Obwohl ich weiss, dass deutsche Geschichten hier kaum gelesen werde, werde ich auch diese veröffentlichen xD
Updates kommen zirka einmal die Woche.
14. März 2014
Arya
Gelangweilt trat sie nach einer Büchse, die am Boden lag. In diesem Teil von Miami gab es davon so einige, dass hier war nicht der Vorzeigeort, an den wahrscheinlich alle Touristen dachten, wenn sie beschlossen hier ihre Ferien zu verbringen. Überall gab es obdachlose, Schlägereien, Diebstahl und hin und wieder sogar mal einen Mord.
Die Polizei zeigte sich nur, wenn sie gerade einen wirklich schweren Fall zu bearbeiten hatten oder eine ihrer Patrouillen unternahmen. Hierbei war es vorteilhaft sich nicht zu zeigen, denn wenn die Polizei mal wieder das Gefühl hatten jemanden einbuchten zu müssen, achteten sie meistens nicht darauf, wer oder warum. Für sie gehörten alle hier auf der Strasse zum selben Gesindel.
„He Arry, warte!" Ein grosser Junge mit breiten Schultern und dunklen Haaren hatte zu ihr aufgeschlossen, Gendry… Er war der einzige, der sie überhaupt Arry nannte.
„Was willst du?", sie mochte Gendry. Doch er liess sich nur ab und an blicken, immerhin hatte er ja eine Familie.
„Wo warst du in den letzten Tagen?" Musste er immer so neugierig sein?
„Ich war unterwegs", erwiderte sie knapp. Dass sie in einem anderen Stadtteil von Miami gewesen war um etwas zu stehlen, erwähnte sie an dieser Stelle mal lieber nicht. Normalerweise durchsuchte sie die Mülltonnen, aber da war sie bei weitem nicht die einzige und mit ihren dreizehn Jahren (meistens wurde sie sogar noch jünger geschätzt) war sie noch nicht genug alt um sich durchzusetzen. Natürlich brachte ihr Gendry hin und wieder etwas vorbei, aber er durfte nicht zu auffällig sein, sonst würden seine Eltern irgendwann Verdacht schöpfen.
„Man, du bist ja noch schlechter gelaunt als sonst", murrte Gendry, fragte aber nicht weiter. Arya hatte sich schon oft gefragt, warum er sich überhaupt mit ihr abgab. Immerhin hatte er seine Familie noch und besuchte eine Schule, also warum gab er sich mit ihr, einem Strassenmädchen? Natürlich hatte auch sie nicht immer auf der Strasse gelebt, doch an die Zeit davor versuchte sie nur so wenig wie möglich zu denken…
„Hast du keine Hausaufgaben?" Sie zog das Wort absichtlich in die Länge, einer der wenigen Vorteile als Jugendliche auf den Strassen zu sein war es, nicht in die Schule zu müssen. Sie hatte es gehasst und vermisste es kein bisschen.
„Nö." So liefen ihre Gespräche meistens ab, sehr abgehackt und einseitig, je nachdem, was sie gerade für eine Laune hatten. Arya freute sich ohnehin nicht wegen den Gesprächen ihn zu sehen, eigentlich genau wegen dem Gegenteil: Sie konnten stundenlang schweigend nebeneinander hergehen und über nichts reden, und trotzdem fühlte sich Arya dann nie alleine.
Dummerweise konnte Gendry nie länger als zwei drei Stunden bleiben, denn da auch er nicht gerade im besten Teil von Miami lebte verlangten seine Eltern, dass er zu Hause war bevor es dunkel wurde.
„Also bis dann", sagte er auch schon als die ersten Strassenlaternen angingen. Er sagte absichtlich nie „bis morgen", denn sie wussten nie, wann sie sich das nächste Mal sahen. Manchmal war Arya in einem anderen Stadtteil unterwegs, manchmal hatte Gendry etwas zu tun… Eigentlich war das zwischen ihnen gar keine richtige Freundschaft, es war eher ein gegenseitiges Gesellschaftleisten.
Miami befand sich nahe an der Küste und die Winter hier waren dementsprechend mild, doch auch hier konnte es ziemlich kalte Nächte geben. Heute war eine davon.
Sich die Arme reibend ging sie auf und ab, für jemanden der in einem Haus wohnte waren sieben Grad Aussentemperatur gar nicht so kalt. Doch wenn man auf der Strasse lebte, seit einem Tag nichts mehr gegessen hatte und Hundemüde war, fühlte es sich gleich um einiges kälter an.
In solchen Nächten vermied es Arya zu schlafen, da sie sich sonst am ehesten erkältet hätte. Und das konnte sie nun wirklich nicht gebrauchen. Ausserdem war es ohnehin sicherer am Tag zu schlafen, da war die Wahrscheinlichkeit überfallen zu werden schon um einiges geringer. Bestehlen konnte man Arya ohnehin nicht, das einzige was sie besass, war ein Sprungmesser. Und das hütete sie wie einen Schatz. Bis jetzt war sie noch nie in eine allzu schlimme Lage gekommen, nur einmal war sie von ein paar betrunkene jugendlichen verprügelt worden (wahrscheinlich hatten die Jungs sie ebenfalls für einen Jungen gehalten, sonst hätte es noch weitaus schlimmer kommen können).
An eine Wand gelehnt stand sie da und blickte zum Himmel hinauf, durch das viele Licht waren keine Sterne zu sehen und der Mond wurde von einigen vorbeiziehenden Wolken verdeckt. Wenigstens funktionierte hier ungefähr jede zweite Strassenlampe, sonst hätte es gar kein Licht gegeben.
Sie hörte Schritte und sah einen Mann die Strasse herunterrennen. ‚Drei', begann sie für sich selbst zu zählen, ‚zwei, eins' und schon hörte Arya das Geheul von Polizeisirenen. Das Bild das sich ihr bot war kein seltenes in Miami und sie beobachtete schon beinahe gelangweilt wie der Mann neben ihr in eine Seitengasse einbog. Doch er würde nicht weit kommen, dort landete man nämlich direkt in einer Sackgasse.
Mit quietschenden Reifen bog der Polizeiwagen in die Strasse ein und blieb mit einem noch lauteren Quietschen direkt vor ihr stehen.
„Wo ist er hin?!", rief der Polizist am Steuer.
„Dort entlang", sie deutete die Strasse hinab. Ohne ein weiteres Wort nahm der Wagen die Verfolgung wieder auf und Arya konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, ihr war jedes Mittel recht um die Bullen in die Irre zu führen.
„Sie sind weg", sagte sie als das Sirenengeheul der des Polizeiwagens endgültig verklungen war.
„Danke", der Mann trat neben sie und sah misstrauisch die Strasse hinab, als wolle er sich vergewissern, dass die Luft wirklich rein war. „Was macht ein Mädchen alleine zu so später Stunde noch auf der Strasse?"
„Und warum wirst du zu so später Stunde von den Bullen gejagt?", konterte sie knapp. Das war immer die beste Möglichkeit um mit ungemütlichen Fragen fertig zu werden. Der Mann trug einen Kapuzenpullover und hatte den Rücken einer Strassenlaterne zugewandt. Trotzdem erkannte sie auf den ersten Blick, dass er nicht von der Strasse kommen konnte. Zumindest nicht aus dieser Gegend, denn wer sich hier auskannte, wäre niemals in eine Sackgasse eingebogen.
Der Mann erwiderte nichts und für sie war das Gespräch beendet, also ging sie weiter. Sie wollte keinesfalls hier sein wenn die Bullen zurückkamen und vielleicht gemerkt hatten, dass Arya sie absichtlich in die Irre geführt hatte.
„Warte." Sie überlegte sich seine Stimme einfach zu ignorieren und weiter zu gehen, entschied sich dann aber dagegen. „Ich bin noch für etwa zwei Monate hier. Solltest du Hilfe brauchen…" Er reichte ihr eine Karte, drehte sich um und ging durch dieselbe Strasse davon, durch die er gekommen war.
Arya überlegte sich ernsthaft die Karte zu zerreissen und in den Müll zu werfen, selbst wenn das Angebot ernst gemeint war, ihr konnte niemand helfen.
Trotzdem tat sie es nicht, stopfte die Karte mit der Adresse und dem Namen des Motels in dem der Mann allem Anschein nach wohnte in die Hosentasche. Was schadete es schon?
Die Tage vergingen wie immer, sie schlich durch die Strassen, versuchte sich etwas zu essen zu beschaffen und trotzdem aus dem gröbsten Ärger rauszuhalten. Das mit dem Ärger erschwerte sich aber zusehends, eine Bande Jugendlicher hatte sich hier breitgemacht und beanspruchte alles Auffindbare für sich. Wer sich ihnen nicht anschloss, hatte Pech gehabt.
Doch Arya verspürte in keinster Weise das Bedürfnis, sich ihnen anzuschliessen. Das waren nur ein paar prügelnde, grölende, saufende Vollidioten von denen sie sich weitestgehend fernhielt. Ausserdem schienen die Jugendlichen die sie damals verprügelt hatten gegen die hier geradezu harmlos zu sein. Eines nachts hatte Arya sogar beobachten können, sie minutenlang auf einen ihrer eigenen Leute eingetreten hatten, nur weil dieser sich weigerte bei einer Vergewaltigung mitzumachen.
Für Arya lief alles relativ gut, bis sie eines Abends einen folgenschweren Fehler beging: Die Gruppe hatte ihr Revier verlassen und Arya ging davon aus, dass sie wiedermal einen Raubzug unternahmen und erst gegen Morgen zurückkehren würden. Da sich in ihrem Gebiet am ehesten etwas Essbares finden liess (in der Nähe befand sich ein Supermarkt und hier wurden die Abfälle entsorgt), schlich sie sich zu einer der Mülltonnen. Sie hatte seit über zwei Tagen nichts mehr gegessen und durch ihren Hunger nicht richtig nachgedacht. Wie hatte sie auch davon ausgehen können, dass die Gruppe ihr Gebiet einfach unbewacht zurückliess? So dumm waren selbst die nicht.
Kaum hatte sie eine abgelaufene Packung Kekse zwischen den Gemüseabfällen entdeckt wurde sie auch schon grob zurückgerissen und wäre mit dem Kopf auf dem Boden gelandet, wenn sie sich nicht zuvor abgerollt hätte.
„Du willst also unser Essen stehlen?" Der Angreifer trat ihr mit einer solchen Wucht in den Rücken das sie flach auf dem Boden liegen blieb, unfähig, sich zu bewegen.
„Euer Essen?" ‚Hör auf!', schrie eine Stimme in ihr, ‚du machst es nur noch schlimmer'. Die Stimme hatte Recht gehabt, denn nun folgte ein weiter Tritt, und zwar in die Seite. „Unser Essen", bestätigte der Junge und trat ein drittes mal zu und der heftige Schmerz der auf das knackende Geräusch folgte liess sie ahnen, dass eine ihrer Rippen den Tritt nicht unbeschadet überstanden hatte.
Sie wurde an ihren kurzen Haaren hochgerissen und gegen eine Wand gepresst, erst jetzt konnte sie ihrem Angreifer ins Gesicht sehen. Er war blond und nicht halb so breitschultrig wie Gendry, trotzdem schien er eine ungeheure Kraft zu haben. Auf einmal lachte der Junge. „Oh wie süss, ein Mädchen… Vielleicht solltest du dir das mal auf den Pullover schreiben, sonst merkt man's ja gar nicht."
„Gleichfalls", erwiderte sie kühl und wunderte sich nicht als sie seine Faust auf ihrem Gesicht wiederfand. ‚Das hast du ja wieder toll hingekriegt' murmelte ihre innere Stimme. Warmes Blut tropfte aus ihrer Nase, doch im Gegensatz zu dem Schmerz ihrer angeknacksten Rippen schien der hier verhältnismässig klein zu sein.
„Ich bin mir immer noch nicht sicher ob du wirklich ein Mädchen bist", erwiderte er mit einem animalischen Grinsen. „Vielleicht sollten wir einfach mal nachsehen." Er liess seine eine Hand nach unten wandern um den Reissverschluss ihrer Jeans zu öffnen. Die Freude an seiner Idee war nur von kurzer Dauer, denn da er sie nur noch mit einer Hand festgehalten hatte, hatte er nicht bemerkt wie Arya ihr Sprungmesser aus der Pullover Tasche gezogen hatte und als er den Reissverschluss tatsächlich öffnete, liess sie das Messer aufschnappen.
Augenblicklich liess der Junge sie los, taumelte zurück und fiel zu Boden. Ein riesiger Blutfleck begann sich auf seinem ehemals grünen T-Shirt auszubreiten, das Messer hielt Arya immer noch in der Hand.
Minute für Minute stand sie da, starrte den Jungen an und tat nichts um sein Leben zu retten. Erst als sein röchelnder Atem verstummt war, begriff sie, was sie da gerade getan hatte. Sie hatte jemanden umgebracht.
Das Messer viel zu Boden und ihr war kalt, sie hatte schmerzen und… Sie hatte jemanden umgebracht.
Was nun? Was wenn sie jemand gesehen hatte? Wenn der Rest seiner Gruppe sie verfolgen würde? Sie war eine Mörderin, aus dieser Sache kam sie so schnell nicht wieder raus. Sie musste weg von hier, doch wohin? In diesem Stadtteil kannte sie sich am besten aus und an einem anderen Ort hätte man sie bestimmt verjagt. Natürlich würde immer noch Gendry bleiben, doch sie wollte ihn und seine Familie in diese Sache nicht mit reinziehen.
In diesem Moment fiel ihr die Visitenkarte ein, die der Mann ihr gegeben hatte. Schnell verwarf sie den Gedanken, wenn er herausfand was sie getan hatte, würde er sie bestimmt an die Polizei ausliefern. Und wenn man sie nicht gleich in ein Gefängnis steckte, dann zumindest in ein Heim. Das durfte einfach nicht passieren… Und doch schien es im Moment keine andere Alternative zu geben wenn sie nicht von der Bande geschnappt werden wollte.
Wie in Trance ging sie los, vor Schmerz und Schock beinahe blind. Mit dem Jungen hatte sie keinerlei Mitleid, trotzdem, Mord war nun mal Mord.
Normalerweise war Arya gar nicht einmal so schlecht darin die Zeit zu schätzen, doch diesmal hatte sie keine Ahnung wie lange sie gegangen war. Doch auf einmal stand sie vor der Tür mit der Nummer sieben, die Adresse war identische mit derjenigen auf der Karte.
Fast zehn Minuten stand sie da, unschlüssig, ob sie wirklich klopfen sollte oder nicht. Was, wenn der Mann schon längst weg war und jemand anderes die Tür öffnete? Sie wusste ja noch nicht mal seinen Namen, geschweige denn, wie er aussah.
Mit klopfendem Herzen entschied sie sich dann doch dafür, etwas anderes blieb ihr wohl nicht übrig. Sie war so oder so aufgeschmissen.
Erstaunlich schnell ging die Tür auf und ein Mann in grauem T-Shirt und Bluejeans stand vor ihr, viel mehr erkannte sie aber auch nicht, denn er zog sie sofort am Handgelenk ins Zimmer und schloss die Tür hinter ihr.
Hoffentlich hat's dem einen oder anderen von euch gefallen ^^
Zu Kritik, sei sie nun gut oder schlecht, sage ich nicht nein xD