A/N: in diesem Teil kommen sich House und Chase zum ersten Mal auf physischer Basis näher als bisher. Dazu tragen Chase' Entschlossenheit bei, ein Trauma zu überwinden, das in "Beinahe geheilt?" behandelt wurde, und ein Telefonanruf. Gelegentlich gibt es Referenzen auf frühere Teile, die ihr bei Interesse auf Livejournal unter "chittibang" nachlesen könnt. Ich freue mich sehr über Kommentare und Reviews! (O:

Er hörte House im Wohnzimmer telefonieren. Mitten in der Nacht. Warum er sich auf einmal unwohl fühlte, konnte er nicht sagen. Aber ein nächtlicher Anruf bedeutete selten etwas Gutes. Er versuchte, Gesprächsfetzen zu entwirren, doch House sprach zu leise; vermutlich dachte er, Chase schlief. Das Klingeln hatte er in der Tat nicht gehört. Erst als House die Decke zurückgeworfen hatte und grunzend aufgestanden war, war er aus seinem traumlosen, totenähnlichen Schlaf gerissen worden.

Er war wieder dazu übergegangen, sich mit Diazepam zu betäuben, um den Alpträumen zu entkommen. Es gefiel House nicht sonderlich, aber er sagte nichts. Chase verdächtigte ihn, über seinen Konsum Buch zu führen. Jedenfalls kontrollierte er peinlich genau die Menge, die Chase abends einnahm. Wahrscheinlich wollte er einer Abhängigkeit vorbeugen, darum war er nicht beleidigt.

Das Licht wurde gelöscht, und House hinkte wieder ins Schlafzimmer. Bevor er sich hinlegte, blieb er auf der Kante des Bettes sitzen und vergrub die Hände im Haar. Ein leises Ächzen stahl sich über seine Lippen.

„Schlechte Nachrichten?" wisperte Chase.

Im ersten Moment überrascht, dass er wach war, fuhr House herum. Dann strich er Chase das vom Schlaf verstrubbelte Haar zurück. Körperkontakt war nicht selbstverständlich, nachdem das Erlebnis im Lift mit House und besonders die Androhung des unerwartet in der Klinik aufgetauchten Donoghue das Missbrauchstrauma zu neuem Leben erweckt hatten. Angst und Erregung krochen in ihm hoch, wenngleich House ihn nur flüchtig berührte.

„Foreman", erwiderte er müde. „Hat Probleme mit der gepiercten Patientin, die in die MRI sollte. Sie lässt sich die Ringe nicht herausnehmen und führt sich auf wie eine Furie."

Darüber dachte er einen Augenblick nach und kam zu dem Schluss, dass er nicht die Wahrheit sagte. Foreman hätte auf dem Mobiltelefon angerufen, das eingeschaltet auf dem Nachttisch lag. Außerdem konnte man einen widerspenstigen Patienten gefügig machen, indem man ihn sedierte. Das musste auch Foreman wissen.

Nachzubohren war nicht seine Art, und so schwieg er, während er House verstohlen beobachtete, der an die Zimmerdecke starrte und die Hände hinter dem Kopf verschränkt hielt. Irgendwie sah er nicht so aus, als seien seine Gedanken bei Foreman oder dieser hypernervösen Xanthippe, die gestern mit Bauchschmerzen ins Princeton Plainsboro gekommen war. Kummer und Weltschmerz in seiner Miene zu entdecken war nichts Ungewöhnliches, doch es war nicht genau das. Eher eine Melancholie, die mit dem Anruf gekommen sein musste. Es verursachte ihm Unbehagen, House so zu sehen. Als ob ihn etwas quäle, über das er nicht reden konnte oder wollte.

Gegen seine Gewohnheit robbte er in die Mitte der Matratze und küsste den älteren Mann sanft und scheu auf den Jochbogen. Er war feucht, als hätte er geweint, und Chase - bemüht, sich sein Erschrecken darüber und die Überwindung, die es ihn kostete, zu House zärtlich zu sein, nicht anmerken zu lassen – trocknete ihn mit den Lippen, während er die Hand auf dem T-Shirt ruhen und von der Brust zum Unterleib wandern ließ. House gab einen merkwürdig hohen Ton von sich, der sein Zwerchfell erschütterte (Chase konnte es fühlen) und wie der Schluckauf eines quengeligen Kindes klang.

Jetzt war er endgültig überzeugt, dass etwas nicht stimmte. Aber ihn fragen – durfte er das denn? Eine Antwort würde er ohnehin nicht erhalten. Was House beschäftigte, behielt er meist für sich. Er versuchte, ihn auf andere Weise zu trösten und verschloss ihm den Mund mit einem gefühlvollen Kuss, auf den er selbst stolz war. Trotz unleugbarer Erregung, in die ihn Chase' Tollkühnheit versetzte, versagte sich House, ihn zu erwidern, nachdem er die Oberlippe zögernd und doch verlangend beknabbert hatte.

„Nicht ... hören Sie auf." Seine Stimme klang ausdruckslos, als er ihn von sich schob. „Ich muss nachdenken."

Den Strohhalm ergriff er umgehend. „Worüber?"

„Foremans Problem."

„Es ist nicht Foreman", sagte Chase, während er sich zurückzog. „Und falls er es doch wäre, würden Sie sein Problem nicht zu Ihrem machen. Warum sollte Ihnen eine Patientin mit einer MRI-Psychose Kopfschmerzen bereiten? Das war keine gute Lüge, House."

„Fragen Sie mich nichts mehr."

„Es ist Ihr Bein, oder? Sie haben Schmerzen."

„Ja."

„Sie haben das Vicodin reduziert. Warum?"

„Weil ich Ihnen ein Vorbild sein will. Damit Sie kein verdammtes Gemüse werden." Er stöhnte kurz auf und rieb sich den Oberschenkel. „Auf Dauer sind Drogen keine Lösung, Chase."

Chase griff hinüber und legte die Hand auf das Bein. Das vernarbe Gewebe zuckte kurz unter der Berührung wie etwas Böses, das dem Guten widerwillig zu weichen hat, und er strich energisch mit dem Handballen darüber. Im Lauf der Zeit hatte er mit dem Anblick umzugehen gelernt, abgesehen davon, dass es ihn als Mediziner nicht allzu sehr erschüttert hätte, wäre es nicht das Bein seines verehrten Chefs, der darunter so leiden musste. Zwar sah er es nicht allzu häufig entblößt, doch er war schon mehrmals als personifizierter Vicodinersatz eingesprungen, indem er die akuten Schmerzwellen linderte.

House' Brauen zogen sich zusammen, wobei zugleich der Kaumuskel mahlte, dann entspannte er sich. Völlig ruhig lag er auf dem Rücken. Sein Atem glich sich dem sich entspannenden Körper an, der nun kein Adrenalin mehr produzierte. Besitzergreifend umfing er Chase' Handgelenk, als hätte er Angst, er könne die Hand wieder wegnehmen.

„O Gott, wie machen Sie das? Verraten Sie mir Ihren Trick."

Schüchtern senkte er die Lider. „Es ist kein Hexenwerk. Nur das physikalische Gesetz der Wärme ..."

„ ... und der Aufopferung, hoffentlich nicht physikalisch", ergänzte House trocken. „Bei mir klappt es nämlich nicht."

Wieder wurde Chase verlegen, doch er wandte sich nicht ab und schaute ihn an. In Chase' Augen fand er nie Mitleid für sein Dilemma, so sehr er auch danach fahndete. Manchmal offenbarte er einen Funken Anteilnahme, wenn House vor Schmerz ein paar Schweißtropfen vergoss. Sich einzubilden, da wäre mehr, wäre vermessen. Chase kannte Schmerz. Psychischer ließ sich nicht so klipp und klar betäuben wie physischer, und man konnte die Quelle bei ersterem nicht orten und ausmerzen, so wie seinerzeit den Arterienverschluss im Oberschenkel. Vermutlich hielt er House für einen Jammerlappen, dem immerhin seine Medikation ein einigermaßen geregeltes Leben ermöglichte.

„Werden Sie so schlafen können?" fragte er gedämpft. „Oder so bleiben, bis ich weg bin? Mir zuliebe?"

Chase liebte ihn für seine Umsicht, die ihn manchmal zu Tränen rührte, da sie jedes Mal so unerwartet erfolgte, obwohl er sich mittlerweile daran gewöhnt haben müsste. Sein Arm lag über House' anderem Oberschenkel und dem Unterleib, da er auf der falschen Hälfte des Bettes war, um das kranke Bein direkt zu berühren. Viel zu intim, was ihn betraf.

„Ich denke", sagte er unsicher.

Lächelnd strich House über die glühende Wange und den aufgeworfenen Mund, wofür er sich halb aufrichtete und mit dem Ellenbogen abstützte.

„Jetzt schmollen Sie. Süß. Sie müssen mich nicht in Ekstase massieren, obwohl das eine gute Therapie wäre. Für uns beide. Aber Sie sollen sich nicht zwingen. Ich will nicht, dass Sie sich quälen."

„Ich möchte es", entgegnete er fast trotzig; beim Sprechen erwischte er gezwungenermaßen House' Daumen, der sich ihm forsch, aber nicht roh, aufdrängte. Dennoch genoss er diesen ungewöhnlich zarten Moment zwischen ihnen. Der Daumen schmeckte salzig und irgendwie bitter, und er neigte den Kopf, um den Geschmack voll auszukosten.

„Hey." House lachte ein überraschtes brummendes Lachen, viel schöner als der Pseudosingultus von eben. „Sind Sie in Wallung? Mache ich Sie heiß?" Seine langen Finger drückten sich in die dünne Haut des Axis-Halswirbels, ohne dass er dabei den Daumen aus Chase' Mund nahm.

Unter einer Gänsehaut zusammenschaudernd wurde er nervös. Krampfhaft schluckend fixierte er House, während er die Finger leicht krümmte. Es gab Anzeichen dafür, dass der wohl eine ganze Weile brauchen würde, bis er Ruhe fand. Es sei denn, Chase sorgte für eine rasche Ermüdung. Er sah das Angebot in House' halbgeschlossenen Augen.

Nein. Tu das nicht House.

Furcht in den großen Augen ließ ihn zurücksinken. Ihn mit Anzüglichkeiten zu verunsichern, wäre ungerecht, nachdem er sich dazu überwunden hatte, in einer recht pikanten Lage die Schmerzen in seinem Bein zu minimieren. Und es tat weh, daran gab es nichts zu rütteln. Allerdings glaubte er nicht, dass die niedrige Tagesdosis seiner Medikamente daran schuld war. Der Schmerz war mit dem Telefonat über ihn hergefallen.

„Das wäre zu schön gewesen, um wahr zu sein", seufzte er.

Chase sagte nichts. Stattdessen fuhr er fort, das Bein zu streicheln. Er fand immer den richtigen Druck; nicht zu stark und nicht zu reserviert. So, dass er ihn spürte. Nach und nach vertrieb er den Schmerz aus den gereizten Nerven.

Erleichterung durchflutete ihn, die er mit einem Aufstöhnen zum Ausdruck brachte. „Darf ich Sie halten?"

Die Frage verwirrte den Jungen. „Was?"

„Ich will Sie nur festhalten. Wie ein heulendes Kind seinen Teddybären. Mir ist gerade danach." Behutsam legte er den Arm um seinen Nacken und fuhr mit den Fingern gedankenverloren über das Haar. Etwas später schlief er ein.

oOo

Am nächsten Tag war House wie immer, und Chase grübelte nicht länger über das geheimnisvolle Telefonat. Sie frühstückten, House half ihm bei der Morgentoilette und dem Anziehen.

Mit der nötigen Zeit hätte er es wohl alleine fertig gebracht, doch es war schön, House es machen zu lassen, weil er eine große Fingerfertigkeit im Umgang mit Chase' Körper entwickelt hatte. Er wusste genau, wie er ihn anzog und badete, ohne dass er ihn an den falschen Stellen berührte oder ihm sonst zunahe trat. Es gefiel ihm, Chase wie ein Kleinkind zu umhätscheln, und wenn Chase ehrlich war, mochte er es ebenfalls, solange House Spaß daran hatte und nicht zudringlich wurde. Überhaupt hielt er sich erstaunlich zurück, was seine Hilflosigkeit betraf, die er ohne weiteres zu seinen Gunsten hätte nutzen können. Chase konnte nicht einmal sagen, ob es ihm nicht sogar gefallen hätte. Etwas an House zog ihn nicht ausschließlich auf geistiger Ebene an.

Die Honda Fireblade blieb leider stehen und rostete vor sich hin; er wäre gerne mal wieder darauf zum Hospital gefahren, wie es vor seiner Krankheit üblich gewesen war. Doch House bevorzugte den Wagen. Chase ließ er nicht ans Steuer. Doch da er morgens ohnehin kaum wach wurde ohne eine zweite Tasse Kaffee im Büro, nutzte er die Gelegenheit, noch ein paar Minuten auf dem Beifahrersitz vor sich hinzudösen.

Seit der unglücklich verlaufenen Nacht bei Dr. Cuddy hatte er sie nicht mehr gesehen, und er ahnte, dass sie ihn absichtlich mied. Mit House musste sie wohl oder übel in Verbindung treten, was vermutlich schon peinsam genug war. Haarklein hatte sie ihm erzählt, was passiert war; er erkannte es an House' grimmigem Gesicht, sobald er düster ankündigte, dass Cuddy ihn sprechen müsse.

Es tat ihm leid, dass er sie offenbar einander spinnefeind gemacht hatte, wo sie sich zuvor lediglich gekabbelt hatten. Dabei war es seine Schuld gewesen, nicht Dr. Cuddys. Sie hatte ihm – wenn auch auf recht unkonventionelle Weise – helfen wollen. Und half House nicht auf dieselbe Art? Falls sich zwischen den beiden nichts änderte, würde er mit House reden.

An Foreman war etwas anders als sonst. Nicht dass er plötzlich die Freundlichkeit in Person war, aber er spendierte öfter ein Mittagessen und sparte mit Spitzzüngigkeiten, die er Chase gegenüber so gerne versprühte. In dieser Hinsicht war er beinahe so gut wie der alte House gewesen, auch wenn er das sicher nicht gern gehört hätte. Er lud ihn sogar zum Abendessen ein, ausnahmsweise ohne Cameron, doch Chase lehnte ab, als er in die dunklen, verständnisinnigen Augen sah. Beinahe schien es, als bemühe er sich, ihn zum Freund zu gewinnen. Oder als habe er aus einem ihm unerfindlichen Grund Mitleid mit ihm. An den Krücken, auf die er zurzeit angewiesen war, konnte es kaum liegen. Kollegialität war in Ordnung, Freundschaft mit Foreman allerdings schwer vorstellbar. Bisher waren sie Konkurrenten um die Gunst ihres Chefs gewesen. Seinetwegen musste sich das nicht ändern.

Da Dr. Cuddy ihm hartnäckig aus dem Weg ging und er sogar den Eindruck hatte, sie verstecke sich vor ihm, hinkte er ihr einmal mutig hinterher, als sie über den Gang stöckelte. Er war gewandt mit den Krücken und wartete mit gemischten Gefühlen, bis sie aus der Damentoilette heraustrat.

Sie wich einen Schritt zurück. „Sie haben mich erschreckt!"

„Ich wollte mich entschuldigen", erklärte er und hielt sie am Arm, als sie Anstalten machte, an ihm vorbeizuhuschen. Die Krücke rutschte zu Boden, und sein Griff wurde fester, als er ein wenig schwankte und das Gleichgewicht wiederherstellte. „Wegen ... Sie wissen schon. Ich war – nicht bei mir und ... Sie müssen sich nichts vorwerfen; ich weiß, dass Sie es gut gemeint haben. Und es tut mir sehr leid, dass ich Sie traurig gemacht habe, indem ich zu House zurückwollte."

Sie hob den Blick und schaffte es, ihm in die Augen zu sehen.

„Es war nicht Ihr Wunsch, zu ihm zurückzukehren, der mich traurig gemacht hat. Ich – habe mich nicht mehr gekannt. House hat Sie zu mir geschickt, weil er befürchtete, dass der Übergriff in seinem Büro Ihr Vertrauen zu ihm zerstört hat, und weil ich eine Frau bin. Eine Freundin. Jemand, der nicht fähig ist, Ihnen etwas anzutun. Wie er dachte. Ein Trugschluss. Dass Sie sich bei mir entschuldigen, beschämt mich. Ich hätte zu Ihnen kommen sollen, aber nicht einmal das ist mir gelungen."

„Ich bin Ihnen nicht böse", beteuerte er leise. „Bitte glauben Sie mir. Bitte weichen Sie mir nicht mehr aus. Ich habe den Tag immer gern mit einem Gruß von Ihnen angefangen."

Gerührt hockte sie sich hin, um seine Krücke aufzuheben und ihm zu überreichen.

„Sie fühlen sich besser, wenn Sie Routine haben", stellte sie wider Willen belustigt fest. „Wie er." Er wollte protestieren, doch sie hielt ihm zum Zeichen des Schweigens die Finger auf die Lippen.

„Ich hatte Sie gewarnt, nicht so zu werden wie House. Aber grüßen will ich Sie gern, wenn Ihnen daran liegt. Ich mag Sie, und ich wäre sehr froh, wenn es uns beiden möglich wäre, diese Peinlichkeit zu vergessen, als hätte sie nie stattgefunden."

„Danke", sagte er; ein Stein fiel von seinem Herzen. Bevor sie sich verabschiedete, hielt er sie zurück und tat etwas, das ihn selbst verblüffte. Er bot ihr seine Freundschaft an. Eine ziemlich dreiste Leistung, eigentlich undenkbar. Sämtliche Schranken zwischen ihnen – beruflich und privat – rannte er damit ein. Aber er musste ihr etwas sagen, das sie aufmunterte.

„Dr. Cuddy – wenn Sie einen Freund brauchen ... oder einfach mal mit jemandem einen Kaffee trinken möchten ... wissen Sie, ich bin manchmal auch allein ... trotz Dr. House. Und ich hatte das Gefühl, dass wir uns gut verstanden haben, bis ... und außerdem ... hätte es so nicht ... enden müssen. Ich war hysterisch, das tut mir leid."

Sie lächelte und strich sich eine widerspenstige Strähne zurück. Eingedenk der Zartheit ihrer Lippen hätte er sie am liebsten geküsst. Doch mit Makeup und dem jetzt glatten Haar wirkte sie strenger und alles andere als anlehnungsbedürftig wie vor einer Woche in ihrem Badezimmer. „Sie sind wirklich etwas Besonderes. Lassen Sie sich von House nicht verbiegen."

oOo

Pünktlich um fünf Uhr warf House geräuschvoll den schwarzen Marker mitten im Niederschreiben des neuen Symptoms auf die Ablage der Tafel und schnaubte geringschätzig. Die Akte stopfte er in eine Schublade statt sie auf dem Schreibtisch liegen zu lassen.

Er mochte die Patientin nicht und machte keinen Hehl daraus, weder im Büro noch in ihrem Krankenzimmer. Nach seinem Dafürhalten simulierte sie, weil sie auf herkömmlichem Weg keine Aufmerksamkeit einheimste, was bei einer solch unerzogenen Göre kein Wunder sei.

„Sie ist ein Teenager und sie-..."

Chase konnte sehen, dass es Cameron auf der Zunge lag, ihn auf seine eigenen Unzulänglichkeiten und Ähnlichkeiten mit dem Mädchen hinzuweisen, doch sie verstummte verdutzt, als House sie und Foreman großzügig in den Feierabend schickte.

Ddrrriiiinnnggg ... Stechuhr!"

„Jetzt schon?" Foreman blickte stirnrunzelnd auf die Uhr. „Keine sadistischen Überstunden? Haben Sie ein Date?"

„Könnte man so sagen", erwiderte House und zwinkerte ihm gut gelaunt zu. Foreman wagte einen weiteren Vorstoß in Bezug darauf, Chase' Gewogenheit zu erlangen.

„Hey, Chase. Lust auf einen Drink im Trumped-up? Cameron kommt auch mit."

„Ah-Ah." House schüttelte den Kopf. „Daraus wird nichts. Es sei denn, ein verkrüppelter Knacker ist kein unerfreulicher Anblick oder Ärgernis in Ihrem hippen Club, und ich meine, Gegenteiliges gehört zu haben. Wie Chase mir erzählt, wird man sogar auf Intimpiercings kontrolliert. Wer keines hat, fliegt raus."

„Sie sind überall ein Ärgernis, House", verteidigte Foreman seine Stammkneipe. „Wir nehmen Sie auf keinen Fall mit. Und das mit den Piercings ist Blödsinn."

„Okay. Auf Chase werden Sie dann verzichten müssen. Den habe ich zur Sauftour verpflichtet. Heute Morgen schon."

Mit offenem Mund wandte Chase sich seinem Chef zu. Davon wusste er gar nichts.

Als er die beiden anderen hinausgescheucht hatte, stellte House sich hinter ihn und knetete seine Schultern. Instinktiv zog er sie zusammen, und House lockerte sie schweigend. Nähe, das Gefühl, berührt zu werden, musste er aushalten, auch wenn es jetzt schmerzlich war. Und für House, den er als Einzigen an sich herankommen ließ, nicht viel leichter.

„Was ist Ihr größter, Ihr heimlichster und dringlichster Wunsch außer der, mir an den Hintern fassen zu dürfen?"

Er war sprachlos. Speichel sammelte sich in seinem Mund, den er hinunterschluckte.

„Ist das ein Spiel?"

Die Arme unter seine Achseln klemmend stellte House ihn auf die Füße. Er langte verzweifelt nach dem Schreibtisch, um sich zu setzen und sträubte sich gegen House, indem er mit einem ungehaltenen Laut einknickte.

„Oh kommen Sie!" House zerrte ihn nahezu ungeduldig wieder hoch. „Sie können laufen. Und nein, es ist kein Spiel. Dafür ist mir die Sache zu wichtig. Verraten Sie mir Ihren Herzenswunsch und gehen Sie schon Ihre verdammten Krücken holen."

Sie lehnten am Garderobenständer. Weit war es nicht. Zu bewältigen ohne großen Aufwand.

Ehe er sich in Bewegung setzte, war House bei ihnen und nahm sie an sich. Trotz der Tatsache, dass sie nicht auf seine Größe abgestimmt waren, gelang es ihm, den Raum elegant hüpfend zu durchqueren, bis er mit einem sardonischen Lächeln bei der Küche anhielt und die Krücken an der Spüle deponierte. Chase seufzte. Es war weit.

„Nicht mogeln", ermahnte ihn House. „Drei Schritte weg vom Tisch und dann geradewegs zu mir."

Einen Fuß vor den anderen setzend, als balanciere er auf einer gedanklichen Linie auf dem Teppich, bewegte sich Chase auf ihn zu, die Arme halb ausgestreckt. Motorische Unsicherheiten zeigte er wenig, doch House war von der Langwierigkeit der Therapie desillusioniert.

Die körperliche Anmut seines Zöglings hatte ihn stets über seinen eigenen Gehfehler hinwegsehen lassen. Seit Chase an diesem Handicap laborierte, war er sich ihm stärker bewusst als zuvor. Und irgendwie ärgerte ihn das, obwohl er wusste, dass Chase dem Mädchen aus Wisconsin weit voraus war, deren penibel datierte Fortschritte er mit denen von Chase verglich. Die Kollegen waren so freundlich gewesen, ihm eine Kopie der Anamnese zukommen zu lassen und hielten ihn auf dem Laufenden.

Er musste sich schneller erholen, schneller wieder der alte sein, der hinter ihm wie ein junger Gene Kelly über die Korridore tanzte.

Die letzten Schritte rannte er fast, weil er sich nicht mehr lange auf den Beinen würde halten können. In letzter Minute erreichte er House und landete in seinen Armen. Ihm war schwindelig, er hatte eine Umarmung nicht fokussiert und versteifte sich sofort, um sich zu befreien.

House beruhigte ihn allein mit seiner Gestik, die darin bestand, seine Taille zu umfassen. Vorsichtig, als sei er zerbrechlich.

Eigenartigerweise schlug die Angst plötzlich in Freude um, und er zog sich an House hoch, indem er die Arme jählings um dessen Nacken schlang.

„Whoa whoa whoa ..." Er brummelte beschwichtigend in sein Haar, denn Chase war vor Glück, die Aufgabe bewerkstelligt zu haben, ganz außer sich. „Gut gemacht. Ein bisschen hektisch gegen Ende, aber nicht schlecht. Dafür haben Sie jetzt einen Wunsch frei. Ich habe es versprochen, glaube ich."

Er atmete schwer an House' Jackett. „Ich weiß nicht ... was soll ich mir denn wünschen?"

„Chase. Enttäuschen Sie mich nicht. Sie sind ein kleiner Junge. Sie müssen einen Wunsch haben. Mindestens einen."

„Ich bin glücklich", stammelte er an dem dunklen Stoff, der so gut und aufreizend nach House roch. Er fühlte sich wie berauscht. Bekifft. Trunken vor Glück, eine so weite Strecke ohne Hilfsmittel zurückgelegt zu haben. Und nicht zuletzt von House' Nähe, mit der er belohnt wurde. Er sehnte sich danach und schreckte doch davor zurück. Heute überwog der erste Faktor. So sehr, dass er sich zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit zu etwas hinreißen ließ, was er normalerweise nie herausposaunt hätte. „Wenn ich nur bei Ihnen sein darf."

„Das ist ein Wunsch, der keiner mehr ist. Den habe ich Ihnen längst erfüllt. Haben Sie wirklich nicht mehr auf Lager? Ein Baseballspiel besuchen, Flug zum Mond oder Mars, Lokführer für einen Tag, Bungeejumping, Tandemspringen oder einen Abenteuertrip ins Outback? Der letzte Vorschlag war rein hypothetisch. Aber irgendetwas muss es doch geben, womit ich Ihre Augen zum Leuchten bringen kann."

„Würden Sie das denn machen? Warum? Bin ich krank, habe ich nur noch kurze Zeit zu leben? Hat Dr. Wilson mit Ihnen gesprochen?"

House umspannte das spitze Kinn und hob es an.

„Sie sterben nicht. Ich will nett sein, mehr ist es nicht, und das ist schon relativ viel. Ihren Wunsch sollten Sie sorgfältig erwägen, Sie haben nur einen. Und dabei bedenken, dass es momentan einige Dinge gibt, die außerhalb unserer physischen Fähigkeiten liegen. Über einen Tennisplatz fegen können wir beide nicht. Wenn Ihre Wahl so etwas sein sollte, haben Sie es vergeigt. Der erste Wunsch muss sitzen, sonst geht keiner in Erfüllung, verstanden? Ich bin nicht die Zahnfee."

Fieberhaft überlegte er, während House ihm die Krücken aushändigte. Soviel war geschehen in den letzten Monaten. Meist schlimme Dinge, aber auch schöne, und die ebenso wie die schlimmen hatte er mit House teilen dürfen. Der ihn verstand, ihm helfen wollte, einzig dadurch, dass er für ihn da war, anders als die Jahre zuvor, in denen sie sich distanziert begegnet waren und das Persönlichste, das er von seinem Boss erhalten hatte, ein betont widerwilliges Lob war.

Er hatte keinen Grund, sich zu beklagen und auch keinen, undankbar zu sein. Im Gegenteil. Sein Wunsch hatte sich in der Tat schon mehr als erfüllt.

In House' Augen lag ein drängender, fast bittender Ausdruck. Es war ihm unzweifelhaft wichtig, dass er sich etwas von ihm wünschte. Aber wie immer, wenn ein Traum wahr werden sollte, fiel einem keiner ein. Etwas Profanes durfte es nicht sein; das würde House kränken. Plötzlich hellte sich seine Miene auf.

„Ich will mit Ihnen in die Oper gehen."

House lächelte ihn an. Ein strahlendes Lächeln, voller Achtung und Wärme. Klassische Oper war nicht seine Welt, er hielt es mit Cole Porter und George Gershwin, doch er war zufrieden mit der Entscheidung.

„Fein. Super. Gönnen wir uns ein wenig Kultur."

Sofort schnappte er sich den Telefonhörer und ließ sich mit der Metropolitan Oper verbinden. Chase glaubte, sich verhört zu haben und rüttelte an House' Schulter.

„Metropolitan? Die Met? In New York? Das ist viel zu teuer, House!"

Und zu weit. Er hatte an eine Provinzoper in Trenton gedacht, nicht an so etwas Exklusives, für das sie zudem mehrere Stunden unterwegs wären.

House wimmelte ihn mit einer raschen Drehung des Schultergelenks ab, da sich bereits der Gesprächspartner meldete. Er erkundigte sich nach dem Spielplan für den nächsten Tag und hielt dann den Hörer zu, um sich raunend an Chase zu wenden.

„Guiseppe Verdi. ‚Rigoletto'."

Verblüfft nickte er. Was blieb ihm auch anderes übrig? Von Verdi kannte er nicht viel, vielleicht sollte er das nachholen.

„Reservieren Sie mir zwei Karten auf den Namen House. Logenplatz?" Chase nickte abermals, als er merkte, dass die Frage ihm galt. „Ja, danke."

Nachdem er aufgelegt hatte, schaute er spitzbübisch zu dem Jüngeren hinüber und drehte sich leicht im Stuhl. „Ich freue mich", teilte er ihm mit. „Das wird bestimmt aufregend. Kommen Sie. Wir packen ein paar Sachen und fahren gleich los. Wenn wir das Motorrad nehmen wollen, sollten wir uns auf den Weg machen, ehe es dunkel wird."

Völlig geplättet folgte ihm Chase mit einiger Verzögerung und langen Sätzen aus dem Büro. Spontaneität an House mutete sonderbar an, geradezu bizarr. Ebenso sein Unternehmungsgeist. „Das Motorrad? Und meine Krücken? Die kann ich doch nicht mitnehmen!"

„Werden Sie auch nicht. Ich kaufe Ihnen einen eleganten Spazierstock in Manhattan, falls es nicht ohne Hilfe geht. Aber Sie sollen es probieren. Krücken sind ein Witz. Sie sind dazu konzipiert, die Muskeln zu schonen statt sie zu beanspruchen. Sie brauchen aber Bewegung, nicht nur während der Physio."

„Weiß Dr. Cuddy denn-...?"

„Cuddy weiß alles, Chase. Da ist sie dem Allmächtigen beinahe ebenbürtig. Und was ihr zunächst verborgen bleibt, erfährt sie früher oder später von Jesus Wilson."

oOo

Die Dinge, die sie brauchen, passten in eine Tasche. Toilettenartikel, Wäsche und zwei Anzüge. Von den beiden, die Chase besaß, hatte er sich für den edleren schwarzen entschieden. Der schien ihm dem Anlass gemäßer.

Er konnte es kaum fassen, dass er sich mit House auf den Weg zur Met machte. Übernachten wollte House in einem Hotel, das er von zuhause aus gebucht hatte, bevor sie aufbrachen. Er hatte den Namen nicht gehört, doch es musste ein recht vornehmes sein. Hilton oder Ritz. Hoffentlich würde man ihnen dort den Eintritt nicht verwehren, wenn House in seinem - vorsichtig ausgedrückt - legeren Look das Foyer betrat. Was nicht hieß, dass er selbst vornehmer gekleidet war. Vermutlich hatte er ohnehin falsche Vorstellungen von Luxushotels.

Die Fahrt durch den herbstlichen Sonnenuntergang war herrlich. House wählte die weniger frequentierte Bundesstraße und legte ein geruhsames Tempo vor. Nach einer Stunde rasteten sie auf einem Parkplatz, wo House Chase absteigen und ein paar Schritte gehen ließ. Er selbst tarierte die Honda mit seinen langen Beinen und öffnete eine Flasche Wasser.

„Es tut weh, hm? Sie sind zu lange gesessen."

Keuchend nickte er und bückte sich, um die Schenkel zu massieren. House stieg ab. Das schmerzverzerrte Gesicht erweichte ihn offenbar. Wie selbstverständlich nahm er ihn hoch und trug ihn zum Motorrad zurück. Einen Moment lang drückte er dabei beiläufig sein Gesicht an Chase' Wange. Die Geste löste ein warmes Gefühl in Chase aus. Sie war tröstlich, anerkennend, frei von Begierde. Hätte Chase es nicht besser gewusst, hätte er sie als väterlich bezeichnet. Aber ein Vater wollte House für ihn nicht sein, wenngleich er von ihm, Cameron und Foreman mitunter scherzhaft als seinen „Kindern" sprach.

„Es ist trotzdem schön", sagte Chase, als House ihn auf den Sozius niederließ.

„Dann amüsieren Sie sich?" Er klang bemerkenswert. Ein kaum vernehmbarer Hauch von Angst ließ seine Stimme vibrieren. Es war Unsicherheit. Eine neue Facette an House.

„Das tue ich", bekräftigte Chase. „Es wäre noch schöner, wenn Sie es auch könnten."

Ein Lachen von House entspannte die Situation. Dennoch war er erstaunt, wie genau Chase seine Gefühlswelt auslotete und hoffte, er würde den perplexen Respekt nicht aus seinem Lachen herausfiltern.

„Spätestens an der Hotelbar wird es soweit sein."

„House." Als er im Begriff war, aufzusitzen, fasste Chase beherzt nach seinem Arm. „Irgendetwas bedrückt Sie. Ist das, was Sie hier veranstalten, eine Flucht? Mir kommt es so vor, wissen Sie."

Er zog sich den Helm über und erwiderte nichts darauf. Der eloquente, sarkastische House einmal ohne eine Antwort, die doch eine war. Auch das kam selten vor.