14.
Sie hatte nach dem Aufwachen heraus gewollt, raus aus meinen Räumen, raus aus den Kerkern und raus aus dem Schloss.
Das, was ich nicht begriffen hatte war, warum sie wollte, dass ich sie begleitete.
Obwohl ich mich, nachdem sie aufgewacht war, ihr gegenüber sehr distanziert und höflich benommen hatte, hatte ich ihr die Bitte mit ihr hierher zu kommen doch nicht abschlagen können.
Gemeinsam saßen wir am Ufer des Sees, eine warme Brise wehte vom Wasser zu uns, nächtliche Insekten machten ihre nächtlichen Geräusche, aus dem verbotenen Wald hallte ein entferntes Heulen zu uns herüber
Von den Ästen einer alten Trauerweide, die rund um uns bis zum Boden herabhingen und uns umgaben wie die Wände eines Zeltes, dessen Eingang in Richtung des Sees lag, wurden wir vor eventuellen Blicken vom Schloss her geschützt.
Sie hatte mir anvertraut das sie oft herkam, früh morgens, wenn außer ihr noch niemand wach war, aber jetzt filterte das klare Licht des Vollmondes anstelle von Sonnenstrahlen durch das dichte Blätterwerk und tauchte ihr blasses Gesicht in ein unwirkliches Leuchten, während sie stumm nachdachte.
Mir gefiel diese stille Seite an ihr.
An einem gewissen Punkt reichte ich ihr ein Glas von meinem Wein. Ich hatte das ganze Abendessen mitgebracht, denn ich wollte mir die Peinlichkeit ersparen, meinen Magen knurren zu hören, während sie ihren gerechten Zorn an mir ausließ, aber sie hatte noch nichts gesagt, ich hatte noch nicht einen einzigen Bissen gegessen, und das Tablett stand vor uns im Gras.
Wie ein romantisches Picknick, nur das wir weit davon entfernt waren ein verliebtes Pärchen zu sein – Pessimist – und ich nicht viel für diese Art von Romantik übrig hatte - soso.
Sie akzeptierte das Glas und atmete das Aroma des Weines mit geschlossenen Augen ein, dann nahm sie einen kleinen Schluck.
„Was ist heute Abend in ihren Räumen passiert, Professor Snape?"
Ihre Frage überraschte mich nicht, wohl aber die ruhige Stimme mit der sie gestellt war. Die Benutzung meines Titels zwang mich dazu, ein Seufzen zu unterdrücken. Mit aller Würde die ich aufbringen konnte schluckte ich meinen Stolz herunter, sah in ihre fragenden Augen und klärte sie über die Wette mit Lucius auf. Umso größer war meine Überraschung, als sie meine Erzählung durch ihr lautes Auflachen unterbrach.
„Da ich also mit ihnen, und nicht mit Lucius Malfoy hier, an meinem Lieblingsplatz bin, darf ich mich also hiermit als ihr legitimes und durch eine Wette gewonnenes Eigentum sehen?"
Ich zog es vor, diese ganz offensichtlich nicht ernst gemeinte Frage zu ignorieren, zumal ich das Gefühl hatte, dass es eher sie war, die mich gewonnen hatte, aber nichts auf der Welt hätte mich dazu getrieben, etwas derartiges in ihrem Beisein preiszugeben.
Stattdessen fragte ich sie, was sie nun ursprünglich zu mir gebracht hatte, und ob sie auch weiterhin meine Hilfe bei diesem Problem benötige.
„Beim Frühstück heute Morgen ist mir aufgefallen, dass ich sowohl Draco Malfoy als auch seinen Vater sehr attraktiv finde, und das nicht nur wegen ihres Aussehens, sondern auch wegen ihres Rufes. Die Erkenntnis, dass ich diese Attraktion offensichtlich schon seit längerem spüre, sie aber mir selbst gegenüber verleugnete, beunruhigte mich sehr. Sie verstehen, dass ich, als Schülerin mit einer Vorbildfunktion an dieser Schule und vor allem als Gryffindor-Präfekt, es mir eigentlich nicht leisten kann, mich von den Werten, die das Haus Malfoy auszeichnen, anziehen zu lassen. Lucius ist ein allgemein bekannter Todesser, und Draco ist ein Slytherin-Präfekt."
Mit einer erhobenen Augenbraue ob des sachlichen und für sie typischen Redeflusses, aber sonst mit ausdrucksloser Mine fragte ich sie:
„Und haben sie ihr Problem gelöst, Miss Granger? Wie denken sie jetzt über die Familie Malfoy, wenn ich mir die Frage erlauben darf?"
„Ich denke, dass auch Malfoys nur Menschen sind, und ich mir weder um Lucius noch um Draco jemals wieder Sorgen machen muss", antwortete sie mit einem verträumten Blick und einem kleinen, zufriedenen Lächeln.
Ich nahm selber einen Schluck Wein, ohne den exquisiten Geschmack auszukosten, und dachte über die ungewöhnliche Verkettung von Zufällen nach, die zu all dem geführt hatten, was wir bis vor wenigen Stunden noch in vollen Zügen hatten auskosten können.
Wäre Lucius nicht wegen seines Hitzeproblems zu mir gekommen, Miss Granger – Hermione - hätte wahrscheinlich noch lange Zeit gebraucht, um sich ihrer Attraktion zu dunkleren Charakteren als ihren leuchtend-glänzenden „Ritter in silberner Rüstung"-Gryffindors bewusst zu werden.
Schließt das dich nicht mit ein? Dunkle Charaktere?
Ich fühlte mich wie in einem von Dumbledores hinterhältigen Spielchen, obwohl er kaum etwas mit all dem zu tun haben konnte. Sicher?
Wir saßen noch eine Weile schweigend da. Sie schien nicht hysterisch werden zu wollen, und es schien mir auch nicht so, als würde noch ein Wutanfall irgendeiner Art folgen. Vielleicht konnte ich mich ja mit ihren Redeschwallen, wenn sie mir dafür derartige Gefühlsausbrüche ersparte.
Etwas weniger schlecht gelaunt als noch kurz zuvor griff ich nach frischem Brot und Roast Beef und bot ihr an, sich zu nehmen, was sie wollte. Ich war nicht wenig amüsiert als ich ihren mühsam verborgenen Heißhunger bemerkte – dir geht es selbst nicht besser, du hast seit dem Aufstehen noch nichts gegessen -, während sie mit Genuss mein Abendessen mit mir teilte.
Ein zufrieden stellendes Dinner und einige Glädes Wein später später saß ich mit diesem bezaubernden, intelligenten, hübschen jungen Mädchen am Ufer des Sees und sah schweigend dem Spiel der Reflexionen des Mondlichtes auf der ruhigen Wasseroberfläche zu. Zu schade, dass sie meine Schülerin war. Vielleicht war es an der Zeit sich ins Schloss zurück zu begeben und Lucius davon abzuhalten, Draco das Leben zur Hölle zu machen.
In diesem Augenblick stand sie auf, stellte ihr halbleeres Glas auf einen Stein und ging um mich herum. Das Mondlicht verlieh ihr ein inneres Leuchten, oder vielleicht wurde es dadurch nur sichtbar. Unschlüssig blieb ich auf meinem Platz sitzen, als sie aufreizend nah hinter mir zum stehen kam, und versuchte, mir mein unwohles Gefühl nicht anmerken zu lassen.
Sie ließ sich hinter mir auf die Knie herunter, ihr Gesicht näherte sich meiner rechten Wange, und ich hörte, wie sie tief einatmete. „Moos", murmelte sie mit einer kaum hörbaren Stimme, die mir einen Schauer über den Rücken jagte, und ich verstand nicht, worauf sie hinaus wollte. Dann legten sich zierliche Hände auf meine Schultern, und ich glaubte, sie etwas zittern zu spüren, während ihr warmer Atem meinen Hals streichelte.
„Würden sie mich für unverschämt halten, Professor Snape, wenn ich sie bäte, mich noch einmal so zu küssen wie vorhin?"
Die Worte waren nur gehaucht, und die Nähe ihrer Wange an meiner zwang mich dazu, ein weiteres Stöhnen zu unterdrücken.
Ich nahm ihre linke Hand, die noch auf meiner Schulter lag, wartete, bis sie aufgestanden war und führte sie mit sanfter Gewalt mich herum, bis sie vor mir stand. Eine Geste, die mir erlaubte, den kurzen aber heftigen Kampf in meinem Inneren, zwischen meinem Pflichtgefühl und dem Slytherin der ich war, zu entscheiden. Am Ende war es ein Bild, das ich ständig vor meinem inneren Auge sah, das mir half, diese Entscheidung herbeizuführen.
Sie hatte den Kopf in den Nacken gelegt, ihr Mund war leicht geöffnet und ihre Augen geschlossen. Ihr Haar wallte in von Schweiß feuchten Locken über ihren Nacken, und Tränen traten unter ihren mit langen, dichten Wimpern bedeckten Lidern hervor, aber sie weinte nicht vor Schmerz.
Sie stand vor mir, und sah mich aus großen, etwas unsicheren Augen an, offensichtlich darüber besorgt, wie ich auf ihr Vorstürmen – Gryffindors, haha! - reagieren würde.
Ich genoss diesen Anblick für einen Moment – du liebst diese Blicke, nicht wahr? - dann zog ich sie zu mir in meinen Schoss und legte meine Arme um sie.
„Nenn mich Severus."