Acht

Kapitel 6

Sein lieblicher Haarschopf


Draco machte sich auf den Weg zum WC, das sich neben dem Gemeinschaftsschlafsaal befand, und war noch immer groggy wegen seines ruhelosen Schlafs. Jedes Mal, wenn er sich dachte, dass er nun gleich einschlafen würde, hatte er eines der anderen Betten knarzen gehört. Obwohl er, Weasley und Potter nicht so viel miteinander gesprochen hatten, wie vielleicht möglich gewesen wäre, war er dennoch auf der Hut, weil einer von ihnen – nämlich das Wiesel – vielleicht einen Racheplan aushecken konnte, während er schlief. Er war der Letzte, der aufstand, und die anderen waren bereits zum Frühstück gegangen.

Er stieg in die Dusche und verzog das Gesicht bei den braungekringelten, schwarzgelockten und grellroten Haaren, die sich im Abfluss verfangen hatten. Sollten die Hauselfen hier nicht sauber machen? Er richtete einen Reinigungszauber auf die Dusche, bevor er hinaustrat.

Nachdem er sich angezogen, sein Haar mit dem Handtuch getrocknet und es gekämmt hatte, öffnete er den Schrank über dem Waschbecken. Seine Hand schwebte eine Weile lang über all den Gegenständen da. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen.

Von all diesen tiefen, idiotischen Dingen, die man tun konnte. Dieses widerwärtige Wiesel hatte sein Haargel konfisziert.

Sein lieblicher Haarschopf musste heute wohl au naturale den Schlafsaal verlassen. Er trocknete es vorsichtig ein wenig gründlicher und kämmte es etwas weniger streng nach hinten. Murrend ging er los in Richtung der großen Halle.


Hermione hatte gerade ihr Glas mit Kürbissaft an die Lippen gehoben, als Ron plötzlich in hysterisches Gelächter ausbrach, und es resultierte darin, dass sie sich verschluckte und husten musste. Der Saft brannte in ihrer Kehle und ihre Augen tränten. Er hörte sofort zu lachen und klopfte ihr auf den Rücken. "Bist du okay?", fragte er. Sie nickte, obwohl sie immer noch ein Kratzen in ihrem Hals verspürte.

"Was ist so lustig?", fragte Harry. Er füllte einen Kelch mit Wasser und stellte ihn vor Hermione.

Ron gluckste und seine Hand hielt mit dem Klopfen inne. Er hob sie, wandte sie nach links und nach rechts wie ein Zauberkünstler, der gleich einen Trick vorführte, und dann griff er in seine Tasche, um eine durchsichtige Tube aus Plastik herauszuholen. "Das habe ich heute Morgen aus dem Kästchen über dem Waschbecken mitgehen lassen", erklärte er. Er warf sie über den Tisch zu Harry, der sie mühelos auffing.

"Haargel?", fragte er.

"Haargel", stimmte Ron zu. "Noch dazu von diesem schnöseligen Laden in der Winkelgasse. Das hat dem Trottel wahrscheinlich eine Galleone gekostet oder so."

Harry lehnte sich vor und versuchte, sein Gelächter zu unterdrücken. "Du hast Malfoys Haargel gestohlen?" Er drehte sich um und warf einen verstohlenen Blick auf den Slytherin Tisch, und Rons und Hermines Blicke folgten seinem Beispiel.

Und ja, dort saß Malfoy zwei Plätze von der jüngeren Greengrass entfernt und sein Haar trocknete auf natürliche Weise. Dadurch sah er anders aus, wie Hermione bemerkte. Sie setzte das damit gleich, wie wenn sie Harry ohne seine Brille sah. Es war, als würde sie einen ganz anderen Menschen sehen, Malfoys Bruder vielleicht. Ohne dass sein Haar in ernsten Strähnen nach hinten gegelt war, sah sein Kinn ein bisschen weniger spitz aus, als hätte sein Haar dies über all die Jahre betont.

Sie musste ein wenig schlucken. Er sah ... gut aus. Eine leichte Welle lag in seinem Haar, wodurch es sich sanft um seine Ohren und in seinem Nacken kräuselte.

"Der Trottel sieht aus, als hätte man ihn von seinem Thron heruntergeholt, oder?", fragte Ron grinsend. "Schritt für Schritt wird aus dem Prinzen ein Bettler."

Harry schnaubte und beugte sich dann vor, um die Tube Haargel genauer zu untersuchen. "Wenn meine Tante Petunia gewusst hätte, dass es so etwas gibt, dann wette ich, hätte sie mir die ganze Tube auf den Kopf gedrückt." Er strich sich über sein eigenes wirres Haar, das seine Narbe nur zum Teil versteckte.

"Tja, ich werde es ihm nicht so bald zurückgeben. Warum versuchst du es nicht?", schlug Ron vor und widmete sich wieder seinem Haferbrei.

Harry runzelte die Stirn. "Nö. Ist schon gut." Er gab Ron die Tube zurück. "Ich glaube, ich halte mich da lieber raus. Wo wir schon dabei sind, entferne doch bitte meine Fingerabdrücke, ja?"

Ron sah verwirrt aus. "Fingerabdrücke?"

Hermione verdrehte übertrieben die Augen. "Ich erkläre es dir später. Für jetzt glaube ich, solltest du das Gel erstmal mir überlassen."

"Warum?"

"Darum", sagte sie, setzte sich gerade hin und verfiel in ihre beste Vortragsstimme. "Ich glaube, du benimmst dich wie ein Trottel. Malfoy hat dich nicht provoziert, und er ist jetzt gerade verletzbar."

Ron schnaubte. "Verletzbar? Hermione, das ist bloß Haargel. Es wird ihm nicht gerade weh tun, eine Weile lang ohne rumzulaufen."

"Und wie würdest du dich fühlen, Ron, wenn dein Vater gerade verurteilt wurde, um den Kuss zu bekommen, du deine Magie nur im Unterricht verwenden dürftest, du keine Freunde hättest und sich dann jemand herumdreht und dir deine Haarpflegeprodukte klaut?"

"Er hat doch Freunde!"

Hermione sah ihn skeptisch an. "Bist du dir da sicher?" Sie, Ron und Harry sahen alle wieder zum Slytherin Tisch, wo Malfoy aß und mit allen in seiner Nähe den Blickkontakt mied.

"Okay", willigte Ron ein. "Vielleicht verstehe ich ein wenig, was du meinst. Aber dennoch, ich werde es ihm nicht zurückgeben!"

"Ich weiß, dass du es nicht zurückgibst. Deswegen werde ich es ihm für dich zurückgeben." Sie streckte ihre Hand aus, und nach einem kurzen Willenskrieg gab Ron schließlich auf und händigte es ihr aus.


Astoria Greengrass starrte ihn an, und er war sich nicht ganz sicher, was er davon halten sollte. Es hatte vor einer Weile begonnen, als er seine Eier aß, dann weiter, während er seinen Kaffee trank, und auch dann, als er seinen Mund abgewischt, sich umgedreht und seine rechte Augenbraue so hoch wie möglich gezogen hatte. "Hat dir jemand die Augen verhext, Arsch-toria?", fragte er.

Ihre Oberlippe kräuselte sich. "Ist heute etwas anders mit deinem Haar?", fragte sie. Ihr Tonfall war alles, nur nicht unschuldig.

"Ich konnte mein Haargel nicht finden."

"Hmm", bemerkte sie. "Mir gefällt es." Und damit warf sie sich das Haar über die Schulter und drehte sich nach rechts. Das Mädchen neben ihr kicherte.

Draco runzelte ein wenig die Stirn. Wenn das Flirten sein sollte, musste sie noch an ihrer Technik arbeiten. Sie sah nicht schlecht aus – sie hatte weizenfarbenes Haar und eine sanft gerundete Figur. Sie war aber ein wenig jung. Wenn er sich heuer ein Mädchen angeln wollte, würde er wahrscheinlich eine Siebtklässlerin wählen, es sei denn, Padma Patil reizte ihn plötzlich.

Er kannte Astoria nicht sehr gut. Er war im selben Jahr gewesen wie ihre Schwester Daphne – Daffodill oder Daphne-Down-Dilly Greengrass, wie er sie immer bezeichnet hatte – aber er hatte sich sonst nie großartig eine Meinung über sie gebildet, außer dass sie sehr gut darin war, Pansy auf Abruf zur Verfügung zu stehen, so wie eine hübschere Version von Goyle.

Oder Crabbe.

Plötzlich kam ihm das Frühstück nicht mehr so appetitlich vor, die Sahne seines Kaffees verklumpte sich in seinem Bauch.

Vincent Crabbes Tod war ein Schock für Draco gewesen, um es milde auszudrücken. Er hatte seinen Freund noch nie so ... zuversichtlich gesehen. Er hatte Dracos Anweisungen missachtet, ihn wie einen Feigling behandelt, komplett waghalsig gehandelt, mit unverzeihlichen Flüchen herumgeworfen, als würde es sich um Süßigkeiten handeln. Und dann, im Zuge eines Unfalls, der von Crabbe selbst herbeigeführt wurde, war der Dummkopf gestorben.

Aber was ihn wirklich daran störte, etwa eine Woche, nachdem es passiert war, war, dass es ihn eigentlich nicht störte, dass Crabbe gestorben war. Zuerst hatte er an ihre lächerliche Freundschaft gedacht, das jahrelange Bodyguarding – wenn das denn ein Wort war – der Junge, dem er beim Aufwachsen zugesehen hatte in dem feuchten Schlafsaal, den sie sich sechs Jahre lang geteilt hatten. Er hatte sogar an das eine Mal im zweiten Jahr gedacht, als Crabbes Haare plötzlich unerklärlicherweise rot gefärbt hatten.

Aber nach dieser einen Woche hatte er etwas äußerst Wichtiges gemerkt. Er war nicht wirklich mit dem anderen Jungen befreundet gewesen. Sie waren nie so dicke Freunde gewesen. Und so, wie Crabbe sich im letzten Kampf benommen hatte, war es, als würde er einem völlig Fremden zusehen und nicht einem seiner sogenannten besten Freunde.

Eine Welle der Panik überrollte ihn, als er merkte, wie allein gelassen er dieses Jahr wirklich war. Er hatte keine Freunde. Nicht wirklich. Die anderen Slytherins ignorierten ihn zum größten Teil, als würden sie ihm die Schuld für den Ausgang des Endkampfes geben. Sie wussten anscheinend, dass seine Herrschaft zu Ende war. Er war von seinem hohen Ross geworfen worden, wie das Sprichwort besagte, und nun stand er mit allen anderen auf der schmutzigen Erde.

Bislang hatte er die längste Unterhaltung, seit er seine Mutter vorgestern verlassen hatte, mit Hermione Granger geführt – der Schmutzigsten von allen.

Der Gedanke an sie sorgte dafür, dass er nach vorne zum Lehrertisch blickte, wo Professor Trelawney etwas Brandy in ihren morgendlichen Kaffee schüttete und Professor McGonagall sie streng beobachtete, als würde sie gleich eingreifen wollen.

Diese Frau war mit Sicherheit eine absolute Betrügerin. Sie hatte kaum überzeugt geklungen, als sie ihre Prophezeiung gemacht hatte. Er hatte einmal eine echte Prophezeiung gehört. Seine Großmutter Malfoy hatte vorhergesagt, dass eine Muggelkrise in Zusammenhang mit dem Jahr 2000 entstehen würde. Aber da heuer erst 1998 war, musste er erst noch herausfinden, welche Krise das denn sein würde.

Wie beiläufig wanderte sein Blick weiter zum Gryffindor Tisch, wo das Objekt dieser falschen Prophezeiung gerade ihren Toast mit Butter bestrich. Neben ihr war Weasley wegen irgendetwas aufgebracht.


Hermione nahm wie üblich ihren Platz ganz vorne in der Arithmantik Klasse ein. Sie nahm ihre Bücher, ihre Schreibfeder und Tinte heraus und begann dann Gullivers Reisen zu lesen, während sie wartete. Die Insel Lilliput wurde beschrieben, als sich die Tür zum Klassenzimmer öffnete. Sie sah hoch und war nicht recht überrascht, zu sehen, dass es ihr neuer Partner des Faches Trauerbewältigung, Häusereinigkeit und Toleranz war. Hannah hatte vorgeschlagen, dass sie es mit THT abkürzen sollten, aber Hermione war noch unentschlossen.

Malfoy sah sie kurz an, ehe er zu einem der Plätze ganz hinten ging.

Hermione räusperte sich. "Äh, Malfoy?", fragte sie.

Er drehte sich um. "Was ist denn nun?" Hermione kramte in ihrer Büchertasche herum, zog die Tube Haargel heraus und zeigte sie ihm, bevor sie sie leicht in seine Richtung warf. Der Wurf ging komplett daneben, aber es gelang ihm trotzdem, sie aufzufangen.

"Ich dachte, dass hättest du vielleicht gern wieder", sagte sie einfach. Sie drehte sich um und wandte sich wieder ihrem Buch zu. Etwa zwei Minuten war es komplett ruhig.

"Das war's dann?", fragte er. "Du gibst es mir einfach zurück? Keine Erklärung? Keine Entschuldigung im Namen deines kleptomanischen Freundes? Nicht einmal ein mitleidiger Blick?"

Sie drehte sich um, um ihn anzusehen. "Ich schulde dir gar nichts. Ich hab dir dein dummes Haarpflegeprodukt zurückgegeben, also solltest du vielleicht dankbar sein."

"Oh, ja. Vielen herzlichen Dank, Granger. Die Rückgabe einer halbvollen Tube Haargel löst alle Probleme dieser Welt. Ich stehe für immer in deiner Schuld."

"Tja, dann bin ich froh, dass wir das jetzt geklärt haben." Sie verfielen wieder in eine angespannte Stille, als sie darauf warteten, dass der Unterricht begann.

Professor Vector begann den Unterricht so wie immer, indem sie eine Tabelle voller Zahlen an die Tafel schrieb, ihnen ein paar Minuten Zeit ließ, um daran zu arbeiten, und dann fragte, ob jemand die Antwort kannte. Hermione hatte ihre Berechnung gerade abgeschlossen und wollte schon die Hand heben, als Vector etwas sagte, das der Grund war, warum Hermione vor Schock ihre Feder fallen ließ. "Ja, Mr. Malfoy?"

Hermione wirbelte auf ihrem Platz herum. Sie war noch nie die Zweitschnellste gewesen, wenn es um eine Zahlentabelle ging. Noch nie! "Die Eigenschaft der Zahl fünf in Relation zum System der Elemente ist gleich der Menge an Magie, die in einer x-beliebigen Menge getrockneter Fledermausflügel enthalten ist."

Hermione sah wütend hinab auf ihr Pergament. Um Merlins Willen, er hatte Recht!

"Sehr gut, Mr. Malfoy! Zehn Punkte für Slytherin. Nun, bitte schlagen Sie alle Ihre Bücher auf Seite 327 auf ..."

Hermione passte nur halbherzig auf, als sie ihre Ausgabe von Zahlen und ihre Eigenschaften: Arithmantik für Fortgeschrittene aufschlug. Das war nicht das Ende der Welt. Sie hatte die Antwort ebenfalls ausgerechnet. Aber jemand war schneller gewesen als sie, und dieser jemand musste ausgerechnet Malfoy heißen. Normalerweise antwortete er in Arithmantik nur, wenn Vector ihn im Speziellen fragte, und auch dann fehlte ihm meistens aufgrund von schierer Faulheit ein kleiner Teil der Lösung.

Die neun anderen Mitschüler in diesem Fach machten sich eilig Notizen, der aus Hufflepuff schrieb ganz aggressiv und sah irgendwie verrückt aus.

Hermione überkam das Bedürfnis, nachzusehen, ob Malfoy ebenso fleißig war, aber sie zwang dieses Bedürfnis zurück und konzentrierte sich stattdessen auf Professor Vectors Diagramm.

"Entschuldigen Sie, Professor?"

Vector hielt mitten im Satz inne und sah an Hermione vorbei. "Ja?"

"Laut Buch sollte das X neben der zwei stehen, nicht neben der vier."

Vector sah genauso überrascht aus, wie Hermione sich fühlte. "Oh ja, das stimmt. Weitere fünf Punkte für Slytherin." Als die Lehrerin das weglöschte undneu schrieb, wagte Hermione einen raschen Blick über ihre Schulter. Malfoy sah von seiner Mitschrift hoch, die schon unglaublich ausführlich aussah, und er schenkte ihr sein selbstgefälligstes Grinsen und hob seine linke Augenbraue hoch.

Sie war sich nicht ganz sicher, was sie von dieser neuen Entwicklung halten sollte, aber als Vector das nächste Mal eine Frage stellte, hatte sie ihre Hand so schnell in die Luft gehoben, dass es in ihrem Ellenbogen knackte.

"Ja, Miss Granger?" Die Frau sah erschrocken aus und Hermione ratterte die Antwort in einem Atemzug herunter, wofür sie fünf Punkte für Gryffindor bekam.

Bis zum Ende der Stunde war Hermione wahrlich zerfetzt. Sie steckte ihre Bücher benebelt weg, das Haar hing ihr ins Gesicht. Malfoy ging auf dem Weg hinaus an ihrem Tisch vorbei und blieb neben ihr stehen. "Du solltest vorsichtig sein, Granger. Du kriegst noch das Peitschenschlagsyndrom, wenn du deine Hand so schnell hochhebst. Und du solltest dir deinen Ellenbogen ansehen lassen – der knackt ziemlich laut.

Sie antwortete nicht. Alles, das sie wusste, war, dass sie von nun an auf der Hut sein musste. Das Lernen hatte Priorität. Draco Malfoy zu schlagen war ihr persönliches Vorrecht.