TEIL I: Katzen streicheln

Die Bewohner Hogwarts' waren in tiefen Schlaf versunken. Wenigstens die meisten. Die Gänge waren dunkel und nur das vereinzelte Schnarchen eines Gemäldebewohners durchbrach die Stille. Obwohl? Da, in einem noch dunkleren Eck im Kerker des Schlosses war etwas - jemand. Die junge Slytherin Bellatrix Black.

Schluchzend saß sie an die kalte Steinmauer eines Kerkergangs gelehnt, ihr Gesicht in ihren Händen vergraben. Ihr Körper zuckte, in Pein gefangen, die sie tagsüber versteckte. Nur nachts durften die Schrecken hochkommen, die niemand sehen durfte. Selbst sie nicht. Doch nachts lag nichts auf ihrem Geist und so konnte er freie Kreise ziehen und abdriften in die Verzweiflung, die in Bellatrix wütete.

Alles tat so weh, eiskalt, heiß und brennend in ihr. Ihre dunklen Locken fielen wie ein Schleier über ihr Gesicht. Alles tat so weh, heiß, an Stellen, wo er sie berührt hatte. Bellatrix unterdrückte den Drang, sich überall dort zu berühren, wo er sie besessen hatte. Rodolphus.

Er hatte sie dort berührt, wo nur eine sie berühren sollte, durfte. Er hatte ihr wehgetan. Würde ihr wieder wehtun.

Die Bilder der einen Nacht, der ersten Nacht, kamen ihr wieder in den Sinn. Nachts, in war ein warmer Abend gewesen. Ganz anders als in England, wo die Septembernächte sich bereits wie Winter anfühlen.

Es war der schönste Tag in ihrem Leben gewesen, nur mit ihr, dieser einen Person. Dunkle, braune Haare, warme Hände, warmes Lächeln. Glückselig war Bellatrix abends ins Haus zurückgekehrt. Ihre Gedanken waren nur von ihr erfüllt gewesen, als wäre sie immer bei ihr. Von ihren warmen braunen Augen, die Augen, die wie Tore zum Herzen wirkten.

Doch sie war nicht da gewesen, nur Rodolphus wartete in dem Zimmer. Bella war mit ihm allein gewesen, allein in diesem Zimmer. Die Vorhänge hatten das Licht, das von draußen herein schien, grünlich eingefärbt und den Moment in gespenstige Farbe getaucht.

Grün, wie im Slytherin-Schlafsaal.

Es verfolgte sie, jedes Mal wenn sie im Gemeinschaftsraum war. Wenn das Licht genauso grün war, wie damals, in diesem Zimmer. Das war auch der Grund, warum sie raus musste, diese Nacht und so viele Nächte davor. Raus aus dem Raum, der ihr Zuhause gewesen war. Es hatte eine Zeit gegeben, als dieser Gemeinschaftsraum ihr Geborgenheit gegeben hatte. Jetzt war dieses Gefühl nur noch Erinnerung.

Er hatte sich nie gefragt, ob er das durfte. Von Anfang an, war klar gewesen, dass es sein Recht war. Dass sie, Bellatrix, sein war. Und dann er, Lippen, die zwar anfangs sanft waren, dennoch schon bei den ersten Küssen nur Ekel in ihr hervorgerufen hatten.

Sein Gesicht, sein Lachen hatte ihr den Atem geraubt, so groß war der Wunsch gewesen, nicht bei ihm zu sein, nicht von ihm berührt zu werden. Freude war in seinen Augen gestanden, als sie begonnen hatte, sich zu wehren.

Bellas Magen krampfte sich zusammen. Sie wollte die Bilder nicht mehr sehen und drückte mit ihren Handballen auf ihre Augen. Sie wollte nichts mehr sehen, weg mit dieser Dunkelheit, aus der solch schreckliche Bilder entstehen konnten.

Bunte Flecken begannen vor ihren Augen zu tanzen. Bellatrix würgte. Ihr war so schlecht, innen und außen. Sie wollte mit ihrer Hand nachhelfen, diesen Ekel aus sich heraus spucken, hielt sich aber zurück.

Es gehörte sich nicht. Man hatte ihr gelehrt solche unwürdigen Reflexe zu unterdrücken.

Doch zaubern war nicht unwürdig. Wie magisch wurde ihr Blick auf ihren Zauberstab gezogen. Es zu beenden wäre so leicht, einfach nur weg von den Erinnerungen, den Dingen, die sich gehörten oder nicht gehörten, den Dingen, die von ihr erwartet wurden. Und weg von ihr, die, die sie wollte, aber niemals kriegen würde. Es wäre so leicht.

Bellatrix hob ihren Zauberstab und legte ihn sanft an ihre Schläfe. Selbst obwohl er kaum etwas wog, zitterte er in Bellas Händen. Schaudernd schloss sie ihre Augen, ließ ihn an ihrer Schläfe und zählte bis zehn.

Bei der letzten Zahl rollten Tränen über ihre Wangen. In Gedanken hörte Bellatrix Stimmen: die, ihrer Mutter, schrill und kalt, Rodolphus', verächtlich und herausfordernd zugleich. Sie riefen sie einen Feigling, der es nicht wert war, besser behandelt zu werden.

Als ein erneuter Krampf sie durchschüttelte, richtete sie ihren Zauberstab abwesend auf ihr Handgelenk, das schon von einigen Narben geziert war. Doch ein leises Geräusch ließ sie im letzten Moment aufschrecken und ihr Vorhaben vergessen und stattdessen das Licht ihres Zauberstabs erleuchten.

Ein leises Miauen. Es war eine Katze, die sich ihr näherte. Zögernd schlich sie an Bellatrix heran, schaute sie aus ihren geschlitzten grünen Augen an. Mit einem halben Lächeln lockte sie die Katze in ihren Schoß. Wenn sie eins liebte, dann Katzen. Nichts fühlte sich unter ihren Fingern besser an, als das Fell einer Katze. Die Katze hatte rotes Fell, das selbst in der grauen Dunkelheit seidig glänzte. Schnurrend ließ sie sich streicheln und kuschelte sich in Bellas Arme. Bellatrix löschte ihren Zauberstab wieder und kümmerte sich stattdessen um die Katze.

Ihr war nicht aufgefallen, wie die Kälte während den Stunden auf dem Fußboden unter ihre Haut gekrochen war und fröstelnd versuchte sie sich am Katzenkörper zu wärmen. So merkte Bellatrix nicht, wie die Zeit verging, bis die Katze ganz plötzlich hoch schreckte und davon sprang.

„Warte!", wollte Bella rufen, doch da bemerkte sie, dass sich Jemand menschliches näherte. Schnell strich Bella sich die Tränen vom Gesicht und versuchte sich möglichst klein zu machen. Ihr Herzschlag beschleunigte sich sogleich wieder. Wenn Merlin ihr Beistand, würde die Person sie nicht sehen, erleuchtete der Lumus-Zauber doch immer nur einen kleinen Umkreis. Und wer erwartete denn Nachts schon eine Schülerin in eine Ecke gekauert?

Doch dass diese Person die ihr verhasste Professorin McGonagall war, hatte sie nicht erwartet. Und diese hatte anscheinend auch noch so gute Ohren, dass sie das leise Zischen von Bellatrix mitbekam.

Gleich darauf blendete grelles Licht Bella. Schnell blinzelnd versuchte sie sich an das Licht zu gewöhnen.

„Miss Black! Was haben Sie um diese Uhrzeit hier verloren?", zischte die Lehrerin sie überrascht an. Ihr dunkler Umhang ließ sie fast mit dem Hintergrund verschmelzen. Stumm aber mit aufrechtem Blick starrte Bellatrix sie an, doch McGonagall vermied den Blick in ihre Augen und fauchte nur „Mitkommen!"

Schwach, aber nicht so schwach, als dass sie sich helfen würde, rappelte Bella sich auf und folgte der wütenden Lehrerin in ihr Büro. Auf dem ganzen Weg sprachen sie kein Wort.

Als McGonagall die Bürotür öffnete, empfing sie das gedämpfte, leicht flackernde Licht von Kerzen. In einem Ofen brannte ein wärmendes Feuer.

In einer unbedachten Sekunde hatte Bellatrix befürchtet, das grüne Licht würde sie wieder erwarten, so seufzte sie erleichtert auf. Dieses warme, rot-gelbe Licht erinnerte zwar fast aufdringlich an Gryffindor, dennoch genoß es Bellatrix. Verdutzt warf McGonagall ihr einen Blick zu, den Bellatrix aber vorsorglich ignorierte. Nachdem McGonagall die Tür mit ihrem Zauberstab verschlossen hatte, richtete Bella sich demonstrativ auf und verschränkte ihre Arme vor der Brust.

Mit zerfurchter Stirn betrachtete die Professorin die sture Schülerin und Bellatrix sie. Sie schien wie eben aus dem Bett gesprungen, um noch extra eine Runde durch den Kerker zu drehen. Ihre Haare waren zwar wie gewohnt zum Knoten zusammen gebunden, doch einzelne Strähnen hatten sich gelöst und ließen erahnen, dass sie nicht immer die strenge, unnahbare Frau war, die sie zu sein schien.

„Setzen", zischte sie Bella, wie als Beweis des Gegenteils, zu.

Mit einem nichtssagenden Gesichtsausdruck setzte sich Bellatrix auf den kalten Stuhl.

„Miss Black", sprach McGonagall sie an und wirkte verwirrt, als diese noch immer nicht reagierte, „Ich frage Sie noch einmal: was haben Sie um diese Uhrzeit außerhalb ihres Schlafsaal gemacht?"

Innerlich begannen Bellas Gedanken im Kreis zu rennen. Was sollte sie sagen? McGonagall würde sich nicht viel länger abspeisen lassen. Schon jetzt schienen ihre Augen hinter den Brillengläsern Blitze zu werfen.

Die Wahrheit? Dass sie sich eingebildet hatte, die Wände im Schlafsaal würden sich ihr nähern und sie zerquetschen wollen? Fast war Bellatrix versucht darüber zu grinsen, sicherlich würde McGonagall ihr das nicht abnehmen – Bellatrix Black und Angst? - oder aber es nicht als Grund zählen lassen - sie konnte sie nicht leiden, was im Übrigen auf Gegenseitigkeit beruhte.

Wenn Bellatrix es nicht besser wüsste, würde sie zwar McGonagalls Gesichtsausdruck so deuten, als ob es sie tatsächlich interessieren würde, doch Bella wusste es besser. Die Gryffindor-Hauslehrerin suchte nur nach einem Grund ihr und ihrem Haus Schlechtes zu tun. Wahrscheinlich würde, egal was sie sagte, nichts etwas an der Situation ändern.

Dennoch wusste sie, dass sie etwas sagen musste. McGonagall würde nicht zögern ihrem Hauslehrer Professor Slughorn Bescheid zu sagen, wodurch ohne Frage seine Sympathie für sie leiden würde. Bellas Eltern hatten ihr eingebläut, dass sie es sich nicht mit Slughorn verscherzen durfte. Wenn Slughorn einen unterstützte, brachte man es im Leben weit.

Verärgert verschränkte nun auch die Lehrerin ihre Arme und setzte sich mit verschlossenem Gesichtsausdruck hinter ihr Pult. Als Bellatrix ihren Blick mit ihrer sturen Art, nichts zu zeigen, erwiderte, presste McGonagall ihre Lippen zu einem Strich, schob ihre Brille etwas herunter und fixierte Bellatrix höchst gereizt über die Gläser hinweg. Bella hatte nicht erwartet, dass McGonagalls Augen so dunkel wirken konnten, irgendwie gefährlich und ungewollt lief es ihr kalt den Rücken hinab.

„Ich warte. Miss Black, das hier ist keins Ihrer Spielchen! Was haben Sie nachts außerhalb des Slytherin Schlafsaals gemacht?", sagte McGonagall mit scharfer Stimme.

Noch immer zeigte Bellatrix keine Reaktion, doch insgeheim dachte sie weiter angestrengt nach - ihr wollte einfach keine Lösung einfallen.

Um einiges schlimmer als Slughorns Ärger, wäre der Ärger ihrer Eltern, wenn McGonagall ihnen eulen sollte. Allein beim Gedanken daran drehte sich Bellatrix' Magen um. Sie unterdrückte den Reflex die Augen zu schließen und schaute stattdessen McGonagall mit großen Augen an.

Eigentlich hatte sie keine Reaktion darauf erwartet, umso überraschter war sie, Verwirrtheit in McGonagalls Blick zu sehen. Abgelenkt ließ sie sogar ihre Hände sinken. Hatte Bellatrix eine Schwachstelle gefunden?

Plötzlich durchschoss Bellatrix eine Erinnerung: Noch gar nicht lange her, hatte ihr ihre Freundin aus Ravenclaw, Tima, erzählt, McGonagall starre sie, Bellatrix, oft auf den Gängen oder bei den Essen an. Sie hatte ihren Worten zwar geglaubt, Tima würde sie nie anlügen, dafür vergötterte sie sie zu sehr, doch sie selbst hatte noch nie konkreten Anlass gehabt, zu glauben, dass McGonagall an ihr interessiert war – oder, wie Tima es ausdrückte, scharf auf sie war. Aber mal ehrlich, es wäre auch ganz und gar nicht schlau von McGonagall, Bellatrix das zu zeigen. Jeder wusste, dass Bellatrix jede Schwäche von Personen ausnütze, besonders wenn jemand speziell für sie eine Schwäche hatte.

Noch zweifelte Bella an Timas Einschätzungen, sie wurden doch etwas unrealistisch, wenn man bedachte, dass Tima selbst schon lange scharf auf die Lehrerin war (etwas, was Bellatrix ganz und gar nicht nachvollziehen konnte), doch ein Versuch war es definitiv wert.

Bellatrix ließ ihren Blick nach unten wandern und gespielt schüchtern fixierte sie das Stuhlbein während sie hauchte: „Keins meiner Spielchen?"

Wie eingeübt blickte sie dabei auf, direkt in McGonagalls Augen. Die Lehrerin reagierte kaum, doch Bellatrix fiel auf, dass sie etwas zu oft blinzelte – als würde das Herz unter ihrer Brust rasen. Ein weiterer Versuch, sie aus ihren Reserven zu locken, sollte nicht schaden.

Bellas Atem beschleunigte sich vor Aufregung von allein, dennoch unterdrückte sie die Angst, stand langsam auf und stütze sich mit ihren Armen auf McGonagalls Schreibtisch ab.

Ihr war durchaus bewusst, wie viel Ausschnitt sie dadurch zeigte, auch sah sie, wie McGonagalls Blick für einen Sekundenbruchteil unterhalb ihres Gesichts hängen blieb und eine dezente Röte in ihre Wangen stieg.

Schnell hatte McGonagall sich wieder unter Kontrolle sprang auf und fixierte verbissen Bellas Augen. Auch Bellatrix richtete sich wieder auf, ein kleines aber aussagekräftiges Grinsen schlich sich auf ihre Lippen.

„20 Punkte Abzug für Slytherin! Miss Black, ich werde ihren Hauslehrer über Ihr unakzeptables Verhalten unterrichten und jetzt verschwinden Sie endlich!"

Professor McGonagall schluckte und umklammerte ihren Zauberstab fester. Auffällig für Bellas Augen, man hatte ihr früh gelehrt, auf die Zauberstabhaltung des Gegenübers zu achten. Langsam machte Bellatrix die Sache Spaß, es sah ganz so aus, als ob Tima Recht gehabt hatte.

Sie lächelte McGonagall überheblich zu.

„Ich an Ihrer Stelle würde niemandem davon erzählen...", McGonagalls Augen weiteten sich, als Bellatrix um den Tisch herum auf sie zu kam und ihre Hand hob, „...Professor."

Kurz bevor Bellatrix McGonagalls Wange mit ihrer Hand berührte, packte McGonagall Bella an ihren Handgelenken und hielt sie zurück. Bellatrix sah der Professorin lachend tief in die Augen und leckte sich verführerisch die Lippen. Sie bog ihren Rücken durch und streckte sich McGonagall entgegen. Panisch schubste McGonagall sie von sich und erhob ihren Zauberstab.

„Sie wollen mich doch nicht tatsächlich verhexen, Professor?", fragte Bellatrix mit unschuldiger Stimme, aber durchtriebenem Grinsen.

„Black, wenn Sie mir nicht sofort sagen, was Sie heute Nacht getrieben haben, werde ich mit dem Direktor über Sie sprechen und dann können Sie froh sein, wenn Sie dieses Jahr noch auf der Schule bleiben dürfen!"

Bellatrix leckte sich nochmals über die Lippen, warf McGonagall einen amüsierten Blick zu und besann sich dann eines Besseren.

„Ich war spazieren. Wie sie auch." Mit diesen Worten drehte sie sich um und ließ McGonagall stehen.