Prolog
London, 1995
Paul half seiner hochschwangeren Verlobten die Treppe zum dritten Stock hoch, als Lucy plötzlich stehen blieb.
»Oh Verdammt!«
»Was ist denn Prinzessin?«
»Meine Hose ist nass«, Lucy verzog ihr hübsches Gesicht
"Hä? Hast du dir in die …-« Paul wurde von Lucys schriller Stimme unterbrochen
»Paul! Meine Fruchtblase ist geplatzt, du Idiot! Ruf die Hebamme!«
»Oh Gott ... äh ... ja natürlich... ich bring dich noch hoch ... oh nein ... dafür ist jetzt keine Zeit ... äah ... natürlich musst du hoch ...« Paul ging die Treppe hoch, entschied sich wieder anders und ging wieder runter. Genervt packte Lucy ihm am Arm. Ihre Fingernägel krallten sich regelrecht in sein Hemd.
»Ganz ruhig«, sie machte eine Pause und holte ein paar Mal tief Luft, "du wirst mich jetzt nach oben bringen und dann die Hebamme anrufen. Dann wirst du mir Decken und viel Wasser holen. Okay?« Lucy gab sich Mühe, Paul zu beruhigen, obwohl sie selbst gleich in Ohnmacht fallen würde. Sie unterdrückte ein Stöhnen, als ein ziehender Schmerz durch ihren Körper jagte. Paul sollte sich nicht noch mehr Sorgen machen.
Dieser tat währenddessen wie ihm geheißen und eine halbe Stunde später traf die Hebamme - eine nette alte Dame namens Dawn Heller, rund, warm und gutherzig - in die Wohnung ein.
Es dauerte ewig. Dawn hatte Paul aus dem Schlafzimmer verband, mit der Erklärung, dies währe nichts für schwache Mägen. Insgeheim war Paul ihr dankbar. Es war schlimm genug Lucy von der anderen Seite der Tür kreischen zu hören. Er machte sich solche Sorgen. Nicht nur um Lucy und Gwendolyn - diesen Namen hatten sie sich schon vor einiger Zeit ausgesucht, unter anderem - sondern auch darum, wie es jetzt weitergehen würde. Nach Tante Maddys Prophezeiung, war ihr Mädchen der Rubin. Laut den Wächtern Charlotte, Lucy's Cousine. Die Sache war die, Madeleine's Prophezeiungen - oder was auch immer sie so oft von sich gab - waren wirklich sehr zutreffend. Sie waren noch nie falsch gewesen. Außerdem konnten sich die Wächter der Loge nicht ganz im Klaren sein, schließlich haben sie nur das Geburtstagsdatum vom Rubin, dem zwölftem Zeitreisenden, ausgerechnet, das zufällig auf Charlotte traf. Aber wenn es so weitergehen würde … Paul blickte verzweifelt auf die Uhr. 11.45 zeigte sie an. Eine viertel Stunde also noch. Das könnte knapp werden. Heute war der 6. Oktober, aber nicht mehr lange. 15 Minuten und dann würde Gwendolyn wirklich der Rubin sein, dann wäre es klar. Newton sagte am 7. Oktober, ja am sechsten würde der Rubin geboren werden. 14 Minuten noch. Paul hörte einen grauenhaftes Schreinen. Oh, Lucy! Paul raufte sich seine schwarzen Haare. Es machte ihn verrückt, so hilflos zu sein! 13 Minuten ... 12 .. Lucy's Schreie hallten durch das ganze Haus. 10 ... 9 ... 8 Minuten. 7, 6, 5, 4 Minuten. Paul schwitzte. Er wollte dieses Leben nicht für seine Tochter. Es war gefährlich, zeitstehlend und nicht sehr angenehm. Es würde ihr Leben mehr beeinflussen, als sie es machen könnte. 3 Minuten. 2 Minuten. 1 Minute. Nein, bitte nein. Aber es war schon zu spät. Die große Großvateruhr schlug 12x. Paul stöhnte. Sein armes, armes Mädchen. Jetzt müsste sie ihr auch noch ihre ganze Kindheit in der Loge verbringen. Boah nee.
Ein Kreischen ließ Paul aufschrecken. Zwar war Lucy's Stimme mit eingemischt, aber das .. das war doch ein .. Kind! Paul stand auf und hielt seine Hände vor den Mund. Die Tür zum Schlafzimmer schwang auf und eine ziemlich blutverschmierte, jedoch strahlende Dawn kam Paul entgegen.
»Und?«, flüsterte dieser. »Sag, schon!« Sie umarmte ihn stürmlisch und drückte ihm einen feuchten Kuss auf die Wange. Sie hatte Tränen in den Augen.
»Alles gut. Ein wunderbares gesundes Mädchen.« Sie schniefte und packte Paul an den Schultern. »Jetzt geh schon! Lucy wartet auf dich!«
Das ließ sich Paul nicht zweimal sagen. Er lächelte dankend und lief in das Schlafzimmer. Als er seine Geliebte und sein Kind sah, blieb er abbrubt stehen. Ganz langsam, um seine schlafende Tochter nicht zu wecken, ging er um das Bett herum.
»Paul«, flüsterte Lucy. Sie sah so erschöpft aus, so fertig und doch war sie das schönste auf der ganzen Welt.
»Prinzessin.« Paul lehnte sich rüber und drückte ihr einen Kuss auf ihr verschwitztes Haar. Dann blickte er auf das Baby in Lucy's Armen.
»Gwendolyn Sophie Elizabeth de Villiers, du bist wunderhübsch.«, hauchte er. Er liebte schon den Namen, den Klang dieser Namen.
»Ganz wie der Papa mit den kleinen schwarzen Haaren am Kopf!« Lucy strich liebevoll über die rosige Wange ihrer Tochter. Paul blinzelte heftig.
»Darf ich sie auch mal halten?«, fragte er.
"Ja natürlich! Aber sei vorsichtig und halt ihren Kopf!" Lucy reichte ihm das kleine Bündel. Das Mädchen rührte sich und schlug die Augen auf. Ein klares Blau, wie Bergseen, tief und unergründlich.
»Sie hat deine Augen.«, stellte Paul erfreut fest. Gott sei Dank. Noch ein so hübsches Augenpaar auf dieser Welt.
»Wilkommen in deinem neuem Leben, Gwendolyn«
Zwei Stunden später lag das Baby frisch gewaschen und schlafend in dem nun eingeweitem Gitterbettchen. Dawn, die Hebamme, hatte sowohl es als auch Lucy gründlich abgecheckt und dann erklärt, dass es eine wirklich hervorragende Geburt gewesen sei und das klein Gwenny (so sagte es auch jedem Fall Dawn - Paul gefiel dieser Kosename besonders) und Lucy im guten Zustand wären. Sie packe im Moment ihre Sachen ein und räumte das Wohnzimmer auf.
Paul und Lucy saßen derweil in ihrem Schlafzimmer und unterhielten sich - bwz diskutierten.
»Ich will nicht, dass sie ihre Kindheit so verbringen muss wie Gideon. Die Wächster bringen ihm jetzt schon bei wie man sich nach den Sitten im 18. Jahrhundert verbeugt. Der Kleine kann noch nicht mal in ganzen Sätzen sprechen. Nein! Ich lasse das nicht zu!« Lucy haute energisch mit der gebalten
Faust auf das Bett. Die vielen Decken und Kissen muffelten das Geräusch sehr, aber das war ihr egal. Sie konnte es nicht zulassen, das ihr Baby, ihre Tochter Gwendolyn, so eine schreckliche Kindheit durchleben würde, wie sie. Jeden Tag um 8.00 Uhr aufstehen, um 8.30 in der Loge sein. Zwei Stunden Gschichte, drei Stunden benehmunterricht bei Giordano, zwei Stunden Tanzen. Mittagessen und wechten. Jeden zweiten Tag Reiten, aber nein, nicht das schöne Reiten, das strickte im Schritt Reiten, immer gerader Rücken, als ob man einen Stock verschluckt hat. Weitere Zwei Stunden Sprache und dann Chronografenkunde. Um 7.00 Uhr strickt in's Bett. Lucy schauderte. Das war nicht das Leben, das sie für Gwendolyn wollte! Welche Mutter würde dies für ihr Kind wollen?
»Jetzt beruhige dich doch, Prinzssin. Das tut dir bestimmt nicht gut« Paul sah ihr in die Augen. »Wir müssen Gwendolyn aber vorbereiten, sie wird es schließlich in der Vergangenheit brauchen, unser kleiner Rubin.« Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare, was er immer machte, wenn er frustriret war.
»Und du bist dir sicher das sie der Rubin ist?«, fragte Lucy. Sie wusste die Antwort, aber sie konnte ihr Hoffnung einfach nicht aufgeben!
»Maddys Visionen waren bis jetzt immer wahr. Und Lucas meint auch, dass es Charlotte nicht sein wird«
»Ihr seid alle so gemein zu Tante Glenda!«, rief Lucy. Ihr Tante war jetzt nicht die Beste, aber sie hatte auch eine gute Seite! Bestimmt ... irgentwo da drinn. »Nur weil sie nicht die aller Netteste ist, heißt das nicht dass ihre Tochter so biestig - äah, so wird wie sie!«, verteidigte Lucy sie. Dann fragte sie: »Wurde Charlotte überhaupt schon geboren?«
»1. ist es Glendas Schuld, dass sie niemand mag. 2. Das hab ich nicht so gemeint und Lucas auch nicht. Gwendolyn hat mehr Gen in sich, in ihr vereinen sich die Montroses und die de Villiers! Im Vergleich zu ihr, ist Charlotte meilenweit weg von der Chance, der Rubin zu werden!« Lucy wollte ihn unterbrechen, aber Paul redete unbeschwert weiter. »Und 3. Nein, Charlotte wurde noch nicht geboren. Lucas hat versprochen anzurufen, wenn es soweit ist.« Paul lächelte warm und drückte sie an sich. Lucys Brust fühlte sich so an, als ob sie gleich vor Liebe zu diesen Mann platzen würde. Oder vielleicht war es auch nur die ungewohnte Muttermilch, die ihre Brüste so befriedigend groß machte. Was weiß sie?
»Wie wäre es eigentlich wenn wir Gwendolyn hier, also zuhause ausbilden. Ihr wird alles beigebracht nur ohne Misterien Untericht und ohne Gordiano!« Lucy war die Idee plötzlich gekommen. Es wäre mühsam, aber super für ihre Tochter. Außerdem, fals Gwendolyn doch nicht der Rubin ist - schließlich bestandt noch eine klitzekkleine Möglichkeit, dass Charlotte das Zeitreisegen geerbt hat - würde all die verbrachte Zeit des Lernens nicht allzu verbraucht sein, als wenn sie ihr ganzes Leben in der Loge verbracht hätte.
Paul sprang auf und Lucy erschreckte sich. Besonders als er ihr einen atemberaubenden Kuss gab, war sie ziemlich übrweltigt. War ihr Vorschlag denn so gut gewesen?
»Das ist es! Wir sagen der Loge, Gwenny wäre gestern geboren worden. Niemand würde nur daran
denken, dass sie der Rubin ist!«, ruft er. Was? War er verrückt geworden?
»Und die Geburtsurkunde?« Jetzt zweifelte sie schon an ihrem eigenem Vorschlag. Aber wirklich, wie um himmels willen sollten sie … ?!
»Ach die lassen wir einfach von Dawn fälschen!«, winkte Paul ab.
»[i]Einfach?[/i] Du steigerst dich da in etwas rein, Paul!«, meinte Lucy unsicher. Diese Idee wurde immer verrückter. Den Wächtern Gwendolyn's Genmöglichkeit - oder wie man es auch nennen würde - verschweigen? Dawn darum bitte, eine Geburtsurkunde zu fälschen? Was im übrigen total illegal ist! Und dann Gwendolyn im geheimen Misterienunterricht geben!
»Ach was! Du wirst schon sehen, Prinzessin! Gwenny wird das perfekte leben haben! Ich schreib ihr Kinderbücher und du bemalst ihr Zimmer! Ich gehe gleich Dawn fragen!«, rief Paul und begann zu strahlen. Lucy gab sich geschlagen. Wenn Paul es für richtig hält, ist es wahrscheinlich auch so, dachte sie.
»Aber biet ihr wenigstens Geld dafür an. Schließlich geht es hier um Gesetzesbruch!«, rief sie ihm noch hinterher, als er aus dem Zimmer sauste und sich auf das Telefon stürtzte. Er war manchmal etwas zu übermütig.
»Jaja! Und Prinzessin?« Sein Kopf erschien im Türrahmen und er grinste. »Es geht hier um Gwenny!«