Ein letztes Mal sende ich allen Lesern ein herzliches Hallo. Letztes Mal? Richtig, denn dies ist das abschließende Kapitel auf dem Weg der Winchesters zur Hölle ;)
Ich hoffe, ihr hattet genau so viel Spaß beim Lesen, wie ich beim Schreiben, auch wenn es zeittechnisch oft Probleme gab, was zwangsläufig auch das Schreibwerkeln etwas Kapitel gibt es schon eine Weile und bevor es noch verloren geht, dachte ich mir; ab damit ;)
Es war mir eine Freude für euch diese kleine Geschichte zu basteln, deren Ende für einige nicht ganz wie erwarte sein dürfte *g*
Ein dickes Dankeschön auch an die wunderbare Mystery, die mir mit Rat, Tat und ihrem kritischen Auge zur Seite stand. Danke, Sonnenschein :D
Und auch hier ein noch einmal die WARNUNG: R 18 / Rating M
Danke euch allen … Lia :)
Highway to hell
Kapitel 10
~sss~
Seine Hand presste ihren Kopf unnachgiebig nach vorne, immer weiter gegen ihn.
Die Luft in ihrem Hals wurde zu zähflüssig zum Atmen, als er so nahe war, dass er jeden Luftzug aus ihrer Lunge zu seinem eigenen machte. Zurück kam nur leblose Kälte, die über ihre Haut kratze wie rostiger Stahl.
Der erste Kontakt seiner Lippen war Schock. Der zweite Abscheu.
Er schmeckte bitter und das Aroma seines ätzenden Speichels brannte wie Säure auf ihren Schleimhäuten. Er schmeckte nach Verwesung, nach Tod.
Sie wollte den Kopf zurückreißen, sich wehren, doch er hielt sie gefangen; die Hand fest auf ihrem Schädel. Sein Wille fesselte sie und machte ihren Körper zu einer starren Säule.
Eine suchende Zunge glitt langsam über ihre Haut, kostete sie und wanderte weiter. Als seine Zähne ihr Fleisch durchbissen saugte er den leisen Schmerzenslaut aus ihrer Kehle.
Er lächelte. Das konnte sie fühlen. Dann biss er weiter zu und … schluckte.
Himmel.
Lindsey spürte die erneute Bewegung seines Kehlkopfes, spürte den Druck seiner Umklammerung. Ihr Blut sickerte warm zwischen ihren Lippen hindurch und lief als dünnes Rinnsal aus dem Mundwinkel.
Seine Stimme war in ihrem Kopf – so sanft, so behutsam flüsterte er zu ihr, beinahe wie ein Liebhaber.
Sein Daumen streichelte durch ihr Haar, liebkoste sie.
Und sie wollte sterben. Aber eine flatternde Bewegung unter ihrem Herzen hielt sie fest. Sie klammerte sich daran, spürte, wie das andere Leben in ihrem runden Bauch der Kälte und dem Eindringling trotzte.
Sie hatte zwei Herzen in ihrer Brust – bedeutend mehr als das Monster vor ihr. Als hätte das kleine Wesen ihre Sorgen gespürt, trat ein kleiner Fuß protestierend durch die schützende Gewebeschicht und gegen den Fremdkörper davor.
Lindsey hätte gelächelt, wenn sie gekonnt hätte.
Ein kleiner Kämpfer … ganz der Vater.
Feuchtigkeit lief ihr über die Wange, als sie an den Mann dachte, der auf dem Boden nur ein kleines Stück entfernt kauerte.
Sie hätte ihn beinahe nicht erkannt, so zerschunden war er; abgemagert und bedeckt mit einer dicken Schicht Blut und Schmutz. Nur seine Augen waren noch dieselben, als sie ungläubig über ihre Erscheinung gewandert waren; weit vor Entsetzen und einer Furcht, die ihr den Atem nahm.
Der andere musste sein Bruder sein.
Aber dann zerriss jeder Gedanke mit einem Ruck, als ihr Kopf unnachgiebig nach hinten gezerrt wurde.
Die Faust, in ihren langen Locken vergraben, bebte vor unterdrücktem Zorn und der Blick, der sie jetzt durchbohrte war schwärzer als jeder Abgrund ihrer schlimmsten Alpträume.
Dieser Mann war das pure Böse, um das zu wissen, musste man kein Genie sein.
Seine andere Hand fuhr langsam über ihre Schulter, der Kontur ihrer Brust nach und legte sich auf ihren stark gewölbten Bauch.
Panik schoss durch ihre Adern, als sie den tödlichen Druck spürte.
Doch er grinste nur, streichelte die winzige, wütende Wölbung, die aus der großen hervortrat und drehte sich zur Seite, um den Blick freizugeben.
„Findest du nicht, du bist ein bisschen unhöflich zu deiner Bekannten? Willst du nicht Hallo sagen?"
Aber Sam schnaufte nur, aller Worte vor Entsetzen beraubt. Noch immer neben seinem Bruder kauernd, stemmte er sich weiter hoch und bezwang mit eisernem Willen jeden Funken Schwäche.
„Lass sie gehen-… bitte." Sam war zu allem bereit. Das letzte Wort klang zu sehr nach einem Betteln, aber es war egal. Mit ihrem Erscheinen war er bei dieser Schachpartie so gut wie Matt gesetzt. In der Falle. Am Ende.
Sams Augen huschten für den Bruchteil einer Sekunde von seinem Gegner zu ihr. Als er an ihrem Gesicht hängen blieb, hielten ihre Augen ihn fest. Nur unterbewusst nahm er all das Blut wahr und die Tränen, die sich einen Weg über ihre Wangen gebahnt hatten. Für einen winzigen Augenblick gab es nur sie zwei und stumme Fragen hingen in der leichenverseuchten Luft.
Ihr Blick war wie damals in der Bar, als er seinen Freunden in die Arme geraten war. Darin spiegelte sich Entsetzen, Angst und Unglaube. Genau wie jetzt. Aber da war noch etwas anderes. Eine Kraft, die alles zu zermalmen drohte, was das ungeborene Leben in ihr bedrohte.
Wut.
Entschlossenheit.
Sam sah, wie die fremde Hand auf ihrem Bauch zuckte und fester zudrückte. Automatisch neigte er sich weiter vor, fühlte, wie sein Blut zu kochen begann und Hass strömte anstelle von Adrenalin durch seine Adern.
Luzifer lächelte und seine Finger lösten sich.
In Sams Lungen strömte wieder Luft. Seltsam, er hatte gar nicht mitbekommen, dass er sie angehalten hatte. Anspannung verhärtete seine Muskeln, als Luzifer einen Schritt auf ihn zukam, sich neben ihn hockte und seinem Blick nachging.
„Du hast Geschmack, das muss ich dir lassen, Sam." Schweigen hüllte sie ein, selbst der Sturm draußen schien gebannt zu lauschen und wartete mit der trügerischen Ruhe eines hungrigen Raubtieres.
„Sie sieht so umwerfend aus … und erst wie sie schmeckt." Dabei fuhr er sich mit der Zunge genüsslich über die Unterlippe, um das verbliebene Aroma erneut zu kosten.
Das leise Knurren in Sams Kehle war eine Drohung, die den anderen nur noch mehr zu amüsieren schien.
„Nur zu, Sam, zeig mir, was in dir steckt. Zeig mir, wie es dich schon verändert hat."
Luzifer kam näher, flüsterte in Sams Ohr: „Ihr Blut ist stark … und das ist es doch, was du brauchst, oder?"
Nichts.
„Ich spüre es. Wie in einem Junkie brennt es in dir."
Ich hatte keine Wahl. Doch Sam sparte sich eine Antwort.
„Das stimmt nicht ganz, oder?" Luzifer tippte sich leicht an die Schläfe, um zu zeigen, dass er Bescheid wusste und lächelte hämisch. „Damals -…", nicht heute. „Damals war es deine eigene Entscheidung dich zu einem, wie sagte Dean doch so schön: Monster zu machen."
Das schuldbewusste Zucken hinter ihm entging Sam nicht. Aber er ignorierte es.
„Aber was rede ich, immerhin war es notwendig, um uns beide heute zusammen zu bringen."
Stille dehnte sich aus, bis er weiter sprach: „Herrje, wo bleiben bloß meine Manieren." Luzifer stand auf, wedelte in einer seltsam fehl am Platz wirkenden Geste ausschweifend mit der Hand, ging ein paar Schritte, drehte sich um und blickte Sam direkt in die Augen. „Wie wäre es, wenn ich dir ein Geschenk mache, quasi als Beweis meines guten Willens, zumal du ja heute schon Gast an meinem Tisch warst."
Luzifers Gesicht lag halb im Schatten, den Kopf jetzt gesenkt, starrte er mit brennendem Blick in die Dunkelheit. Er hob wieder die Hand, nur eine leichte Drehung und aus dem grauen Nichts tief hinten im Kirchenraum erklang ein Schrei, gefolgt von erstickt gurgelnden Lauten und dem Aufschlagen eines Körpers auf den Boden.
Augenblicke später löste sich schwarzer Rauch aus der Finsternis und kroch unterwürfig auf sie zu, stoppte und schien zu warten.
„Als Mensch hilft sie uns nicht viel. Aber sie würde einen hübschen Dämon abgeben. Was sagst du?"
Sam hatte keine Zeit zu reagieren, denn auf ein kleines Nicken von Luzifer bewegte sich der dunkle Wurm vorwärts, Zentimeter für Zentimeter immer weiter auf Lindsays Beine zu, bis er sich schlängelnd darum wand.
Sam war wie gelähmt. Gefangen zwischen dem Gräuel dessen, was er vor sich sah und dem Monster in sich, das genau das wollte.
Beschämt senkte er den Kopf. Sein Körper bebte: Vor Hunger, vor brachialer Zurückhaltung und Ekel vor sich selbst.
Eine Bewegung in seinem Rücken machte deutlich, dass er mit der Wut in sich nicht alleine war. Dean strahlte Zorn ab wie ein Hochofen Hitze.
„Du kranker Bastard! Lass sie -…" – wenn man vom Teufel sprach.
Aber Luzifer grinste nur, drehte den Kopf etwas weiter und fixierte den anderen über Sams Schulter hinweg.
„Oder was?"
Sam fühlte förmlich die sengende Blicke hinter sich und ahnte, was es den anderen an Beherrschung kostete, nicht auszuflippen. Dean wusste, dass es nicht seine Haut sein würde, die man abzog, wenn er dem König der Hölle verbal eine reinwürgte.
Luzifer wusste das auch. „Das dachte ich mir. Wie immer, großes Mundwerk und nichts dahinter."
Und das reichte, um doch den losen Stift aus der Handgranate Dean Winchester zu ziehen.
Für jeden anderen hätte es nach einem Anfall von verletztem männlichem Stolz ausgesehen. Aber nicht für Sam, er kannte seinen Bruder. Es war eine von Dads Devisen gewesen. „Lenkt sie von den Geiseln ab, besser selbst ins Kreuzfeuer zu geraten, als Unschuldige. Nur eins zählt, lasst euch dabei nicht umbringen, alles andere kann man wieder zusammen flicken." Johns Worte waren so laut in Sams Kopf, als würde sie ihm jemand mit einem Megafon ins Ohr brüllen.
Mit einem Satz sprang Dean auf und stürmte frontal auf den anderen ein. Das war der pure Selbstmord. Aber der kurze Augenblick davor, als Sam den Druck der Hand auf seiner Schulter gespürt hatte, gab ihm so etwas wie Trost, das und ein heimliches Startzeichen.
Ohne zu zögern begann er damit, die fünfzig Worte Latein zu murmeln, die ihm praktisch ins Kleinhirn graviert waren. „Exorcizamus te, omnis immundus spiritus, omnis satanica potestas, omnis incursio infernalis adversarii …"
Es brach förmlich die Hölle um ihn herum aus, aber die Kampfgeräuschte und die Unruhe ignorierte Sam, voll konzentriert auf seine Aufgabe. „Omnis legio, omnis congregatio …"
Dämonen rannten panisch zu den Ausgängen, nur um vergeblich gegen verschlossene Türen zu hämmern, um ins Freie zu kommen.
Sam machte weiter, in seinem Flüstern eine unglaubliche Kraft: „Et secta -…"
Ein Schrei ertönte. Dean flog in hohem Bogen vor ihm durch die Luft und knallte mit dem Rücken in die erste Reihe der Sitzbänke.
Sam hätte wetten können, dass das Knacken nicht nur vom splitterndem Holz gekommen war.
„Sam, mach -…", Dean atmete stoßartig wie eine Dampflok. „Mach weiter!"
Ein Nicken und Sam begann erneut: „Diabo-…"
„GENUG!"
Die Luft kühlte schlagartig runter auf arktisch, als Luzifer seine Wut hinaus brüllte. Alles erstarrte, das wilde Durcheinander am anderen Ende der Kirche stoppte abrupt. Der Wind draußen hatte offensichtlich Gefallen an dem Geschehen gefunden und versuchte wieder, tosend durch die Glasscheiben nach drinnen zu kommen, um an der Party teilzunehmen.
„Mal ernsthaft Jungs, wenn ihr euch selbst umbringen wollt, finden sich andere Wege." Luzifers Stimme war trotz allem freundlich, mit einer tadelnden Unternote, die an einen Lehrer erinnerte. Mit einem Schlagstock in der Hand.
Dean setzte an zu sprechen, wurde jedoch abrupt unterbrochen, als ihm verwesender Atem eines sehr bekannten Fleischfressers in der Nase brannte und ein tiefes Knurren dicht neben seinem rechten Ohr die Nackenhaare aufstellte wie Stacheln.
Höllenhunde.
Scheiße. Er kannte das Vieh, was hier einen auf Ghost machte und das reichte aus, dass sein Magen sich erst auf Höhe seiner Kniescheiben wieder fing.
„Wenn du nicht herausfinden möchtest, wie weit dich meine geflügelten Brüder auf deinem kleinen Ausflug schützen, würde ich vorschlagen, du überlässt jetzt mir das Reden."
Dean hatte keine Wahl und so wurde er erneut an den Rand des Spielfeldes verbannt und konnte nur zusehen. Sein Blick traf sich mit Sams und ohne sich dessen bewusst zu sein, fing Dean wieder still an zu beten ...
~sss~
Später, sehr viel später hallte erneut das hohle Echo von tropfendem Blut durch das Gotteshaus.
Luzifer hatte sich von nichts abhalten lassen. Egal, wie oft Sam flehte und bettelte.
Luzifer hatte es nicht gestoppt.
Sam kniete immer noch zusammengekauert neben dem Altar, die Arme um sich selbst geschlungen. Seine Stimme war nur noch ein raues Kratzen, sein Körper ausgezehrt und sein Geist fast gebrochen.
Nur einen halben Meter vor ihm und doch unerreichbar stand Lindsey, oder das, was von ihr übrig war. Schwarze Augen blickten über den gewölbten Leib auf Sams Haarschopf hinunter und ein hämisches Grinsen legte sich über die blutverschmierten Züge der jungen Frau. Rot
verfärbte Zähne blitzen kurz im schwachen Licht der Kerzen auf, genau wie das Metall der Klinge in ihrer Hand.
Luzifer stand an das große Kreuz hinter dem Altar angelehnt, die Beine überkreuzt und beobachtete, wartete. Als der Stahl des Messers erneut durch weiche Haut fuhr und aus einzelnen Tropfen ein stetiger Fluss wurde, lächelte er. Die schwere Flüssigkeit vermengte sich mit dem bereits vergossenen Blut auf dem Boden. Hätte Sam die Augen geöffnet, hätte er in einen Spiegel gesehen, der sich langsam vor ihm ausbreitete.
Sam zuckte. Von seinem erzwungenen Zuschauerposten aus konnte Dean sehen, wie sein Bruder zusammengekrümmt vor und zurück schaukelte. Was er versuchte, nicht zu sehen, war das hungrige auf und ab seines Kehlkopfes. Wie bei einem Raubtier verriet ihn die Gier, der Speichelfluss.
Dean schauderte und hatte das wahnwitzige Bedürfnis, sich zu bekreuzigen.
„Sam?" Lindseys leise Stimme war ein Flehen. Die Waffe in ihrer Hand zitterte, der Körper von all den Verletzungen und Blutverlust geschwächt. Nur dass es eben nicht Lindsey war, die da sprach.
„Sam, bitte. Ich spüre das Baby fast nicht mehr."
Das Schaukeln stoppte und als sich der zottelige Vorhang aus Haaren verschob, sah man die feuchten Spuren auf den Wangen.
„Du tötest uns." Eine kleine Hand fuhr ihm sanft und tröstend über den Kopf.
Sam fühlte die Kälte darin, den Tod, der schon durch diesen Körper schlich, der sie und das Kind holen kam. Aber vielleicht war es gut so, der Ort, an den sie kamen, war so viel besser als das hier.
Er hoffte, was immer im Jenseits war, gut zu ihnen sein würde. Sein Weg würde woanders hinführen, wenn all das vorbei war.
Als er den Blick hob und in ihre Augen sah, hoffte er, dass sie es verstand. Worte hatte er keine, was gab es auch zu sagen – eine absurde Entschuldigung für seine Schwäche wäre nur ein weiterer Schlag in ihr Gesicht.
„Langsam verliere ich die Geduld, Sam." Luzifer stieß sich von dem Kreuz ab und ging langsam um den Altar herum. „Ich sehe, wir kommen so keinen Schritt weiter." Als er bei ihr war, nahm er das Messer und legte seine Hand deutlich sichtbar auf ihren Bauch.
„Weißt du, es ist nicht perfekt, aber machbar. Du bist nicht die einzige Lösung … nicht der einzige Körper, der mich aufnehmen kann." Seine Finger massierten beruhigend die Wölbung. „Ich nehme mir einfach dein Kind." Die Klinge fuhr ohne Druck über den schützenden Stoff darüber. „Er trägt dein Blut, dein Erbe."
Alle restliche Farbe wich aus Sams Gesicht.
„Es dauert vielleicht ein paar Jahre mehr, aber ich habe so lange gewartet, da kommt es darauf auch nicht mehr an."
Sam schüttelte nur seinen Kopf, gefangen im Schock dessen, was passieren würde.
„Nein." Bitte nicht.
„Ich hasse es, mich zu wiederholen, Sam. Falsche Antwort."
Als die Spitze den Stoff zerschnitt und gespannte Haut darunter freilegte stoppte ein Flüstern in der gebannten Stille alles. „Ja"
Luzifer blickte über seine Schulter. „Was war das?"
„Ich sagte: JA." Und das Schicksal aller war besiegelt.
Sam bäumte sich auf und grelles Licht überflutete und ertränkte alles mit seiner Helligkeit.
Der hilflose Schrei in Deans Kehle blieb stecken, genau in dem Moment, als die Welt um ihn herum erneut kippte und seine Wahrnehmung ins Nichts wegsackte.
~sss~
Mit einem einzelnen, keuchenden Atemzug saß Dean aufrecht in einem … Bett?
Schweiß rann ihm in Bächen über die Haut. Die Panik seines donnernden Herzens machte ihn für den Augenblick blind und ließ seine Gedanken wie einen Brummkreisel in seinem Kopf hin und her flippern.
Das Erste, was wieder richtig durch seine Synapsen blitzte war ein Name, den er verzweifelt heraus brüllte. „SAAAM …"
Mit einem Satz war er aus den Decken, die ihn gefangen hielten, instinktiv die Waffe unter seinem Kopfkissen mit sich reißend.
Mit der Eleganz eines entgleisten Zuges schlug er mit den Knien auf den Boden, stürzte zur Seite und sah sich für einen Augenblick den Teppich mit der Nase genauer an.
Dean kam wackelig auf die Beine, torkelte und rammte eine Wand. Dankbar für die Stütze lehnte er sich dagegen und fuchtelte wie von Sinnen mit dem Schießeisen in der Luft herum. Immer noch nahm sein Gehirn die Informationen um ihn herum als einziges Rauschen auf. Seine Augen waren geblendet, seine Ohren summten und jegliche Orientierung ging in diesem Chaos unter.
Verzweifelt blinzelte er, sah Schemen im Licht, richtete seine Kanone darauf und gab im Augenblick einen Scheiß darauf, wo die Kugel traf und wen. Alles was er dachte war Sam. Immer und immer wieder spielte sich die letzte Szene in seinem Kopf ab.
Er hatte seinen Bruder verloren.
Oh Gott.
Sam.
Das Pfeifen in seinen Ohren wurde schwächer, genau wie die Helligkeit, die ihn blind machte.
Die Schatten kamen näher und er zielte.
„Verschwinde -…"
Verdammt, Dean bekam einfach keine Luft. Das Holz hinter ihm war das einzige, was ihn noch auf den Beinen hielt.
Das schwarze Ding kam weiter auf ihn zu. „Hau ab oder ich pumpe dir so viel Blei in den Hintern, dass du Nuggets scheißt!" Es zögerte, stoppte aber nicht. Das Rauschen wurde zu einem Quirl aus Stimmen, die auf ihn einstürmten. Die wabernde Dunkelheit kam näher und er drückte ab.
Die Stimmen erstarben.
Treffer.
Der Rückschlag beförderte seine Schulter gegen die Wand und dann mit stolperndem Herzen japsend Richtung Boden.
Kraftlos ließ er die Waffe fallen. Es war egal, alles war egal. Die Beine zur Brust hoch gezogen und die Arme über den Kopf geschlagen, schaukelte Dean vor und zurück, kurz davor, den Verstand zu verlieren.
Er hatte versagt.
Die letzten Sekunden seines schlimmsten Alptraumes brannten wie Säure in seinem Inneren. Immer wieder sah er Sam vor sich, gebrochen und ohne Ausweg. Sein Mädchen und das Kind halb tot und filetiert bis auf die Knochen.
In seinem Kopf dröhnte Sams – Ja. Und er brabbelte schier endlos vor sich hin: „Nein, nein, nein, nein … es tut mir so leid." Die Augen zusammen gekniffen, biss Dean sich auf die Lippe, um nicht laut zu schreien. Nein, nein, nein …
„Gott - Sam, es tut mir so leid."
Dass sich eine warme, lebendige Hand auf seine Schulter legte, merkte er nicht gleich. Zu gefangen war er in dem Karussell der Schuld, das ihn durchschüttelte.
„De -…"
Der stockte.
„Dean?"
Der leichte Druck der Handfläche, die auf seiner Schulter lag, war so vertraut und mit einem Mal wurde alles wieder klar. Das Gleißen erlosch und aus dem Pfeifen und Summen in der Luft wurde das Geräusch entfernt vorbeifahrender Trucks und Autos.
Dean schluckte. Als er versuchte, sich zu beruhigen und Luft zu holen, roch er die abgestandene Luft eines zu oft benutzten Motelzimmers, den ewigen Geruch von Staub in der Luft mit einem Hauch von Waffenöl und dem Aftershave, das Sam und er benutzten.
Sam.
Erneut wurde er leicht gerüttelt.
„Dean, komm schon, Mann. Du sorgst gerade dafür, dass ich einen Infarkt bekomme. Rede mit mir. Alles okay?"
Es war so typisch, wenn Sam besorgt war, redete er wie ein Wasserfall.
Aber das konnte nicht sein. Oder doch?
„Alles in Ordnung? Komm schon, Dean."
Ein Lächeln zupfte an Deans Mundwinkel, als er erleichtert Luft holte. Unsicher drehte er seinen Kopf ein kleines Stück und schielte mit einem Auge über seinen Oberarm.
Dean konnte es kaum glauben. Da hockte sein kleiner Bruder neben ihm, die Stirn vor Sorge gerunzelt und war ganz er selbst.
Verwirrung machte sich breit. Es hatte sich real angefühlt.
„Weil es das auch war." Eine fremde Stimme mischte sich betont ausdruckslos ein.
Erschrocken riss Dean den Kopf hoch und sah in eiskalte Augen.
Deans Blick huschte unsicher zwischen den beiden hin und her, abwägend, ob er jetzt den Verstand verlor. Aber offensichtlich sah Sam den Fremden auch, der auf seine Gedanken geantwortet hatte.
Anspannung lag in der Luft wie ein bitteres Aroma, genau wie tausende Fragen.
Er konnte einfach nicht anders. Dean griff zur Seite, fühlte den Stoff von Sams Jacke und die Hitze, die dessen Körper darunter abstrahlte.
„Du bist real …", es war mehr unsichere Frage als schockierte Feststellung.
„In Fleisch und Blut."
Bei diesen Worten zuckte Dean zusammen, als hätte man ihm einen Baseballschläger quer über den Schädel gezogen. Unweigerlich kamen die Bilder zurück, nur um von einem anderen, ebenso schrecklichen Gedanken zerschlagen zu werden.
„Die Waffe. Scheiße, ich habe auf dich geschossen!" Augen suchten panisch Sams Körper ab.
„Ich wusste nicht …", die Finger an Sams Jacke tasteten hektisch, bis sie von einer Hand darüber gestoppt wurden. „Es geht mir gut, Dean. Du hast der Tür ein Loch verpasst, nicht mir." Erleichterung ließ den Älteren in sich zusammensacken und als er den Schrecken, der seine Kehle verstopft hatte, runterschluckte, blickte er wieder zur Seite.
„Ist gut dich zu sehen, Mann."
„Dich auch."
Ein Lächeln huschte über beide Gesichter, bis sie sich gemeinsam zu ihrem Gast drehten.
„Das ist Michael." Eine vielsagende Pause folgte. „Der Erzengel."
Dessen Begrüßung war ein kaum sichtbares Nicken in Deans Richtung. Schien nicht sehr gesprächig, der Typ. Mit wackeligen Knien stemmte Dean sich nach oben, die rechte Hand hinter sich an die Wand gedrückt. Er traute seinen Beinen nicht recht.
Sam ließ ihn los, blieb aber dicht bei ihm und der Ältere war dankbar dafür. Nach dem Trip, den er hinter sich hatte, wollte er ihn in seiner Nähe.
Schulter an Schulter standen sie Michael gegenüber.
„Geht euch Typen da oben einer dabei ab, mich ständig durch den Mixer zu drehen?" Dean versteckte seine Wut nicht. „Macht es euch Spaß, mir das anzutun?" Jetzt brüllte er fast. „Ich habe einen Vorschlag: Das Nächste Mal schickt mir eine Karte, eine SMS oder … versucht es mit reden oder besser noch: LASST MICH IN RUHE!" Okay, von Zurückhaltung konnte keine Rede mehr sein, er stand kurz davor dem Kerl, Engel oder nicht, eine in die selbstgerechte Fresse zu hauen.
„Hättest du denn nur einen Augenblick zugehört?" Michael war die Ruhe in Person und antwortete viel zu leise, wenn man das Gebrüll von eben bedachte. „Du bist kein Mensch der Theorie – du musstest es sehen."
„Was sehen?", mischte sich Sam ein, auch wenn er nach der Episode eben, so eine Ahnung hatte.
Niemand antwortete, aber das, was Sam in den Augen seines Bruders aufblitzen sah, jagte ihm eine Gänsehaut quer über den Körper.
„Wir können es ändern!"
„Schicksal kann nicht verändert werden und das weißt du. Es gibt nur zwei Wege, den, den du gesehen hast – und glaube mir, es wird passieren - oder …", der Rest blieb unausgesprochen.
„Wozu braucht ihr mich? Es sieht so aus, als hättest du schon jemanden gefunden."
„Dieser Körper hier." Michael blickte an sich herab: „Er wird zerfallen. Ich kann den Prozess verlangsamen, aber nicht aufhalten. Du hast Luzifer gesehen, Dean."
Oh ja, das hatte er, diese wandelnde Hackfleischrolle war nicht umsonst so scharf darauf gewesen, einen anderen Körper zu bekommen.
Dean senkte den Blick und der winzige Gedanke, der sich schon seit Wochen in seinem Kopf verstecke, schlich hervor. Er spürte Sams wachsame Augen auf sich, die Neugierde und Angst, die sich darin verbargen.
„Was ist hier los? Was soll das mit Luzifer? Verdammt, redet mal jemand mit mir!" Dean wurde unwirsch herum gezerrt. „Rede mit mir, bitte."
„Wie lange noch?" fragte Dean stumm in Richtung des Fremden.
„Es hat bereits begonnen. Sie haben die Frau gestern gefunden. Wir waren zu spät."
Als Dean Michael für einen endlos langen Moment in die Augen sah, waren keine Worte mehr nötig.
Mit einem leisen Rascheln in der Luft war der Platz, an dem der Engel gestanden hatte, plötzlich leer und die Brüder wieder allein.
~sss~
Zwei Tage später, als Erschöpfung keine Wahl mehr ließ und Sam zum ersten Mal seit Wochen tief und fest schlief, verließ Dean seinen Bruder mitten in der Nacht. Es war - wenn sie eine Menge Glück hatten - ein Abschied auf Zeit, auch wenn die Aussichten, sich wiederzusehen, gering waren. Dean rechnete nicht damit, das, was er vorhatte, zu überleben.
Mit einem letzten, traurigen Blick über die Schulter zog er die Tür hinter sich zu und wusste nicht, dass er damit Sams Schicksal besiegelt hatte.
Drei Stunden, zwei Bundesstaaten und 145 Meilen später rammte ein blutroter Truck frontal einen gestohlenen 1972 Chevrolet Camaro, nachdem er ihm die Vorfahrt genommen hatte. Es gab keine Überlebenden. Auch wenn der Unfallverursacher erst qualvolle Minuten später starb, als der Dämon, der ihn besessen hatte, mit einem triumphalen Lachen den zerstörten Körper verließ.
In der Zeitung würde nach Angehörigen eines Dean James gesucht werden, doch keiner würde kommen. Der Brief, der morgens neben Deans Schlüsseln und Waffe von Sam auf dem Tisch im Motel gefunden wurde, gab keinen Anlass zur Suche.
Vier Wochen später verwüstete die erste Welle eines unbekannten Virus große Teile des Landes und breitete sich so schnell aus wie ein Buschfeuer. Eine weitere Woche später war Dank der globalen Zusammenführung der kontinentale Übersprung geschafft. Die Menschen hatten die Schweingrippe als gefährlich und angsteinflößend empfunden. Sie lernten schmerzhaft und sehr schnell, dass es viel schlimmer ging.
Der Kreis schloss sich wenig später, als das Leben, wie man es kannte, nicht mehr existierte und die Menschheit förmlich von der Erdoberfläche gefegt wurde.
Inmitten dieses ganzen Chaos raste ein einzelner Wagen schlingernd über den Highway Richtung Detroit. Am Steuer ein Gejagter, der kurz danach zur Beute wurde …
- ENDE -