12 Reflektionen im Spiegel

In den nächsten Tagen schien es, als hätten Draco und Harry ihre Rollen getauscht. Jetzt war es Harry, der sich beschützend vor seinen Freund stellte, sobald dieser eine Abschirmung brauchte. Der Gryffindor verbrachte die meiste Zeit in Slytherin. Beide Jungen brauchten Nähe und Geborgenheit, die nur sie einander geben konnten. Einfache, kleine Gesten wie ein um die Schultern gelegter Arm oder ein beruhigendes Streicheln. Blickkontakt oder auch nur die Stimme des anderen zu hören, reichten aus, um einen tröstenden Effekt zu haben.

Harrys Selbstbewusstsein wuchs an seiner neuen, aktiveren Rolle. Draco musste, auch wenn es ihm besonders schwer fiel, lernen, sich fallen zu lassen. Was ihm bisher in seinem Leben gefehlt hatte, war ein fester Halt gewesen. Durch seinen Freund wurde ihm nun klar, dass er bisher niemandem so unbegrenzt vertraut hatte. Es war ihm nie möglich gewesen, sich ganz irgendwem anzuvertrauen und somit demjenigen auszuliefern. Bei Harry fühlte er sich nicht abhängig oder machtlos, weil es ein gegenseitiges Geben und Nehmen war, basierend auf ihren Gefühlen füreinander.

Draco war sich bewusst, dass er ohne Harry mit dieser Situation wahrscheinlich überfordert gewesen wäre, da er es so schon kaum aushielt. Ständig sah er Traumbilder vor seinem inneren Auge. Dann wieder fühlte er intensive Stimmungen, ohne auch nur zu wissen, woher das kam. Es machte ihn fertig, wie wenig greifbar das alles war, obwohl es einen so realen Einfluss auf sein Leben zu haben schien. 

Ihre mentale Verbindung erwies sich als äußerst nützlich. Draco fiel es oft schwer, in Worte zu fassen was ihn beschäftigte, aber das war auch gar nicht notwendig, weil Harry seine Gefühlsschwingungen wahrnehmen konnte. Auch Harry kannte diese nagenden düsteren Stimmungslagen sehr genau. Dem Gryffindor war bewusst, wie sehr es an einem zerren kann, sich so niedergedrückt zu fühlen, ohne den genauen Grund greifen zu können. Es bedeute sehr viel für beide, nicht allein mit ihren Schwierigkeiten, sondern füreinander da zu sein.

An diesem Wochenende war Draco ganz besonders teilnahmslos. Langsam rückte die Mittagszeit heran, aber er lag immer noch im Bett, obwohl er schon ein paar Mal verschlafen blinzelnd aufgesehen hatte. Harry nahm den Impuls wahr, sich von dieser lähmenden Müdigkeit einfach überrollen zu lassen, der deutlich von Draco ausging. Dieses Gefühl war ein alter Bekannter. Gerade in Zeiten besonders heftiger depressiver Tendenzen war es manchmal unumgänglich, den Schlaf als Zufluchtstätte zu empfinden. Solange es nur dieses leichte Dösen, welches eher ein Zwischenzustand, als wirklich erholsame Tiefschlafphasen war. Man lag sich dessen halb bewusst, einfach nur da, unfähig sich zu rühren, weil dieses tonnenschwere Gewicht auf einem lastete und man war frei von beunruhigenden Gedanken oder düsterem Grübeln. Würde man sich bewegen, käme auch das Bewusstsein wieder zurück. Schlief man tiefer, begannen die Träume.

Draco hatte seit diesen neuesten Entwicklungen Alpträume. Im Gegensatz zu Harry schien er sich jedoch nicht immer an alles zu erinnern, wenn er aufgewacht war. Was blieb, war meist nicht mehr als eine Ahnung. Das Gefühl, im Dunkeln zu liegen und von etwas Mächtigem erdrückt zu werden, beschlich ihn.

Einmal erinnerte er sich vage daran, von einem riesigen, schneeweißen Yeti zu Boden gepresst worden zu sein. Das merkwürdigste an diesem Yeti waren die kalt und grausam blickenden Augen. Sie passten irgendwie nicht zu dem allgemein bekannten Gesamtbild des eher gutmütigen Schneemenschen. Während Draco von seinem Gewicht fast erstickt wurde, fixierten ihn diese erstaunlich blau wirkenden Augen eisig. Dann blitzte kurz ein Funken von rasender Gier darin auf. Draco erwachte von seinem eigenen Aufschrei. In dieser fast körperlichen Beklemmung des Traumes hatte er verzweifelt versucht, um Hilfe zu schreien, aber es war kein Ton über seine Lippen gekommen. Offensichtlich hatte er diesen lautlosen Schrei in seiner nahezu realen Panik tatsächlich ausgestoßen. In Wirklichkeit war der Hilferuf natürlich nicht tonlos geblieben, sondern erschreckend laut. So hatte er sich selbst geweckt. 

Harry, der auf dem Sofa an einem Aufsatz über Animagi gearbeitet hatte, war sofort an Dracos Seite. Der Gryffindor nahm seinen von kaltem Schweiß bedeckten Freund sanft in die Arme. „Scht... ist okay, Draco. Du hast geträumt. Ich bin bei dir."

Draco ließ sich in die Umarmung sinken und hielt sich an Harry fest. Seine Atemfrequenz war immer noch deutlich erhöht und er hatte Mühe, nicht zu hyperventilieren, weil er plötzlich wieder Luft bekam.

Harry strich im beruhigend über den Rücken. Erst als er eine Weile gewartet hatte, wurde der Slytherin allmählich wieder ruhiger. Auf mentaler Ebene hatte Harry seinem Freund das Bild von ihnen beiden, engumschlungen einen Sonnenuntergang bewundernd, zugesandt. So hatte er ihm geholfen, möglichst schnell die Bilder des Alptraumes vor seinem geistigen Auge in etwas Angenehmes zu verwandeln. Draco hatte sich nicht abgeschirmt, damit er Harry seinen Traum nicht erst erklären musste. „Wie spät ist es?", fragte Draco, der jegliches Zeitgefühl im Moment verloren hatte.

Harry warf einen Blick auf den mechanischen Wecker, den er sich vom Nachttisch auf den Kaminsims gestellt hatte, um eine ungefähre Zeitvorstellung während der Recherchen für den Aufsatz zu haben. „Es ist gleich halb eins."

Wenn er das Mittagessen nicht auch noch ausfallen lassen wollte, wurde es Zeit, sich doch mal aus dem Bett zu schälen. Draco konnte sich nicht wirklich aufraffen, jetzt aufzustehen und duschen zu gehen. Also verstärkte er unbewusst die Umarmung und ließ sich von Harry festhalten. Er ließ sich nicht nur symbolisch von seinem Freund auffangen, denn er lehnte so an Harry, dass er fallen würde, wenn der ihn jetzt loslassen und aufstehen würde. Harry drückte seinen Freund sanft an sich, während er mit geschlossenen Augen voll auf Draco konzentriert diesen Augenblick der Nähe genoss.

Jemand klopfte vorsichtig, wie um nicht unnötig zu stören, an der Tür. „Ja, bitte?"

Draco sah abwartend Richtung Tür. Von draußen erklang fragend Blaises Stimme: „Kann ich reinkommen?"

Draco versuchte, fröhlich zu klingen was nicht ganz gelang in Anbetracht seiner niedergedrückten Verfassung, die schon seit Tagen eher schlimmer statt besser wurde: „Klar. Komm rein, Blaise. Ich sperr auf."

Er entriegelte magisch die Tür und ihr Mitschüler trat ein. „Hey, Jungs. Wie schaut´s aus? Habt ihr vielleicht Lust, nachher mit Justin und mir zur geheimen magischen Bucht zu gehen? Heute sieht es endlich mal nicht so trüb aus wettermäßig. Ich bin das ätzende Schweinewetter langsam Leid. Immer nur Regen und Nebel geht einem richtig aufs Gemüt. Ich will endlich raus und was unternehmen."

Draco und Harry nickten sofort einstimmig und sagten fast gleichzeitig: „Etwas Bewegung an der frischen Luft ist sicher nicht verkehrt."

Blaise grinste über die fast schon weasleyzwillingsähnliche, gleichzeitige Antwort wie aus einem Mund: „Ihr zwei seid euch echt einig wie man sieht und ähnlicher als man glauben würde."

Die beiden grinsten zurück. Dann machte sich Draco, nachdem er sich endlich hochgerafft hatte, auf den Weg zu den Duschen, um sich frisch zu machen vor dem Mittagessen. Während er unter dem heißen Wasserstrahl der Dusche stand, hatte er das plötzliche Bedürfnis, sich gründlichst zu waschen, als sei er vollkommen dreckig.

Immer wieder seifte er sich ein und benutzte eine relativ grobe Bürste, die er für die Reinigung seiner Fingernägel angeschafft hatte, um die Haut zu schrubben. An einigen Stellen hatte er sich bereits leichte Abschürfungen zugezogen. Vor allem an den Oberschenkeln und deren Innenseiten war die Haut ganz rot und kleine Bluttropfen perlten dort entlang.

Draco riss sich zusammen. Er spülte sich noch ein letztes Mal unter dem Wasserstrahl ab, was teilweise ein brennendes Gefühl hinterließ, wegen dem extrem heißen Wasser und den überreizten Hautpartien. Trotzdem wollte sich einfach nicht das übliche frische und saubere Gefühl nach einer ausgiebigen Dusche einstellen. Der jüngste Spross des Malfoyclans konnte weder zuordnen, woher das schmutzige Gefühl gekommen war noch greifen, warum es ihn so beschämte und wie ein tonnenschweres Gewicht auf ihm lastete.

Irgendetwas stimmte mit ihm nicht. Ob er dabei war, den Verstand zu verlieren? Seine eigenen Wahrnehmungen hielten ihn zum Narren, obwohl er immer den Eindruck von sich selbst gehabt hatte, ein sehr guter Beobachter zu sein, alles in seiner Umgebung deutlich zu spüren, schnell einzuordnen und eher rational zu denken. Doch jetzt war mit Logik gar nichts zu machen, denn nach Erklärungen für diese Emotionen suchte man vergeblich. Es änderte aber nichts daran, dass es ihn belastete. Lag es daran, dass er früher alle seine Gefühle negiert hatte? Rächte sich jetzt alles was er weggeschoben hatte, um sich nicht damit beschäftigen zu müssen?

Draco putzte sich die Zähne bevor er sich endgültig anzog, um dann zurück zu seinem Zimmer und mit Harry zum Mittagessen in die Große Halle zu gehen. Als sie dort angelangt waren, kamen Ron und Hermine auf sie zu. Die Schulsprecherin begrüßte Harry und Draco freundlich lächelnd: „Hey, ihr beiden. Habt ihr heute Nachmittag schon etwas vor? Ron und ich wollen ein bisschen spazieren gehen. Euch täte die frische Luft auch mal ganz gut."

Sie bedachte beide mit aufmerksamen Blicken, wobei sie auch dem Slytherin ohne Umschweife direkt in die Augen sah. Harry lächelte die beiden an: „Wir wollten mit Blaise und Justin nach dem Essen zur geheimen, magischen Bucht. Kommt doch mit."

Die beiden sahen sich kurz an und nickten dann zustimmend. Ron klang richtig begeistert: „Das Wetter ist genau richtig, um sich dort etwas am Strand gemütlich zu machen. Wir könnten sogar mit den Füßen ins Wasser und vielleicht etwas zum Picknicken mitnehmen."

Hermine unterbrach ihn grinsend: „Ron! Wir haben doch jetzt Mittagessen. Wie kannst du da schon wieder essen wollen? Man könnte fast meinen, du denkst an nichts anderes."

Ron näherte sich unauffällig ihrem Ohr und biss sie zärtlich ins Ohrläppchen: „Ich könnte auch an dir ein wenig knabbern stattdessen.", gab er schlagfertig zurück.

Beide lachten und Hermine hatte nun einen Hauch rosa auf ihren Wangen. Harry zog Draco einfach mit an den Gryffindortisch und setzte sich zu seinen Freunden, die er in den letzten Tagen sehr vernachlässigt hatte. Das Gespräch mit Ron stand immer noch aus, was Harry mittlerweile ein ganz schlechtes Gewissen bereitete.

Draco stocherte, wie die letzte Zeit eigentlich ständig, eher lustlos in seinem Essen herum. Um Harry nicht auch noch damit Sorgen zu bereiten, dass er nichts aß, pickte er sich etwas von seinem Lieblingsgemüse heraus. Das Essen schmeckte ihm nicht wirklich, aber er kaute und schluckte mehr mechanisch, als dabei Genuss zu empfinden. Dann spülte Draco mit etwas Kürbissaft nach, was ihm dann prompt Sodbrennen bescherte, kaum, dass der Boden des Glases wieder den Tisch berührte. Während er auf die anderen wartete, plagte ihn saures Aufstoßen und er wurde den komischen Geschmack in seinem Mund nicht mehr los, der irgendwie schal und unangenehm war. Jetzt noch irgendetwas zu essen oder trinken hatte keinen Zweck, da es sonst nur schlimmer werden würde.

Harry unterhielt sich ein wenig mit Ron. Der rothaarige Gryffindor schien es wirklich ernst zu meinen mit seiner Entschuldigung. Er versuchte sogar, Draco mit in die Unterhaltung einzubeziehen, um ihm zu signalisieren, dass er dazugehörte. Der Slytherin war aber nicht recht bei der Sache. So hielt er sich lieber aus der leichten Konversation heraus, nachdem er ein oder zwei schlagfertige Kommentare beigesteuert hatte, die die anderen zum Lachen brachten.

Froh, endlich aufstehen zu können, sprang Draco dann auch hoch, als endlich alle mit dem Mittagessen fertig waren und griff nach Harrys Hand. Der schloss sofort seine Finger um die Hand seines Freundes und drückte sie leicht. Ron und Hermine kamen direkt mit zum Eingangsportal, wo die vier auf Blaise und Justin warteten. Die sechs Schüler machten sich zusammen auf den Weg zur geheimen, magischen Bucht. Unterwegs unterhielten sie sich angeregt. Blaise und Justin hatten beide ein ziemliches Talent, aus ihren Erlebnissen witzige Geschichten zu machen, wobei sie sich nur gegenseitig die Bälle zuwerfen mussten, um sich beim Erzählen abzuwechseln.

Als die Hogwartsstudenten an der malerischen, einsamen Bucht ankamen, war die Stimmung gelöst. Sie ließen sich erst mal auf den mitgebrachten Decken nieder und genossen den schönen Blick über den See. Das ständig warme Wasser in diesem Teil des Sees dampfte ein wenig an der noch kühlen Luft des allmählich beginnenden Frühlings. Die kleinen Nebelschwaden ließen die Konturen der weiter entfernten Landschaft irgendwie weicher erscheinen, als würde man sich in einer Art Traumland befinden.

Eigentlich konnte man durch die angenehme Temperatur des Seewassers an dieser speziellen Stelle das ganze Jahr hindurch schwimmen, aber wenn es draußen zu kalt war, holte man sich schnell eine Erkältung beim Verlassen des Wassers. Blaise und Justin waren die ersten, die Schuhe und Strümpfe auszogen. Sie krempelten ihre Hosen hoch, bevor sie über den kühlen Sand zum Seeufer liefen und mit den Füßen durch das seichte Wasser wateten. Die anderen sahen ihnen einen Moment zu und folgten dann ihrem Beispiel.

Schon bald standen sie alle bis zu den Waden im See. Justin hatte angefangen kleine flache Steinchen vom Boden aufzulesen und ließ  sie über das Wasser hüpfen. Hermine wollte es ihm nachtun, aber ihr gelang es irgendwie nicht und sie versenkte die Steinchen lediglich. Einige kamen sogar zurückgeflogen, als sich einer der Meermenschen an ihrem Spiel beteiligte. Sehr zum Leidwesen von Hermine schaffte es die magische Wasserkreatur besser als sie und die Kiesel hüpften direkt beim ersten Versuch. Justin zeigte dem Mädchen geduldig wie er das Springen zustande brachte bis es ihr gelang und sie den Huffelepuff stürmisch zum Dank umarmte: „Justin, das ist klasse. Ich wollte es schon immer mal lernen, Steinchen übers Wasser hüpfen zu lassen, aber mir fehlte ein geduldiger Lehrmeister."

Justins Wangen färbten sich verlegen leicht rot: „Hermine, übertreib es nicht mit deinen Lobeshymnen."

Beide grinsten und waren abgelenkt, so dass sie nicht merkten, wie Blaise schmunzelnd nach etwas suchte zwischen dem hohen Schilf rechts von ihnen. Der Slytherin hatte manchmal den Schalk im Nacken und dieses spitzbübische Lächeln kündigte einen seiner vielfältigen Scherze an.

Draco beobachtete relativ entspannt das Treiben um sich herum, allerdings ohne sich aktiv zu beteiligen. Harry hatte ihm von hinten die Arme um die Taille geschlungen und das Kinn auf die Schulter gelegt. Der Gryffindor flüsterte leise in Dracos Ohr: „Schön dich mal so entspannt zu erleben. Siehst du, niemand verlangt von dir etwas und es reicht schon, dass du einfach dabei bist."

Die beiden genossen es, einander so nah zu sein, weil es Geborgenheit ausstrahlte. Blaise hatte in der Zwischenzeit gefunden was er suchte. Er hielt behutsam einen jungen Brüllfrosch auf seinem Handteller. „Was hat er vor?", fragte Harry gespannt.

Draco musste unwillkürlich grinsen: „Ich kanns mir in etwa denken. Du kennst den Lockruf der Brüllfrösche und wie sie sich aufpusten, wenn sie rufen?"

Harry schüttelte leicht seinen Kopf und der Slytherin lehnte sich noch mehr an ihn, während er zurückgab: „Dann siehs dir an. Ist besser als jede Erklärung."

Blaise verpasste dem Frosch einen leichten Schwellzauber, der nach ein paar Minuten von selbst wieder verschwunden sein würde. Dann ließ er das Jungtier losspringen und verpasste ihm einen Drall in Richtung Hermine und Justin. Durch den Zauber blähte sich der Frosch leicht auf und hüpfte nun auf dem Wasser herum. Gleichzeitig wurde er von seinen Instinkten dazu gebracht seinen Lockruf auszustoßen, weil sein Leib ganz aufgebläht war.

Dieses Geräusch hörte sich an wie Rülpsen und wurde von Mal zu Mal lauter. Andere Exemplare im Schilf stimmten mit ein. Nach ein paar Sekunden hatte sich ein sozusagen ein rülpsender Chor um die Schüler gebildet. Der wasserlaufende oder besser hopsende Brüllfrosch umkreiste genau Hermine und Justin, was die anderen Frösche ebenfalls anlockte. Justin war sofort klar, wem er dieses Naturkonzert zu verdanken hatte.

Lachend fing er den Brüllfrosch und warf ihn vorsichtig wie vorher die Steine übers Wasser. Er hatte so viel Schwung, dass er immer wieder Kreise im Wasser ziehend bis zur Mitte des Sees gelang. Die anderen Exemplare folgten lautstark lockend ihrem Artgenossen. Die sechs Schüler lachten über die Rülpsprozession. Draco kamen vor Lachen die Tränen. Plötzlich wusste er nicht mehr, ob es Lachtränen waren oder ob er weinte. Trotz des plötzlichen Stimmungsumschwunges konnte er nicht aufhören zu Lachen und nur Harry nahm das Schluchzen wahr, das sich zwischen das unkontrollierte Kichern mischte.

Harry legte seinem Freund sanft die Hände auf die Schulter und drehte ihn zu sich herum. An Dracos Blick erkannte er deutlich, dass er sich nicht getäuscht hatte. Der Slytherin hielt seine Gefühle mal wieder abgeschirmt, wohl um Harry nicht die Stimmung zu vermiesen. Harry schloss Draco in seine Arme, damit der sein tränenüberströmtes Gesicht verbergen und sich erst mal wieder fangen konnte.

 Niemand sonst hatte gemerkt wie seine Laune gekippt war.

Harry brauchte dazu allerdings keine telepathische Verbindung, um zu erspüren wie es dem anderen Jungen gerade ging. Auch er kannte diese plötzlichen Stimmungsschwankungen. Er war sich mittlerweile bewusst, dass so unterdrückte Gefühle an die Oberfläche drängten. Lachen und weinen liegen manchmal dichter beieinander als man meinen möchte. Wie oft hatte er aus Reflex gelächelt, bloß um nicht zu weinen?

Genauso konnten Tränen, einmal ausgelöst, einen wahren Sturzbach nach sich ziehen, weil sich alles aufgestaut hatte und nur auf eine Gelegenheit wartete, loszubrechen. Gerade einem Mensch wie Draco, der so kontrolliert war und ihm in der Beziehung so ähnlich, würde es sicher in solchen Situationen genauso gehen. Ein kurzer Augenblick, in dem die Kontrolle durchbrochen wird, kann schon einen Gefühlsausbruch von diesem Kaliber auslösen.

Draco hatte ebenfalls seine Arme um Harry gelegt und nur das leichte für andere nicht sichtbare Beben seiner Schultern verriet, dass er weinte. Harry fragte nicht nach einem Grund. Er wusste, es gab keine greifbare Ursache für Dracos Tränen. Er weinte, weil er traurig war. Nicht mehr und nicht weniger gab es dazu zu sagen. Draco konnte sich durch Harrys tröstende Umarmung langsam wieder beruhigen. Es war für ihn leichter zu wissen, dass außer seinem Freund niemand merkte was los war. Sie hätten bestimmt gefragt warum er weinte und er hätte keine Antwort darauf gehabt. Nach ein paar Minuten waren endlich seine Tränen versiegt und Draco konnte wieder aufblicken. Auf Harrys stumme Frage,ob er wieder soweit in Ordnung sei, nickte der Slytherin leicht. Er schaffte es sogar, ein kleines Lächeln auf sein Gesicht zu zaubern, um damit zu signalisieren, dass alles okay war.

Hand in Hand wateten Harry und Draco wieder näher zu den anderen. Draco versuchte sich sogar an den Gesprächen zu beteiligen, um nicht so im Abseits zu bleiben. Harry war schon bald in ein Gespräch mit Ron vertieft. Die beiden gingen schon mal Richtung Decken, um sich hinzusetzen.

Draco hielt sich bewusst im Hintergrund, damit Harry und Ron ungestört allein reden konnten. Harry hielt weiterhin telepathischen Kontakt mit Draco, um ihn spüren zu lassen, dass er Rückhalt bei seinem Freund hatte, wenn etwas sein sollte. Blaise und Justin waren gerade in einen leidenschaftlichen Kuss vertieft und hatten scheinbar alles um sich herum vergessen. Hermine trat zu Draco und verwickelte ihn in ein Gespräch über Zaubertränke. Die beiden fachsimpelten und gingen so sehr ins Detail, dass ihnen nun kaum noch einer hätte folgen können. Nebenher fragte der Slytherin das Mädchen: „Sag mal, könntest du mir vielleicht mal deine Aufzeichnungen von Geschichte der Zauberei ausleihen?"

Die Vertrauensschülerin sah ihn streng an, während sie ziemlich ähnlich wie die Hauslehrerin der Gryffindors klang, als sie antwortete. „Draco, du darfst im Unterricht nicht einfach einschlafen. Professor Binns ist langweilig, aber er gibt Fakten wider und wenn man aufmerksam Notizen macht, dann weiß man alles was wichtig ist."

Draco wusste, dass sie recht hatte, aber er war ja gar nicht eingeschlafen. Nur würde er das nicht freiwillig vor ihr zugegeben. Er hatte an dem Tag nur so getan damit niemand bemerkte, dass  es ihm nicht gut geht. Um die Sache auf den Punkt zu bringen: Es ging ihm so mies, dass er geweint hatte. Es verletzte seinen Stolz, die Kontrolle so zu verlieren und so etwas schien ihm in der letzten Zeit immer häufiger zu passieren. Der Slytherin wechselte schnell das Thema, um nicht näher darauf eingehen zu müssen. „Hermine, zeigst du mir, wie das mit den hüpfenden Steinen geht?"

Sie war sofort eifrig bei der Sache. Zunächst erklärte sie Draco theoretisch wie es funktionierte und worauf er achten musste. Dann sammelte sie ein paar flache Kiesel vom Boden. Es dauerte eine ganze Weile bis der Slytherin den Dreh raus hatte. Die Gryffindor war ganz in ihrem Element, weil sie ihr Wissen mit jemandem teilen konnte. Die beiden hatten bald alle Kiesel aufgebraucht, die Hermine gesammelt hatte. Eifrig machten sie sich auf die Suche nach neuen geeigneten Objekten. Draco war jetzt am Schilf angelangt und durchforstete den dicht bewachsenen Uferbereich. Dabei stieß er auf einen glänzenden Gegenstand, der die Sonnenstrahlen reflektierte und durch dieses Glitzern seine Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Es war ein kleiner Handspiegel. Er war nur etwa handtellergroß und der silbern verzierte Rand sah noch vollkommen unbeschädigt aus. Ohne groß darüber nachzudenken, steckte Draco den Spiegel ein.

Nachdem sich kurze Zeit später alle wieder auf den Decken eingefunden hatten, blieben sie noch ein wenig dort sitzen. Die Gespräche waren locker und ganz der entspannten Stimmung angepasst. Draco hatte sich an Harry gelehnt, der im Schneidersitz hinter ihm saß und ihm die Arme um den Brustkorb geschlungen hatte.

Unterdessen fummelte der Slytherin nervös an dem Spiegel in seiner Tasche. Er wusste auch nicht warum, aber irgendwie fand er nicht so recht Ruhe und fühlte sich kribbelig. Harry spürte die Rastlosigkeit seines Freundes und nahm Dracos freie Hand in seine. Mit seinem Daumen streichelte er beruhigend über den  Handrücken. Das Wetter schlug um, der Himmel begann sich zu verdunkeln. Die sechs Schüler packten die Decken wieder ein, zogen sich schnellstens Strümpfe und Schuhe an und machten sich auf den Weg zurück ins Schloss. Sie mussten sich beeilen, um nicht vom aufziehenden Gewitter überrascht zu werden. Mit einem Mal wehte auch ein kräftiger Wind, dessen Böen kältere Luft mitbrachten.

Als sie das Eingangsportal erreichten, fing es heftig an zu regnen. So gerade eben noch erreichten die sechs Ausflügler das Schloss halbwegs trocken, bevor das Unwetter losbrach.

Froh, jetzt im Trockenen zu sein, trennten sich erst mal ihre Wege und sie verabschiedeten sich gutgelaunt, weil es alles in allem ein sehr schöner Nachmittag gewesen war. Draco und Harry gingen zu den Slytheringemeinschaftsräumen. Es herrschte ein reges Treiben dort und wie üblich dauerte es nicht lange und Pansy löcherte Draco mit Fragen über einen Zaubertrankaufsatz, die dieser geduldig beantwortete. Heute fiel es dem Slytherin allerdings besonders schwer, ruhig zu erklären und dem Mädchen auch wiederholende Fragen zu beantworten. Am liebsten hätte er ihr die Aufzeichnungen um die Ohren gehauen und ihr gesagt, sie solle gefälligst selber nachlesen und sich nicht alles vorsagen lassen, denn im Prinzip ließ sie sich von ihm diktieren was sie schreiben sollte. Als es Draco schließlich doch zu dumm wurde, stand er auf und zog Harry mit sich. „Pansy, den Rest wirst du wohl auch alleine auf die Reihe bekommen. Du musst es eigentlich nur aus dem Buch abschreiben. Dort ist der letzte Schritt bis ins kleinste Detail beschrieben."

Sie nickte und lächelte ihn dankbar an. „Was würde ich nur ohne dich machen, Drake? Danke für die Hilfe."

Noch im Weggehen murmelte Draco, so dass es nur Harry hören konnte: „Du würdest dann aus den Büchern und Aufzeichnungen abschreiben und müsstest halt selbst nachdenken in welche Reihenfolge das gehört."

Die beiden Jungen zogen sich in Dracos Zimmer zurück, wo sie ebenfalls an ihren noch ausstehenden Hausaufgaben arbeiteten bis es Zeit fürs Abendbrot wurde. Den Spiegel in seiner Umhangtasche hatte Draco schon fast vergessen und erst als er nach dem Essen auf sein Zimmer zurückkehrte, fiel er ihm wieder ein.

Harry hatte jetzt Quidditchtraining. Deshalb war der Slytherin allein auf sein Zimmer zurückgekehrt, um dort auf seinen Freund zu warten. Er nahm den Spiegel aus der Tasche, während er sich auf dem Teppich am Kamin niederließ und betrachtete ihn eingehend. Beim genauen Hinsehen konnte man erkennen, dass die silbern verzierte Umrandung eingravierte Runen enthielt.

Mit ein wenig Mühe konnte Draco sie zum Teil entziffern. Es ergab einen Spruch: „Die Reflektionen im Spiegel bringen Licht ins Dunkle."

Darunter konnte er sich nichts vorstellen. Es musste sich bei seinem Fundstück um einen magischen Gegenstand handeln. Welche Art von Magie ihn beseelte, war ihm allerdings noch nicht klar. Vorsichtig untersuchte er das wertvoll aussehende Stück weiter. Das Spiegelglas war ganz schmutzig, weil es immerhin vorher im See gelegen hatte an einer ziemlich schlammigen Stelle im Schilf.

Draco begann den Spiegel zu reinigen und als er fertig war, blitzte er im Kerzenlicht. Der Slytherin sah in den Spiegel, der den Lichtschein blitzend reflektierte. Zuerst sah er nur sich selbst. Sein Spiegelbild blickte ihm mit düsterem Blick entgegen. Dann sah er die Tränen in seinen Augen schimmern. Die Atmosphäre wurde seltsam surreal, da er nicht mehr wusste, ob er nun echte Tränen in seinen eigenen Augen sah, die ihm das Spiegelbild zeigte oder ob das Spiegelbild seinen ganzen Gemütszustand erfasste und wiedergab.

Er starrte weiter auf die Reflektionen und dann begann sich sein Gesicht im Spiegel zu verändern. Die Frisur wurde anders und sein Gesicht jünger. Es ging rasend schnell. Die Lichtreflexe im Spiegel flirrten im Kreis. Fast wurde ihm schwindelig davon und es war wie ein Kreisel oder magischer Sog.

Draco konnte sich dem nicht mehr entziehen, weil es gleichzeitig eine sehr starke Anziehungskraft auf ihn ausübte, aber ihn trotzdem abschreckte. Ihm war eiskalt. Seine Nackenhärchen stellten sich auf, während sich die Gänsehaut von dort weiter über seinen Rücken zog. Wie die Berührung von eisigen Fingern schlich sich ein ferner Gedanke in sein Bewusstsein. Oder war es eine reale Empfindung, die so seine Gänsehaut auslöste? Der Slytherin wusste nicht mehr, was real war und was nicht. Dieses Gefühl, welches ihn schon die ganze Zeit beschlich, wenn er aus seinen Träumen erwachte, war wieder da. Nur diesmal mit tausendfach verstärkter Wirkung. Realität und Traumwelt verschmolzen für ihn zu einem ganz greifbaren und bald schon körperlich spürbaren Alptraum. Was, wenn es kein sogenannter Nachtmahr war, sondern existent?

Draco spürte wieder die in ihm existierende Gefühle, die er zuerst nicht zuordnen konnte. Schmerz, Angst, Scham, Selbstvorwürfe. Das Gefühl, alles falsch zu machen und Schuld zu sein, vollkommen wertlos und schmutzig zu sein, quälten ihn. Doch plötzlich sah er etwas vor sich, dass diesen Gefühlen Wirklichkeit verlieh.

Im Spiegel sah er sein etwa fünfjähriges Ich vor dem Kamin sitzen. Er summte die Melodie des Verses, der ihn, seit seine Mutter das Feuerspiel erwähnt hatte, nicht mehr aus dem Kopf ging. Auf seinem Handteller balancierte er ein glühendes Kohlestück. Er konnte die Hitze förmlich spüren. Es brannte höllisch.

„Du entkommst der Flammenfee niemals, auch wenn du schnell rennst.

 Bist du nicht artig, nützt der Zauber nichts und heiße Kohlen tun dir weh."

Das einzige was er in diesem Moment empfand, war der Schmerz der Verbrennungen. Es war echt und er erinnerte sich wieder.

Er hatte sogar kleine Narben davon zurückbehalten. Draco fühlte, wie der kleine Junge, er selbst, in diesem Augenblick litt. Doch nicht mehr die verletzte Hand löste die größten Schmerzen in ihm aus. Nein, dieses Wehtun des Handtellers vermochte ihm sogar, Trost zu spenden irgendwie. Seiner inneren Pein wurde so nur Ausdruck verliehen. Das, was ihn so quälte, konnte niemand sehen. Durch die Verletzung holte er es nur nach außen. Sein Leid wurde sichtbar dadurch. Es war sogar ein lebendiges Gefühl in ihm. Sein Körper wurde geweckt durch den Schmerz. Er konnte fühlen, also war er noch nicht ganz abgestorben.

Dazu mischte sich ein vages Wahrnehmen von einem Bestrafungsimpuls. Er hatte es verdient, diese Pein zu durchleiden, weil er nicht artig gewesen war. Er war ein böser Junge gewesen. Böse Jungen hatten das Feuer verdient und sie wurden nicht durch den Flammengefrierzauber geschützt. „Schmerz heilt alle deine Wunden und das Feuer wäscht die Seele rein.", hallte es in seinem Kopf wider. Was hatte er nur getan, sich so schuldig zu fühlen?

Der Spiegel zeigte es ihm. Es war, als würde er in Bereiche seines Gedächtnisses abtauchen, die er schon lange so tief in sich verborgen hatte, dass er selbst keinen Zugang mehr zu seinen Erinnerungen gehabt hatte. Ein ziemlich behaarter, weißhaariger Mann trat hinter sein jüngeres Selbst. Er hatte stechende, blaue Augen. Diesen grausamen Blick hatte er schon mal gesehen. In seinem Alptraum. Der Yetie. Ihm wurde schlecht bei dem Anblick. Der behaarte Mann war kein anderer als Cruellus Malfoy, sein Großvater. „Hast du deinen Opa auch lieb, kleiner Mann?", hörte er ihn sprechen.

Der Junge nickte. „Dann zeig mir, wie sehr du mich lieb hast."

Dracos kleines Selbst nickte widerwillig, als es schließlich aufstand. Dann wurde er Zeuge wie sich dieser „liebenswerte" Malfoypatriarch die Liebesbezeugung eines Kindes vorstellte. Ekel stieg in ihm auf, als er mit ansehen musste, was da vor seinen Augen geschah. Der alte Mann öffnete seine Hose und dann sollte das Kind ihn dort küssen, wo es eigentlich verboten war. Er wusste, dass es sich nicht gehörte. Trotzdem tat er wie ihm befohlen wurde. Der Mann stöhnte auf. „Du bringst mich dazu, es immer wieder zu tun. Du bist so gut darin, Kleiner. Zu gut, um dein Talent zu verschwenden."

Das war es. Er war Schuld daran, dass das passierte. Er hatte es nicht anders verdient, als bestraft zu werden. Sich selber zu bestrafen. In diesem Moment waren ihm die Gefühle vollkommen klar. Sie waren vorhanden, greifbar, man konnte sie zuordnen und es war erklärbar für ihn geworden. Er konnte es selbst sehen. Er konnte es schmecken. Sein ganzer Mund war ausgefüllt von diesem salzigen Geschmack. Er roch es. Dieser typische Geruch, der so schwer definierbar war und ihm jetzt noch mehr Übelkeit bereitete. Er konnte es nicht mehr aushalten. Auf der Stelle übergab er sich. Dann hörte die Erinnerung oder was immer das gewesen war endlich auf. Draco hatte sich auf dem Spiegel erbrochen, was wohl die Verbindung gekappt hatte. Doch vorbei war es dadurch nicht wirklich. Es war immer noch in ihm: Fühlbar, existierend, lauernd und lähmend.

Der Slytherin konnte nicht verhindern, dass ihm ein weiteres Mal ein Würgen in den Hals stieg. Wie paralysiert saß er da. Unfähig sich zu rühren. Nicht in der Lage, die Übelkeit zu unterdrücken, damit er den Teppich oder seine Jeans nicht noch mehr beschmutzte. Sein Magen entleerte sich bis nur noch flüssige Galle hochgewürgt wurde.

Als es endlich vorbei war, kamen die Tränen. Draco begann haltlos zu schluchzen. Ohne es zu merken, hatte er in den Kamin gegriffen und dort eine der noch glühenden Kohlen vom vorderen Rand entnommen. Wie zuvor noch sein jüngeres Ich im Spiegel, hielt er nun das heiße Kohlestück auf dem Handteller. Erst als er den Schmerz der Verbrennung richtig spürte, kam wieder dieses tröstende, lebendige Gefühl in ihm auf.

Er hatte sich vergewissert, dass er es noch immer empfinden konnte, auch wenn er sich so leer und ausgebrannt fühlte wie jetzt. Es war wieder wirklich, er konnte es greifen, es beschreiben, es fassen. Er war nicht verrückt. Sein Körpergefühl und der Schmerz waren wieder eins mit seinen Gedanken, seinem Innenleben. Erinnerungen tief in ihm drin waren ans Tageslicht gerückt. Sein Seele war nach außen gekehrt. Der Spiegel hatte wirklich Licht ins Dunkel gebracht.

Draco bekam kaum mit wie Harry ins Zimmer gestürmt kam. Der Gryffindor hatte durch ihre telepathische Verbindung genau gespürt, dass etwas mit seinem Freund passierte. Er hatte das Training der Gryffindorquidditchmannschaft einfach frühzeitig verlassen, um sofort zu ihm zu eilen. Da Draco sich nicht abschirmte, bekam er alles genauestens mit.

Sofort schlang er die Arme um den Vertrauensschüler. Er zog ihn zu sich heran und versuchte ihn, irgendwie zu beruhigen. Dann erst realisierte Harry, dass der andere gerade glühende Kohle auf seiner Hand balancierte und nahm sie  ihm aus der Hand, um sie ins Feuer zu werfen.

Es dauerte lange bis einer von ihnen sprach, weil sie in Gedanken kommuniziert hatten. Harry kümmerte sich im Augenblick weder um den Teppich noch darum, dass er sich ebenfalls schmutzig gemacht hatte. Ihm war es erst mal viel wichtiger, seinem Freund Nähe und Geborgenheit zu vermitteln. Er wollte ihm beistehen und für ihn da sein. Alles andere war unwichtig und konnte ebenso später erledigt werden. Wichtig war nur, dass Draco jetzt nicht allein war und dass er seine ganze Trauer und all die aufgestauten Gefühle herauslassen konnte. Es war notwendig, ihn spüren zu lassen, dass er aufgefangen wurde, wenn er sich fallen ließ. So saßen sie einfach nur da und hielten einander fest. Alles andere würde sich dann finden, wenn Zeit dafür war.

Auch Harry weinte. Dracos Schmerz nahm ihn genauso mit, als wäre es sein eigener. Er konnte alle Gefühle selbst spüren und wusste dadurch exakt, wie es in dem Slytherin gerade aussah. Harry fiel unwillkürlich ein Spruch ein, den er in der Muggelwelt einmal aufgeschnappt hatte: „Die Zeit heilt alle Wunden." Aber manche Verletzungen hinterließen Narben, wenn sie irgendwann auskuriert waren.

Und diese Narben würden den Betroffenen sein ganzes Leben lang begleiten. So etwas Gravierendes kann nicht einfach durch einen Zauber ungeschehen gemacht werden. Draco hatte überlebt und er war stark. Daran bestand kein Zweifel. Diese Schrammen würden einen bleibenden Eindruck auf Dracos Seele hinterlassen. Sie hatten es schon längst getan. Die Frage war nicht, ob er es jemals überwinden würde, sondern, ob er es schaffte, mit den Folgen umzugehen.