Disclaimer: Alle Figuren gehören Joanne K. Rowling und ich verdiene kein Geld mit diesen Geschichten.
Das Zeichenbuch
Kapitel 1: Das Portrait
„Bis zur nächsten Stunde möchte ich von jedem von Ihnen eine Rolle Pergament über den Hibattus-Fluch und seinen Gegenfluch. Sie können gehen", entließ Severus seine Klasse und setzte sich wieder an sein Pult.
Als die Schüler des sechsten Jahrgangs eilig ihre Sachen zusammenpackten und den Klassenraum für Verteidigung gegen die dunklen Künste verließen, dachte Severus nur: Es gibt doch nichts Schöneres, als das Kratzen von Stuhlbeinen und die allmählich stärker werdende Stille, wenn diese Quälgeister endlich alle wieder verschwinden. Er genehmigte sich ein kleines, gemeines Grinsen, bevor er wieder bitterernst auf seine Unterlagen für die nächste Stunde nach dem Mittag starrte.
Nachdem alle gegangen waren, erhob er sich, schritt durch sein Klassenzimmer und wollte gerade zum Mittagsessen in die Große Halle gehen, als er etwas entdeckte. Ein kleines Büchlein lag auf dem Steinboden. Wem das wohl gehörte?
Er hob es auf und bemerkte auf Anhieb, dass es wertvoll war, aber nicht unbedingt im Betrag – es war in Leder gebunden und wurde anscheinend überall mithingenommen, denn das Leder war an einigen Stellen sehr abgewetzt und manche Seite hatte Knicke. Außerdem steckten viele Zettel in dem Buch, das ein Gummiband als Verschluss hatte.
Dies schien kein normales Schulbuch oder Notizbuch zu sein – aber was dann? Von Neugier gepackt setzte er sich wieder an sein Pult und öffnete das Büchlein vorsichtig. Zuerst musste er ein paar lose Zettel herausnehmen, damit er die erste Seite lesen konnte, in der in einer unverwechselbaren Handschrift kunstvoll geschrieben stand:
Dieses Zeichenbuch gehört Hermine Jean Granger.
Und kleiner darunter:
Wer es findet, möge es mir bitte zurückgeben, ohne hineinzusehen.
Aber Severus dachte gar nicht daran, es einfach wieder aus der Hand zu legen; schließlich konnte er einfach nicht glauben, dass Granger wirklich zeichnen können sollte. Das passte ganz einfach nicht zu ihr, befand er.
Also schlug er ungeniert die erste Seite auf und bekam große Augen: Auf der Doppelseite befand sich eine wunderschöne, detailgetreue Bleistiftzeichnung von Hogwarts, wie man es vom See aus sehen konnte. Offensichtlich hatte sich Miss Granger dort hingesetzt und gezeichnet, was vor ihr war. Und wie sie das getan hatte! Er war schwer beeindruckt.
Hastig blätterte er weiter und jedes neue Bild überraschte ihn aufs Neue – solch akkurate Zeichenkunst hätte er ihr niemals zugetraut! Er fand Bilder von einer Eule, ihrer Katze, ihren Freunden, dem Gryffindorgemeinschaftsraum, Thestralen und anderen Geschöpfen in und um Hogwarts, sowie weitere Bilder von Räumen, wie zum Beispiel der Großen Halle. Miss Granger schien zu zeichnen, was sie sah, und sich nichts Eigenes auszudenken – obwohl sie das bestimmt ebenfalls sehr gut könnte; daran zweifelte er nun überhaupt nicht.
Doch dann stieß er auf ein Bild, dass ihm für einen Moment den Atem verschlug, und dieses Mal war es nur zum Teil deshalb, weil sie so wunderbar zeichnen konnte: Er fand ein Bild von sich selbst. Und zwar nicht als wütendes Monster vor der Klasse stehend, sondern nachdenklich und irgendwie traurig. Das Portrait bildete ihn von der Seite ab, eine Haarsträhne hing ihm verwegen im Gesicht und machte ihn mysteriöser als er in Wirklichkeit war.
Wie konnte sie ihn nur so zeichnen? Sah sie ihn etwa so? Hatte Hermine Granger wirklich sein wahres Selbst erkennen können? Unglaublich – einfach unglaublich…
Severus starrte so gebannt auf das Bild von sich, dass er nicht bemerkte, wie jemand das Klassenzimmer betrat.
„Professor?", fragte Hermine, als sie vor dem Pult stand.
Er blickte erschrocken auf. Sofort zeigte sich eine Spur von schlechtem Gewissen auf seinem Gesicht, doch sie sah ihn nur resigniert an, vielleicht zudem noch ein wenig müde und enttäuscht.
Waren es wirklich diese Augen, die ihre Umgebung so wundervoll aufnahmen? Und diese Hände, die das Gesehene dann aufs Papier bringen konnten?
„Haben Sie nicht die erste Seite gelesen?", fragte sie emotionslos.
„Doch", gab er zu.
„Aber?"
Er zuckte mit den Schultern. „Ich war neugierig."
Jetzt zeigte sich zum ersten Mal eine Regung in ihrem Gesicht – sie lächelte leicht. „Das kann ich verstehen."
Er erwiderte automatisch das Lächeln, weil er erleichtert war, dass sie ihm nicht böse war.
Wie bitte? Seit wann kümmerte ihn bitte die Meinung Hermines, ähm… Grangers?
„Und?", fragte sie schließlich.
„Was und?"
„Was halten Sie von den Bildern?" Sie sah ihn erwartungsvoll an und er musste schmunzeln über den vergeblichen Versuch zu verbergen, wie viel ihr seine Meinung bedeutete. Daher war er auch ausnahmsweise einmal wirklich ehrlich.
„Miss Granger", erwiderte er ernst. „Ich finde, Ihre Zeichnungen sind höchst akkurat, professionell und wunderbar."
Sie blinzelte ein paar Mal verdutzt. „Echt?", hakte sie irritiert nach.
Das war doch eher die Hermine, die er kannte und mochte.
Mochte?! Was zur Hölle ging hier bitte vor sich?!
„Ja, echt", gab er schmunzelnd zurück und ließ sich nicht anmerken, dass er gerade in seinem Innern ein Zwiegespräch mit seinem Verstand führte…
Plötzlich strahlte sie ihn fröhlich an und es erwärmte sein Herz so sehr, dass er hinzufügte: „Sie sollten ein paar der Bilder mal an den Tagespropheten schicken; die werden sie bestimmt sofort abdrucken, dessen bin ich mir absolut sicher. Und wenn nicht, sind die Redakteure dort alle Kunstbanausen und kulturelle Holzköpfe."
Hermine verschlug es doch glatt die Sprache angesichts solcher Lobpreisungen und ihre Wangen färbten sich herrlich rosa.
Dann gab er ihr ihr Büchlein wieder, sie verabschiedete sich freudig und mit einem überschwänglichen Dankeschön und war gerade dabei, in der Tür zu verschwinden, als Severus noch etwas einfiel.
„Ach, Miss Granger!"
Ihr Kopf lugte ins Klassenzimmer.
„Aber bitte nicht das Portrait von mir."
„Warum denn nicht?", fragte sie traurig. „Gefällt es Ihnen nicht?"
Severus seufzte. „Gerade weil es mir so gut gefällt und es mich so wahr abbildet, möchte ich es nicht."
Da breitete sich auf einmal das bezauberndste Lächeln von allen auf ihrem Gesicht aus. „Sie haben doch wohl nicht geglaubt, dass ich Sie wegen ihrer liebenswürdigen Art in der Klasse mögen würde, oder?" Sie kicherte noch einmal vergnügt – und damit war sie verschwunden.
Severus schüttelte nur den Kopf über diese reizende, junge Hexe – und bemerkte gar nicht, dass sein Verstand dieses Mal nicht protestierte.