Kapitel 9: Weiterziehen
„Ich bin ein Vagabund. Ich gehe wieder auf die Wanderschaft."
Himura Kenshin, RK Episode 31, untertitelt
Kenshin stand auf einem Feld, dass ihm irgendwie bekannt vorkam. Es war leer bis auf einige junge Pflanzen, deren Blätter sich leicht bewegten, obwohl Kenshin keinen Wind spüren konnte. Er beobachtete sie neugierig und versuchte herauszufinden, warum sie sich bewegten, wenn seine Kleidung und sein Haar unberührt blieb. Plötzlich spürte er eine Gegenwart neben sich und drehte sich um, nicht im geringsten überrascht, Tomoe dort stehen zu sehen. Sie war immer bei ihm. Egal wohin er ging oder was er tat, er konnte sie neben sich spüren, als wäre sie nicht gestorben. Sie sah ihn an und lächelte das sanfte Lächeln, dass er während ihres kurzen gemeinsamen Lebens kennen gelernt hatte. Er erwiderte ihr Lächeln und nahm sie in die Arme. Er roch ihr Parfüm aus weißen Pflaumenblüten und versuchte, sich selbst darin zu verlieren, um das letzte Blut aus seinen Sinnen zu vertreiben. Er schloss die Augen, zog sie näher an sich und flüsterte ihren Namen. Seine Augen waren voll von Tränen und er ließ ihre Gegenwart ihn umspülen, wie stets reinigend und heilend für seine zerrissene Seele.
„Arigato, Koishii," flüsterte er, als er die Augen wieder öffnete und sie ansah. „Bin ich tot?"
„Nein, die Wunden, die zu erhalten hast, sind nicht tödlich." Sie blickte ihn besorgt an. „Du hast sehr großes Glück gehabt, anata."
Kenshin ließ den Kopf hängen, sein Haar verbarg den Schmerz in seinen Augen, bevor er ihr wieder in die Augen sah.
„Aber ich habe es nicht geschafft, ihn zu kontrollieren... ich habe versagt und bin immer noch eine Gefahr für andere. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn ich..."
Tomoes Augen weiteten sich und warf Kenshin einen ernsten Blick zu. „Nein, du musst leben. Du hast eine Pflicht diesem Land und seinen Menschen gegenüber. Du kannst das nicht wegwerfen. Battosai ist ein Teil von dir, der nie wirklich geändert werden kann, weil du zu viele Jahre hinter der Maske des Hitokiri verbracht hast. Das ist etwas, dass nicht über Nacht geändert werden kann, oder auch in einem Jahr. Dennoch, du bist mehr als nur Battosai."
„Aber ich will nicht wieder so werden. Ich will nicht, dass dieser Teil von mir existiert und will nie wieder zu diesem Wahnsinn zurück." Tränen brannten ihren Weg seine Wangen hinab und fingen sich in der Narbe auf seiner linken Wange. „Ich will eine Chance, jemand anders zu werden... mein wahres Herz zu finden. Ich will ein neues Leben ohne Reue und eins, das nicht von der Vergangenheit überschattet wird. Ich wollte diese neue Ära mit dir teilen, Tomoe."
Tomoe lächelte traurig und wischte die Tränen aus seinen Augen und von seinem Gesicht. „Ich weiß, aber es hat nicht sollen sein. Wir waren nur dazu bestimmt, einander vor uns selbst retten, nicht mehr. Du musst nach vorne blicken."
Er senkte den Blick und schüttelte den Kopf, sagte aber nichts mehr. Er hörte, wie sie sich vor ihm hinkniete und sah ihre dunklen Augen, die tief in seine blickten.
„Du bist anders als der Mann, den ich einst kannte. Damals, in Kioto, warst du kalt und hattest scheinbar keine menschlichen Gefühle mehr außer Wut. Aber in Otsu bist du in meinen Augen hochherzig geworden und du hast nie aufgehört, dich um mich zu sorgen. Du willst für alles büßen und trägst die Last der Welt auf deinen Schultern, weil du fühlst, dass du es verdienst. Du kannst nicht für immer so leben. Die Vergangenheit ist was sie ist und kann nicht geändert werden, egal wie sehr wir es uns wünschen. Du willst alles richtig machen, aber dafür musst du anfangen dir selbst zu vergeben."
„Ich kann nicht, noch nicht. Nicht, bis ich für meine Vergehen gegen dich und andere gebüßt habe. Nicht, bis ich den Mörder in mir kontrollieren kann."
Tomoe schüttelte den Kopf. „Hör mir zu. Du wirst gute Tage haben, an denen Battosai in dir verborgen bleibt, und schlechte, an denen er wegen einer Bedrohung auftaucht, aber solange du wieder zu dir selbst zurückkehrst, bist du immer noch der Rurouni. Im Moment scheinen die schlechten Tage zu überwiegen, aber ich kann dir versprechen, dass eines Tages das Gegenteil der Fall sein wird. Eines Tages wird diese freundliche „Maske" die du jetzt trägt natürlicher sein als es die Maske des Hitokiri, die du während der Bakumatsu tragen musstest, je war. Diese ‚Maske' ist dein wahres Selbst."
„Wenn ich wüsste, dass all das die Mühe wert ist und dass es eine Chance für mich gibt, Frieden zu finden, wäre es leichter.", sagte er mit einem Anflug von Bitterkeit in der Stimme als er sie wieder ansah
„Ich kann es nicht mit Sicherheit sagen, aber ich weiß, dass du, wenn du weiter mit ganzem Willen kämpfst, eines Tages Frieden finden kannst."
Kenshin half ihr auf die Beine und lächelte sie an, immer noch Tränen in den Augen. Sie legte ihre Hand auf seine linke Wange und lächelte erneut, als sie langsam zu verblassen begann.
„Ich werde versuchen, Frieden zu finden, Tomoe. Ich verspreche es."
„Ich liebe dich, anata." Ihre Stimme verhallte.
„Ich liebe dich auch, Tomoe." Er spürte, wie er langsam aufwachte und hörte Toshihiros Stimme, die drängend seinen Namen rief.
*
Kenshin ging langsam zu dem Fenster seines Zimmers im Haus der Asukaras und öffnete es. Sein Körper war in Bandagen gehüllt und seine verheilenden Wunden zogen schmerzhaft bei der Bewegung, aber er wollte das Sonnenlicht sehen und die frische Luft atmen. Vorsichtig setzte er sich auf die Fensterbank, lehnte sich gegen den Rahmen und schloss die Augen. Er zuckte leicht zusammen, als ein scharfer Schmerz durch die Wunde an seiner Seite schoss, ignorierte aber den Drang die Verletzung zu untersuchen. Der Wind zupfte an seinem Haar und seiner Kleidung. Kenshin öffnete die Augen und sah, wie der Wind sich durch den Garten bewegte und das Sonnenlicht auf dem Wasser des kleinen Teiches tanzen ließ.
Er fühlte sich ruhelos und wollte so schnell wie möglich weiterziehen, bevor irgendeine neue Bedrohung entstand oder irgendein alter Feind aus der Vergangenheit auftauchte. Aber Toshihiro hatte ihm gesagt, dass es mehrere Monate dauern würde bis er wieder reisen konnte. Kenshin seufzte und beobachtete einen Vogel, der auf dem Pfad vor ihm herumhüpfte, bevor er von etwas, das nur er sah, aufgeschreckt wurde und aufflatterte. Er versuchte über die Possen des Vogels zu lächeln, der jetzt die ‚Bedrohung", die sich als große gestreifte Katze entpuppte, aus voller Kehle anschrie, aber er konnte es nicht. Niedergeschlagenheit hatte sich wie eine dunkle Wolke über ihn gelegt, seit er in diesem Raum erwacht war um zu merken, dass er noch lebte.
Zuerst hatte er versucht, nicht bei diesen Gefühlen von Trauer und Reue zu verweilen, weil er von dem Schmerz seiner Wunden und dem abklingenden Fieber noch zu erschöpft war um sich damit zu beschäftigen. Aber nun, da alles vorbei war, bemerkte er, dass Dinge, die ihn früher erfreut und entspannt hatten, dies nicht mehr konnten. Er hatte Toshihiro nichts gesagt, weil er fürchtete, dass der Arzt ihm befehlen würde länger zu bleiben. Er wusste, dass es falsch war, diese Sache vor seinem Freund zu verbergen, aber es war einfach zu persönlich als dass er es mit jemandem diskutieren würde, den er kaum kannte. So verbarg er seine Niedergeschlagenheit hinter der gutgelaunten und glücklichen Maske des Vagabunden.
Innerlich aber war er alles andere als heiter. Er war besorgt und ängstlich. Battosai schlief wieder in ihm und verhielt sich seit dem Kampf mit Akusura ruhig, aber wie lange würde diese Ruhe währen? Der Blutdurst und die mörderische Wut des Hitokiri begleiteten ihn immer noch und würden auch immer bei ihm sein, wie eine tickende Zeitbombe. Wer wusste, was ihn das nächste Mal provozieren würde? Wer wusste, wann die Bombe wieder explodieren würde?
„Was, wenn ich ihn das nächste Mal nicht aufhalten kann? Was, wenn ich jemanden verletze oder töte? Wie kann ich einen Teil meiner selbst bekämpfen?" dachte er, während er beobachtete, wie sich immer mehr Vögel aus dem Flug auf die Katze stürzten, die rasch davon schlich.
Er wusste, dass sich Battosai wieder mit ganzer Wut nach vorne stürzen würde, wenn eine neue Bedrohung erschien, ganz gleich ob sie real oder spürbar war, genauso wie er es vor kurzem getan hatte. Würde er den Zorn zurückhalten können oder war es von Anfang an hoffnungslos?
Er saß für den Rest des Tages auf der Fensterbank, tief in Gedanken daran, dass er fast alles weggeworfen und wieder getötet hatte. Er entschied sich nicht zu sehen, dass er sich auch davon abgehalten hatte, das zu tun.
*
Drei Monate waren seit jener Nacht in der Gasse vergangen. Die Luft war warm und trug den Geruch von Leben und Hoffnung, aber Kenshin konnte keine Hoffnung fühlen, wenn ihm alles genommen worden war, für das er im vergangenen Jahr so hart gearbeitet hatte. Eine Brise wehte durch das Tal, ließ den Bambus leise rascheln und Kenshins Haar und Kleidung um seine schlanke Gestalt flattern. Er konnte die warme Sonne auf seinem Rücken spüren, als er dem Pfad folgte, der vom Dorf wegführte.
Er hatte den Hirayoshi-Hof am frühen Morgen verlassen, um ihn so weit wie möglich hinter sich zu bringen, weil er die Familie, die ihn in den letzten Monaten beherbergt hatte, nicht noch weiter gefährden wollte. Sie hatten ihm für seine Hilfe gedankt und ihm für seine Reise neue Kleidung und Essen mitgegeben. Er hatte sich höflich bedankt bevor er weiterzog. Aber auf dem Weg aus dem Dorf hatte er der Versuchung nicht wiederstehen können, noch mal mit Toshihiro zu sprechen, bevor er die Gegend für immer verließ. Toshihiro war gut gelaunt wie immer und hatte ihm gedankt, dass die Klinik florierte, weil er es geschafft hatte, Kenshins beinahe tödliches Fieber zu heilen. Der Bürgermeister des Dorfes, ein reizbarer älterer Herr mit Namen Shitomori Takara, hatte, ebenso wie Hideki, versucht, Kenshin für die Gefangennahme des verbrecherischen Hitokiri zu belohnen, aber Kenshin hatte bescheiden abgelehnt. Er fühlte, dass er solche Ehren nicht verdiente.
Auf der Höhe des Hügels hielt er inne und sah mit einem Lächeln auf das ruhige Dorf unter sich hinab. Er hatte viel über sich erfahren, dass er niemals vergessen würde, und ein Großteil davon machte ihn nicht glücklich. Die Zeit, weiterzuziehen, war gekommen. Er konnte es sich nicht leisten, zu lange an einem Ort zu bleiben. Es gab immer noch jene, die ihn jagten. Und deswegen wusste er, dass er immer weiterziehen musste, wenn er seinen Feinden stets eine Nasenlänge voraus sein wollte.
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Glossary:
Anata: japanisch, bedeutet eigentlich „du", von eine Ehefrau an ihren Mann gerichtet heißt es aber soviel wie „Geliebter"
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Isch habe fertisch! Es ist also vollbracht, die Story ist zuende. Es hat Spaß gemacht, sie zu übersetzen, und ich hoffe, euch hat es Spaß gemacht sie zu lesen. Ich werde demnächst auf vielleicht *schleichwerb* noch eine Kenshin-Fanfiction übersetzen, sofern die Autoren es mir erlauben. Würde mich riesig freuen, wenn ihr dann auch lesen würdet, was ich übersetze- ihr wisst ja, Übersetzer und Autoren leben von Brot, Luft und Feedback ^^
Ja ne, Lexa
