war seine Gefangene und ihm würde sie Rede und Antwort stehen. Doch zunächst stand ihr eine Nacht in einer kleinen Grotte bevor, die sie wohl innerhalb der nächsten halben Stunde erreichen würden, sofern der Regen nicht stärker wurde. Der Waldboden hatte sich schon jetzt in Morast verwandelt und bald würde nicht einmal mehr daran zu denken sein, den Weg fortzusetzen. Das Pferd kam mit dem zusätzlichen Gewicht auf seinem Rücken nur schwer vorwärts. Bald würden sie absteigen und laufen müssen.
Erneut verdichtete sich der Regen, die Tropfen prasselten mit neuer Härte auf sie herab. Mit Anbruch der Nacht war es kälter geworden, mittlerweile waren die Temperaturen eisig. Der Atem der Reisenden zog in silbrig-weißen Schleierwölkchen an ihren Gesichtern vorbei. Durza spürte, wie die Elfe zitterte. Sie lehnte inzwischen wieder an seiner Brust. Wahrscheinlich hatte ihr Bewusstseinszustand gar nicht zugelassen, dass sie bemerkte, wie sie in sich zusammengesunken war. Zu Beginn ihres Rittes hatte sie geradezu krampfhaft jegliche Berührung mit ihm vermieden, doch jetzt lag sie schwer in seinen Armen und immer öfter musste er darauf achten, dass sie nicht vom Pferd rutschte. Vorsichtig löste er den Strick, der ihren Kopf bisher auf ihre Brust gezogen hatte. Sie war zu tief ins Reich ihres Geistes vorgedrungen, als dass er jetzt noch damit rechnen musste, dass sie ihn angriff. Kurz kippte sie zur Seite, pendelte einen Augenblick lang zwischen Halt und Fall, ehe sie wie von unsichtbaren Händen gezogen nach unten rutschte und fiel. Die Hände noch immer ans Sattelhorn gebunden hing sie bewusstlos am Pferd, das unter schrillem Wiehern erschrocken einen Satz nach vorne machte und die Elfe dabei mit dem Rücken gegen einen Baum schmetterte. Die Stute gab ein schmerzerfülltes Kreischen von sich, bäumte sich auf, der Sattelgurt riss. Durza stürzte rücklings zu Boden, ein ausschlagender Huf zerschmetterte seine Schulter noch bevor er überhaupt mit dem Waldboden in Kontakt kam. Das letzte, was er wahrnahm, bevor sein Hinterkopf mit einem Baumstumpf kollidierte und ihm der Schmerz die Sicht raubte, war die Elfe, deren schlaffer Leib mit dem Gesicht voran in den Morast eintauchte.
A/N: Ich arbeite an der Fortsetzung. Und danke für die Kommentare