Die magischen Jahre (the magic years)
Teil fünf (par five)
Fanfiction by Lorelei Lee
Kapitel 51 nur für Erwachsene
(chapter 51 adults only)
"how you turned my world"
Kapitel 48
Sarah hatte ebenfalls auf unbestimmte Zeit Urlaub bei ihrer Firma beantragt und verbrachte die Tage in ihrem Schlafzimmer. Sie machte sich Vorwürfe, ihre Tochter zu vernachlässigen, doch sie wusste, dass Robin sehr viel Zeit mit Jasmina verbrachte und deshalb wies sie diese Probleme weit von sich. Es gab weit grössere Schwierigkeiten über die sich Sorgen machen konnte.
Seit jenem verhängnisvollen Sonntag hatte sie ihren Bruder nicht wieder gesehen. Robin hatte erzählt, dass Tobias sein ständiges Lager an Jareth's Krankenbett aufgeschlagen hatte. Doch mehr hatte sie ihm beim besten Willen nicht entlocken können. Tobias habe ihm verboten über Jareth's Gesundheitszustand zu sprechen gab er auf ihre drängenden Fragen zur Antwort. Sie musste zu ihrer Schande gestehen, dass sie darüber entsetzlich in Wut geraten war. Doch genauso schnell wie ihr Zorn aufgelodert war, war er auch wieder abgeflaut. Denn wenn sie sehr genau lauschte, sagte ihr Herz genau dasselbe wie ihr Bruder. Wenn sie sich nicht endgültig zu Jareth bekennen konnte, wäre es das Beste, wenn sie ihn nie wieder sah. Sie grübelte in diesen Tagen der selbstgewählten Einsamkeit lange darüber nach und begriff endlich, dass sie sich nun unwiderruflich an der letzten Weiche in ihrer Beziehung zu Jareth angelangt war. Und diese Weiche konnte nur sie selbst stellen. Die Situation liess diesmal kein sowohl-als-auch zu, denn dann würde ihr Zug unweigerlich entgleisen. Sarah fühlte sich wie in einem Teufelskreis gefangen, denn jedes Mal, wenn sie glaubte endlich soweit zu sein um sich Jareth ganz hinzugeben fielen ihr neue, kleine, widerliche Details ein, die genau das verhinderten und das Karussell erneut in Bewegung setzten. Würde sie ihre Tochter allein zurücklassen können? Sicher würde sie das. Jasmina war volljährig und würde diesen Herbst ohnehin aufs College gehen und ausserdem waren ja Tobias und Robin auch noch da. Doch wie war es ihr als junges Mädchen selbst ergangen? War sie nicht auch von ihrer Mutter wegen der Liebe zu einem Mann verlassen worden? Und hatte sie diesen Schmerz je verwunden? Konnte sie so grausam sein ihr eigenes Schicksal an ihrer Tochter zu wiederholen?
In den ersten Tagen brach sie bei diesen Überlegungen oft in Tränen der Verzweiflung aus, doch nach der ersten Woche hatten sich ihre aufgewühlten und angestauten Gefühle wieder etwas beruhigt und sie sah endlich ihren Weg klar vor sich. Sie hatte in diesen ganzen Jahren immer nur darauf geachtet, was alle Anderen von ihr denken würden, doch nun war ihr die Meinung der Anderen im Grunde schrecklich gleichgültig. Sie hatte auch immer in dem Glauben gelebt, nur sie würde sich durch ihren Verzicht opfern. Doch in Wirklichkeit war hauptsächlich Jareth das Opfer gewesen, da sie ihm nie eine Wahl gelassen hatte. Und nun schien er - zumindest nach der Ansicht ihres Bruders - Gefahr zu laufen an ihrer Unentschlossenheit zu zerbrechen. Dieser Gedanke war an sich so unglaublich, da ihr der König der Kobolde immer als Verkörperung der Stärke erschienen war, doch sogar der unverwundbare Siegfried aus der Nibelungensage hatte eine schwache Stelle gehabt. Sarah musste sich eingestehen, dass sie augenscheinlich Jareth's schwächste Stelle - sein liebendes Herz - immer und immer wieder aufs Schwerste verletzt hatte. Sie konnte nur hoffen, dass es ihr vergönnt sein würde diese Verletzungen zu heilen. Sie hoffte mit der ganzen Kraft ihres Herzens und ihrer Seele, dass es nun nicht doch schon zu spät für ein gemeinsames Leben mit Jareth war.
Sie straffte ihre Schultern. Es war an der Zeit mit Jasmina zu sprechen.
"Oh, Mommy! Das ist aber schön, dass es dir wieder besser geht", begrüsste Jasmina ihre Mutter fröhlich. "Es geht dir doch besser?" Setzte sie besorgt hinzu.
Sarah lächelte ihre Tochter liebevoll an. "Ja, es geht mir besser. Darf ich rein kommen?"
"Natürlich!" Mit einer hastigen Bewegung fegte Jasmina einige Comics von ihrem Bett. "Setz' dich doch."
"Danke", sagte Sarah und setzte sich auf das unordentliche Bett. "Jasmina, du gehst doch im Herbst aufs College?"
"Ja, Mommy, das weißt du doch."
"Und du wolltest doch sowieso hier ausziehen und im Studentenwohnheim wohnen."
"Ja, Mommy und darüber haben wir wirklich schon genug geredet", sagte Jasmina betont ruhig.
"Ja, das weiss ich auch. Aber darüber wollte ich auch gar nicht... es ist nur so...", verhedderte sich Sarah und sah ihre Tochter mit einer seltsamen Mischung aus Hilflosigkeit und Besorgnis an. "Ich möchte gerne bei Jareth bleiben", äusserte sie schliesslich schlicht.
"Ja?! Echt?! Oh, das ist absolut super!!"
Verblüfft musterte Sarah ihre Tochter. "Du hast nichts dagegen?" fragte sie überrascht. "Weißt du, ich möchte in keinem Fall..."
Jasmina unterbrach ihre Mutter indem sie ihr um den Hals fiel und beide auf das Bett purzelten.
"Oh, Mommy, ich freue mich so für dich. Das wird bestimmt phantastisch", jubelte Jasmina.
"Du weißt aber schon, dass ich dich nicht mitnehmen kann", sagte Sarah immer noch fassungslos.
"Natürlich weiss ich das! Aber wer hat denn gesagt, dass ich überhaupt mit will. Du weißt genau, dass ich Sängerin werden will. Das kann ich dort wohl schlecht erreichen. Aber ich hoffe doch, dass ihr eure einzige Tochter wenigstens ab und zu besucht und ihr ein bisschen Taschengeld mitbringt", erwiderte Jasmina mit einem schelmischen Grinsen.
"Und es macht dir tatsächlich nichts aus?" Sarah konnte es einfach nicht fassen. Wenn sie gewusst hätte, dass das so einfach gewesen wäre...
"Mir etwas ausmachen? Oh, Mommy, hast du's immer noch nicht kapiert? Ich finde es wundervoll, dass du endlich einmal an dich selbst denkst. Die ganze Zeit über hast du dich immer nur um Onkel Tob und mich gekümmert. Es ist höchste Zeit, dass du und Daddy endlich zusammen kommt."
Da endlich konnte Sarah an ihr Glück glauben. Sie schlang ihre Arme um Jasminas zierlichen Körper. "Ich danke dir, mein Liebling. Du bist die wundervollste Tochter aller Zeiten", dankte ihr Sarah unter Tränen.
"Oh, nein. Ich habe es aus erster Hand, dass ich nur ein ungezogenes Koboldbaby bin", widersprach Jasmina mit einem fröhlichen Lachen.
Müde zog Tobias leise die Tür hinter sich ins Schloss. Er hatte die Nachtwache ausnahmsweise Darius überlassen. Er selbst war einfach zu müde dazu. Schläfrig ging er den Gang hinunter und wäre fast über seine Schwester gestolpert. Schlagartig war er wieder hellwach.
"Wie kommst du denn hierher?" knurrte er sie gereizt an.
"Robin hat mich her gebracht", entgegnete Sarah ruhig.
"Und was willst du hier?" fragte er, während er sie unter zusammengezogenen Augenbrauen finster anstarrte.
"Ich will zu Jareth."
Tobias machte den Mund auf und wollte sie gerade wieder zum Teufel jagen, als sie ihm mit ihrer Hand daran hinderte weiterzusprechen.
"Du brauchst dich nicht aufzuregen,Tobias. Ich habe mich entschieden, verstehst du? Ich will zu Jareth und dort werde ich auch bleiben - für immer."
Erst jetzt war Tobias fähig, sie sich im flackernden Licht der Wandfackeln genauer zu betrachten. Sie strahlte eine abgeklärte Ruhe aus, die ihm zu Anfang nicht aufgefallen war und sogar als ihr Bruder musste er zugeben, dass sie wunderschön war. Zärtlich schloss er sie in seine Arme.
"Du tust das Richtige, Schwesterchen", flüsterte er in ihr Haar.
"Das weiss ich doch, du Dummerchen. Darf ich jetzt endlich zu ihm? Ich habe zu lange darauf gewartet."
Langsam entliess er sie aus seiner Umarmung. "Natürlich, Sarah. Du sollst sofort zu ihm. Komm' nur mit."
Er legte einen Arm um ihre Schulter und führte sie in Jareth's Zimmer. Behutsam schob er dort den improvisierten Türvorhang beiseite und liess Sarah ein.
Sarah bemerkte nicht, wie Darius sie erst verwundert und dann tief befriedigt musterte, sie hörte nicht wie Tobias Darius etwas mit leiser Stimme zurief, es fiel ihr auch nicht auf, dass Darius und Tobias den Raum verliessen. Alle ihre Sinne waren nur auf den Mann gerichtet, der reglos in seinem Bett lag und dabei so zerbrechlich aussah, dass es ihr das Herz im Leibe zusammenzog. Auf dem Nachttisch brannten lediglich zwei Kerzen, die ihr flackerndes Licht über sein friedliches Gesicht tanzen liessen. Mit grosser Anstrengung unterdrückte sie die aufsteigenden Tränen und ging rasch zu ihm. Sie liess sich auf den Stuhl sinken, auf dem eben noch Darius gesessen hatte und griff sanft nach Jareth's schlaffer Hand, die sie festhielt, als ob sie sie nie wieder loslassen wollte. Mit schmerzlicher Zärtlichkeit nahm sie seine Züge ganz in sich auf und dann fing sie an zu reden. Mit ruhiger Stimme erzählte sie ihm unermüdlich tausenderlei Dinge, immer in der Hoffnung etwas davon würde ihn aus seiner Bewusstlosigkeit reissen und ihn der Welt und ihr zurückgeben.
Nach einiger Zeit fing Jareth auch tatsächlich an, sich leicht in seiner Bewusstlosigkeit zu bewegen, doch am Ende war es beinahe Mitternacht, als seine Finger nicht mehr schlaff in ihrer Hand lagen, sondern mit einem plötzlichen Ruck zupackten. Gleichzeitig öffneten sich seine Augen ruckartig, so dass Sarah ein leichtes Erschrecken nicht unterdrücken konnte. Doch gleich darauf flatterten seine Augenlider und er stöhnte verhalten.
"Wo - bin - ich?"
"Du liegst in deinem Bett, mein Liebling", sagte Sarah mit kaum verhohlener Erleichterung.
Langsam drehte er den Kopf in die Richtung aus der diese süsse, weibliche Stimme gekommen war. Seine Finger berührten tastend die Hand, die so ruhig in seiner lag.
"Sarah?" fragte er ungläubig. Doch noch bevor sie ihm antworten konnte hatte sein suchender Blick sie gefunden. Er traute seinen Augen nicht. Es musste sich um einen Fiebertraum handeln. Es war doch einfach unmöglich, dass sie... "Sarah?" fragte er noch einmal.
"Ja, ich bin hier", sagte sie und strahlte dabei über das ganze Gesicht.
Verschwommen nahm Jareth die überwältigende Farbe ihrer Aura war. "Es ist kein Traum", flüsterte er unsicher. Er fühlte sich schrecklich, nicht ganz so schrecklich wie damals, als er sein Reich vor dem Untergang gerettet hatte, doch immer noch schlimm genug, dass er nicht fähig war, sich in seinem Bett aufzusetzen um sich einen handfesten Beweis zu ergattern, dass er wirklich nicht träumte.
"Nein, Jareth. Es ist kein Traum. Ich bin wirklich hier. Und ich werde auch hier bleiben. Für immer, Jareth - falls du mich noch willst", äusserte sie mit sanfter Stimme.
Sein immer noch leicht getrübter Blick verfing sich in der Kette, die sie um den Hals trug. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Blitz - es war *die* Kette. Die Kette, die sie zum Zeichen ihrer Liebe immer tragen wollte. Erst in diesem Moment wurde ihm klar, dass alles, was er hier sah und hörte durchaus der Realität entsprach.
"Ob ich dich noch... und ob ich will!" erwiderte Jareth mit schwacher Stimme. Obwohl ihm leicht schwindelte, zog er Sarah unter grosser Anstrengung zu sich herab.
Erleichtert folgte Sarah dem Druck seiner Hand. "Ich liebe dich Jareth. Und ich gehöre dir für immer", flüsterte sie liebevoll, bevor sein Mund ihre Lippen mit einem zärtlichen und hingebungsvollen Kuss verschloss. Zu seinem übergrossen Bedauern fühlte er sich noch zu kraftlos um seine Elfe so lange zu liebkosen, wie er es eigentlich vorgehabt hatte. Daher beendete er sanft den Kuss und sank wieder tiefer in seine Kissen zurück.
"Ich liebe dich, Sarah. Und ich werde dich nie wieder gehen lassen..." wisperte er.
Die letzten Worte waren für Sarah kaum noch hörbar gewesen, doch die Botschaft war angekommen. Während sie beobachtete, wie er sanft entschlummerte spielte sie versonnen mit ihrer Kette. Sie hätte sie nie ablegen dürfen. Allmählich entspannte sich auch ihr verkrampfter Körper und einige Zeit später war Sarah ebenfalls eingeschlafen, weshalb keiner der beiden etwas von dem merkwürdigen Summen bemerkte, das kurz darauf das ganze Reich durchzog. Lediglich Tobias, der auf Grund der zahlreichen Nachtwachen einen sehr leichten Schlaf hatte, schreckte aus einem seltsam verworrenen Traum auf und ging zum Fenster um dem eigentümlichen Geräusch auf den Grund zu gehen. Doch die Nacht war in ihrem Dunkel undurchdringlich und sogar der Mond schien sich hinter einer dunklen Wolke verzogen zu haben. Bevor Tobias wieder mit einem Achselzucken zu Bett gehen wollte, fielen ihm die weissen Rosen auf, die sich augenscheinlich an der Schlossmauer bis an sein Fenster hochgerankt hatten und einen zauberischen, betäubenden Duft verbreiteten.
"Komisch", murmelte Tobias schlaftrunken. "Die sind mir bis jetzt gar nicht aufgefallen." Müde tapste er in sein Bett zurück und fiel dort endlich in einen tiefen und traumlosen Schlaf.
Im Morgengrauen erwachte Jareth und betrachtete Sarah, die immer noch in dem Sessel neben seinem Bett vor sich hindöste, im Licht der aufgehenden Sonne. Er konnte nicht umhin festzustellen, dass sie einfach atemberaubend aussah. Sicher war ihre natürliche, herbe Schönheit nie ganz verblasst, doch er konnte sich nicht erinnern, wann sie derart strahlend gewirkt hatte. Er fragte sich gerade, was wohl der Grund für diese augenfällige Veränderung sein mochte, als sie mit einem langen Seufzer die Augen aufschlug und ihr liebevoller Blick ihm den Atem benahm. So lange hatte er davon geträumt, sie bei sich in seinem Schloss zu haben und nun, als es endlich soweit war, war er zu schwach um sie auch nur in seine Arme zu schliessen.
"Guten Morgen, liebste Elfe", sagte er leise.
"Guten Morgen, Jareth. Warum hast du mich nicht geweckt?" erwiderte sie, ihn liebevoll tadelnd.
"Ich brachte es nicht übers Herz. Du hast so bezaubernd ausgesehen."
Sarah lächelte. "Was für ein Unsinn."
"Sarah, ich denke, ich werde dir gleich eine Frage stellen", äusserte er entschlossen. "Und obwohl es vielleicht romantischer wäre, wenn ich dabei vor dir auf die Knie falle, so habe ich doch keine Lust darauf zu warten, bis ich für derlei Akrobatik wieder gesund genug bin. Da ich aber auch nicht vorhabe, dich mir wieder durch die Finger schlüpfen zu lassen, werde ich dich also jetzt fragen." Er blinzelte schelmisch zu ihr hinauf.
Als Sarah nichts sagte, sondern lediglich leicht atemlos darauf wartete, dass er fortfuhr, holte er tief Luft und fing an: "Sarah, möchtest du..."
Zu beider Verdruss kam Jareth mit seinem Heiratsantrag nicht weiter, denn in diesem Moment stürmte Darius in äusserst untypischer Eile durch den Teppichvorhang.
"Die Prophezeiung! Die Prophezeiung!"
"Guten Morgen, Darius", äusserte Jareth gereizt. "Ihr stört überhaupt nicht."
"Majestät! Die Prophezeiung!" rief Darius in höchster Aufregung.
"Ja, ich habe es schon beim ersten Mal verstanden. Und jetzt lasst uns bitte noch einen Augenblick allein."
"Aber versteht Ihr denn nicht, Majestät! Der Fluch ist gebrochen!"
"Was für ein Fluch? Und wo habt ihr überhaupt Basillius gelassen?" fragte Jareth verständnislos, der erst jetzt das Fehlen des Vogelhutes bemerkte. Wenn er es sich recht überlegte, hatte sich auch Darius selbst irgendwie verändert. Hatte sein Unfall seine Sehkraft beeinträchtigt, oder bildete er sich das alles nur ein?
In diesem Moment flog ein grosser schwarzer Rabe durch das offene Fenster auf Darius' Schulter.
"Bin schon da, Meister!" krächzte er fröhlich. "Mann, ist das heute nicht ein Tag zum Eierlegen?"
Sarah und Jareth starrten beide mit offenem Mund den Vogel an, als wäre er eine übersinnliche Erscheinung.
"Was - ist - hier - los?" brach Jareth das staunende Schweigen.
"Kommt' ans Fenster, Majestät, und seht selbst", sagte Darius drängend.
Sarah beeilte sich, Jareth aus dem Bett zu helfen und stützte ihn, während er auf unsicheren Beinen und sichtlich beunruhigt zum Fenster humpelte. Gemeinsam sahen sie hinaus und was sie sahen, liess ihnen den Atem stocken.
Eine völlig veränderte Landschaft tat sich vor ihren staunenden Blicken auf. Die Häuser der Koboldstadt waren grösser, die Strassen sauberer und die Wesen, die sich auf den Plätzen versammelten setzten sich nur noch zur Hälfte aus Kobolden zusammen. Die unterschiedlichsten Geschöpfe tummelten sich da und brachen, als sie ihres Königs ansichtig wurden in donnernde Hochrufe aus. Die meisten dieser Wesen waren menschenähnlich doch es befanden sich auch einige phantastiche Kreaturen darunter. Sarah wurde es leicht ums Herz, als sie in der jubelnden Menge nicht nur einen unveränderten Ludo entdeckte, sondern auch Sir Dydimus auf dessen Schulter ausmachen konnte. Ausserhalb der Koboldstadt erstreckte sich noch immer das Labyrinth, doch seine Ausmasse waren merklich geschrumpft und es hatte auch seine bedrohliche Aura zu einem Grossteil eingebüsst. Dahinter konnte man Wiesen, Flüsse, Felder und Wälder ausmachen, die bis an den Horizont reichten.
Sarah war von diesem Anblick überwältigt. "Oh, Jareth! Ist das nicht wundervoll?! Oh, und wie sie dir zujubeln!"
In ihrer Begeisterung entging ihr, dass Jareth bleich war und krampfhaft versuchte, ein Zittern zu unterdrücken, das seinen ganzen Körper zu schütteln drohte.
"Oh mein Gott, was ist nur mit meinem Reich passiert?" flüsterte er angsterfüllt.
"Weißt du noch, als du mir ganz am Anfang meine Träume versprochen hattest? Und ich abgelehnt habe? Jetzt hast du sie mir doch noch geschenkt", jubelte Sarah. "Genauso habe ich mir immer alles erträumt." Sie wandte sich zu ihm um und bemerkte bestürzt das Befremden in seinem Gesichtsausdruck. Ohne auf sie zu achten drehte er sich zu Darius um.
"Was ist hier passiert? Ich verlange eine Erklärung!" forderte er gebieterisch.
Darius, der sich nach der ersten Aufregung nun wieder im Griff hatte, verneigte sich leicht vor seinem König.
"Ihr sollt sie bekommen", erklärte er würdevoll. "Doch nehmt Platz, es ist eine unerfreuliche Geschichte."
"a land serene"
Kapitel 49
Nachdem auch Tobias und ein ebenfalls unveränderter Hoggle zu dem kleinen Grüppchen in Jareths Schlafzimmer gestossen waren, begann Darius seinen Bericht.
"Vor unendlich langer Zeit wurde dieses Reich von einem gutmütigen Herrscher regiert. Das Land war in demselben gesegneten Zustand, in dem es sich auch jetzt wieder befindet. Jener König nun verliebte sich in eine zauberkundige junge Frau von der Erde. Er holte sie zu sich und nahm sie zu seiner Frau. Doch die junge Zauberin war ihm nicht aus Liebe in dieses Reich gefolgt, sondern aus Habgier. Auf der Erde lebte man damals in dem Glauben, die Berge in diesem Reich bestünden aus purem Gold. Als sie ihren Irrtum schliesslich entdeckte, verdüsterte sich ihr Gemüt und sie plante, ihren Gemahl zu töten und an seiner Statt dieses Reich zu regieren. Doch der Plan wurde entdeckt und die Zauberin fing sich in ihrer eigenen Falle. Sterbend verfluchte sie dieses Reich und gab ihm und seiner Bevölkerung das Aussehen, das es bis gestern abend noch hatte. Der Fluch sollte nur gebrochen werden, wenn ein Mensch aus reiner Liebe in dieses verfluchte Reich übersiedeln würde. Ich denke mir, dass dies in dieser Nacht eingetroffen ist", schloss Darius und legte die Hände in den Schoss.
Jareth hatte ihm aufmerksam gelauscht und glaubte sich nun an etwas zu erinnern. "Es gibt in der Bibliothek ein Buch darüber, nicht wahr?"
Darius nickte. "Ja, ich denke doch."
"Dann habe ich damals, als ich einen Weg zu Sarah suchte, etwas darüber gelesen... aber ich habe nicht daran geglaubt. Ich dachte, ich hätte versehentlich ein Märchenbuch erwischt." Er lächelte ungläubig. "Dann haben seither alle Könige ihre Nachfolger aus den geraubten Babys rekrutiert, weil es sonst keine Möglichkeit mehr für den Fortbestand der Monarchie und der Chance zur Erlösung gegeben hätte?"
Wieder nickte Darius.
"Warum hat mir Tandor dieses Wissen vorenthalten?" frage Jareth weiter.
"Das weiss ich nicht", sagte Darius bedauernd. "Ich fürchte, er hatte die Hoffnung auf Erlösung aufgegeben."
"Kann es sein, dass die weissen Rosen und die blühenden Bäume Vorzeichen dieser Erlösung waren?"
"Das wäre sehr gut möglich, Euer Majestät", antwortete Darius schmunzelnd. "Sicher bin ich mir allerdings nicht. Daher erzählte ich Euch das Gleichnis von dem guten Bauern."
"Es wäre einfacher gewesen, wenn Tandor mir alles erzählt hätte", seufzte Jareth deprimiert.
Sarah berührte ihn zärtlich an der Schulter. "Liebling, darüber solltest du dir jetzt keine Sorgen mehr machen. Es ist vorbei."
Er blickte auf und Sarah erschrak über die Qual in seinen Augen. "Ja, alles ist vorbei. Alles was ich mein Leben lang gekannt habe ist verschwunden. Nichts was ich gelernt habe hat mehr Gültigkeit. Alles hat sich verändert." Jareth war verzweifelt. Er blickte gehetzt in die Runde. Dann stand er ruckartig aus seinem Sessel auf. Er zitterte am ganzen Körper. "Lasst mich allein! Verschwindet!" Er bemerkte Sarah's Zögern. "Alle!" forderte er unmissverständlich. Schliesslich machten sich tatsächlich alle mehr oder weniger widerstrebend aus dem Staub. Erschöpft fiel Jareth auf sein Bett.
"Oh Gott! Was soll ich nur tun?" stöhnte er verzweifelt.
Kaum hatte sich die Tür hinter dem verwirrten Grüppchen geschlossen, konnte Sarah nicht länger an sich halten.
"Was hat er nur?" brach es aus ihr heraus. "Es ist doch alles ganz phantastisch. Warum freut er sich nur nicht?"
Darius wiegte nachdenklich seinen Kopf. "Ihr müsst bedenken, dass sich seine ganze Welt für ihn verändert hat, dass alles neu ist für ihn."
"Aber das ist es für mich doch auch!" beharrte Sarah. "Und werfe ich vielleicht alle Leute aus meinem Zimmer?"
"Bei Euch ist es etwas völlig anderes." Darius lächelte nachsichtig. "Ihr seid freiwillig hier. Ihr wusstet, dass sich für Euch alles verändern würde. Es ist für Euch lediglich ein angenehmer Nebeneffekt, dass sich Eure zukünftige Heimat zu ihrem Vorteil verändert hat."
Sarah biss sich auf die Lippen und runzelte nachdenklich die Stirn.
"Ich werde mich bemühen, ihn zu verstehen", sagte sie leise.
"Gebt ihm die Zeit, die er braucht um alles zu begreifen. Es wird sicher nicht lange dauern", tröstete Darius.
"Sag' mal, Schwesterchen", mischte sich Tobias ein, der die ganze Zeit über keinen Blick von Sarah gelassen hatte. "Benutzt du eigentlich eine andere Kosmetikserie oder warum siehst du so - so, naja, so gut aus?"
"Das ist jetzt nicht die Zeit und der Ort für so dumme Komplimente", sagte Sarah ungeduldig.
"Nein, im Ernst! Sieh doch selbst, wenn du mir nicht glaubst." Er zog Sarah mit Gewalt in das nächste Zimmer und schob sie dort vor den Spiegel. "Es ist mir nur nicht gleich aufgefallen in diesem ganzen Trubel heute morgen, aber für mich siehst du absolut verändert aus."
Sarah stand mittlerweile mit offenem Mund da und starrte verständnislos ihr Spiegelbild an.
"Oh, mein Gott. Ich sehe fantastisch aus." Vorsichtig drehte sie den Kopf in alle Richtungen. "So gut habe ich nicht mehr ausgesehen, seit Jasmina in die Schule gekommen ist."
"Wie viele Jahre, sagtet Ihr, waren auf der Erde vergangen, als Jareth sein Reich vor dem Untergang retten musste?" fragte Darius.
"16 Jahre", antwortete Sarah ohne ihre Musterung zu unterbrechen.
Als Darius darauf nichts mehr sagte, drehte sie sich verwundert um.
"Glaubt ihr, es hängt irgendwie zusammen, dass der Fluch gebrochen ist und ich mich verjüngt habe?"
"Ich würde es nicht ausschliessen wollen", sagte Darius bedächtig. "Ein gütiges Schicksal scheint Euch die verlorenen Jahre zurückgegeben zu haben. Nutzt sie weise", mahnte er abschliessend und verlies dann - nur noch sehr leicht humpelnd - den Raum.
Leider erfüllte sich Darius' Prophezeiung, Jareth würde schon bald sein gewohntes Leben wieder aufnehmen und aus seiner selbstgewählten Einsamkeit wieder auftauchen, nicht sofort.
Die Tage dehnten sich zu Wochen und immer noch war Jareth nicht bereit jemand anders zu empfangen, als Tobias - und dies auch nur in seiner Eigenschaft als Arzt. Sarah hielt sich die meiste Zeit im Schloss auf, das sich zwar nicht wesentlich, aber doch zu seinem Vorteil verändert hatte und inspizierte alle Räume, die sie unverschlossen vorfand. Zu ihrer Enttäuschung konnte sie den Escher-Raum nicht finden, mit dem sie sehr zwiespältige Empfindungen verband. In die Stadt wollte sie nicht gehen, da sie sich unwohl fühlte - so ohne Jareth. Zu alldem kam auch noch, dass ihr mit jedem weiteren Tag ihre ungewisse Situation immer peinlicher bewusst wurde. Als was galt sie hier eigentlich? Als Jareth's Gast? Oder doch als seine zukünftige Ehefrau? Allerdings hatte er immer noch nicht um ihre Hand angehalten. Strenggenommen hatte sie nicht einmal das Recht sich als seine Verlobte zu bezeichnen.
In einer dieser Stimmungen traf ihr Bruder sie an, während sie unschlüssig in der Bibliothek vor den Bücherregalen auf- und ablief.
"Na, Schwesterchen? Wieso machst du ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter?"
Statt einer Antwort traf ihn nur ein vernichtender Blick.
Tobias verdrehte die Augen und nahm in einem der Sessel Platz.
"Also wird es dich auch nicht interessieren, dass ich gerade von Jareth komme und ich dir sagen kann, dass sein Gesundheitszustand einfach ganz fabelhaft ist."
"Das erzählst du mir schon seit zwei Wochen", sagte Sarah giftig.
"Was? Immer noch eifersüchtig, dass ich zu ihm darf und du nicht?" stichelte Tobias. "Darf ich dich daran erinnern, dass es sich hierbei um kein reines Vergnügen handelt, weil ich - a) nicht in ihn verliebt bin und er b) sich weiterhin weigert mit mir zu sprechen. Das einzige wozu er sich herablässt, ist ein leichtes Kopfschütteln oder -nicken. Was glaubst du wie amüsant unter solchen Bedingungen diese täglichen Untersuchungen sind?!"
Sarah nestelte an ihren Knöpfen.
"Es tut mir leid. Es ist nur alles so grässlich!"
Hätte Sarah gewusst, dass ihr Gefühlsausbruch nicht unbemerkt geblieben war, hätte sie sich bestimmt nicht so gehen lassen, doch es war ihr völlig entgangen, dass nicht nur Basilius vor dem offenen Fenster auf einem Sims sass und Hoggle vor der nicht völlig geschlossenen Tür stand. Unabhängig voneinander verliessen diese beiden ihre Lauschposten und schlugen die gleiche Richtung ein. Der eine über die Treppe, der andere durch die Luft.
Das Glück war Hoggle hold, da Jareth heute zufällig die Tür nach der täglichen Untersuchung noch nicht wieder verschlossen hatte, wie es eigentlich seine Art war. So stiess Hoggle zuerst auf keinerlei Widerstand als er die Türklinke mit klopfendem Herzen niederdrückte und trotz seiner Bedenken mutig in das Zimmer trat.
Jareth sass auf seinem Bett und hob müssig den Kopf als er das leise Geräusch der sich öffnenden Tür hörte.
Hatte Tobias ihn noch nicht genug gequält? Dabei hatte er doch versprochen, ihm keine Spritze mehr zu geben!
Doch als er statt der forschen Schritte des jungen Arztes nur ein unentschlossenes Tapsen hörte stand er auf um nachzusehen, wer unerlaubterweise in sein Zimmer eingedrungen war. Er trat durch den offenen Durchgang und erstarrte ihn Missbilligung als er in dem Eindringling niemand anderen als Hoggle erkannte.
Hoggle war durch das plötzliche Auftauchen seines Königs etwas aus der Bahn geworfen worden, doch er erinnerte sich an seine selbsterwählte Mission Sarah zu ihrem Glück zu verhelfen und sprach Jareth mutig an.
"Ich bin..."
Doch weiter kam er nicht. Denn Jareth hatte sich dazu entschlossen, sein wochenlanges Schweigen zu brechen um einen seinen Untertanen nach allen Regeln der Kunst zusammenzustauchen.
"Was fällt dir eigentlich ein, hier so einfach hereinzuplatzen? Du weißt doch ganz genau, dass ich für niemanden zu sprechen bin!"
"D-die Tür war o-offen", verteidigte sich Hoggle stammelnd.
"Na und?!" herrschte ihn Jareth an.
"Ihr habt schon ohne mich angefangen?" trällerte eine krächzende Stimme vom Fenster her.
Jareth und Hoggle blickten erstaunt zum Fenster hin und sahen, dass es sich Basilius auf dem Fensterbrett gemütlich gemacht hatte.
"Das finde ich nicht sehr nett, dass ihr nicht auf mich gewartet habt", nörgelte Basilius. "Habe ich viel verpasst?" fragte er sensationslüstern.
"Was wollt ihr eigentlich hier?" fragte Jareth missmutig. "Ihr sollt verschwinden! Beide! Auf der Stelle!"
"Ist das ein Befehl, Chef?" begehrte Basilius vorlaut zu wissen.
"Ich werde auf keinen Fall gehen", begehrte Hoggle auf, der sich durch Basilius' Anwesenheit gestärkt fühlte. "Ich habe die ganze Zeit über nichts gesagt, aber wenn ich noch länger mit ansehen muss, wie sich Sarah jeden Tag die Augen aus dem Kopf weint..."
"Das geht euch überhaupt nichts an", brüllte Jareth wütend.
"Oh, wir finden schon, dass es uns etwas angeht, wenn unsere zukünftige Königin unglücklich ist", bemerkte der Vogel vorlaut.
"Genau", bekräftigte Hoggle. "Es geht uns sehr wohl etwas an."
Jareth verstand die Welt nicht mehr. Galt er denn hier überhaupt nichts mehr? Seine Befehle wurden nicht ausgeführt, seine Wünsche ignoriert und dann mischten sich auch noch ein Rabe und ein Zwerg in seine intimsten Probleme ein. Und das noch dazu mit einer Penetranz die alles übertraf.
Er war kurz davor, seinen letzten Rest an Beherrschung zu verlieren. Zu lange hatte er sich von seiner Umgebung abgeschottet, zu lange hatte er sich geweigert, von etwas anderem als sich selbst Notiz zu nehmen. Seine aufgestauten Gefühle brachen sich nun mit Macht ihre Bahn.
"Ihr verschwindet jetzt sofort aus meinen Räumen, oder ich werde euch Beine machen!" Und ohne erst nachzudenken zauberte er aus dem Nichts einen Kristall in seine Handfläche und holte aus um damit nach Hoggle zu werfen, als er mitten in der Bewegung erstarrte.
Hoggle hatte sich schon in Erwartung einer mittelschweren Explosion geduckt und auch der Rabe hatte seinen Kopf unter seinem Flügel versteckt. Als jedoch nichts geschah, hoben beide wieder die Köpfe und blickten Jareth fragend an.
Doch Jareth hatte keine Augen für seine Umgebung mit merkwürdig starrem Blick musterte er verwundert die Kristallkugel in seiner Hand. Langsam liess er sie in seiner Hand kreisen und beobachte ihren ruhigen Lauf. Dann warf er sie in die Luft wo sie in einem leichten Glitzerregen zerplatzte. Jareth hob sein Gesicht diesem Glitzerregen entgegen und lachte fröhlich.
Hoggle und Basilius sahen sich an als ob sie sagen wollten, jetzt ist er völlig übergeschnappt, doch schon im nächsten Moment hielt Jareth einen neuen Kristall in der Hand und wirbelte ihn mit einem glücklichen Gesichtsausdruck durch die Luft.
"Es war die ganze Zeit da", flüsterte er halblaut mit staunender Stimme. "Ich habe es nur nicht gespürt."
Plötzlich lenkte er seinen Blick von dem Kristall auf Hoggle und Basilius, die ihn mit offenem Mund und Schnabel anstarrten.
"Ich bin euch sehr zu Dank verpflichtet." Er sprach schnell, als ob er plötzlich in Eile wäre. "Doch jetzt muss ich mit Sarah sprechen. Wo ist sie?"
"Vorher war sie noch in der Biblio..." antwortet Basilius ungewohnt langsam und noch bevor er den Satz beenden konnte war Jareth auch schon aus seinem Zimmer gestürmt.
"War das jetzt gut?" fragte Basillius schliesslich mit einem leisen Zweifeln den Zwerg.
Doch Hoggle zuckte nur unschlüssig mit den Schultern.
Kapitel 50
Sarah hielt sich mittlerweile im Thronsaal auf, da Ludo und Sir Dydimus gekommen waren um sie zu besuchen und der Thronsaal der einzige Raum des Schlosses war, in dem sich Ludo aufhalten konnte, ohne grössere Schäden anzurichten. Tobias, Darius und ein paar der kleineren Kobolde waren ebenfalls anwesend, als Jareth ohne jegliche Vorwarnung wie ein Wirbelwind durch eine der Türen hereinjagte.
"Sarah!" rief er atemlos. "Ich habe dich schon im ganzen Schloss gesucht."
"Jareth?" Sarah war mehr als überrascht. Sie war völlig verblüfft von seinem Auftauchen. Ihre weibliche Intuition liess sie zwar bedauern, dass sie sich für dieses langersehnte Zusammentreffen nicht hübsch gemacht hatte doch ein Blick auf Jareth's legere Kleidung liess sie diese Regung sofort wieder als überflüssig verbannen.
"Sarah." Mit wenigen Schritten war er bei ihr und schloss sie fest in seine Arme. Er liess seinen Blick kurz durch die Runde schweifen und seine Lippen verzogen sich zu einem kleinen Lächeln.
"Sarah, du hättest alles Recht der Welt auf einen formvollendeten Antrag, aber da wir nie allein zu sein scheinen und bevor uns wieder etwas dazwischen kommt, werde ich dich einfach hier auf der Stelle fragen."
Sein liebevoller Blick liess Sarah's Knie schwach werden und liess sie ihre Verblüffung über seinen plötzlichen Sinneswandel vergessen. Sie lächelte ihm aufmunternd und erwartungsvoll zu. Nur schnell, dachte sie, nur schnell bevor tatsächlich wieder etwas passiert.
"Willst du..."
Doch auch diesem Heiratsantrag war kein Glück beschieden, denn in diesem Moment stürmte eine der Wachen in den Thronsaal.
"Eure Majestät!" rief sie mit lauter, aufgeregter Stimme. "Eure Majestät! Vor dem Schloss steht eine Delegation der Elfen und begehrt Einlass. Sie bringen Grüsse und Geschenke von ihrem König!"
"Ich fasse es einfach nicht", murmelte Jareth und Sarah konnte trotz ihrer Enttäuschung ein Kichern nicht unterdrücken.
"Eine Delegation?" wandte sich Jareth an die Wache. "Was für eine Delegation?"
Doch bevor die Wache ihre Meldung wiederholen konnte, war die Spitze der Delegation auch schon eingetreten. Es mussten um die 20 Personen sein, die langsam und mit gemessenen Bewegungen in den Thronsaal strömten. Die Bewohner des Koboldreiches staunten die unangemeldeten Besucher an. Es handelte sich tatsächlich und unzweifelhaft um Elfen. Alle waren gross von Wuchs mit schlanken, langen Gliedern und feinen Gesichtszügen. Ihre langen Haare verdeckten die leicht spitz zulaufenden Ohren nur zum Teil. Die einfachen Gewänder folgten jeder der graziösen Bewegungen. Als sich alle Elfen im Thronsaal versammelt hatten, verbeugten sie sich elegant vor Jareth und der älteste Elf, welcher an der Spitze des Zuges geschritten war richtete das Wort an den König der Kobolde.
"Wir überbringen Euch die freundlichsten Grüsse von unserem Herrscher König Galahan und seiner Gattin Persena. Ihre Herzen jubeln mit Euch, nun da der Fluch gebrochen wurde." Die Stimme des Elf war leise und doch so klar, dass sie ohne Schwierigkeiten verstanden wurde.
In diesem Moment wurde Jareth peinlich bewusst, dass er für diesen Anlass nicht angemessen gekleidet war und eine leichte Röte überzog seine Wangen. Doch er sammelte seine Würde und setzte zu einer Antwort an, die von ihm erwartet wurde.
"Überbringt König Galahan und Königin Persena meinen innigsten Dank für ihre Grüsse. Ich heisse euch hiermit in meinem Reich aufs Herzlichste willkommen."
Wieder verneigte sich der Elf. "Wir danken Eurer Majestät für Eure Güte. Ich darf mich nun vorstellen, mein Name ist Telramon. Ich bin der ernannte Führer dieser Gruppe." Als der Elf Telramon sich wieder aufrichtete bemerkte er zu seiner Überraschung, dass der Koboldkönig ihm Zeichen gab, die sich nicht anders deuten liessen, als dass er wünschte, Telramon möge näher kommen. Telramon zögerte erst, wusste er doch so gut wie nichts über diesen König und die Sitten und Gebräuche die an diesem Hof herrschen mochten, doch dann entschloss er sich dazu einige Schritte auf den König zuzugehen. Kaum hatte er diesen Entschluss in die Tat umgesetzt, fühlte er auch schon die Hand des Königs auf seiner Schulter und wurde von ihm mit den Worten "Ich habe noch eine Botschaft an Euren Herrscher - kommt bitte einen Augenblick mit" in ein angrenzendes Zimmer geführt, ja fast geschoben.
Kaum hatte sich die Tür hinter ihm, dem König und einer dunkelhaarigen Frau geschlossen, wurde er auch schon mit der denkwürdigsten Rede erfreut, die er je in seinem langen Leben gehört hatte.
"Telramon, ich werde nicht lange um den heissen Brei herumreden. Ich brauche Eure Hilfe. Ich habe nicht die leiseste Ahnung was hier vor sich geht", sagte Jareth mit entwaffnender Offenheit.
"Aber, Eure Majestät..." protestierte Telramon mit einem kurzen Seitenblick auf die dunkelhaarige Frau schwach.
Jareth hatte den Blick bemerkt und schob nun mit einem Schmunzeln Sarah in den Vordergrund. "Ihr braucht keine Bedenken zu haben. Darf ich Euch Lady Sarah vorstellen? Ich werde sie heiraten, sobald es mir endlich einmal gelingt ihr einen Heiratsantrag zu machen. Alles was Ihr mir sagt, könnt Ihr auch ihr sagen."
Jareth war bei weitem nicht so entspannt, wie er sich vor Telramon gab. Nachdem er Sarah auf diese unkonventionelle Weise vorgestellt hatte, gab ihm ihr fast unmerkliches Zwinkern zu verstehen, dass sie zwar nicht alles begriffen hatte, aber dass sie mit seinem Vorgehen einverstanden war. Er holte also tief Luft und fuhr fort: "Versteht mich bitte richtig. In den letzten Wochen ist so viel passiert - tatsächlich habe ich erst heute meine magischen Kräfte wiederentdeckt." Er blickte Sarah um Entschuldigung heischend an. Dann nickte er knapp. "Ja, das war der Grund. Ich konnte meine Magie nicht mehr spüren und dachte, ich hätte meine Fähigkeiten verloren, aber sie fühlt sich seit der Verwandlung nur anders an." Und zu Telramon gewandt sagte er: "Und nun erfahre ich auch noch, dass es ein weiteres Reich gibt." Nach kurzem Zögern fügte er hinzu: "Das allerdings ist eine Überraschung der angenehmeren Sorte."
Telramon fühlte sich etwas benommen, doch dank seiner elfischen Kräfte fasste er sich rasch wieder. "Ihr hattet keine Ahnung von unserer Existenz?" fragte er ruhig.
"Nicht die geringste", erwiderte Jareth mit einem schiefen Lächeln. "Deshalb weiss ich auch nichts über die Verhaltensregeln, Protokollvorschriften oder die üblichen Höflichkeiten. Ihr müsst deshalb entschuldigen, wenn ich Fehler begehe."
"Das ist allerdings erstaunlich", sagte Telramon leise. Dann richtete er seinen Blick auf Sarah. "Dann müsst ihr diejenige sein, die den Fluch, der über diesem Reich lag, gebrochen hat."
Sarah senkte den Kopf in einem leichten Nicken, während Jareth sie liebevoll anblickte. Telramon, dem keine Nuance im Ausdruck des Paares entging, gestattete sich ein zufriedenes Lächeln. Um die Zukunft des Koboldreiches musste sich wahrlich nie wieder jemand sorgen müssen.
"Ich habe so viele Fragen", nahm Jareth die Unterhaltung wieder auf.
"Es wird mir eine Ehre sein, Euch behilflich zu sein, Majestät. Doch... verzeiht meine Neugier... wie ist Euer Name?"
"Ach, wusstet Ihr das nicht?" fragte Jareth verblüfft.
Telramon schüttelte bedauernd den Kopf. "Leider nein, Eure Majestät. Die Verbindung zwischen unseren Reichen war seit dem Fluch völlig abgeschnitten."
"Dann verzeiht mir meine Unhöflichkeit, Telramon und nehmt Platz." Er wies auf einige Stühle die nahe bei den Fenstern standen. Nachdem sich alle gesetzt hatten, stellte sich Jareth vor.
"Mein Name ist Jareth", sagte er schlicht. "Und ich möchte Euch bitten, mich auch so anzusprechen."
"Wenn es Euer Wunsch ist - Jareth."
"Ja, allerdings. Doch nun bitte ich Euch, mir alles von Anfang an zu erzählen."
Telramon räusperte sich. "Nun, wir Elfen hatten schon zu Beginn kein gutes Gefühl, was diese Zauberin von der Erde betraf. Doch mit einem derartigen Ausgang hatte selbstverständlich niemand gerechnet. Der Fluch, den sie über Euer Reich verhängte, war so mächtig, dass er bis in die entferntesten Landstrich der entlegensten Reiche drang und die Luft erzittern liess. Kaum einen Wimpernschlag später senkte sich auch schon eine undurchdringliche Nebelwand auf die Grenzen Eures Reiches. Ihr könnt mir glauben, wir haben alles versucht um diesen Nebel aufzulösen. Magie, Zaubertränke, Gegenflüche - doch nichts half. So schwer es uns auch fiel, wir mussten uns schliesslich damit begnügen an den Grenzen Beobachter zu postieren, die uns jede Veränderung melden würden. Doch die Äonen vergingen und nichts geschah. Ihr könnt uns unsere Verwunderung und unseren Jubel nicht vorstellen, als vor einigen Wochen endlich doch einer der Beobachter die glückliche Meldung an den königlichen Hof überbrachte, die Nebelwand habe sich über Nacht aufgelöst und der Blick könne nun ungehindert über ein reiches Land schweifen.
Wir berieten sofort, was zu tun war und entschlossen uns dann dazu nicht mit telephatischen Mitteln zu reisen, sondern Euer Land zu Fuss zu durchqueren. Wir würden dadurch zwar länger unterwegs sein, doch wir wollten uns Schritt für Schritt und mit eigenen Augen davon überzeugen, dass ihr tatsächlich erlöst seid. Und ich kann sagen, ich habe selten eine Reise mehr genossen als diese."
Jareth und Sarah tauschten bei diesen Worten einen innigen Blick.
"Ich denke, wir sollten auch bald eine solche Reise unternehmen", sagte Jareth leise und hauchte einen Kuss auf Sarah's Handrücken.
"Ich denke", fuhr Telramon fort, "ich denke, dass die Anderen auch bald eintreffen werden."
"Welche Anderen?" Jareth wandte ihm ein erstauntes Gesicht zu.
"Die anderen Delegationen, selbstverständlich", antwortete der Elf verwundert.
"Ja, aber..." Jareth begriff immer noch nicht. "Wird König Galahan noch weitere Gesandte schicken?"
"Aber nein." Telramon schüttelte den Kopf, dann erhellte ein feines Lächeln sein Gesicht. "Verzeiht mir, Jareth. Ich habe vergessen, dass ihr so gut wie nichts über uns oder die anderen Reiche wisst." Er griff in die Falten seines Gewandes und zog eine Pergamentrolle hervor, die er langsam auf dem Tisch unter zwei staunenden Augenpaaren entrollte. "Ich habe hier eine Karte. Wie ihr seht, sind die Elfen Eure nächsten Nachbarn. Deshalb sind wir wahrscheinlich auch als Erste bei Euch eingetroffen." Er deutete mit seinem schlanken Zeigefinger auf einen Teil der Karte. "Und hier", sein Finger bewegte sich nach rechts "seht ihr das Reich der Feen. Es wird von Königin Allegra regiert. Weiter im Norden findet ihr das Land der Zwerge unter der Herrschaft von König Bogumil und im Osten schliessen sich die Ländereien der Nymphen, Zentaur und Nixen an, welche keine Herrscher im üblichen Sinne haben, sondern nur bei Bedarf einen Rat aus besonders angesehenen Mitgliedern ihrer Gemeinschaft bilden." Telramon blickte von seiner Karte auf und musterte Jareth und seine menschliche Braut mit Interesse. Er hätte wirklich nicht gedacht, dass dieses elementare Wissen nicht von König zu König weitergegeben worden war. Er war gespannt wie der Koboldkönig auf diese Enthüllungen reagieren würde. Als Jareth schliesslich seinen Blick von der Landkarte reissen konnte, nahm Telramon befriedigt zur Kenntnis, dass sich Jareth offenbar rasch mit unerwarteten Vorkommnissen arrangieren konnte. Er würde diese Fähigkeit in der allernächsten Zeit noch öfter brauchen können.
Jareth fixierte Telramon mit einem intensiven, drängenden Blick.
"Ich bin nicht allein." Seine Stimme war leise und er schien selbst auf den Klang seiner eigenen Worte zu lauschen. "Ich bin nicht allein", wiederholte er. Ein wenig lauter diesmal. Dann wandte er sich ein einer raschen Bewegung seiner Braut zu. Sarah war zu Tränen gerührt, als er mit bewegter Stimme ein drittes Mal wiederholte: "Wir sind nicht allein, Sarah. Verstehst du? Ist das nicht wundervoll."
Ohne Vorwarnung wurde Sarah in eine zermalmende Umarmung gezogen und seine Freude fand ein Echo in ihrem Herzen. "Oh ja, Jareth. Es ist absolut wundervoll", wisperte sie in sein Ohr. Überraschend schnell liess Jareth sie daraufhin wieder los. Doch ihre unausgesprochene Frage wurde durch seinen Seitenblick auf Telramon mehr als beantwortet.
"Wir sehen uns später", flüsterte er leise und der Blick der seine Worte begleitete jagte ihr wohlige Schauer über den Rücken. "Und zieh' dir etwas Hübsches an", setzte er zärtlich hinzu.
Sarah schenkte ihm einen tiefen Blick aus spöttisch lächelnden Augen und nickte. Dann verabschiedete sie sich gewandt von Telramon und verliess den Raum.
"Ich denke, wir haben noch einiges zu besprechen", wandte sich Jareth an Telramon und registrierte erfreut, dass der Elf freundlich lächelnd nickte.
Kapitel 51
Einige Zeit später suchte Tobias seine Schwester in deren Zimmer auf und war gelinde überrascht, sie in einem Wust von Kleidern in allen Regenbogenfarben anzutreffen.
"Was ist denn hier los?" machte er seiner Überraschung Luft.
Sarah sah nur flüchtig auf und zog die Nase kraus über so viel männliche Dummheit. "Ich suche ein Kleid aus", antwortete sie knapp. "Was dachtest du denn?"
"Im ersten Moment an einen Tornado in deinem Kleiderschrank", entgegnete ihr Bruder trocken.
"Dummes Zeug! Was denkst du - wird ihm dieses Kleid gefallen?" Sie zog etwas orangefarbenes aus dem Stapel und schwenkte es vor Tobias.
Tobias fand für ihr seltsames, ja sogar albernes Verhalten keine Erklärung. So hatte sie sich noch nie aufgeführt. Doch langsam dämmerte eine Idee in seinem Gehirn.
"Sag mal, hat er dich etwa endlich gefragt?" fragte er mit leicht aufgeregter Stimme. Zu seiner Überraschung wurde seine Schwester rot.
"Nein, noch nicht. Aber ich denke, er wird es heute abend tun. Er hat gesagt ich soll etwas Hübsches anziehen. Was hältst du zum Beispiel hiervon?"
"Grün? Du kannst doch zu so einem Anlass nichts Grünes anziehen", stiess Tobias impulsiv hervor. Die Aufregung seiner Schwester hatte ihn angesteckt. "Hast du nichts Blaues?"
Geraume Zeit später hatten sich ausser Tobias auch noch einige der weiblichen Bediensteten des Schlosses in Sarahs Zimmer eingefunden. Die Nachricht von der offensichtlich bevorstehenden Verlobung schien sich wie ein Lauffeuer durch das ganze Land verbreitet zu haben. Alle der anwesenden Frauen und Mädchen bemühten sich, Sarah möglichst vorteilhaft herauszuputzen, während Tobias im Hintergrund seine Kommentare dazu gab. Unter normalen Umständen hätte Sarah diese ganze Herumzupfen an ihrem Kleid und ihren Haaren den letzten Nerv gekostet, doch heute schwamm sie in einer Blase voller Glückseligkeit und nahm die Bemühungen um ihre Person kaum war. Ab und zu tauchte sie aus ihren Gedanken auf um ihrem Bruder einen strahlenden Blick zu schenken, der bis dahin nicht geglaubt hatte, dass Glück eine Frau tatsächlich verschönern konnte.
Endlich war die letzte Falte geglättet und die letzte Haarnadel an ihrem Platz. Mit ihrer Erscheinung unendlich zufrieden drehte sich Sarah vor ihrem Spiegel.
"Nun, was meinst du?" richtete ihr Spiegelbild die entscheidende Frage an ihren Bruder. Sie hatte sich für ein Kleid aus mitternachtsblauer, matt schimmernder Seide entschieden. An dem grossen, ovalen Ausschnitt, der von Schulter zu Schulter reichte, an den Enden der langen, engen Ärmel und dem Saum des schwingenden Rockes waren filigrane, silberne Sternstickereien angebracht, die bei jeder Bewegung im Kerzenlicht glitzerten. Ihre halblangen Haare hatte sie im Nacken nur lose mit einem Band zusammen gefasst und dazu trug sie einen zarten, ebenfalls silbernen Stirnreif im Haar.
Tobias schüttelte leicht den Kopf. "Du hast es geschafft", stellte er fest und als sie ihn fragend ansah, fuhr er fort: "Du bist tatsächlich zu schön für Worte."
Ein beifälliges Raunen lief durch das Zimmer, das jedoch sofort verstummte, als von draussen kräftig an die Tür geklopft wurde und tatsächlich einer der Elfen eintrat, die erst heute morgen das Schloss betreten hatten.
Sarah bemerkte mit Genugtuung, dass er sich tief vor ihr verneigte und aus dieser Verbeugung mit verdächtig geröteten Wangen wieder auftauchte. Er schien noch nicht sehr alt zu sein.
"Mylady Sarah, wenn ihr nun bereit seid - König Jareth erwartet Euch im Thronsaal."
"Oh ja, natürlich. Vielen Dank", äusserte Sarah etwas unzusammenhängend und war auch schon weg. Die sentimentalen Seufzer der versammelten Frauen, die diesen Abgang begleiteten, liessen den jungen Elf noch tiefer erröten und sich ebenfalls schleunigst zurückziehen.
Als Sarah den Thronsaal betrat, wusste sie schon nicht mehr, wie sie hierher gelangt war. Doch als Jareth auf sie zukam und sie das Leuchten in seinen Augen sah, war sie nahe dran, sogar ihren Namen zu vergessen. Er fasste sanft ihre Hände.
"Jedesmal, wenn ich denke, du könntest unmöglich noch wundervoller aussehen, dann kann ich sicher sein, dass du das nächste Mal um ein vielfaches strahlender bist als das letzte Mal." Er hielt sie an ausgestreckten Armen ein Stück von sich weg und seine Blicke glitten so intensiv über Sarah, dass sie tatsächlich glaubte, sie auf ihrer Haut zu spüren. "Du bist unbeschreiblich." Mit diesen Worten zog er sie wieder näher zu sich.
"Du aber auch", sagte Sarah lächelnd.
Jareth sah mit komischem Zweifel an sich herunter. "Bis zu dem Moment, in dem du diesen Raum betreten hast, war ich allerdings auch dieser Meinung. Und alle Elfen, Diener und Kobolde, die sich in meinem Zimmer geradezu gestapelt haben, waren auch dieser Ansicht. Jetzt bin ich mir allerdings nicht mehr so sicher."
Er war heute abend ganz in schwarz und silber gekleidet. Zu einer schwarzen, schmalen Hose trug er ein weisses Hemd an dessen Kragen eine Spitzenmanschette befestigt war, die bis auf seine silberbestickte, schwarze Weste floss. Dazu hatte er sich für ein passendes, ebenfalls silberbesticktes, schwarzes Jacket entschieden, das ihm bis fast an die Knie reichte und vorne offen war.
"Oh, nein, Jareth. Du siehst absolut umwerfend aus", widersprach ihm Sarah zärtlich.
Einen Moment lang sahen sich beide nur tief in die Augen.
"Schliess bitte die Augen", bat Jareth nach einer Weile. "Ich habe noch eine Überraschung für dich."
Gehorsam machte Sarah die Augen zu, doch schon nach kurzer Zeit durfte sie sie auf ein Zeichen von Jareth wieder öffnen.
Sie schlug die Augen wieder auf und sah sich erstaunt um.
"Wo sind wir hier?"
Sie standen in einem kleinen Tal, dessen Ränder von blühenden Büschen und Bäumen umrahmt wurden, die einen betörenden Duft verströmten. Einige Schritte weiter floss ein leise plätschernder Wasserfall in einen kristallklaren See. Es war mittlerweile Nacht geworden, doch die Luft war von einem magischen Leuchten sanft schimmernd erhellt.
"In einem Teil meines Reiches zu dem nur ich Zutritt habe", beantwortete Jareth ihre Frage. "Wir müssten hier also vor Unterbrechungen sicher sein", ergänzte er grinsend. Auch Sarah stiess ein kurzes Kichern aus, das jedoch sofort verstummte, als Jareth sich vor ihr auf ein Knie niederliess.
"Sarah - Retterin meines Reiches, Stachel meiner Seele und Liebe meines Lebens..." Er sah sie unglaublich zärtlich an, doch Sarah glaubte, tief in seinen Augen auch einen kleinen Spottteufel zu sehen. Doch das störte sie nicht. Im Gegenteil! Sie liebte ihn so wie er war. Mit allen Ecken und Kanten. Mit allen Zärtlichkeiten und Wutausbrüchen. Das Leben mit ihm würde niemals langweilig werden. Dennoch wartete sie leicht atemlos darauf, dass er endlich weitersprach.
Er hatte in der Zwischenzeit etwas aus seiner Westentasche geholt und hielt es Sarah nun hin.
"Willst du meine Frau werden?"
Sarah sah auf seine Hand und den schmalen, weissgoldenen Ring zwischen seinen Fingern. Es war eine Hand die sich um eine kleine Kristallkugel schloss. Sarah erkannte ihn sofort wieder.
Sie konnte nichts dagegen tun, dass plötzlich Tränen des Glücks ihre Augen glitzern liessen. Dann wurde ihr bewusst, dass Jareth sie erwartungsvoll ansah und immer noch auf eine Antwort wartete.
"Ja, Jareth! Vater meiner Tochter, Sehnsucht meiner Träume und Hüter meines Herzens - ja ich will! Mehr als alles andere auf der Welt."
Seine Augen leuchteten auf, während er ihr den Ring auf den Finger schob. Dann stand er in einer raschen, geschmeidigen Bewegung auf und schloss sie in seine Arme.
"Endlich", murmelte er leise, bevor er seine Lippen auf ihren erwartungsvollen Mund senkte und kaum hatten sich ihre Lippen getroffen, spürten beide, wie sich ihre lang aufgestauten Gefühle Bahn brachen und wie eine dunkle Woge über sie hinweg rollten.
So fordernd und stürmisch wie dieser Kuss begonnen hatte, so sanft und spielerisch endete er. Während Sarah verspielt ihre Nase an seiner rieb, platzierte er kleine Küsschen in ihren Mundwinkeln, die sich kichernd wölbten. Glücklich barg sie ihren Kopf an seiner Halsbeuge und seufzte leise, als Jareth mit einem Finger ihren Nacken streichelte. Dann legte er einen Finger unter ihr Kinn und hob ihr Gesicht zu sich empor. Ihr anbetender Blick verschlug ihm für einen Moment die Sprache, doch dann fasste er sich wieder.
"Jetzt gehörst du mir", flüsterte er heiser mit einem leicht herausfordernden Unterton. "Für immer und ewig, Sarah." Und als er spürte, wie ihr Körper während seiner Worte wohlig erschauerte wiederholte er es. "Für immer und ewig."
Mit einem leisen Stöhnen, das auch ihm Schauer über den Rücken jagte, schlang Sarah ihre Arme enger um ihren Verlobten und blickte ihn unter halbgesenkten Wimpern ebenso herausfordernd an, wie er eben noch mit ihr gesprochen hatte.
"Nur für ewig?" flüsterte sie mit bebenden Lippen. "Das ist mir nicht lang genug", hauchte sie, bevor sie seinen Kopf zu sich herunter zog und ihm einen leidenschaftlichen Kuss schenkte, der ihn vor Sehnsucht nach ihr fast verrückt werden liess. Verlangend wanderten seine Hände über ihren Körper. Sanft löste sich Sarah aus seiner Umarmung und blickte ihn kokett an. "Hier?" fragte sie mit leicht hochgezogenen Augenbrauen, doch das Lächeln, das ihre Worte begleitete, gaben ihm bereits ihr Einverständnis.
"Ja, hier", stellte er fest. "Das Schloss ist voller Menschen, Elfen und Kobolde. Wir hätten keine ruhige Minute." Er wollte sie abermals küssen, doch sie entzog sich ihm spielerisch.
"Ich hoffe doch, das es länger dauert als eine Minute", flüsterte sie verführerisch in sein Ohr.
Seine einzige Antwort bestand in einem langen Blick und einem Grinsen, das sie in Vorfreude erschauern liess. Dann zog er sein Jacket aus.
Nur einen Augenblick später lagen beide zwischen den blühenden Büschen auf weichem Moos und zerrten sich gegenseitig unter wilden Küssen die Kleider vom Leib. So sorgfältig sie sie auch angelegt hatten, nun hatten sie ihre Schuldigkeit getan und waren nur noch im Weg. Sarah, die fast schon vergessen hatte, wie gut es sich anfühlte von einem Mann begehrt zu werden, schwamm in einem Meer der Ekstase. Jareths gierige Küsse und Berührungen erfüllten sie mit einem Verlangen, das übermächtig zu werden drohte. Sarah schlang ihre Beine erregt um seinen Körper und stöhnte lustvoll auf, als Jareth ohne zu Zögern mit einem einzigen Stoss tief in sie eindrang. Ihr Becken presste sich auffordernd gegen seinen Unterleib und seine ersten Bewegungen waren rasch und wild. Sein heisser Mund und seine teuflische Zunge liessen sie vor Lust erbeben. Die fast hastigen Stösse gingen in langsame, kreisende Bewegungen über und teilten Sarah mit, dass er übererregt war und ein zu schnelles Ende vermeiden wollte. Sie versuchte daher ihn nicht noch mehr zu reizen und ihre Hände von seinem festen Po und seinen kleinen, harten Brustwarzen fern zu halten. Doch allein die Tatsache, dass jede seiner Aktivitäten von einem lustvollen Stöhnen seiner Geliebten begleitet wurde und sie immer wieder seinen Namen abwechselnd flüsterte oder laut hinausschrie, liess ihn seine Beherrschung verlieren. Seine Bewegungen wurden wieder schneller, fordernder, seine Hände rücksichtsloser. Doch auch Sarahs Ekstase hatte die letzte Schwelle erreicht und während er sich heiss und zuckend in sie ergoss, erbebte sie unter den Wellen eines Höhepunkts, der sie atemlos und angenehm ermattet zurück liess.
Lange lagen sie schweigend in den Armen des anderen, notdürftig mit Jareth's Jacket bedeckt, betrachteten den Himmel über sich und genossen die Stille und die milde Nachtluft. Beide hatten das Gefühl endlich am Ende einer langen Reise angekommen zu sein.
"Wie habe ich es nur so lange ohne dich ausgehalten?" seufzte Sarah schliesslich leise. "Und wie hast du es nur ausgehalten, derart lange auf mich zu warten?" Sie kuschelte sich enger an ihn und sah ihm fragend in die Augen.
Er küsste sie zärtlich auf die Nasenspitze bevor er antwortete.
"Weil ich dich liebe", sagte er schlicht und Sarah seufzte beseligt auf.
Noch später schlichen Sie im Schloss leise vom Thronsaal zur Treppe. Sie hatten ihre Kleider nur notdürftig über sich geworfen und legten keinen gesteigerten Wert darauf von jemand gesehen zu werden. Auf dem ersten Treppenabsatz hielt Jareth seine Geliebte zurück und sah sie mit einem spöttischen Zwinkern an.
"Zu mir oder zu dir?" fragte er grinsend.
"Zu dir - ich habe gerade die Handwerker da", antwortete sie kichernd.
"Ich denke, als erstes brauchen wir eine neue Wohnung", überlegte Jareth während sie ihren Weg fortsetzten. "Am besten eine mit einem grossen stabilen Riegel an der Tür." Mit diesen Worten zog er sie erneut in seine Arme und gab ihr einen innigen Kuss.
"nothing ever hurts again"
Kapitel 52
Nach einer für Sarahs und Jareths Begriffen viel zu kurzen Nacht wurden sie durch ein hartnäckiges Klopfen an der Tür geweckt. Verschlafen blinzelte Sarah auf die Uhr und kuschelte sich wieder eng an Jareth. Vielleicht ging der unverschämte Klopfer ja wieder, wenn man ihn ignorierte - es war noch viel zu früh. Doch kurz darauf trat ein Kobold durch die Tür, ohne dazu aufgefordert zu sein. In seinen Händen trug er einen Krug mit Wasser. Er stellte den Krug auf dem Waschtisch ab und schritt zu den Fenstern, wo er die Vorhänge mit einem Ruck aufzog. Sarah, von der überraschenden Helligkeit geblendet, stöhnte gequält auf und schlug die Hände vors Gesicht.
"Ich wünsche Eurer Majestät einen guten Morgen. Und auch Ihnen, Lady Sarah", schmetterte Ihnen der Kobold gutgelaunt entgegen, dann zog er sich endlich wieder zurück.
Erst jetzt rührte sich Jareth. "Einen grossen Riegel. Einen sehr, sehr grossen Riegel", murmelte er schlaftrunken.
Neben ihm kicherte Sarah. "Guten Morgen, Majestät. Aber vielleicht sollten wir doch aufstehen."
"Nenn' mir auch nur einen guten Grund", nuschelte Jareth und drehte sich auf die andere Seite.
"Ich bin ja auch noch müde", gab Sarah zu. "Aber ich habe Hunger und ich fürchte, wir haben heute viel zu tun - angefangen damit, dass wir unsere Verlobung bekannt geben sollten."
Müde wandte sich Jareth wieder seiner Verlobten zu. "Das nennst du Gründe?"
Doch Sarah war tatsächlich schon aufgestanden und beäugte nun mit misstrauischer Miene die Waschschüssel und den Wasserkrug. Gähnend und sich streckend gesellte sich Jareth widerwillig zu ihr und umschlang ihre Taille von hinten mit seinen Armen.
"Bist du Morgens eigentlich immer so widerlich wach?"
Sarah grinste ihn über ihre Schulter an. "Und du? Bist du morgens immer so eine widerliche Schlafmütze?" Dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder dem Wasserkrug zu. "Soll ich mich etwa damit waschen?"
Jareth, der gerade verträumt an ihrem Ohrläppchen knabberte, unterbrach diese angenehme Beschäftigung. "Was dachtest du denn?"
"Aber das ist ja mittelalterlich! Gibt es hier kein richtiges Badezimmer?"
"Das nicht, aber ich habe natürlich meine eigene Badewanne", erklärte Jareth.
"Ach", sagte Sarah ziemlich entgeistert.
"Aber wenn dein kleines Herz daran hängt, dann werden wir in unseren neuen Räumen ein eigenes Badezimmer haben", versprach er ihr.
"Auch mit einer Dusche?" fragte sie zaghaft.
"Auch das werde ich irgendwie bewerkstelligen können."
Geraume Zeit später betraten beide einen der kleineren Säle, der als Frühstückszimmer genutzt wurde. Mit einem schnellen Blick in die Runde stellte Sarah fest, dass sie die letzten waren. Ihr Bruder sass bereits an dem grossen Tisch und unterhielt sich angeregt mit Darius. Telramon bot gerade Hoggle etwas von einer weiter entfernten Platte an und einige der jüngeren Begleiter Telramons lauschten gerade einer Erzählung von Sir Dydimus. Beim Eintritt des Königs verstummten jedoch alle Gespräche und alle Augen wandten sich neugierig dem Paar zu, das sich an den Händen hielt und glücklich lächelte.
"Ich darf Euch bekanntgeben", sagte Jareth mit klarer Stimme, "dass Lady Sarah mir gestern abend die Ehre gegeben hat, meinen Heiratsantrag anzunehmen."
Nach einer Schrecksekunde stimmte Sir Dydimus einen Hoch-Ruf auf das Paar an und alle Anwesenden fielen darin ein. Dann erhoben sich alle mehr oder weniger stürmisch von ihren Plätzen um das Paar zu beglückwünschen. Tobias drängte sich dabei sehr unfein vor, um nur ja der Erste zu sein. Lachend schüttelten beide alle Hände, die sich ihnen entgegenstreckten und Sarah bot unzähligen Lippen ihre Hand und ihre Wange zum Kuss entgegen. Als die erste Aufregung abgeebbt war, atmete Sarah tief durch und verlangte nach ihrem Frühstück.
"Denn, wenn ich jetzt nichts zu essen bekommen, dann falle ich auf der Stelle um."
"Oh, das wollen wir doch vermeiden", äusserte Telramon galant und bot ihr seinen Arm an, um sie zum Tisch zu führen. Als Sarah und Jareth mit allem versorgt waren, richtetet Jareth das Wort an Telramon und Darius.
"Zu allererst müsste ich die anderen Herrscher von unserer Verlobung in Kenntnis setzen. Auf welchem Wege sollte dies geschehen?"
"Nun, üblicherweise benützt man in solchen Fällen eine Kristallnachricht", antwortete Telramon und Darius nickte dazu.
"Und wie funktioniert so was?" fragte Jareth perplex. "Ich habe noch nie davon gehört."
"Ach, ich vergesse immer wieder, wie sehr ihr von allem abgeschnitten ward", entschuldigte sich der Elf. "Es bestand für Euch ja nie die Notwendigkeit mit den anderen Reichen zu kommunizieren."
"Ich werde Euch später zeigen, wie es gemacht wird, Eure Majestät", bot Darius an.
Die nächsten Tage vergingen für Sarah wie im Traum. Die Bevölkerung wurde von ihrer Verlobung vom König persönlich informiert und jubelte daraufhin stundenlang dem Paar zu. Jareth verschickte in schwebenden Kristallen die Nachricht von Ihrer Verlobung an alle Herrscher und Herrscherinnen der anderen Reiche, Tobias kehrte mit einem entsetzlich dicken Brief von Sarah für ihre Tochter wieder nach Phoenix zurück, Sarah durchkämmte das Schloss auf der Suche nach einer geeigneten Zimmerflucht, die Elfendelegation reiste bis auf Telramon - der auf Jareths Bitte hin eingewilligt hatte noch zu bleiben - ab, eine kleine Gruppe Feen traf ein, die Abgesandten der Zwerge schickten einen Boten voraus, dass sie in den nächsten Tagen ankommen würden und Sarah erhielt ihre ersten magischen Lektionen.
"Ich bekomme wirklich magische Kräfte?" fragte sie ungläubig.
"Ja, natürlich", antwortete Jareth.
"Oh, das ist einfach fabelhaft!" jubelte Sarah.
"Immer schön langsam", schmunzelte ihr Verlobter. "Eigentlich bekommst du diese Kräfte erst nach unserer Hochzeit in einer eigenen Zeremonie zugeteilt. Aber nachdem es bei diesen Gelegenheiten schon ein paar Mal zu Zwischenfällen gekommen ist...." er zwinkerte Telramon zu. "Wer war es noch gleich gewesen, der den Hochzeitspavillon in Brand gesteckt hat, weil er seine neuen Kräfte nicht kontrollieren konnte?"
"Der Vater der jetzigen Feenkönigin - Prinzregent Norian. Immerhin gab es keine Verletzten", äusserte Telramon mit stoischer Ruhe, doch auch um seine Mundwinkel zuckte es verräterisch.
"Genau", grinste Jareth. "Und damit uns so was nicht passiert, erhältst du deine magischen Kräfte schon ein wenig früher. Aber du darfst sie nur anwenden, wenn ich dabei bin und vor allem darfst du sie auf gar keinen Fall in der Öffentlichkeit zeigen", mahnte er ernst und Sarah nickte folgsam.
"Jawohl, Eure Majestät. Wann können wir anfangen? Sofort?"
Jareth seufzte theatralisch. "Seht ihr nun, Telramon, was ich mir da für eine Braut eingefangen habe?"
"Ich würde sagen, Sie ist Euch durchaus ebenbürtig", antwortete Telramon ohne eine Miene zu verziehen.
"Touché", lachte Jareth. "Also, dann komm schon du kleiner Quälgeist."
Er führte Sarah in das oberste Turmzimmer des Schlosses, von dem aus man einen überwältigenden Blick über den größten Teil des Reiches hatte.
Jareth liess einen Kristall erscheinen und liess ihn eine Weile über seine Hände rollen. Sarah sah ihm fasziniert zu.
"Werde ich das auch einmal können?" fragte sie bewundernd. "So damit zu jonglieren?"
"Vielleicht. Dazu bedarf es in erster Linie einer gewissen Geschicklichkeit - Magie allein reicht dafür nicht aus."
Der Kristall ruhte nun in Jareth's Handflächen.
"Jedes Mitglied der königlichen Familie erhält seine Zauberkräfte auf diese Art und in diesem Raum", erläuterte er.
"Warum ausgerechnet hier?"
"Ich fürchte, das hat keinen besonderen Grund. Es ist eben eine Tradition." Er hob ihr seine Hände mit dem Kristall entgegen. "Leg' deine Hände auf den Kristall", forderte er sie auf.
Vorsichtig wölbte Sarah ihre Handflächen über die glatte Rundung und wie schon beim letzten Mal war sie überrascht, wie warm und lebendig sich der kalt aussehende Kristall anfühlte.
"Fühlst du ihn?" fragte Jareth leise. "Fühlst du die Magie in ihm?"
Sarah nickte stumm.
"Dann schliesse jetzt die Augen und konzentriere dich ganz auf dieses Gefühl. Ich werde jetzt meine Energie in diesen Kristall fliessen lassen."
"Muss ich irgendwas tun?" fragte Sarah aufgeregt.
"Nein, ich sage es dir dann schon. Jetzt musst du dich einfach nur auf dieses Gefühl konzentrieren."
Mit klopfendem Herzen schloss Sarah ihre Augen. "Was ist, wenn ich es nicht schaffe", dachte sie gerade noch verzweifelt, doch da hatte sie die Veränderung schon gespürt. Ein summendes Vibrieren lief durch den Kristall und floss in ihre Hände.
"Hast du es?" fragte Jareth leise.
"Ja, es fühlt sich wundervoll an. So... warm und.... ich weiss nicht."
"Gut, das ist es. Lass dich völlig davon durchdringen. Stell dir vor, dass du es an einem Punkt versammelst." Er sprach langsam und eindringlich, während er sie genau beobachtete.
Sarah nickte und wieder fiel es ihr ganz leicht, diese Gefühle auf einen Punkt zu focusieren.
"Wenn du soweit bist, dann kannst du deine Augen wieder aufmachen."
Langsam öffnete sie ihre Augen und blickte Jareth an.
"Gut gemacht", lobte er sie. "Doch jetzt kommt der schwierige Teil. Nun musst du diese gesammelten Gefühle freisetzen und aus diesem Kristall einen zweiten Kristall formen."
"Wie soll ich das machen?" rief Sarah in plötzlicher Panik.
"Es geht schon, nur die Ruhe", beruhigte er sie. "Zentriere deine Gefühle wieder zurück auf den Kristall und stell dir vor, wie aus diesem Kristall ein weiterer Kristall hervortritt. Ähnlich wie wenn du aus einem Tonklumpen..." doch weiter kam er nicht, denn Sarah flüsterte aufgeregt: "Ich glaube es passiert etwas."
Jareth senkte seinen Blick und sah, dass zwischen ihren Fingern ein warmes goldenes Licht hervorblitzte.
"Ja, das ist es! Ganz ruhig jetzt. Konzentriere dich weiter - du darfst den Faden nicht verlieren. Öffne jetzt ganz langsam deine Hände, damit der zweite Kristall hervortreten kann."
Sarah tat wie ihr geheissen und öffnete behutsam ihre Hände und schon fühlte sie, wie etwas warmes, rundes von unten dagegen drückte. Langsam schälte sich ein leuchtender Kristall aus dem Originalkristall heraus und fiel schliesslich mit einem leichten "Plopp" in ihre auffangbereit gewölbten Hände.
"Ich habe es geschafft, ich habe es geschafft", jubelte sie ekstatisch. Sie konnte kaum den Blick von diesem sagenhaften, schimmernden Kristall wenden.
"Das hast du phantastisch gemacht", freute sich auch Jareth. "Doch noch ist es nicht vorbei. Einen Schritt musst du noch unternehmen. Schliess am Besten wieder die Augen. Konzentriere dich wieder auf den Kristall in deinen Händen - und dann musst du die Energie des Kristalls in dich fliessen lassen und sie völlig in dir aufnehmen. Wenn du das geschafft hast, löst sich der Kristall auf."
Für diesen letzten Schritt benötigte Sarah allerdings mehrere Versuche, doch schliesslich spürte sie ein Kitzeln in ihren Handflächen und als sie durch ihre Lider blinzelte, sah sie, wie sich der Kristall vor ihren Augen auflöste, als ob er in ihren Körper sickern würde.
"Ich habe es geschafft!" sagte Sarah ungläubig.
"Ich habe keine Sekunde daran gezweifelt", erwiderte Jareth und zog sie liebevoll in seine Arme. Dankbar lehnte sie sich an ihn und bemerkte dabei, wie erschöpft und ausgepumpt sie sich fühlte. Jareth küsste sie sanft auf die Stirn.
"Genug für heute, meine kleine Zauberin."
Tatsächlich waren die Tage des Paares so ausgefüllt, dass sie nachts übermüdet ins Bett sanken und höchstens noch matt über die Farbe der Vorhänge in ihren neuen Räumen stritten, die Sarah schliesslich doch noch ausfindig gemacht hatte. Die Räume wurden teils durch Handwerker, teils durch Magie verändert, wobei Sarah ihre neuen Kräfte erproben konnte. Jareth liess sogar eine Dusche installieren, doch das Wasser floss natürlich nur, wenn man magische Kräfte wirken liess. Doch Sarah war mehr als glücklich damit und konnte es kaum noch erwarten, die neuen Räume auch zu beziehen. Die restliche Zeit verbrachten sie damit gemeinsam mit Telramon und Darius ihre Hochzeit vorzubereiten, was sich als relativ schwierig herausstellte, da nur bruchstückhafte Aufzeichnungen von früheren königlichen Hochzeiten erhalten geblieben waren. Dennoch war es von entscheidender Wichtigkeit, die Zeremonie so korrekt wie möglich zu planen, damit alles der Tradition entsprechen würde, denn auf Tradition wurde in den Nachbarreichen sehr viel Wert gelegt. Also holten sie soviel Informationen ein, wie sie nur bekommen konnten, doch es blieben immer noch viele Lücken übrig, die sie mit eigener Inspiration füllen mussten. Die Zeremonie würde von der Feenkönigin Allegra durchgeführt werden, die dieses Jahr die oberste Herrscherin aller Reiche war. Dieser Ehrentitel wurde jedes Jahr nach einer bestimmten Reihenfolge weiterverliehen. Auch Jareth würde ihn nun eines Tages für ein Jahr innehaben. Da königliche Hochzeiten immer im Freien stattzufinden hatten, musste schnell ein Termin gefunden werden. Denn durch die Aufhebung des Fluches würde es im Koboldreich auch wieder reguläre Jahreszeiten geben. Endlich bestand Einigkeit darüber, dass die Hochzeit in 6 Wochen am 31. August stattfinden sollte. Wieder verschickte Jareth die Einladungen per Kristallnachricht und die Zwergengruppe beschloss daraufhin, gleich hierzubleiben. Es blieb also nicht mehr viel Zeit für die ganzen Vorbereitungen, doch alle Untertanen arbeiteten fröhlich an den zusätzlich benötigten Unterkünften für die zu erwartenden Gäste. Denn nur die königlichen Hoheiten würden im Schloss untergebracht werden. Auch dort hatte die Dienerschaft alle Hände voll zu tun. Die Räume mussten geputzt und gelüftet werden, Sarah zauberte - unter Ausschluss der Öffentlichkeit - stundenlang neue Bettwäsche und Vorhänge um alles ein wenig wohnlicher zu gestalten. Schliesslich erreichte sie eine reizende Kristallnachricht von Königin Allegra, die traditionsgemäss eine Woche vorher anreisen wollte, um Sarah mit ihrem Hochzeitskleid zu helfen und um das Brautpaar auf die Zeremonie vorzubereiten. Mitten in diesem Trubel hätte Sarah fast den Geburtstag ihrer Tochter vergessen.
Doch gerade als sie über dem festlichen Menü brüteten, das am Hochzeitsabend serviert werden sollte, setzte sie sich kerzengerade auf und ein Schrei durchschnitt die Stille.
"Jasmina!"
Träge blickte Jareth von einer Karte auf, die er gerade studierte. "Was ist mit Jasmina?"
"Jasmina hat in drei Tagen Geburtstag, du Rabenvater!" rief Sarah aufgebracht.
Mit Genugtuung beobachtete sie, wie Jareth sich schuldbewusst auf die Lippen biss.
"Ihr habt eine Tochter?" Telramons Blick wanderte perplex zwischen Sarah und Jareth hin und her.
"Sie lebt auf der Erde", warf Jareth ein, ohne den Blick von Sarah zu lassen. "Aber das ist eine lange Geschichte - ich werde sie Euch ein anderes Mal erzählen." Er machte eine kurze Pause. "Verstehe ich dich richtig, dass du mir die ganze Schuld in die Schuhe schieben willst? Du hast ihren Geburtstag doch genauso vergessen, wie ich."
"Du hättest ja auch mal daran denken können!"
"Ach, du willst Streit? Gut, dann sag' mir doch mal, warum du unserer Tochter in deinem 800-Seiten-Brief nicht erklärt hast, wie sie den magischen Spiegel in deinem Schlafzimmer benutzen kann?"
"Weil es diesen Spiegel nicht mehr gibt", stiess Sarah mit einem Unterton hervor, der stark in die trotzige Richtung ging.
"Wieso gibt es den Spiegel nicht mehr?" Auf Jareth's Gesicht breitete sich Verblüffung aus.
"Er ist zerbrochen und dann habe ich ihn eben weggeworfen", erklärte Sarah ungerührt.
"Ich wette, er ist nicht von allein zerbrochen", murmelte Jareth gerade laut genug, dass Sarah es hören musste. "Nun hör mir mal gut zu, du kleine Furie - ich entschuldige mich ja dafür, dass ich in den letzten Tagen wirklich nicht mehr an unsere Tochter gedacht habe. Was hältst du davon, wenn ich sie heute abend kurz besuche, ihr einen neuen Spiegel mitbringe, und sie ihren Geburtstag hier verbringen darf?"
Die Gewitterwolken von Sarahs Stirn waren bei seinen Worten wie weggewischt und sie sprang auf um ihm um den Hals zu fallen.
"Oh, das wäre wirklich das Beste! Vielen, vielen Dank." Sie küsste ihn stürmisch und deshalb sah keiner von beiden, wie Telramon ungläubig den Kopf schüttelte.
Solche Temperamentsausbrüche hatte er schon lange nicht mehr erlebt.
Jareth hielt Wort. Als der Abend gekommen war, verabschiedete er sich von Sarah und machte sich zu einem Besuch bei ihrer Tochter auf. Jasmina hatte sein Kommen gefühlt und warf sich ihm, kaum dass er aufgetaucht war freudig um den Hals.
"Hallo Daddy! Ist das schön, dass du endlich kommst. Wo ist Mum? Warum hast du sie nicht mitgebracht? Ich habe schon fast gedacht, dass ihr mich vergessen habt!" Sie formte einen reizenden Schmollmund während Jareth das schlechte Gewissen schlug. Behutsam löste er ihren Würgegriff um seinen Hals. "Ich freue mich auch, dich wiederzusehen, du Wirbelwind. Deine Mutter kann dich deshalb noch nicht selbst besuchen, weil ihre Magie dazu noch nicht stark genug ist. Später einmal..."
"Mum kann zaubern?" unterbrach ihn seine impulsive Tochter.
"So würde ich das nicht gerade nennen, aber zum Ausgleich habe ich zwei Überraschungen für dich."
"Für mich?" quietschte Jasmina aufgeregt. "Was für Überraschungen? Wo sind sie?"
"Du bist wirklich nichts weiter als ein lästiges kleines Koboldbaby", tadelte Jareth mild. "Wenn du nicht aufhörst so herumzuhopsen, kann ich dir die erste Überraschung nicht geben. Sie ist zerbrechlich." Vorsichtig zog er aus seiner Weste einen mittelgrossen Handspiegel hervor. Er war sehr schlicht in einen silbernen Rahmen gefasst, doch nichtsdestotrotz war es ein richtiger Zauberspiegel.
"Ein Spiegel?" Enttäuschung malte sich auf Jasminas Gesicht.
"Es ist ein Zauberspiegel", erläuterte Jareth lächelnd. "Wenn du hineinsiehst und den Namen der Person, mit der du sprechen möchtest, laut aussprichst - dann erscheint diese Person im Spiegel."
Schnell wie eine Schlange grapschte Jasmina nach dem Spiegel und hielt ihn begeistert in der Hand. "Cool! Wie ein Bildtelefon! Und damit kann ich jetzt mit Mum sprechen?"
*Will ich wirklich noch weitere Kinder?* dachte Jareth bei sich. Laut sagte er jedoch: "Ja, das kannst du. Aber auch meine Magie hat ihre Grenzen. Dieser Spiegel funktioniert nur von hier aus. Wir können dich damit nicht *anrufen*."
"Kein Problem", sagte Jasmina lässig. "Und was ist die zweite Überraschung?"
"Du bist ein Nimmersatt", schimpfte Jareth und zog seine Tochter ein wenig an den Haaren. "Die zweite Überraschung ist, dass du deinen Geburtstag bei uns verbringen darfst."
Jasmina strahlte ihn mit grossen Augen an. "Ist das wahr? Ist das wirklich wahr?" Und als er zur Bestätigung nickte, hing sie ihm schon wieder um den Hals. "Oh, Daddy, das ist das allerbeste Geburtstagsgeschenk aller Zeiten." Sie rückte ein wenig von ihm ab und richtete einen bohrenden Blick auf ihn. "Aber warum der plötzliche Sinneswandel? Du hast dich doch sonst immer geweigert, mich einmal mit zu nehmen."
Er stupste sie mit dem Finger leicht auf die Nasenspitze. "Weil es diesmal deine Mutter erlaubt hat." Er lachte bei ihrem grimmigen Gesichtsausdruck. "Nein, das ist nicht die ganze Wahrheit. Es ist so, dass sich die magischen Verhältnisse seither etwas verändert haben, so dass du uns ohne Risiko besuchen kannst. Vielleicht solltest du nicht unbedingt länger als 3 Wochen bleiben, aber sonst sehe ich keine Schwierigkeiten."
"Und warum bekomme ich dann nur einen Zauberspiegel und kein Amulett, wie Robin und Tobias? Das ist nicht fair!"
"Jetzt klingst du schon genau wie deine Mutter!" Jareth schwankte zwischen Ärger und Belustigung. "Ich habe dir schon ein paar Mal erklärt, dass du dafür nicht genug eigene Magie hast und du deshalb kein Amulett bekommst."
"Aber Robin und Tobias schon, oder was?!" begehrte sie auf.
"Ja! Die beiden haben genug Magie und du nicht. Und deshalb werde ich dich an deinem Geburtstag auch hier abholen und dich begleiten. Nein, keine Diskussion mehr, weder du noch ich können daran etwas ändern. Ausserdem wirst du dir schleunigst bessere Manieren angewöhnen, oder du darfst nicht zu unserer Hochzeit kommen - und wie sähe das wohl vor den Leuten aus."
Jasmina schnappte nach Luft. "Oh, das ist... das ist... und ich darf wirklich... ich freue mich so für euch!" stammelte sie. "Es ist nur schade, dass ich nun nie mehr wissen werde, wie das Labyrinth früher ausgesehen hat."
Durch ihre Freude besänftigt, strich Jareth ihr mit einem Finger über die Wange. "Glaub' mir, verglichen mit jetzt hast du absolut nichts versäumt. Aber das mit deinem Benehmen habe ich durchaus ernst gemeint. Immerhin bist du *Ihre königliche Hoheit, Erbprinzessin Jasmina*."
"Wow", hauchte Jasmina beeindruckt. "Ich habe das eigentlich nicht so richtig ernst genommen, als du letztes Jahr davon gesprochen hast." Sie dachte kurz nach. "Aber was ist, wenn ihr noch Kinder bekommt? Ich meine, wie heissen die dann?"
"Eine gute Frage, aber einfach zu beantworten. Solltest du noch Geschwister bekommen wären das dann *Ihre königlichen Hoheiten, Kronprinzessin oder Kronprinz*, denn er oder sie würde dann meinen Thron erben."
"Cool. Aber jetzt zeigst du mir, wie ich mit Mum telefonieren kann", forderte sie in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.
Jareth seufzte. Einerseits hätte er schon noch gerne einen Erben gehabt.... andererseits, wenn alle Kinder von ihm und Sarah so ausfallen würden, wie dieser Quälgeist....
Obwohl Jasmina dachte, die Tage bis zu ihrem Geburtstag würden nie vergehen, so brach der grosse Tag doch schliesslich an - wie jeder andere auch. Ihr Vater holte sie ab und brachte sie direkt ins Schloss, wo sie allen Gästen ihrer Eltern vorgestellt wurde, bevor sich alle zu einem ausgedehnten Frühstück niedersetzten. Jasmina war schwer beeindruckt von ihrer Umgebung und davon, wie strahlend ihre Mutter aussah und wie ehrerbietig ihr Vater von allen Anwesenden behandelt wurde.
"Ich weiss gar nicht, worüber du dir solche Sorgen gemacht hast", flüsterte Sarah zwischen zwei Schlucken Tee in Jareths Ohr. "Sie benimmt sich doch ganz manierlich."
"Das ist vermutlich nur der Kulturschock", flüsterte Jareth pessimistisch zurück. "Die Frage ist nur, wie lange der noch anhält."
Leider erwies sich Jareths Misstrauen als begründet. Denn kaum war das Frühstück vorbei hatte Jasmina wieder zu ihrem eigenen, unbändigen Selbst zurückgefunden und ging auf Entdeckungstour wobei sie wie eine wilde Hummel durch das ganze Schloss tobte. Nach zwei Stunden waren Sarah und Jareth von dem Elan ihrer Tochter völlig erschöpft und wussten sich nicht mehr anders zu helfen, als sie an Hoggle abzuschieben, der den Auftrag erhielt Jasmina durch das Labyrinth zu führen.
"Und du dachtest, ich würde mir unnötig Sorgen machen", sinnierte Jareth aus einem tiefen Sessel heraus in dem er es sich bequem gemacht hatte. "Und? Wer hatte jetzt recht?"
Sarah legte zwar ihre Stirn in Falten, kuschelte sich dann aber doch in einen zweiten Sessel und legte die Füsse auf einen kleinen Hocker. "Ich bin zu schlapp um mit dir zu streiten, Jareth - ich gebe ja zu, dass du Recht hattest."
"Dabei verstehe ich das nicht", fügte sie nach einer kleinen Weile hinzu. "Sie war doch früher nicht so.... das muss sie von dir haben!"
"Von mir? Also, wenn ich daran denke, wie ich in dem Alter war, gebe ich gern zu, dass ich für Tandor eine Katastrophe war, aber ich war ganz sicher kein Tornado auf zwei Beinen wie unsere liebe Tochter."
"Jetzt wirst du ungerecht", murmelte Sarah matt.
"Ungerecht? Ausserdem haben deine Erbanlagen augenscheinlich auch nicht dazu beigetragen ihr Temperament zu zügeln."
Während sich ihre Eltern halbherzig stritten, durchstreifte Jasmina unter Hoggles Führung das Labyrinth. Hoggle hatte sich nicht lange bitten lassen um ihr die Geschichte vom ersten Zusammentreffen ihrer Eltern zu erzählen. Nach einer Weile wurde Jasmina allerdings klar, dass die geschilderten Geschehnisse sich wohl nicht ganz so zugetragen hatten, schilderte Hoggle die ganze Angelegenheit doch sehr aus seiner Sicht und keinesfalls so objektiv, wie Jasmina sich das gewünscht hätte. Es fiel ihr auch nicht leicht, in dem jetzigen Gewirr von Gängen und Hecken das bedrohliche Labyrinth zu entdecken, welches ihre Mutter zu bewältigen hatte. Doch je länger sie Hoggles farbigen Berichten lauschte, tauchte sie immer tiefer in dieser fremde Welt ein, die ihr zu Anfang wie ein atemberaubender Fantasy-Film vorgekommen war. Sie begann zu begreifen, dass dies alles Realität war und kein gut inszenierter Freizeitpark. Hoggle führte sie derweil um eine Biegung nach der anderen, bis sie verblüfft vor Alf und Ralf stand.
"Na komm, frag sie was!" forderte Hoggle sie vergnügt auf.
Jasmina knabberte unsicher an ihrer Unterlippe. "Also gut", sagte sie zu sich selbst und trat auf den rechten Wachtposten zu. "Wohin..." doch schon wurde sie unterbrochen.
"Halt, junge Dame! Du darfst nur eine Frage an einen von uns stellen", sagte Alf.
"Und einer von uns lügt immer", ergänzte Ralf.
"Und der andere sagt immer die Wahrheit", setzte Alf hinzu.
"Eine der Türen führt direkt ins Schloss", meldete sich Tim zu Wort und Jasmina machte einen kleinen Satz rückwärts als sie Jim und Tim zum ersten Mal bemerkte.
"Und die andere in den sicheren Untergang", dröhnte Jim.
"Na toll", murmelte Jasmina. "Und jetzt?" fragte sie Hoggle.
"Das hast du doch gehört. Stell ihnen eine Frage." Hoggle grinste von einem Ohr zum anderen.
"Einer sagt immer die Wahrheit und der andere lügt immer", wiederholte Jasmina nachdenklich. "Und was ist, wenn das schon gelogen war?" Sie blickte streng zwischen Alf, Ralf, Jim, Tim und Hoggle hin und her.
"Ah haaa", machten Alf und Ralf, während Hoggle noch breiter grinste und Jim und Tim anerkennend nickten.
"Was hat meine Mutter an dieser Stelle gemacht?" fragte sie Hoggle
"Oh, sie hat nachgedacht, das Rätsel durch Logik gelöst und ist durch eine der Türen gegangen. Sie hat nicht wie du daran gedacht, das Rätsel in Frage zu stellen."
"Und was ist nun die Lösung?"
"Es gibt keine!" eröffnete Hoggle mit sichtlicher Genugtuung. "Das ist nur ein Zeitverschwender-Rätsel. Von denen gab es hier früher einige. In Wirklichkeit sind die Wege hinter den Türen absolut identisch."
"Ja, aber ich denke, eine führt zum Schloss und die andere..."
"Beides ist richtig", trumpfte Hoggle auf. "Je nachdem wie du den Weg bewältigst führt er dich direkt zum Ziel, oder in den sicheren Untergang."
"So ein Blödsinn", dachte Jasmina und ging kopfschüttelnd auf eine der Türen zu, öffnete sie und ging hindurch. Sie hörte Hoggle noch "Achtung!" rufen und wusste auch schon im nächsten Augenblick, warum er sie warnen wollte, doch da war es schon zu spät und sie fiel in den Schacht der helfenden Hände, die sie ohne zu fragen auf den Boden in die Oubliette gleiten liessen.
Erschreckt und verstört hockte Jasmina auf dem Boden der dunklen Kammer und starrte an die Decke, wo sich die Öffnung langsam schloss.
"Hoggle wird mich gleich hier raus holen", sagte sie leise in die Dunkelheit. Doch obwohl sie wusste, dass die Rettung nicht mehr lange auf sich warten lassen würde, hatte sie Angst - schreckliche Angst. Wie musste sich wohl erst ihre Mutter gefürchtet haben? Die Erkenntnis, dass sie Tobys Befreiungsaktion durch ihre Mutter so lange zu Unrecht als grossen Spass betrachtet hatte, überwältigte sie und sie konnte nicht verhindern, dass einige Tränen aus ihren Augen tropften. In der Dunkelheit verlor sie ihr Zeitgefühl und so schien es ihr eine Ewigkeit zu dauern, bis Hoggle endlich mit einer kleinen Fackel, die flackerndes Licht verströmte vor ihr stand. Sie schnüffelte noch einmal kurz auf, wischte sich über die Augen und erhob sich.
"Hast du dir weh getan?" fragte Hoggle besorgt und Erleichterung breitete sich auf seinem Gesicht aus, als sie den Kopf schüttelte.
"Ich wollte dich noch warnen", sagte er entschuldigend, während er an einem Türschloss herumnestelte. "Aber du warst einfach zu schnell." Er hatte die Tür geöffnet und beleuchtet den Durchgang. "So, hier geht's lang."
Jasmina sah ihre Eltern erst wieder beim festlichen Abendessen, das von einer gigantischen Geburtstagstorte gekrönt wurde. Sowohl Jareth und auch Sarah fiel auf, wie merkwürdig ruhig und in sich gekehrt ihre ungestüme Tochter während des Essens war und betrachteten sie besorgt. Nachdem die Torte fast vollständig verspeist war, beugte sich Jareth zu Jasmina.
"Geht es dir nicht gut?"
"Nein, ich bin nur ein bisschen müde", wich Jasmina dem fragenden Blick ihres Vaters aus.
"Ach, komm, Jasmina", mischte sich Sarah ein. "Ich kenne dich ein bisschen besser. Was hast du denn, mein Schatz? Du kannst es uns ruhig sagen."
"Ich... ich hab' mich die ganze Zeit so dumm benommen", sagte sie leise mit stockender Stimme. "Ich habe heute sehr viel gesehen... und ich glaube, ich verstehe jetzt alles besser." Sie sah ihre Eltern treuherzig an. "Ich habe euch beide sehr lieb."
"Das haben wir auch", versicherten ihre Eltern ihr gerührt.
Jareth stand von seinem Sitz auf und erhob sein Glas.
"Auf Prinzessin Jasmina!" rief er stolz.
"Auf Prinzessin Jasmina!" erscholl es aus unzähligen Kehlen während Jasmina zum ersten Mal in ihrem Leben vor Verlegenheit errötete.
Kapitel 53
Die Zeit war weit vorangeschritten und bis zur Hochzeit von Sarah und Jareth fehlte nur noch eine Woche. Für übermorgen hatten sich Jasmina, Robin und Tobias angekündigt und bereits heute sollte die Königin der Feen eintreffen. Beim Frühstück bemerkte Sarah zu ihrer Genugtuung, dass sogar Telramon etwas nervös wirkte. Königin Allegra sollte - wie es die Tradition verlangte - Sarah bei der Erstellung ihres Hochzeitkleides helfen und die Braut sah dieser Aktion mit sehr gemischten Gefühlen entgegen. Mitten in diese Überlegungen hinein erleuchtete ein gleissendes Licht den Raum, welches fast sofort wieder erlosch und an seiner Stelle stand eine grossgewachsene, stattliche junge Frau mit wallendem rotblondem Haar. Ihr langes, weites Kleid aus zartgrüner, glänzender Seide wurde von einem prachtvollen goldenen Gürtel zusammengehalten. In ihrer rechten Hand hielt sie einen silbrig glänzenden Zauberstab.
Als sie die verblüfften Gesichter um sich herum sah, lachte sie mit melodischer heller Stimme fröhlich auf.
"Na, ist das eine Art eine regierende Feenkönigin zu begrüssen?"
Sarah und Jareth sprangen bei diesen Worten auf und zumindest Sarah fühlte sich seltsam beschämt, dass sie ihren Gast so angestarrt hatte. Doch diese schien es nicht übel zu nehmen.
Ohne eine Antwort abzuwarten, schritt die rotblonde Frau auf Jareth zu. "Du musst Jareth sein. Ich freue mich sehr, dich endlich persönlich kennenzulernen. Ich bin Allegra."
"Ich freue mich sehr Ihre Bekanntschaft zu machen, Königin Allegra", äusserte Jareth förmlich und verbeugte sich vor Allegra.
"Warum so förmlich? Du kannst ruhig Allegra zu mir sagen. Wir gekrönten Häupter duzen uns alle untereinander." Ihr Blick wanderte durch den Raum. "Du bist sicher Sarah - ach, und Telramon ist auch schon da." Allegras Augen zwinkerten amüsiert. "Keine Sorge, ich werde meine spitze Zunge dort lassen wo sie hingehört, alter Freund." Sie hakte sich bei Sarah unter. "Ich denke, wir fangen am besten gleich an. Am sinnvollsten wird sein, wir gehen in einen Raum, wo wir ungestört sind."
"Möchten Sie - möchtest du nicht erst eine Kleinigkeit zu dir nehmen?" wagte Sarah einzuwenden.
"Nein, nein - danke. Ich habe gerade erst etwas gegessen. Übrigens dürfte mein Hofstaat gleich hier ankommen. Jareth, du kümmerst dich doch sicher darum", sagte sie noch über die Schulter, bevor sie mit Sarah den Raum verliess.
"Am besten gehen wir in mein altes Zimmer, dort dürften wir vor Unterbrechungen sicher sein", schlug Sarah Allegra vor, während sie die Treppe hinaufstiegen.
"Dein altes Zimmer?" Allegra zog spöttisch eine Augenbraue in die Höhe, doch ihre Stimme war immer noch freundlich. "Du willst doch nicht etwa behaupten, ihr wärt schon zusammen gezogen? Und das noch vor der Hochzeit."
Sarah konnte nicht verhindern, dass sie bei diesen Worten leicht errötete und Allegra lachte amüsiert.
"Keine Angst, ich werde nichts verraten", scherzte sie.
Als sie Sarahs altes Zimmer betraten hatten, schlossen sie sorgfältig die Tür hinter sich ab und Sarah bot der Feenkönigin einen bequemen Sessel an.
"Ich nehme an, Jareth hat dir schon deine magischen Kräfte verliehen?" fragte Allegra.
Sarah zögerte kurz mit der Antwort. "Mmh, ja, das hat er allerdings."
"Dem Himmel sei dank!" stiess Allegra inbrünstig hervor. "Wir brauchen also keinen *Feuerfest-Zauber*." Ein Blick auf Sarah, die krampfhaft versuchte, sich ein Lachen zu verbeissen veranlasste sie zu einer weiteren Bemerkung. "Ich sehe, du kennst die Geschichte von meinem Vater und der Explosion", stellte sie trocken fest.
"everything I've done, I've done for you"
Kapitel 54
"Seid ihr bald soweit?" fragte Tobias, noch bevor er völlig im Zimmer war. "Die Gäste warten schon." Ein leichter Anflug von Panik schwang in seiner Stimme mit. Immerhin würde er in ganz kurzer Zeit als Brautführer seiner Schwester in Aktion treten müssen.
"Ach, ist es schon Zeit?" fragte Allegra überrascht. "Persena, du musst mir die Geschichte später zu Ende erzählen. Ich sollte vor der Zeremonie noch kurz bei Jareth vorbeischauen", entschuldigte sie sich bei der Elfenkönigin mit der sie gerade geplaudert hatte.
Doch auch Persena, eine kleine zierliche Elfe mit braunen Haaren, die sie in eine aufwendige Zopffrisur geflochten hatte, wandte sich zum Gehen. "Ach, ich komme gleich mit. So wie ich meinen Mann kenne, sitzt er auch bei Jareth und macht ihn nervös. Ich werde ihn besser dort abholen."
Mit diesen Worten rauschten beide Königinnen schmunzelnd an Tobias vorbei.
Auf dem Weg zu Jareth, der sich zu Beginn des Tages in die Bibliothek zurückgezogen hatte, kam ihnen Robin entgegen.
"Entschuldigen Sie, Allegra. Haben Sie zufällig Jasmina gesehen?" fragte er nervös.
Persena riss erstaunt ihre leicht schrägen Augen auf, sagte jedoch nichts.
"Nein, gesehen habe ich sie nicht, aber ich weiss, dass sie sich bereits im Pavillon aufhält. Was möchtest du denn von ihr?" antwortete Allegra freundlich.
"Ich habe hier einen Trank von Darius für sie - gegen die Nervosität", erläuterte Robin.
"Na, dann bring ihn ihr nur schnell, obwohl ich nicht glaube, dass sie ihn nötig hat", verabschiedete Allegra den jungen Mann lächelnd.
Persena wartete, bis Robin ausser Hörweite war und legte dann los.
"Du gestattest ihm, dich Allegra zu nennen?"
"Warum nicht? Hast du nicht gesehen, wie er Prinzessin Jasmina ansieht? Über kurz oder lang wird er sowieso zur königlichen Familie gehören." Allegra zuckte mit den Schultern.
"Naja, wenn das so ist..." gab Persena zögernd zu. "Aber du wirst doch diesem Kind nicht tatsächlich erlaubt haben auf der Hochzeit zu singen!"
"Doch, auch das habe ich erlaubt", entgegnete Allegra eine Spur heftiger. "Sie ist Jareths Tochter und sie hat mich sehr nett um Erlaubnis gefragt. Ihre Manieren sind wirklich über die Massen erfreulich und ausserdem war es ihr Herzenswunsch. Ich habe es in ihrer Aura gesehen", schloss Allegra etwas milder.
"Ach herrje, deshalb brauchst du dich doch nicht gleich so aufzuregen. Wirklich, Allegra, für eine Königin bist du manchmal entsetzlich aufbrausend."
"Ausserdem sind deine Bedenken völlig unnötig. Sie hat mir vorgesungen und ich kann dir versichern, dass sie für jemand von der Erde eine ungewöhnlich faszinierende Stimme hat", beendete Allegra den kleinen Disput mit ihrer Freundin.
Mittlerweile hatte Robin das Schloss verlassen und war in den Garten getreten, wo seit einigen Tagen der Hochzeitspavillon aufgebaut wurde. Gestern war alles fertig geworden und die weissen Rosen strahlten mit der Sonne um die Wette. Fast alle Stühle waren schon besetzt und noch immer strömten die Gäste aus dem kleinen Salon, wo Erfrischungen gereicht wurden hinaus auf den smaragdgrünen Rasen.
"Die Stühle werden wohl doch nicht reichen", schoss es Robin flüchtig durch den Kopf, doch dann hatte er Jasmina entdeckt.
Schnell ging er auf sie zu und zog sie hinter eines der Laubengitter.
"Wo warst du nur so lange?" sagte Jasmina halblaut und ein besorgter Blick traf Robin.
"Darius hat mich noch kurz aufgehalten um dir einen Trank gegen die Nervosität zu geben. Hier!" Er hielt ihr das kleine Fläschchen hin.
"Oh, ich... ich weiss nicht", flüsterte Jasmina unentschlossen. "Schadet es der Stimme?"
"Das weiss ich nicht, aber...", plötzlich lachte Robin leise auf. "Ich weiss nicht, warum du überhaupt aufgeregt bist. Okay, es geht gleich los, aber Telramon wird dir gleich deinen Platz zeigen, Allegra findet, dass du eine tolle Stimme hast und du siehst absolut phantastisch aus."
Sein Blick glitt über ihr duftiges, fliederfarbenes Kleid und blieb an ihrem süssen Gesicht hängen. Ihr blondes Haar fiel in sanften Wellen bis auf ihre Schultern hinab.
"Weißt du eigentlich, dass ich dir sehr liebe?" sagte Robin dann und gab Jasmina einen Kuss auf ihre überrascht gewölbten Lippen.
"Oh, Robin", seufzte Jasmian. "Jetzt fühle ich mich wirklich viel, viel besser."
In diesem Moment betrat Jareth in Begleitung des Zwergenkönigs Bogumil und des Elfenkönigs Galahan, welche als Trauzeugen ausgewählt worden waren den kleinen Salon. Er schritt rasch durch die lächelnde Menge, nickte hier und da einem bekannteren Gesicht zu und begab sich schliesslich auf seinen Platz im Hochzeitspavillon. Er war aufgeregter, als er zugeben wollte. Doch dann nahm auch Allegra ihren Platz vor ihm ein und lächelte ihm aufmunternd zu.
Jareth zupfte noch ein letztes Mal an seinem weissen Spitzenkragen herum und handelte sich damit einen bösen Blick von Allegra ein.
Er hatte zu einer engen, weissen Hose ein weites ebenfalls weisses Spitzenhemd angezogen. Darüber trug er eine dunkelrote Samtweste und ein Cape in der gleichen Farbe hing über seinen Schultern.
"Es geht los", flüsterte ihm Galahan leise ins Ohr. Im gleichen Augenblick setzte auch schon die Musik ein und Jareth drehte sich um, damit er keine Sekunde von Sarahs Auftritt verpasste. Schliesslich hatte er seine Braut seit gestern abend nicht mehr gesehen. Seine Geduld und die der Gäste wurde nicht lange auf die Probe gestellt und Sarah erschien an Tobias Arm am Eingang des Pavillons.
Tobias trug einen traditionellen schwarzen Anzug, doch Sarah glitt in einer Vision aus weisser Seide und Spitze über einem weiten Reifrock durch den Mittelgang. Der einzige Kontrast bildete eine weinrote Schärpe die sie quer über den Oberkörper trug und ihr rabenschwarzes Haar, das ihr von Allegra in einer kunsvollen Hochfrisur gelegt worden war. An einem kleinen Diadem, das auf ihre zukünftige Königinnenwürde verwies war ein halblanger Schleier aus Spitze befestigt, der sich nun in einer sanften Brise um ihr strahlendes Gesicht leicht aufbauschte.
Als sie endlich neben ihm stand nahm er ihre Hände in die seinen und sah ihr tief in die Augen.
Ein freudiges Raunen lief durch die Menge und Allegra trat in ihrem schlichten taubenblauen Kleid vor und hob die Hände.
"Bevor wir mit der eigentlichen Zeremonie beginnen, haben wir noch eine kleine Überraschung für unser Brautpaar vorbereitet." Sie gab der Kapelle ein Zeichen und führte dann Jasmina hinter einem Laubengitter hervor.
Reichlich blass musterte Jasmina die erstaunten Gesichter ihrer Eltern und der übrigen Gäste, doch dann konzentrierte sie sich auf die Musik und fing an zu singen:
"Like the beat, beat, beat of the tom-tom
When the evening shadows fall,
Like the tick, tick, tock of the stately clock
As it stands against the wall,
Like the drip, drip, drip of the raindrops
When the summer shower is through,
So a voice within me keeps repeating,
You. You. You.
Night and day,
you are the one ...
Only you beneath the moon
and under the sun
Whether near to me or far
It's no matter, darling,
where you are
I think of you day and night.
Night and day ...
Why is it so
that this longing for you
follows wherever I go?
In the roaring traffic's boom,
In the silence of my lonely room,
I think of you day and night.
Night and day,
under the hide of me
There's an ... oh,
such a hungry yearning
burning inside of me ...
And its torment
won't ever be through
until you let me spend my life
making love to you.
Day and night ...
night and day."
Der letzte Ton verklang und für einen Moment herrschte Stille. Doch dann brach zu Jasminas Erleichterung der ersehnte Beifall aus. Sarah blickte ihre Tochter mit schimmernden Augen an und Jareth sagte lautlos Danke. Das war alles was Jasmina gewollt hatte und so zog sie sich rasch zurück, damit die Zeremonie ihren weiteren Verlauf nehmen konnte.
Allegra zeigte sich den Anforderungen völlig gewachsen, eine Hochzeit zu zelebrieren, die aus menschlichen Traditionen und alten Kobold-Überlieferungen zusammengestellt worden war. Es gelang ihr mit Hilfe von Jareth und Sarah etwas Neues, Einzigartiges und Wunderschönes entstehen zu lassen.
Schliesslich war die Stelle erreicht an der sich das Brautpaar das Ja-Wort geben durfte.
Allegra nahm von Hoggle das Silbertablett mit den Ringen entgegen und hob es weit über ihren Kopf um den Segen des Himmels zu erflehen. Dann streute sie etwas Sand darauf, den sie anschliessend weg pustete um auch den Segen der Erde und der Luft zu erhalten. Den Segen des Wassers erhielt sie indem ein wenig Wasser aus einer Karaffe über das Tablett verspritzt wurde.
"Gesegnet durch die Elemente frage ich dich Jareth, König der Kobolde, willst du die hier anwesende Lady Sarah zu deiner Frau nehmen, um sie zu lieben und zu ehren und mit ihr Seite an Seite voll Liebe und Weisheit über dieses Land zu regieren?"
"Ja, das will ich", sagte Jareth mit fester Stimme und nahm einen der Ringe vom Tablett.
"Willst du, Lady Sarah, den hier anwesenden Jareth, König der Kobolde zum Manne nehmen, um ihn zu lieben und zu ehren und mit ihm Seite an Seite voll Liebe und Weisheit dieses Land zu regieren?"
"Ja, das will ich", antwortete auch Sarah und nahm den zweiten Ring an sich und steckte ihn Jareth auf den Ringfinger.
"Sehnsucht meiner Seele", flüsterte sie dazu leise.
"Liebe meines Lebens", antwortete er genauso leise während er ihr den Ring ansteckte.
Wieder tönte Allegras melodische Stimme durch den Pavillon.
"Gesegnet durch die Elemente erkläre ich euch hiermit vor den hochwohlgeborenen Zeugen König Galahan und König Bogumil für Mann und Frau."
Applaus und Hoch-Rufe brandeten auf, als Jareth und Sarah in einem leidenschaftlichen Kuss versanken.
Sehr viel später in dieser Nacht trug Jareth seine Frau über die Schwelle ihrer Zimmerflucht. Behutsam setzte er sie ab. Ein silberner Mond beschien die engumschlungenen Körper.
Als sich ihre Lippen wieder voneinander lösten brach Jareth das Schweigen.
"Immer noch nicht müde?" neckte er sie.
"Oh, es war wundervoll", seufzte sie wohlig.
"Immerhin hast du bei der Übergabe der Magie den Pavillon nicht in Brand gesteckt, obwohl ich zugeben muss, dass wir den Glitzerregen nicht abgesprochen hatten", stichelte er liebevoll weiter.
"Du bist gemein", beschwerte sie sich halbherzig. "Ich war einfach zu aufgeregt."
"Ich glaube, unseren Gästen hat es gefallen." Er knabberte sanft an ihrem Ohr. "Zumindest haben mir das einige auf dem anschliessenden Empfang bestätigt."
"Der Empfang", entgegnete Sarah mit leicht schwankender Stimme. "Der Empfang war allerdings ein wenig strapaziös. Hat dich das ständige Händeschütteln und Lächeln nicht auch angestrengt?"
"Das sind eben königliche Pflichten." Er küsste spielerisch ihren Nacken. "Du wirst dich bald daran gewöhnen."
"Ja", stöhnte Sarah leise.
"Einen Empfang werden wir wohl auch so bald nicht wieder geben müssen", fuhr er fort, "aber einen Ball mit Dinner wie den von heute, ich denke daran könnte ich mich gewöhnen."
"Ich auch", schnurrte Sarah. "Besonders mit so einem göttlichen Tänzer wie mit dir."
"Hast du eigentlich auch bemerkt, dass Tobias ziemlich oft mit einer der Nymphen getanzt hat?"
"Ich denke, das war nicht zu übersehen. Aber darüber können wir auch morgen noch reden, oder nicht?"
"Was könnten wir denn sonst noch mit dem angebrochenen Abend machen?" neckte Jareth sie mit einem erotischen Unterton in der Stimme und diesem bestimmten Glitzern in den Augen, von dem ihr immer wieder die Knie weich wurden.
Das Mondlicht liess auch Sarahs Augen verführerisch schimmern, als sie ihrem Mann mit nur zwei Worten antwortete.
"Liebe mich."
"Das werde ich - für immer und ewig", hauchte Jareth, bevor er sie enger an sich zog und ihre Lippen mit einem hingebungsvollen Kuss verschloss.
Epilog
"Dauert es noch lange?" fragte Jareth zweifelnd.
"Lange?" entgegnete Persena kurz angebunden. "Deine Frau hat erst seit zwei Stunden Wehen und du hast schon keinen Geduld mehr? Reib ihr lieber die Handgelenke, dann bist du wenigstens beschäftigt."
"Ich glaube nicht, dass es noch allzu lang dauert", griff Allegra besänftigend ein. "Die letzten Presswehen können jeden Moment einsetzen."
"Ich wünschte, ihr würdet nicht so ein Getue machen", murrte Sarah. "Das ist schliesslich nicht meine erste Geburt."
"Du sollst nicht reden, sondern atmen", mahnten Persena und Allegra unisono.
Sarah legte sich gehorsam in die Kissen zurück und atmete vorschriftsmässig. Jareth hatte vor ein paar Minuten auf Persenas Rat hin einen leichten Betäubungszauber über sie gesprochen und die Schmerzen waren deshalb erträglich. Durch das geöffnete Fenster wehte ein Hauch von Frühling und Sarah empfand diese Geburt - vor allem auch dank Jareths Anwesenheit - als wesentlich angenehmer, als damals, als sie Jasmina auf die Welt gebracht hatte.
Doch ohne Vorwarnung setzten plötzlich die Presswehen ein und Sarah konnte und wollte einen Aufschrei nicht unterdrücken.
Kurz darauf legte ihr Persena ein kleines, schreiendes Bündel in die Arme.
"Ihr habt einen Sohn", sagte sie leise und wischte sich verstohlen über die Augen. Nach einem ersten Blick auf das Neugeborene legte Jareth einen Arm um Sarah und küsste sie auf die Schläfe.
"Du wundervollste aller Frauen", flüsterte er zärtlich.
In diesem Moment hörte der Säugling auf zu schreien und öffnete langsam die Augen.
Verblüfft musterten seine Eltern dieses kleine Gesicht.
Sarah fand zuerst ihre Sprache wieder. "Er hat deine Augen!"
Und tatsächlich blinzelten zwei verschiedenfarbige Augen vertrauensvoll in die Zukunft.
ENDE
Die Entstehung dieser Geschichte hat mit Unterbrechungen fast vier Jahre in Anspruch genommen. Deshalb werde ich hier noch ein paar "Dankeschöns" anbringen.
Danksagungen:
Ich danke meinem Mann, dass er während den ganzen Jahren nie über meine Labyrinth-Marotte gelächelt hat.
Ich danke allen Labyrinth-Fans auf der ganzen Welt, die mir mit ihren Homepages so manche Inspiration gegeben haben.
Ich danke besonders den Lesern des Fanfiction.net für ihre lieben Reviews (die ich leider bei einem Update versehentlich gelöscht habe).
Und ich danke natürlich David Bowie dafür, dass er für diesen fabelhaften Film diese ebenso fabelhaften Strumpfhosen angezogen hat.
Lorelei Lee im April 2002
Teil fünf (par five)
Fanfiction by Lorelei Lee
Kapitel 51 nur für Erwachsene
(chapter 51 adults only)
"how you turned my world"
Kapitel 48
Sarah hatte ebenfalls auf unbestimmte Zeit Urlaub bei ihrer Firma beantragt und verbrachte die Tage in ihrem Schlafzimmer. Sie machte sich Vorwürfe, ihre Tochter zu vernachlässigen, doch sie wusste, dass Robin sehr viel Zeit mit Jasmina verbrachte und deshalb wies sie diese Probleme weit von sich. Es gab weit grössere Schwierigkeiten über die sich Sorgen machen konnte.
Seit jenem verhängnisvollen Sonntag hatte sie ihren Bruder nicht wieder gesehen. Robin hatte erzählt, dass Tobias sein ständiges Lager an Jareth's Krankenbett aufgeschlagen hatte. Doch mehr hatte sie ihm beim besten Willen nicht entlocken können. Tobias habe ihm verboten über Jareth's Gesundheitszustand zu sprechen gab er auf ihre drängenden Fragen zur Antwort. Sie musste zu ihrer Schande gestehen, dass sie darüber entsetzlich in Wut geraten war. Doch genauso schnell wie ihr Zorn aufgelodert war, war er auch wieder abgeflaut. Denn wenn sie sehr genau lauschte, sagte ihr Herz genau dasselbe wie ihr Bruder. Wenn sie sich nicht endgültig zu Jareth bekennen konnte, wäre es das Beste, wenn sie ihn nie wieder sah. Sie grübelte in diesen Tagen der selbstgewählten Einsamkeit lange darüber nach und begriff endlich, dass sie sich nun unwiderruflich an der letzten Weiche in ihrer Beziehung zu Jareth angelangt war. Und diese Weiche konnte nur sie selbst stellen. Die Situation liess diesmal kein sowohl-als-auch zu, denn dann würde ihr Zug unweigerlich entgleisen. Sarah fühlte sich wie in einem Teufelskreis gefangen, denn jedes Mal, wenn sie glaubte endlich soweit zu sein um sich Jareth ganz hinzugeben fielen ihr neue, kleine, widerliche Details ein, die genau das verhinderten und das Karussell erneut in Bewegung setzten. Würde sie ihre Tochter allein zurücklassen können? Sicher würde sie das. Jasmina war volljährig und würde diesen Herbst ohnehin aufs College gehen und ausserdem waren ja Tobias und Robin auch noch da. Doch wie war es ihr als junges Mädchen selbst ergangen? War sie nicht auch von ihrer Mutter wegen der Liebe zu einem Mann verlassen worden? Und hatte sie diesen Schmerz je verwunden? Konnte sie so grausam sein ihr eigenes Schicksal an ihrer Tochter zu wiederholen?
In den ersten Tagen brach sie bei diesen Überlegungen oft in Tränen der Verzweiflung aus, doch nach der ersten Woche hatten sich ihre aufgewühlten und angestauten Gefühle wieder etwas beruhigt und sie sah endlich ihren Weg klar vor sich. Sie hatte in diesen ganzen Jahren immer nur darauf geachtet, was alle Anderen von ihr denken würden, doch nun war ihr die Meinung der Anderen im Grunde schrecklich gleichgültig. Sie hatte auch immer in dem Glauben gelebt, nur sie würde sich durch ihren Verzicht opfern. Doch in Wirklichkeit war hauptsächlich Jareth das Opfer gewesen, da sie ihm nie eine Wahl gelassen hatte. Und nun schien er - zumindest nach der Ansicht ihres Bruders - Gefahr zu laufen an ihrer Unentschlossenheit zu zerbrechen. Dieser Gedanke war an sich so unglaublich, da ihr der König der Kobolde immer als Verkörperung der Stärke erschienen war, doch sogar der unverwundbare Siegfried aus der Nibelungensage hatte eine schwache Stelle gehabt. Sarah musste sich eingestehen, dass sie augenscheinlich Jareth's schwächste Stelle - sein liebendes Herz - immer und immer wieder aufs Schwerste verletzt hatte. Sie konnte nur hoffen, dass es ihr vergönnt sein würde diese Verletzungen zu heilen. Sie hoffte mit der ganzen Kraft ihres Herzens und ihrer Seele, dass es nun nicht doch schon zu spät für ein gemeinsames Leben mit Jareth war.
Sie straffte ihre Schultern. Es war an der Zeit mit Jasmina zu sprechen.
"Oh, Mommy! Das ist aber schön, dass es dir wieder besser geht", begrüsste Jasmina ihre Mutter fröhlich. "Es geht dir doch besser?" Setzte sie besorgt hinzu.
Sarah lächelte ihre Tochter liebevoll an. "Ja, es geht mir besser. Darf ich rein kommen?"
"Natürlich!" Mit einer hastigen Bewegung fegte Jasmina einige Comics von ihrem Bett. "Setz' dich doch."
"Danke", sagte Sarah und setzte sich auf das unordentliche Bett. "Jasmina, du gehst doch im Herbst aufs College?"
"Ja, Mommy, das weißt du doch."
"Und du wolltest doch sowieso hier ausziehen und im Studentenwohnheim wohnen."
"Ja, Mommy und darüber haben wir wirklich schon genug geredet", sagte Jasmina betont ruhig.
"Ja, das weiss ich auch. Aber darüber wollte ich auch gar nicht... es ist nur so...", verhedderte sich Sarah und sah ihre Tochter mit einer seltsamen Mischung aus Hilflosigkeit und Besorgnis an. "Ich möchte gerne bei Jareth bleiben", äusserte sie schliesslich schlicht.
"Ja?! Echt?! Oh, das ist absolut super!!"
Verblüfft musterte Sarah ihre Tochter. "Du hast nichts dagegen?" fragte sie überrascht. "Weißt du, ich möchte in keinem Fall..."
Jasmina unterbrach ihre Mutter indem sie ihr um den Hals fiel und beide auf das Bett purzelten.
"Oh, Mommy, ich freue mich so für dich. Das wird bestimmt phantastisch", jubelte Jasmina.
"Du weißt aber schon, dass ich dich nicht mitnehmen kann", sagte Sarah immer noch fassungslos.
"Natürlich weiss ich das! Aber wer hat denn gesagt, dass ich überhaupt mit will. Du weißt genau, dass ich Sängerin werden will. Das kann ich dort wohl schlecht erreichen. Aber ich hoffe doch, dass ihr eure einzige Tochter wenigstens ab und zu besucht und ihr ein bisschen Taschengeld mitbringt", erwiderte Jasmina mit einem schelmischen Grinsen.
"Und es macht dir tatsächlich nichts aus?" Sarah konnte es einfach nicht fassen. Wenn sie gewusst hätte, dass das so einfach gewesen wäre...
"Mir etwas ausmachen? Oh, Mommy, hast du's immer noch nicht kapiert? Ich finde es wundervoll, dass du endlich einmal an dich selbst denkst. Die ganze Zeit über hast du dich immer nur um Onkel Tob und mich gekümmert. Es ist höchste Zeit, dass du und Daddy endlich zusammen kommt."
Da endlich konnte Sarah an ihr Glück glauben. Sie schlang ihre Arme um Jasminas zierlichen Körper. "Ich danke dir, mein Liebling. Du bist die wundervollste Tochter aller Zeiten", dankte ihr Sarah unter Tränen.
"Oh, nein. Ich habe es aus erster Hand, dass ich nur ein ungezogenes Koboldbaby bin", widersprach Jasmina mit einem fröhlichen Lachen.
Müde zog Tobias leise die Tür hinter sich ins Schloss. Er hatte die Nachtwache ausnahmsweise Darius überlassen. Er selbst war einfach zu müde dazu. Schläfrig ging er den Gang hinunter und wäre fast über seine Schwester gestolpert. Schlagartig war er wieder hellwach.
"Wie kommst du denn hierher?" knurrte er sie gereizt an.
"Robin hat mich her gebracht", entgegnete Sarah ruhig.
"Und was willst du hier?" fragte er, während er sie unter zusammengezogenen Augenbrauen finster anstarrte.
"Ich will zu Jareth."
Tobias machte den Mund auf und wollte sie gerade wieder zum Teufel jagen, als sie ihm mit ihrer Hand daran hinderte weiterzusprechen.
"Du brauchst dich nicht aufzuregen,Tobias. Ich habe mich entschieden, verstehst du? Ich will zu Jareth und dort werde ich auch bleiben - für immer."
Erst jetzt war Tobias fähig, sie sich im flackernden Licht der Wandfackeln genauer zu betrachten. Sie strahlte eine abgeklärte Ruhe aus, die ihm zu Anfang nicht aufgefallen war und sogar als ihr Bruder musste er zugeben, dass sie wunderschön war. Zärtlich schloss er sie in seine Arme.
"Du tust das Richtige, Schwesterchen", flüsterte er in ihr Haar.
"Das weiss ich doch, du Dummerchen. Darf ich jetzt endlich zu ihm? Ich habe zu lange darauf gewartet."
Langsam entliess er sie aus seiner Umarmung. "Natürlich, Sarah. Du sollst sofort zu ihm. Komm' nur mit."
Er legte einen Arm um ihre Schulter und führte sie in Jareth's Zimmer. Behutsam schob er dort den improvisierten Türvorhang beiseite und liess Sarah ein.
Sarah bemerkte nicht, wie Darius sie erst verwundert und dann tief befriedigt musterte, sie hörte nicht wie Tobias Darius etwas mit leiser Stimme zurief, es fiel ihr auch nicht auf, dass Darius und Tobias den Raum verliessen. Alle ihre Sinne waren nur auf den Mann gerichtet, der reglos in seinem Bett lag und dabei so zerbrechlich aussah, dass es ihr das Herz im Leibe zusammenzog. Auf dem Nachttisch brannten lediglich zwei Kerzen, die ihr flackerndes Licht über sein friedliches Gesicht tanzen liessen. Mit grosser Anstrengung unterdrückte sie die aufsteigenden Tränen und ging rasch zu ihm. Sie liess sich auf den Stuhl sinken, auf dem eben noch Darius gesessen hatte und griff sanft nach Jareth's schlaffer Hand, die sie festhielt, als ob sie sie nie wieder loslassen wollte. Mit schmerzlicher Zärtlichkeit nahm sie seine Züge ganz in sich auf und dann fing sie an zu reden. Mit ruhiger Stimme erzählte sie ihm unermüdlich tausenderlei Dinge, immer in der Hoffnung etwas davon würde ihn aus seiner Bewusstlosigkeit reissen und ihn der Welt und ihr zurückgeben.
Nach einiger Zeit fing Jareth auch tatsächlich an, sich leicht in seiner Bewusstlosigkeit zu bewegen, doch am Ende war es beinahe Mitternacht, als seine Finger nicht mehr schlaff in ihrer Hand lagen, sondern mit einem plötzlichen Ruck zupackten. Gleichzeitig öffneten sich seine Augen ruckartig, so dass Sarah ein leichtes Erschrecken nicht unterdrücken konnte. Doch gleich darauf flatterten seine Augenlider und er stöhnte verhalten.
"Wo - bin - ich?"
"Du liegst in deinem Bett, mein Liebling", sagte Sarah mit kaum verhohlener Erleichterung.
Langsam drehte er den Kopf in die Richtung aus der diese süsse, weibliche Stimme gekommen war. Seine Finger berührten tastend die Hand, die so ruhig in seiner lag.
"Sarah?" fragte er ungläubig. Doch noch bevor sie ihm antworten konnte hatte sein suchender Blick sie gefunden. Er traute seinen Augen nicht. Es musste sich um einen Fiebertraum handeln. Es war doch einfach unmöglich, dass sie... "Sarah?" fragte er noch einmal.
"Ja, ich bin hier", sagte sie und strahlte dabei über das ganze Gesicht.
Verschwommen nahm Jareth die überwältigende Farbe ihrer Aura war. "Es ist kein Traum", flüsterte er unsicher. Er fühlte sich schrecklich, nicht ganz so schrecklich wie damals, als er sein Reich vor dem Untergang gerettet hatte, doch immer noch schlimm genug, dass er nicht fähig war, sich in seinem Bett aufzusetzen um sich einen handfesten Beweis zu ergattern, dass er wirklich nicht träumte.
"Nein, Jareth. Es ist kein Traum. Ich bin wirklich hier. Und ich werde auch hier bleiben. Für immer, Jareth - falls du mich noch willst", äusserte sie mit sanfter Stimme.
Sein immer noch leicht getrübter Blick verfing sich in der Kette, die sie um den Hals trug. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Blitz - es war *die* Kette. Die Kette, die sie zum Zeichen ihrer Liebe immer tragen wollte. Erst in diesem Moment wurde ihm klar, dass alles, was er hier sah und hörte durchaus der Realität entsprach.
"Ob ich dich noch... und ob ich will!" erwiderte Jareth mit schwacher Stimme. Obwohl ihm leicht schwindelte, zog er Sarah unter grosser Anstrengung zu sich herab.
Erleichtert folgte Sarah dem Druck seiner Hand. "Ich liebe dich Jareth. Und ich gehöre dir für immer", flüsterte sie liebevoll, bevor sein Mund ihre Lippen mit einem zärtlichen und hingebungsvollen Kuss verschloss. Zu seinem übergrossen Bedauern fühlte er sich noch zu kraftlos um seine Elfe so lange zu liebkosen, wie er es eigentlich vorgehabt hatte. Daher beendete er sanft den Kuss und sank wieder tiefer in seine Kissen zurück.
"Ich liebe dich, Sarah. Und ich werde dich nie wieder gehen lassen..." wisperte er.
Die letzten Worte waren für Sarah kaum noch hörbar gewesen, doch die Botschaft war angekommen. Während sie beobachtete, wie er sanft entschlummerte spielte sie versonnen mit ihrer Kette. Sie hätte sie nie ablegen dürfen. Allmählich entspannte sich auch ihr verkrampfter Körper und einige Zeit später war Sarah ebenfalls eingeschlafen, weshalb keiner der beiden etwas von dem merkwürdigen Summen bemerkte, das kurz darauf das ganze Reich durchzog. Lediglich Tobias, der auf Grund der zahlreichen Nachtwachen einen sehr leichten Schlaf hatte, schreckte aus einem seltsam verworrenen Traum auf und ging zum Fenster um dem eigentümlichen Geräusch auf den Grund zu gehen. Doch die Nacht war in ihrem Dunkel undurchdringlich und sogar der Mond schien sich hinter einer dunklen Wolke verzogen zu haben. Bevor Tobias wieder mit einem Achselzucken zu Bett gehen wollte, fielen ihm die weissen Rosen auf, die sich augenscheinlich an der Schlossmauer bis an sein Fenster hochgerankt hatten und einen zauberischen, betäubenden Duft verbreiteten.
"Komisch", murmelte Tobias schlaftrunken. "Die sind mir bis jetzt gar nicht aufgefallen." Müde tapste er in sein Bett zurück und fiel dort endlich in einen tiefen und traumlosen Schlaf.
Im Morgengrauen erwachte Jareth und betrachtete Sarah, die immer noch in dem Sessel neben seinem Bett vor sich hindöste, im Licht der aufgehenden Sonne. Er konnte nicht umhin festzustellen, dass sie einfach atemberaubend aussah. Sicher war ihre natürliche, herbe Schönheit nie ganz verblasst, doch er konnte sich nicht erinnern, wann sie derart strahlend gewirkt hatte. Er fragte sich gerade, was wohl der Grund für diese augenfällige Veränderung sein mochte, als sie mit einem langen Seufzer die Augen aufschlug und ihr liebevoller Blick ihm den Atem benahm. So lange hatte er davon geträumt, sie bei sich in seinem Schloss zu haben und nun, als es endlich soweit war, war er zu schwach um sie auch nur in seine Arme zu schliessen.
"Guten Morgen, liebste Elfe", sagte er leise.
"Guten Morgen, Jareth. Warum hast du mich nicht geweckt?" erwiderte sie, ihn liebevoll tadelnd.
"Ich brachte es nicht übers Herz. Du hast so bezaubernd ausgesehen."
Sarah lächelte. "Was für ein Unsinn."
"Sarah, ich denke, ich werde dir gleich eine Frage stellen", äusserte er entschlossen. "Und obwohl es vielleicht romantischer wäre, wenn ich dabei vor dir auf die Knie falle, so habe ich doch keine Lust darauf zu warten, bis ich für derlei Akrobatik wieder gesund genug bin. Da ich aber auch nicht vorhabe, dich mir wieder durch die Finger schlüpfen zu lassen, werde ich dich also jetzt fragen." Er blinzelte schelmisch zu ihr hinauf.
Als Sarah nichts sagte, sondern lediglich leicht atemlos darauf wartete, dass er fortfuhr, holte er tief Luft und fing an: "Sarah, möchtest du..."
Zu beider Verdruss kam Jareth mit seinem Heiratsantrag nicht weiter, denn in diesem Moment stürmte Darius in äusserst untypischer Eile durch den Teppichvorhang.
"Die Prophezeiung! Die Prophezeiung!"
"Guten Morgen, Darius", äusserte Jareth gereizt. "Ihr stört überhaupt nicht."
"Majestät! Die Prophezeiung!" rief Darius in höchster Aufregung.
"Ja, ich habe es schon beim ersten Mal verstanden. Und jetzt lasst uns bitte noch einen Augenblick allein."
"Aber versteht Ihr denn nicht, Majestät! Der Fluch ist gebrochen!"
"Was für ein Fluch? Und wo habt ihr überhaupt Basillius gelassen?" fragte Jareth verständnislos, der erst jetzt das Fehlen des Vogelhutes bemerkte. Wenn er es sich recht überlegte, hatte sich auch Darius selbst irgendwie verändert. Hatte sein Unfall seine Sehkraft beeinträchtigt, oder bildete er sich das alles nur ein?
In diesem Moment flog ein grosser schwarzer Rabe durch das offene Fenster auf Darius' Schulter.
"Bin schon da, Meister!" krächzte er fröhlich. "Mann, ist das heute nicht ein Tag zum Eierlegen?"
Sarah und Jareth starrten beide mit offenem Mund den Vogel an, als wäre er eine übersinnliche Erscheinung.
"Was - ist - hier - los?" brach Jareth das staunende Schweigen.
"Kommt' ans Fenster, Majestät, und seht selbst", sagte Darius drängend.
Sarah beeilte sich, Jareth aus dem Bett zu helfen und stützte ihn, während er auf unsicheren Beinen und sichtlich beunruhigt zum Fenster humpelte. Gemeinsam sahen sie hinaus und was sie sahen, liess ihnen den Atem stocken.
Eine völlig veränderte Landschaft tat sich vor ihren staunenden Blicken auf. Die Häuser der Koboldstadt waren grösser, die Strassen sauberer und die Wesen, die sich auf den Plätzen versammelten setzten sich nur noch zur Hälfte aus Kobolden zusammen. Die unterschiedlichsten Geschöpfe tummelten sich da und brachen, als sie ihres Königs ansichtig wurden in donnernde Hochrufe aus. Die meisten dieser Wesen waren menschenähnlich doch es befanden sich auch einige phantastiche Kreaturen darunter. Sarah wurde es leicht ums Herz, als sie in der jubelnden Menge nicht nur einen unveränderten Ludo entdeckte, sondern auch Sir Dydimus auf dessen Schulter ausmachen konnte. Ausserhalb der Koboldstadt erstreckte sich noch immer das Labyrinth, doch seine Ausmasse waren merklich geschrumpft und es hatte auch seine bedrohliche Aura zu einem Grossteil eingebüsst. Dahinter konnte man Wiesen, Flüsse, Felder und Wälder ausmachen, die bis an den Horizont reichten.
Sarah war von diesem Anblick überwältigt. "Oh, Jareth! Ist das nicht wundervoll?! Oh, und wie sie dir zujubeln!"
In ihrer Begeisterung entging ihr, dass Jareth bleich war und krampfhaft versuchte, ein Zittern zu unterdrücken, das seinen ganzen Körper zu schütteln drohte.
"Oh mein Gott, was ist nur mit meinem Reich passiert?" flüsterte er angsterfüllt.
"Weißt du noch, als du mir ganz am Anfang meine Träume versprochen hattest? Und ich abgelehnt habe? Jetzt hast du sie mir doch noch geschenkt", jubelte Sarah. "Genauso habe ich mir immer alles erträumt." Sie wandte sich zu ihm um und bemerkte bestürzt das Befremden in seinem Gesichtsausdruck. Ohne auf sie zu achten drehte er sich zu Darius um.
"Was ist hier passiert? Ich verlange eine Erklärung!" forderte er gebieterisch.
Darius, der sich nach der ersten Aufregung nun wieder im Griff hatte, verneigte sich leicht vor seinem König.
"Ihr sollt sie bekommen", erklärte er würdevoll. "Doch nehmt Platz, es ist eine unerfreuliche Geschichte."
"a land serene"
Kapitel 49
Nachdem auch Tobias und ein ebenfalls unveränderter Hoggle zu dem kleinen Grüppchen in Jareths Schlafzimmer gestossen waren, begann Darius seinen Bericht.
"Vor unendlich langer Zeit wurde dieses Reich von einem gutmütigen Herrscher regiert. Das Land war in demselben gesegneten Zustand, in dem es sich auch jetzt wieder befindet. Jener König nun verliebte sich in eine zauberkundige junge Frau von der Erde. Er holte sie zu sich und nahm sie zu seiner Frau. Doch die junge Zauberin war ihm nicht aus Liebe in dieses Reich gefolgt, sondern aus Habgier. Auf der Erde lebte man damals in dem Glauben, die Berge in diesem Reich bestünden aus purem Gold. Als sie ihren Irrtum schliesslich entdeckte, verdüsterte sich ihr Gemüt und sie plante, ihren Gemahl zu töten und an seiner Statt dieses Reich zu regieren. Doch der Plan wurde entdeckt und die Zauberin fing sich in ihrer eigenen Falle. Sterbend verfluchte sie dieses Reich und gab ihm und seiner Bevölkerung das Aussehen, das es bis gestern abend noch hatte. Der Fluch sollte nur gebrochen werden, wenn ein Mensch aus reiner Liebe in dieses verfluchte Reich übersiedeln würde. Ich denke mir, dass dies in dieser Nacht eingetroffen ist", schloss Darius und legte die Hände in den Schoss.
Jareth hatte ihm aufmerksam gelauscht und glaubte sich nun an etwas zu erinnern. "Es gibt in der Bibliothek ein Buch darüber, nicht wahr?"
Darius nickte. "Ja, ich denke doch."
"Dann habe ich damals, als ich einen Weg zu Sarah suchte, etwas darüber gelesen... aber ich habe nicht daran geglaubt. Ich dachte, ich hätte versehentlich ein Märchenbuch erwischt." Er lächelte ungläubig. "Dann haben seither alle Könige ihre Nachfolger aus den geraubten Babys rekrutiert, weil es sonst keine Möglichkeit mehr für den Fortbestand der Monarchie und der Chance zur Erlösung gegeben hätte?"
Wieder nickte Darius.
"Warum hat mir Tandor dieses Wissen vorenthalten?" frage Jareth weiter.
"Das weiss ich nicht", sagte Darius bedauernd. "Ich fürchte, er hatte die Hoffnung auf Erlösung aufgegeben."
"Kann es sein, dass die weissen Rosen und die blühenden Bäume Vorzeichen dieser Erlösung waren?"
"Das wäre sehr gut möglich, Euer Majestät", antwortete Darius schmunzelnd. "Sicher bin ich mir allerdings nicht. Daher erzählte ich Euch das Gleichnis von dem guten Bauern."
"Es wäre einfacher gewesen, wenn Tandor mir alles erzählt hätte", seufzte Jareth deprimiert.
Sarah berührte ihn zärtlich an der Schulter. "Liebling, darüber solltest du dir jetzt keine Sorgen mehr machen. Es ist vorbei."
Er blickte auf und Sarah erschrak über die Qual in seinen Augen. "Ja, alles ist vorbei. Alles was ich mein Leben lang gekannt habe ist verschwunden. Nichts was ich gelernt habe hat mehr Gültigkeit. Alles hat sich verändert." Jareth war verzweifelt. Er blickte gehetzt in die Runde. Dann stand er ruckartig aus seinem Sessel auf. Er zitterte am ganzen Körper. "Lasst mich allein! Verschwindet!" Er bemerkte Sarah's Zögern. "Alle!" forderte er unmissverständlich. Schliesslich machten sich tatsächlich alle mehr oder weniger widerstrebend aus dem Staub. Erschöpft fiel Jareth auf sein Bett.
"Oh Gott! Was soll ich nur tun?" stöhnte er verzweifelt.
Kaum hatte sich die Tür hinter dem verwirrten Grüppchen geschlossen, konnte Sarah nicht länger an sich halten.
"Was hat er nur?" brach es aus ihr heraus. "Es ist doch alles ganz phantastisch. Warum freut er sich nur nicht?"
Darius wiegte nachdenklich seinen Kopf. "Ihr müsst bedenken, dass sich seine ganze Welt für ihn verändert hat, dass alles neu ist für ihn."
"Aber das ist es für mich doch auch!" beharrte Sarah. "Und werfe ich vielleicht alle Leute aus meinem Zimmer?"
"Bei Euch ist es etwas völlig anderes." Darius lächelte nachsichtig. "Ihr seid freiwillig hier. Ihr wusstet, dass sich für Euch alles verändern würde. Es ist für Euch lediglich ein angenehmer Nebeneffekt, dass sich Eure zukünftige Heimat zu ihrem Vorteil verändert hat."
Sarah biss sich auf die Lippen und runzelte nachdenklich die Stirn.
"Ich werde mich bemühen, ihn zu verstehen", sagte sie leise.
"Gebt ihm die Zeit, die er braucht um alles zu begreifen. Es wird sicher nicht lange dauern", tröstete Darius.
"Sag' mal, Schwesterchen", mischte sich Tobias ein, der die ganze Zeit über keinen Blick von Sarah gelassen hatte. "Benutzt du eigentlich eine andere Kosmetikserie oder warum siehst du so - so, naja, so gut aus?"
"Das ist jetzt nicht die Zeit und der Ort für so dumme Komplimente", sagte Sarah ungeduldig.
"Nein, im Ernst! Sieh doch selbst, wenn du mir nicht glaubst." Er zog Sarah mit Gewalt in das nächste Zimmer und schob sie dort vor den Spiegel. "Es ist mir nur nicht gleich aufgefallen in diesem ganzen Trubel heute morgen, aber für mich siehst du absolut verändert aus."
Sarah stand mittlerweile mit offenem Mund da und starrte verständnislos ihr Spiegelbild an.
"Oh, mein Gott. Ich sehe fantastisch aus." Vorsichtig drehte sie den Kopf in alle Richtungen. "So gut habe ich nicht mehr ausgesehen, seit Jasmina in die Schule gekommen ist."
"Wie viele Jahre, sagtet Ihr, waren auf der Erde vergangen, als Jareth sein Reich vor dem Untergang retten musste?" fragte Darius.
"16 Jahre", antwortete Sarah ohne ihre Musterung zu unterbrechen.
Als Darius darauf nichts mehr sagte, drehte sie sich verwundert um.
"Glaubt ihr, es hängt irgendwie zusammen, dass der Fluch gebrochen ist und ich mich verjüngt habe?"
"Ich würde es nicht ausschliessen wollen", sagte Darius bedächtig. "Ein gütiges Schicksal scheint Euch die verlorenen Jahre zurückgegeben zu haben. Nutzt sie weise", mahnte er abschliessend und verlies dann - nur noch sehr leicht humpelnd - den Raum.
Leider erfüllte sich Darius' Prophezeiung, Jareth würde schon bald sein gewohntes Leben wieder aufnehmen und aus seiner selbstgewählten Einsamkeit wieder auftauchen, nicht sofort.
Die Tage dehnten sich zu Wochen und immer noch war Jareth nicht bereit jemand anders zu empfangen, als Tobias - und dies auch nur in seiner Eigenschaft als Arzt. Sarah hielt sich die meiste Zeit im Schloss auf, das sich zwar nicht wesentlich, aber doch zu seinem Vorteil verändert hatte und inspizierte alle Räume, die sie unverschlossen vorfand. Zu ihrer Enttäuschung konnte sie den Escher-Raum nicht finden, mit dem sie sehr zwiespältige Empfindungen verband. In die Stadt wollte sie nicht gehen, da sie sich unwohl fühlte - so ohne Jareth. Zu alldem kam auch noch, dass ihr mit jedem weiteren Tag ihre ungewisse Situation immer peinlicher bewusst wurde. Als was galt sie hier eigentlich? Als Jareth's Gast? Oder doch als seine zukünftige Ehefrau? Allerdings hatte er immer noch nicht um ihre Hand angehalten. Strenggenommen hatte sie nicht einmal das Recht sich als seine Verlobte zu bezeichnen.
In einer dieser Stimmungen traf ihr Bruder sie an, während sie unschlüssig in der Bibliothek vor den Bücherregalen auf- und ablief.
"Na, Schwesterchen? Wieso machst du ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter?"
Statt einer Antwort traf ihn nur ein vernichtender Blick.
Tobias verdrehte die Augen und nahm in einem der Sessel Platz.
"Also wird es dich auch nicht interessieren, dass ich gerade von Jareth komme und ich dir sagen kann, dass sein Gesundheitszustand einfach ganz fabelhaft ist."
"Das erzählst du mir schon seit zwei Wochen", sagte Sarah giftig.
"Was? Immer noch eifersüchtig, dass ich zu ihm darf und du nicht?" stichelte Tobias. "Darf ich dich daran erinnern, dass es sich hierbei um kein reines Vergnügen handelt, weil ich - a) nicht in ihn verliebt bin und er b) sich weiterhin weigert mit mir zu sprechen. Das einzige wozu er sich herablässt, ist ein leichtes Kopfschütteln oder -nicken. Was glaubst du wie amüsant unter solchen Bedingungen diese täglichen Untersuchungen sind?!"
Sarah nestelte an ihren Knöpfen.
"Es tut mir leid. Es ist nur alles so grässlich!"
Hätte Sarah gewusst, dass ihr Gefühlsausbruch nicht unbemerkt geblieben war, hätte sie sich bestimmt nicht so gehen lassen, doch es war ihr völlig entgangen, dass nicht nur Basilius vor dem offenen Fenster auf einem Sims sass und Hoggle vor der nicht völlig geschlossenen Tür stand. Unabhängig voneinander verliessen diese beiden ihre Lauschposten und schlugen die gleiche Richtung ein. Der eine über die Treppe, der andere durch die Luft.
Das Glück war Hoggle hold, da Jareth heute zufällig die Tür nach der täglichen Untersuchung noch nicht wieder verschlossen hatte, wie es eigentlich seine Art war. So stiess Hoggle zuerst auf keinerlei Widerstand als er die Türklinke mit klopfendem Herzen niederdrückte und trotz seiner Bedenken mutig in das Zimmer trat.
Jareth sass auf seinem Bett und hob müssig den Kopf als er das leise Geräusch der sich öffnenden Tür hörte.
Hatte Tobias ihn noch nicht genug gequält? Dabei hatte er doch versprochen, ihm keine Spritze mehr zu geben!
Doch als er statt der forschen Schritte des jungen Arztes nur ein unentschlossenes Tapsen hörte stand er auf um nachzusehen, wer unerlaubterweise in sein Zimmer eingedrungen war. Er trat durch den offenen Durchgang und erstarrte ihn Missbilligung als er in dem Eindringling niemand anderen als Hoggle erkannte.
Hoggle war durch das plötzliche Auftauchen seines Königs etwas aus der Bahn geworfen worden, doch er erinnerte sich an seine selbsterwählte Mission Sarah zu ihrem Glück zu verhelfen und sprach Jareth mutig an.
"Ich bin..."
Doch weiter kam er nicht. Denn Jareth hatte sich dazu entschlossen, sein wochenlanges Schweigen zu brechen um einen seinen Untertanen nach allen Regeln der Kunst zusammenzustauchen.
"Was fällt dir eigentlich ein, hier so einfach hereinzuplatzen? Du weißt doch ganz genau, dass ich für niemanden zu sprechen bin!"
"D-die Tür war o-offen", verteidigte sich Hoggle stammelnd.
"Na und?!" herrschte ihn Jareth an.
"Ihr habt schon ohne mich angefangen?" trällerte eine krächzende Stimme vom Fenster her.
Jareth und Hoggle blickten erstaunt zum Fenster hin und sahen, dass es sich Basilius auf dem Fensterbrett gemütlich gemacht hatte.
"Das finde ich nicht sehr nett, dass ihr nicht auf mich gewartet habt", nörgelte Basilius. "Habe ich viel verpasst?" fragte er sensationslüstern.
"Was wollt ihr eigentlich hier?" fragte Jareth missmutig. "Ihr sollt verschwinden! Beide! Auf der Stelle!"
"Ist das ein Befehl, Chef?" begehrte Basilius vorlaut zu wissen.
"Ich werde auf keinen Fall gehen", begehrte Hoggle auf, der sich durch Basilius' Anwesenheit gestärkt fühlte. "Ich habe die ganze Zeit über nichts gesagt, aber wenn ich noch länger mit ansehen muss, wie sich Sarah jeden Tag die Augen aus dem Kopf weint..."
"Das geht euch überhaupt nichts an", brüllte Jareth wütend.
"Oh, wir finden schon, dass es uns etwas angeht, wenn unsere zukünftige Königin unglücklich ist", bemerkte der Vogel vorlaut.
"Genau", bekräftigte Hoggle. "Es geht uns sehr wohl etwas an."
Jareth verstand die Welt nicht mehr. Galt er denn hier überhaupt nichts mehr? Seine Befehle wurden nicht ausgeführt, seine Wünsche ignoriert und dann mischten sich auch noch ein Rabe und ein Zwerg in seine intimsten Probleme ein. Und das noch dazu mit einer Penetranz die alles übertraf.
Er war kurz davor, seinen letzten Rest an Beherrschung zu verlieren. Zu lange hatte er sich von seiner Umgebung abgeschottet, zu lange hatte er sich geweigert, von etwas anderem als sich selbst Notiz zu nehmen. Seine aufgestauten Gefühle brachen sich nun mit Macht ihre Bahn.
"Ihr verschwindet jetzt sofort aus meinen Räumen, oder ich werde euch Beine machen!" Und ohne erst nachzudenken zauberte er aus dem Nichts einen Kristall in seine Handfläche und holte aus um damit nach Hoggle zu werfen, als er mitten in der Bewegung erstarrte.
Hoggle hatte sich schon in Erwartung einer mittelschweren Explosion geduckt und auch der Rabe hatte seinen Kopf unter seinem Flügel versteckt. Als jedoch nichts geschah, hoben beide wieder die Köpfe und blickten Jareth fragend an.
Doch Jareth hatte keine Augen für seine Umgebung mit merkwürdig starrem Blick musterte er verwundert die Kristallkugel in seiner Hand. Langsam liess er sie in seiner Hand kreisen und beobachte ihren ruhigen Lauf. Dann warf er sie in die Luft wo sie in einem leichten Glitzerregen zerplatzte. Jareth hob sein Gesicht diesem Glitzerregen entgegen und lachte fröhlich.
Hoggle und Basilius sahen sich an als ob sie sagen wollten, jetzt ist er völlig übergeschnappt, doch schon im nächsten Moment hielt Jareth einen neuen Kristall in der Hand und wirbelte ihn mit einem glücklichen Gesichtsausdruck durch die Luft.
"Es war die ganze Zeit da", flüsterte er halblaut mit staunender Stimme. "Ich habe es nur nicht gespürt."
Plötzlich lenkte er seinen Blick von dem Kristall auf Hoggle und Basilius, die ihn mit offenem Mund und Schnabel anstarrten.
"Ich bin euch sehr zu Dank verpflichtet." Er sprach schnell, als ob er plötzlich in Eile wäre. "Doch jetzt muss ich mit Sarah sprechen. Wo ist sie?"
"Vorher war sie noch in der Biblio..." antwortet Basilius ungewohnt langsam und noch bevor er den Satz beenden konnte war Jareth auch schon aus seinem Zimmer gestürmt.
"War das jetzt gut?" fragte Basillius schliesslich mit einem leisen Zweifeln den Zwerg.
Doch Hoggle zuckte nur unschlüssig mit den Schultern.
Kapitel 50
Sarah hielt sich mittlerweile im Thronsaal auf, da Ludo und Sir Dydimus gekommen waren um sie zu besuchen und der Thronsaal der einzige Raum des Schlosses war, in dem sich Ludo aufhalten konnte, ohne grössere Schäden anzurichten. Tobias, Darius und ein paar der kleineren Kobolde waren ebenfalls anwesend, als Jareth ohne jegliche Vorwarnung wie ein Wirbelwind durch eine der Türen hereinjagte.
"Sarah!" rief er atemlos. "Ich habe dich schon im ganzen Schloss gesucht."
"Jareth?" Sarah war mehr als überrascht. Sie war völlig verblüfft von seinem Auftauchen. Ihre weibliche Intuition liess sie zwar bedauern, dass sie sich für dieses langersehnte Zusammentreffen nicht hübsch gemacht hatte doch ein Blick auf Jareth's legere Kleidung liess sie diese Regung sofort wieder als überflüssig verbannen.
"Sarah." Mit wenigen Schritten war er bei ihr und schloss sie fest in seine Arme. Er liess seinen Blick kurz durch die Runde schweifen und seine Lippen verzogen sich zu einem kleinen Lächeln.
"Sarah, du hättest alles Recht der Welt auf einen formvollendeten Antrag, aber da wir nie allein zu sein scheinen und bevor uns wieder etwas dazwischen kommt, werde ich dich einfach hier auf der Stelle fragen."
Sein liebevoller Blick liess Sarah's Knie schwach werden und liess sie ihre Verblüffung über seinen plötzlichen Sinneswandel vergessen. Sie lächelte ihm aufmunternd und erwartungsvoll zu. Nur schnell, dachte sie, nur schnell bevor tatsächlich wieder etwas passiert.
"Willst du..."
Doch auch diesem Heiratsantrag war kein Glück beschieden, denn in diesem Moment stürmte eine der Wachen in den Thronsaal.
"Eure Majestät!" rief sie mit lauter, aufgeregter Stimme. "Eure Majestät! Vor dem Schloss steht eine Delegation der Elfen und begehrt Einlass. Sie bringen Grüsse und Geschenke von ihrem König!"
"Ich fasse es einfach nicht", murmelte Jareth und Sarah konnte trotz ihrer Enttäuschung ein Kichern nicht unterdrücken.
"Eine Delegation?" wandte sich Jareth an die Wache. "Was für eine Delegation?"
Doch bevor die Wache ihre Meldung wiederholen konnte, war die Spitze der Delegation auch schon eingetreten. Es mussten um die 20 Personen sein, die langsam und mit gemessenen Bewegungen in den Thronsaal strömten. Die Bewohner des Koboldreiches staunten die unangemeldeten Besucher an. Es handelte sich tatsächlich und unzweifelhaft um Elfen. Alle waren gross von Wuchs mit schlanken, langen Gliedern und feinen Gesichtszügen. Ihre langen Haare verdeckten die leicht spitz zulaufenden Ohren nur zum Teil. Die einfachen Gewänder folgten jeder der graziösen Bewegungen. Als sich alle Elfen im Thronsaal versammelt hatten, verbeugten sie sich elegant vor Jareth und der älteste Elf, welcher an der Spitze des Zuges geschritten war richtete das Wort an den König der Kobolde.
"Wir überbringen Euch die freundlichsten Grüsse von unserem Herrscher König Galahan und seiner Gattin Persena. Ihre Herzen jubeln mit Euch, nun da der Fluch gebrochen wurde." Die Stimme des Elf war leise und doch so klar, dass sie ohne Schwierigkeiten verstanden wurde.
In diesem Moment wurde Jareth peinlich bewusst, dass er für diesen Anlass nicht angemessen gekleidet war und eine leichte Röte überzog seine Wangen. Doch er sammelte seine Würde und setzte zu einer Antwort an, die von ihm erwartet wurde.
"Überbringt König Galahan und Königin Persena meinen innigsten Dank für ihre Grüsse. Ich heisse euch hiermit in meinem Reich aufs Herzlichste willkommen."
Wieder verneigte sich der Elf. "Wir danken Eurer Majestät für Eure Güte. Ich darf mich nun vorstellen, mein Name ist Telramon. Ich bin der ernannte Führer dieser Gruppe." Als der Elf Telramon sich wieder aufrichtete bemerkte er zu seiner Überraschung, dass der Koboldkönig ihm Zeichen gab, die sich nicht anders deuten liessen, als dass er wünschte, Telramon möge näher kommen. Telramon zögerte erst, wusste er doch so gut wie nichts über diesen König und die Sitten und Gebräuche die an diesem Hof herrschen mochten, doch dann entschloss er sich dazu einige Schritte auf den König zuzugehen. Kaum hatte er diesen Entschluss in die Tat umgesetzt, fühlte er auch schon die Hand des Königs auf seiner Schulter und wurde von ihm mit den Worten "Ich habe noch eine Botschaft an Euren Herrscher - kommt bitte einen Augenblick mit" in ein angrenzendes Zimmer geführt, ja fast geschoben.
Kaum hatte sich die Tür hinter ihm, dem König und einer dunkelhaarigen Frau geschlossen, wurde er auch schon mit der denkwürdigsten Rede erfreut, die er je in seinem langen Leben gehört hatte.
"Telramon, ich werde nicht lange um den heissen Brei herumreden. Ich brauche Eure Hilfe. Ich habe nicht die leiseste Ahnung was hier vor sich geht", sagte Jareth mit entwaffnender Offenheit.
"Aber, Eure Majestät..." protestierte Telramon mit einem kurzen Seitenblick auf die dunkelhaarige Frau schwach.
Jareth hatte den Blick bemerkt und schob nun mit einem Schmunzeln Sarah in den Vordergrund. "Ihr braucht keine Bedenken zu haben. Darf ich Euch Lady Sarah vorstellen? Ich werde sie heiraten, sobald es mir endlich einmal gelingt ihr einen Heiratsantrag zu machen. Alles was Ihr mir sagt, könnt Ihr auch ihr sagen."
Jareth war bei weitem nicht so entspannt, wie er sich vor Telramon gab. Nachdem er Sarah auf diese unkonventionelle Weise vorgestellt hatte, gab ihm ihr fast unmerkliches Zwinkern zu verstehen, dass sie zwar nicht alles begriffen hatte, aber dass sie mit seinem Vorgehen einverstanden war. Er holte also tief Luft und fuhr fort: "Versteht mich bitte richtig. In den letzten Wochen ist so viel passiert - tatsächlich habe ich erst heute meine magischen Kräfte wiederentdeckt." Er blickte Sarah um Entschuldigung heischend an. Dann nickte er knapp. "Ja, das war der Grund. Ich konnte meine Magie nicht mehr spüren und dachte, ich hätte meine Fähigkeiten verloren, aber sie fühlt sich seit der Verwandlung nur anders an." Und zu Telramon gewandt sagte er: "Und nun erfahre ich auch noch, dass es ein weiteres Reich gibt." Nach kurzem Zögern fügte er hinzu: "Das allerdings ist eine Überraschung der angenehmeren Sorte."
Telramon fühlte sich etwas benommen, doch dank seiner elfischen Kräfte fasste er sich rasch wieder. "Ihr hattet keine Ahnung von unserer Existenz?" fragte er ruhig.
"Nicht die geringste", erwiderte Jareth mit einem schiefen Lächeln. "Deshalb weiss ich auch nichts über die Verhaltensregeln, Protokollvorschriften oder die üblichen Höflichkeiten. Ihr müsst deshalb entschuldigen, wenn ich Fehler begehe."
"Das ist allerdings erstaunlich", sagte Telramon leise. Dann richtete er seinen Blick auf Sarah. "Dann müsst ihr diejenige sein, die den Fluch, der über diesem Reich lag, gebrochen hat."
Sarah senkte den Kopf in einem leichten Nicken, während Jareth sie liebevoll anblickte. Telramon, dem keine Nuance im Ausdruck des Paares entging, gestattete sich ein zufriedenes Lächeln. Um die Zukunft des Koboldreiches musste sich wahrlich nie wieder jemand sorgen müssen.
"Ich habe so viele Fragen", nahm Jareth die Unterhaltung wieder auf.
"Es wird mir eine Ehre sein, Euch behilflich zu sein, Majestät. Doch... verzeiht meine Neugier... wie ist Euer Name?"
"Ach, wusstet Ihr das nicht?" fragte Jareth verblüfft.
Telramon schüttelte bedauernd den Kopf. "Leider nein, Eure Majestät. Die Verbindung zwischen unseren Reichen war seit dem Fluch völlig abgeschnitten."
"Dann verzeiht mir meine Unhöflichkeit, Telramon und nehmt Platz." Er wies auf einige Stühle die nahe bei den Fenstern standen. Nachdem sich alle gesetzt hatten, stellte sich Jareth vor.
"Mein Name ist Jareth", sagte er schlicht. "Und ich möchte Euch bitten, mich auch so anzusprechen."
"Wenn es Euer Wunsch ist - Jareth."
"Ja, allerdings. Doch nun bitte ich Euch, mir alles von Anfang an zu erzählen."
Telramon räusperte sich. "Nun, wir Elfen hatten schon zu Beginn kein gutes Gefühl, was diese Zauberin von der Erde betraf. Doch mit einem derartigen Ausgang hatte selbstverständlich niemand gerechnet. Der Fluch, den sie über Euer Reich verhängte, war so mächtig, dass er bis in die entferntesten Landstrich der entlegensten Reiche drang und die Luft erzittern liess. Kaum einen Wimpernschlag später senkte sich auch schon eine undurchdringliche Nebelwand auf die Grenzen Eures Reiches. Ihr könnt mir glauben, wir haben alles versucht um diesen Nebel aufzulösen. Magie, Zaubertränke, Gegenflüche - doch nichts half. So schwer es uns auch fiel, wir mussten uns schliesslich damit begnügen an den Grenzen Beobachter zu postieren, die uns jede Veränderung melden würden. Doch die Äonen vergingen und nichts geschah. Ihr könnt uns unsere Verwunderung und unseren Jubel nicht vorstellen, als vor einigen Wochen endlich doch einer der Beobachter die glückliche Meldung an den königlichen Hof überbrachte, die Nebelwand habe sich über Nacht aufgelöst und der Blick könne nun ungehindert über ein reiches Land schweifen.
Wir berieten sofort, was zu tun war und entschlossen uns dann dazu nicht mit telephatischen Mitteln zu reisen, sondern Euer Land zu Fuss zu durchqueren. Wir würden dadurch zwar länger unterwegs sein, doch wir wollten uns Schritt für Schritt und mit eigenen Augen davon überzeugen, dass ihr tatsächlich erlöst seid. Und ich kann sagen, ich habe selten eine Reise mehr genossen als diese."
Jareth und Sarah tauschten bei diesen Worten einen innigen Blick.
"Ich denke, wir sollten auch bald eine solche Reise unternehmen", sagte Jareth leise und hauchte einen Kuss auf Sarah's Handrücken.
"Ich denke", fuhr Telramon fort, "ich denke, dass die Anderen auch bald eintreffen werden."
"Welche Anderen?" Jareth wandte ihm ein erstauntes Gesicht zu.
"Die anderen Delegationen, selbstverständlich", antwortete der Elf verwundert.
"Ja, aber..." Jareth begriff immer noch nicht. "Wird König Galahan noch weitere Gesandte schicken?"
"Aber nein." Telramon schüttelte den Kopf, dann erhellte ein feines Lächeln sein Gesicht. "Verzeiht mir, Jareth. Ich habe vergessen, dass ihr so gut wie nichts über uns oder die anderen Reiche wisst." Er griff in die Falten seines Gewandes und zog eine Pergamentrolle hervor, die er langsam auf dem Tisch unter zwei staunenden Augenpaaren entrollte. "Ich habe hier eine Karte. Wie ihr seht, sind die Elfen Eure nächsten Nachbarn. Deshalb sind wir wahrscheinlich auch als Erste bei Euch eingetroffen." Er deutete mit seinem schlanken Zeigefinger auf einen Teil der Karte. "Und hier", sein Finger bewegte sich nach rechts "seht ihr das Reich der Feen. Es wird von Königin Allegra regiert. Weiter im Norden findet ihr das Land der Zwerge unter der Herrschaft von König Bogumil und im Osten schliessen sich die Ländereien der Nymphen, Zentaur und Nixen an, welche keine Herrscher im üblichen Sinne haben, sondern nur bei Bedarf einen Rat aus besonders angesehenen Mitgliedern ihrer Gemeinschaft bilden." Telramon blickte von seiner Karte auf und musterte Jareth und seine menschliche Braut mit Interesse. Er hätte wirklich nicht gedacht, dass dieses elementare Wissen nicht von König zu König weitergegeben worden war. Er war gespannt wie der Koboldkönig auf diese Enthüllungen reagieren würde. Als Jareth schliesslich seinen Blick von der Landkarte reissen konnte, nahm Telramon befriedigt zur Kenntnis, dass sich Jareth offenbar rasch mit unerwarteten Vorkommnissen arrangieren konnte. Er würde diese Fähigkeit in der allernächsten Zeit noch öfter brauchen können.
Jareth fixierte Telramon mit einem intensiven, drängenden Blick.
"Ich bin nicht allein." Seine Stimme war leise und er schien selbst auf den Klang seiner eigenen Worte zu lauschen. "Ich bin nicht allein", wiederholte er. Ein wenig lauter diesmal. Dann wandte er sich ein einer raschen Bewegung seiner Braut zu. Sarah war zu Tränen gerührt, als er mit bewegter Stimme ein drittes Mal wiederholte: "Wir sind nicht allein, Sarah. Verstehst du? Ist das nicht wundervoll."
Ohne Vorwarnung wurde Sarah in eine zermalmende Umarmung gezogen und seine Freude fand ein Echo in ihrem Herzen. "Oh ja, Jareth. Es ist absolut wundervoll", wisperte sie in sein Ohr. Überraschend schnell liess Jareth sie daraufhin wieder los. Doch ihre unausgesprochene Frage wurde durch seinen Seitenblick auf Telramon mehr als beantwortet.
"Wir sehen uns später", flüsterte er leise und der Blick der seine Worte begleitete jagte ihr wohlige Schauer über den Rücken. "Und zieh' dir etwas Hübsches an", setzte er zärtlich hinzu.
Sarah schenkte ihm einen tiefen Blick aus spöttisch lächelnden Augen und nickte. Dann verabschiedete sie sich gewandt von Telramon und verliess den Raum.
"Ich denke, wir haben noch einiges zu besprechen", wandte sich Jareth an Telramon und registrierte erfreut, dass der Elf freundlich lächelnd nickte.
Kapitel 51
Einige Zeit später suchte Tobias seine Schwester in deren Zimmer auf und war gelinde überrascht, sie in einem Wust von Kleidern in allen Regenbogenfarben anzutreffen.
"Was ist denn hier los?" machte er seiner Überraschung Luft.
Sarah sah nur flüchtig auf und zog die Nase kraus über so viel männliche Dummheit. "Ich suche ein Kleid aus", antwortete sie knapp. "Was dachtest du denn?"
"Im ersten Moment an einen Tornado in deinem Kleiderschrank", entgegnete ihr Bruder trocken.
"Dummes Zeug! Was denkst du - wird ihm dieses Kleid gefallen?" Sie zog etwas orangefarbenes aus dem Stapel und schwenkte es vor Tobias.
Tobias fand für ihr seltsames, ja sogar albernes Verhalten keine Erklärung. So hatte sie sich noch nie aufgeführt. Doch langsam dämmerte eine Idee in seinem Gehirn.
"Sag mal, hat er dich etwa endlich gefragt?" fragte er mit leicht aufgeregter Stimme. Zu seiner Überraschung wurde seine Schwester rot.
"Nein, noch nicht. Aber ich denke, er wird es heute abend tun. Er hat gesagt ich soll etwas Hübsches anziehen. Was hältst du zum Beispiel hiervon?"
"Grün? Du kannst doch zu so einem Anlass nichts Grünes anziehen", stiess Tobias impulsiv hervor. Die Aufregung seiner Schwester hatte ihn angesteckt. "Hast du nichts Blaues?"
Geraume Zeit später hatten sich ausser Tobias auch noch einige der weiblichen Bediensteten des Schlosses in Sarahs Zimmer eingefunden. Die Nachricht von der offensichtlich bevorstehenden Verlobung schien sich wie ein Lauffeuer durch das ganze Land verbreitet zu haben. Alle der anwesenden Frauen und Mädchen bemühten sich, Sarah möglichst vorteilhaft herauszuputzen, während Tobias im Hintergrund seine Kommentare dazu gab. Unter normalen Umständen hätte Sarah diese ganze Herumzupfen an ihrem Kleid und ihren Haaren den letzten Nerv gekostet, doch heute schwamm sie in einer Blase voller Glückseligkeit und nahm die Bemühungen um ihre Person kaum war. Ab und zu tauchte sie aus ihren Gedanken auf um ihrem Bruder einen strahlenden Blick zu schenken, der bis dahin nicht geglaubt hatte, dass Glück eine Frau tatsächlich verschönern konnte.
Endlich war die letzte Falte geglättet und die letzte Haarnadel an ihrem Platz. Mit ihrer Erscheinung unendlich zufrieden drehte sich Sarah vor ihrem Spiegel.
"Nun, was meinst du?" richtete ihr Spiegelbild die entscheidende Frage an ihren Bruder. Sie hatte sich für ein Kleid aus mitternachtsblauer, matt schimmernder Seide entschieden. An dem grossen, ovalen Ausschnitt, der von Schulter zu Schulter reichte, an den Enden der langen, engen Ärmel und dem Saum des schwingenden Rockes waren filigrane, silberne Sternstickereien angebracht, die bei jeder Bewegung im Kerzenlicht glitzerten. Ihre halblangen Haare hatte sie im Nacken nur lose mit einem Band zusammen gefasst und dazu trug sie einen zarten, ebenfalls silbernen Stirnreif im Haar.
Tobias schüttelte leicht den Kopf. "Du hast es geschafft", stellte er fest und als sie ihn fragend ansah, fuhr er fort: "Du bist tatsächlich zu schön für Worte."
Ein beifälliges Raunen lief durch das Zimmer, das jedoch sofort verstummte, als von draussen kräftig an die Tür geklopft wurde und tatsächlich einer der Elfen eintrat, die erst heute morgen das Schloss betreten hatten.
Sarah bemerkte mit Genugtuung, dass er sich tief vor ihr verneigte und aus dieser Verbeugung mit verdächtig geröteten Wangen wieder auftauchte. Er schien noch nicht sehr alt zu sein.
"Mylady Sarah, wenn ihr nun bereit seid - König Jareth erwartet Euch im Thronsaal."
"Oh ja, natürlich. Vielen Dank", äusserte Sarah etwas unzusammenhängend und war auch schon weg. Die sentimentalen Seufzer der versammelten Frauen, die diesen Abgang begleiteten, liessen den jungen Elf noch tiefer erröten und sich ebenfalls schleunigst zurückziehen.
Als Sarah den Thronsaal betrat, wusste sie schon nicht mehr, wie sie hierher gelangt war. Doch als Jareth auf sie zukam und sie das Leuchten in seinen Augen sah, war sie nahe dran, sogar ihren Namen zu vergessen. Er fasste sanft ihre Hände.
"Jedesmal, wenn ich denke, du könntest unmöglich noch wundervoller aussehen, dann kann ich sicher sein, dass du das nächste Mal um ein vielfaches strahlender bist als das letzte Mal." Er hielt sie an ausgestreckten Armen ein Stück von sich weg und seine Blicke glitten so intensiv über Sarah, dass sie tatsächlich glaubte, sie auf ihrer Haut zu spüren. "Du bist unbeschreiblich." Mit diesen Worten zog er sie wieder näher zu sich.
"Du aber auch", sagte Sarah lächelnd.
Jareth sah mit komischem Zweifel an sich herunter. "Bis zu dem Moment, in dem du diesen Raum betreten hast, war ich allerdings auch dieser Meinung. Und alle Elfen, Diener und Kobolde, die sich in meinem Zimmer geradezu gestapelt haben, waren auch dieser Ansicht. Jetzt bin ich mir allerdings nicht mehr so sicher."
Er war heute abend ganz in schwarz und silber gekleidet. Zu einer schwarzen, schmalen Hose trug er ein weisses Hemd an dessen Kragen eine Spitzenmanschette befestigt war, die bis auf seine silberbestickte, schwarze Weste floss. Dazu hatte er sich für ein passendes, ebenfalls silberbesticktes, schwarzes Jacket entschieden, das ihm bis fast an die Knie reichte und vorne offen war.
"Oh, nein, Jareth. Du siehst absolut umwerfend aus", widersprach ihm Sarah zärtlich.
Einen Moment lang sahen sich beide nur tief in die Augen.
"Schliess bitte die Augen", bat Jareth nach einer Weile. "Ich habe noch eine Überraschung für dich."
Gehorsam machte Sarah die Augen zu, doch schon nach kurzer Zeit durfte sie sie auf ein Zeichen von Jareth wieder öffnen.
Sie schlug die Augen wieder auf und sah sich erstaunt um.
"Wo sind wir hier?"
Sie standen in einem kleinen Tal, dessen Ränder von blühenden Büschen und Bäumen umrahmt wurden, die einen betörenden Duft verströmten. Einige Schritte weiter floss ein leise plätschernder Wasserfall in einen kristallklaren See. Es war mittlerweile Nacht geworden, doch die Luft war von einem magischen Leuchten sanft schimmernd erhellt.
"In einem Teil meines Reiches zu dem nur ich Zutritt habe", beantwortete Jareth ihre Frage. "Wir müssten hier also vor Unterbrechungen sicher sein", ergänzte er grinsend. Auch Sarah stiess ein kurzes Kichern aus, das jedoch sofort verstummte, als Jareth sich vor ihr auf ein Knie niederliess.
"Sarah - Retterin meines Reiches, Stachel meiner Seele und Liebe meines Lebens..." Er sah sie unglaublich zärtlich an, doch Sarah glaubte, tief in seinen Augen auch einen kleinen Spottteufel zu sehen. Doch das störte sie nicht. Im Gegenteil! Sie liebte ihn so wie er war. Mit allen Ecken und Kanten. Mit allen Zärtlichkeiten und Wutausbrüchen. Das Leben mit ihm würde niemals langweilig werden. Dennoch wartete sie leicht atemlos darauf, dass er endlich weitersprach.
Er hatte in der Zwischenzeit etwas aus seiner Westentasche geholt und hielt es Sarah nun hin.
"Willst du meine Frau werden?"
Sarah sah auf seine Hand und den schmalen, weissgoldenen Ring zwischen seinen Fingern. Es war eine Hand die sich um eine kleine Kristallkugel schloss. Sarah erkannte ihn sofort wieder.
Sie konnte nichts dagegen tun, dass plötzlich Tränen des Glücks ihre Augen glitzern liessen. Dann wurde ihr bewusst, dass Jareth sie erwartungsvoll ansah und immer noch auf eine Antwort wartete.
"Ja, Jareth! Vater meiner Tochter, Sehnsucht meiner Träume und Hüter meines Herzens - ja ich will! Mehr als alles andere auf der Welt."
Seine Augen leuchteten auf, während er ihr den Ring auf den Finger schob. Dann stand er in einer raschen, geschmeidigen Bewegung auf und schloss sie in seine Arme.
"Endlich", murmelte er leise, bevor er seine Lippen auf ihren erwartungsvollen Mund senkte und kaum hatten sich ihre Lippen getroffen, spürten beide, wie sich ihre lang aufgestauten Gefühle Bahn brachen und wie eine dunkle Woge über sie hinweg rollten.
So fordernd und stürmisch wie dieser Kuss begonnen hatte, so sanft und spielerisch endete er. Während Sarah verspielt ihre Nase an seiner rieb, platzierte er kleine Küsschen in ihren Mundwinkeln, die sich kichernd wölbten. Glücklich barg sie ihren Kopf an seiner Halsbeuge und seufzte leise, als Jareth mit einem Finger ihren Nacken streichelte. Dann legte er einen Finger unter ihr Kinn und hob ihr Gesicht zu sich empor. Ihr anbetender Blick verschlug ihm für einen Moment die Sprache, doch dann fasste er sich wieder.
"Jetzt gehörst du mir", flüsterte er heiser mit einem leicht herausfordernden Unterton. "Für immer und ewig, Sarah." Und als er spürte, wie ihr Körper während seiner Worte wohlig erschauerte wiederholte er es. "Für immer und ewig."
Mit einem leisen Stöhnen, das auch ihm Schauer über den Rücken jagte, schlang Sarah ihre Arme enger um ihren Verlobten und blickte ihn unter halbgesenkten Wimpern ebenso herausfordernd an, wie er eben noch mit ihr gesprochen hatte.
"Nur für ewig?" flüsterte sie mit bebenden Lippen. "Das ist mir nicht lang genug", hauchte sie, bevor sie seinen Kopf zu sich herunter zog und ihm einen leidenschaftlichen Kuss schenkte, der ihn vor Sehnsucht nach ihr fast verrückt werden liess. Verlangend wanderten seine Hände über ihren Körper. Sanft löste sich Sarah aus seiner Umarmung und blickte ihn kokett an. "Hier?" fragte sie mit leicht hochgezogenen Augenbrauen, doch das Lächeln, das ihre Worte begleitete, gaben ihm bereits ihr Einverständnis.
"Ja, hier", stellte er fest. "Das Schloss ist voller Menschen, Elfen und Kobolde. Wir hätten keine ruhige Minute." Er wollte sie abermals küssen, doch sie entzog sich ihm spielerisch.
"Ich hoffe doch, das es länger dauert als eine Minute", flüsterte sie verführerisch in sein Ohr.
Seine einzige Antwort bestand in einem langen Blick und einem Grinsen, das sie in Vorfreude erschauern liess. Dann zog er sein Jacket aus.
Nur einen Augenblick später lagen beide zwischen den blühenden Büschen auf weichem Moos und zerrten sich gegenseitig unter wilden Küssen die Kleider vom Leib. So sorgfältig sie sie auch angelegt hatten, nun hatten sie ihre Schuldigkeit getan und waren nur noch im Weg. Sarah, die fast schon vergessen hatte, wie gut es sich anfühlte von einem Mann begehrt zu werden, schwamm in einem Meer der Ekstase. Jareths gierige Küsse und Berührungen erfüllten sie mit einem Verlangen, das übermächtig zu werden drohte. Sarah schlang ihre Beine erregt um seinen Körper und stöhnte lustvoll auf, als Jareth ohne zu Zögern mit einem einzigen Stoss tief in sie eindrang. Ihr Becken presste sich auffordernd gegen seinen Unterleib und seine ersten Bewegungen waren rasch und wild. Sein heisser Mund und seine teuflische Zunge liessen sie vor Lust erbeben. Die fast hastigen Stösse gingen in langsame, kreisende Bewegungen über und teilten Sarah mit, dass er übererregt war und ein zu schnelles Ende vermeiden wollte. Sie versuchte daher ihn nicht noch mehr zu reizen und ihre Hände von seinem festen Po und seinen kleinen, harten Brustwarzen fern zu halten. Doch allein die Tatsache, dass jede seiner Aktivitäten von einem lustvollen Stöhnen seiner Geliebten begleitet wurde und sie immer wieder seinen Namen abwechselnd flüsterte oder laut hinausschrie, liess ihn seine Beherrschung verlieren. Seine Bewegungen wurden wieder schneller, fordernder, seine Hände rücksichtsloser. Doch auch Sarahs Ekstase hatte die letzte Schwelle erreicht und während er sich heiss und zuckend in sie ergoss, erbebte sie unter den Wellen eines Höhepunkts, der sie atemlos und angenehm ermattet zurück liess.
Lange lagen sie schweigend in den Armen des anderen, notdürftig mit Jareth's Jacket bedeckt, betrachteten den Himmel über sich und genossen die Stille und die milde Nachtluft. Beide hatten das Gefühl endlich am Ende einer langen Reise angekommen zu sein.
"Wie habe ich es nur so lange ohne dich ausgehalten?" seufzte Sarah schliesslich leise. "Und wie hast du es nur ausgehalten, derart lange auf mich zu warten?" Sie kuschelte sich enger an ihn und sah ihm fragend in die Augen.
Er küsste sie zärtlich auf die Nasenspitze bevor er antwortete.
"Weil ich dich liebe", sagte er schlicht und Sarah seufzte beseligt auf.
Noch später schlichen Sie im Schloss leise vom Thronsaal zur Treppe. Sie hatten ihre Kleider nur notdürftig über sich geworfen und legten keinen gesteigerten Wert darauf von jemand gesehen zu werden. Auf dem ersten Treppenabsatz hielt Jareth seine Geliebte zurück und sah sie mit einem spöttischen Zwinkern an.
"Zu mir oder zu dir?" fragte er grinsend.
"Zu dir - ich habe gerade die Handwerker da", antwortete sie kichernd.
"Ich denke, als erstes brauchen wir eine neue Wohnung", überlegte Jareth während sie ihren Weg fortsetzten. "Am besten eine mit einem grossen stabilen Riegel an der Tür." Mit diesen Worten zog er sie erneut in seine Arme und gab ihr einen innigen Kuss.
"nothing ever hurts again"
Kapitel 52
Nach einer für Sarahs und Jareths Begriffen viel zu kurzen Nacht wurden sie durch ein hartnäckiges Klopfen an der Tür geweckt. Verschlafen blinzelte Sarah auf die Uhr und kuschelte sich wieder eng an Jareth. Vielleicht ging der unverschämte Klopfer ja wieder, wenn man ihn ignorierte - es war noch viel zu früh. Doch kurz darauf trat ein Kobold durch die Tür, ohne dazu aufgefordert zu sein. In seinen Händen trug er einen Krug mit Wasser. Er stellte den Krug auf dem Waschtisch ab und schritt zu den Fenstern, wo er die Vorhänge mit einem Ruck aufzog. Sarah, von der überraschenden Helligkeit geblendet, stöhnte gequält auf und schlug die Hände vors Gesicht.
"Ich wünsche Eurer Majestät einen guten Morgen. Und auch Ihnen, Lady Sarah", schmetterte Ihnen der Kobold gutgelaunt entgegen, dann zog er sich endlich wieder zurück.
Erst jetzt rührte sich Jareth. "Einen grossen Riegel. Einen sehr, sehr grossen Riegel", murmelte er schlaftrunken.
Neben ihm kicherte Sarah. "Guten Morgen, Majestät. Aber vielleicht sollten wir doch aufstehen."
"Nenn' mir auch nur einen guten Grund", nuschelte Jareth und drehte sich auf die andere Seite.
"Ich bin ja auch noch müde", gab Sarah zu. "Aber ich habe Hunger und ich fürchte, wir haben heute viel zu tun - angefangen damit, dass wir unsere Verlobung bekannt geben sollten."
Müde wandte sich Jareth wieder seiner Verlobten zu. "Das nennst du Gründe?"
Doch Sarah war tatsächlich schon aufgestanden und beäugte nun mit misstrauischer Miene die Waschschüssel und den Wasserkrug. Gähnend und sich streckend gesellte sich Jareth widerwillig zu ihr und umschlang ihre Taille von hinten mit seinen Armen.
"Bist du Morgens eigentlich immer so widerlich wach?"
Sarah grinste ihn über ihre Schulter an. "Und du? Bist du morgens immer so eine widerliche Schlafmütze?" Dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder dem Wasserkrug zu. "Soll ich mich etwa damit waschen?"
Jareth, der gerade verträumt an ihrem Ohrläppchen knabberte, unterbrach diese angenehme Beschäftigung. "Was dachtest du denn?"
"Aber das ist ja mittelalterlich! Gibt es hier kein richtiges Badezimmer?"
"Das nicht, aber ich habe natürlich meine eigene Badewanne", erklärte Jareth.
"Ach", sagte Sarah ziemlich entgeistert.
"Aber wenn dein kleines Herz daran hängt, dann werden wir in unseren neuen Räumen ein eigenes Badezimmer haben", versprach er ihr.
"Auch mit einer Dusche?" fragte sie zaghaft.
"Auch das werde ich irgendwie bewerkstelligen können."
Geraume Zeit später betraten beide einen der kleineren Säle, der als Frühstückszimmer genutzt wurde. Mit einem schnellen Blick in die Runde stellte Sarah fest, dass sie die letzten waren. Ihr Bruder sass bereits an dem grossen Tisch und unterhielt sich angeregt mit Darius. Telramon bot gerade Hoggle etwas von einer weiter entfernten Platte an und einige der jüngeren Begleiter Telramons lauschten gerade einer Erzählung von Sir Dydimus. Beim Eintritt des Königs verstummten jedoch alle Gespräche und alle Augen wandten sich neugierig dem Paar zu, das sich an den Händen hielt und glücklich lächelte.
"Ich darf Euch bekanntgeben", sagte Jareth mit klarer Stimme, "dass Lady Sarah mir gestern abend die Ehre gegeben hat, meinen Heiratsantrag anzunehmen."
Nach einer Schrecksekunde stimmte Sir Dydimus einen Hoch-Ruf auf das Paar an und alle Anwesenden fielen darin ein. Dann erhoben sich alle mehr oder weniger stürmisch von ihren Plätzen um das Paar zu beglückwünschen. Tobias drängte sich dabei sehr unfein vor, um nur ja der Erste zu sein. Lachend schüttelten beide alle Hände, die sich ihnen entgegenstreckten und Sarah bot unzähligen Lippen ihre Hand und ihre Wange zum Kuss entgegen. Als die erste Aufregung abgeebbt war, atmete Sarah tief durch und verlangte nach ihrem Frühstück.
"Denn, wenn ich jetzt nichts zu essen bekommen, dann falle ich auf der Stelle um."
"Oh, das wollen wir doch vermeiden", äusserte Telramon galant und bot ihr seinen Arm an, um sie zum Tisch zu führen. Als Sarah und Jareth mit allem versorgt waren, richtetet Jareth das Wort an Telramon und Darius.
"Zu allererst müsste ich die anderen Herrscher von unserer Verlobung in Kenntnis setzen. Auf welchem Wege sollte dies geschehen?"
"Nun, üblicherweise benützt man in solchen Fällen eine Kristallnachricht", antwortete Telramon und Darius nickte dazu.
"Und wie funktioniert so was?" fragte Jareth perplex. "Ich habe noch nie davon gehört."
"Ach, ich vergesse immer wieder, wie sehr ihr von allem abgeschnitten ward", entschuldigte sich der Elf. "Es bestand für Euch ja nie die Notwendigkeit mit den anderen Reichen zu kommunizieren."
"Ich werde Euch später zeigen, wie es gemacht wird, Eure Majestät", bot Darius an.
Die nächsten Tage vergingen für Sarah wie im Traum. Die Bevölkerung wurde von ihrer Verlobung vom König persönlich informiert und jubelte daraufhin stundenlang dem Paar zu. Jareth verschickte in schwebenden Kristallen die Nachricht von Ihrer Verlobung an alle Herrscher und Herrscherinnen der anderen Reiche, Tobias kehrte mit einem entsetzlich dicken Brief von Sarah für ihre Tochter wieder nach Phoenix zurück, Sarah durchkämmte das Schloss auf der Suche nach einer geeigneten Zimmerflucht, die Elfendelegation reiste bis auf Telramon - der auf Jareths Bitte hin eingewilligt hatte noch zu bleiben - ab, eine kleine Gruppe Feen traf ein, die Abgesandten der Zwerge schickten einen Boten voraus, dass sie in den nächsten Tagen ankommen würden und Sarah erhielt ihre ersten magischen Lektionen.
"Ich bekomme wirklich magische Kräfte?" fragte sie ungläubig.
"Ja, natürlich", antwortete Jareth.
"Oh, das ist einfach fabelhaft!" jubelte Sarah.
"Immer schön langsam", schmunzelte ihr Verlobter. "Eigentlich bekommst du diese Kräfte erst nach unserer Hochzeit in einer eigenen Zeremonie zugeteilt. Aber nachdem es bei diesen Gelegenheiten schon ein paar Mal zu Zwischenfällen gekommen ist...." er zwinkerte Telramon zu. "Wer war es noch gleich gewesen, der den Hochzeitspavillon in Brand gesteckt hat, weil er seine neuen Kräfte nicht kontrollieren konnte?"
"Der Vater der jetzigen Feenkönigin - Prinzregent Norian. Immerhin gab es keine Verletzten", äusserte Telramon mit stoischer Ruhe, doch auch um seine Mundwinkel zuckte es verräterisch.
"Genau", grinste Jareth. "Und damit uns so was nicht passiert, erhältst du deine magischen Kräfte schon ein wenig früher. Aber du darfst sie nur anwenden, wenn ich dabei bin und vor allem darfst du sie auf gar keinen Fall in der Öffentlichkeit zeigen", mahnte er ernst und Sarah nickte folgsam.
"Jawohl, Eure Majestät. Wann können wir anfangen? Sofort?"
Jareth seufzte theatralisch. "Seht ihr nun, Telramon, was ich mir da für eine Braut eingefangen habe?"
"Ich würde sagen, Sie ist Euch durchaus ebenbürtig", antwortete Telramon ohne eine Miene zu verziehen.
"Touché", lachte Jareth. "Also, dann komm schon du kleiner Quälgeist."
Er führte Sarah in das oberste Turmzimmer des Schlosses, von dem aus man einen überwältigenden Blick über den größten Teil des Reiches hatte.
Jareth liess einen Kristall erscheinen und liess ihn eine Weile über seine Hände rollen. Sarah sah ihm fasziniert zu.
"Werde ich das auch einmal können?" fragte sie bewundernd. "So damit zu jonglieren?"
"Vielleicht. Dazu bedarf es in erster Linie einer gewissen Geschicklichkeit - Magie allein reicht dafür nicht aus."
Der Kristall ruhte nun in Jareth's Handflächen.
"Jedes Mitglied der königlichen Familie erhält seine Zauberkräfte auf diese Art und in diesem Raum", erläuterte er.
"Warum ausgerechnet hier?"
"Ich fürchte, das hat keinen besonderen Grund. Es ist eben eine Tradition." Er hob ihr seine Hände mit dem Kristall entgegen. "Leg' deine Hände auf den Kristall", forderte er sie auf.
Vorsichtig wölbte Sarah ihre Handflächen über die glatte Rundung und wie schon beim letzten Mal war sie überrascht, wie warm und lebendig sich der kalt aussehende Kristall anfühlte.
"Fühlst du ihn?" fragte Jareth leise. "Fühlst du die Magie in ihm?"
Sarah nickte stumm.
"Dann schliesse jetzt die Augen und konzentriere dich ganz auf dieses Gefühl. Ich werde jetzt meine Energie in diesen Kristall fliessen lassen."
"Muss ich irgendwas tun?" fragte Sarah aufgeregt.
"Nein, ich sage es dir dann schon. Jetzt musst du dich einfach nur auf dieses Gefühl konzentrieren."
Mit klopfendem Herzen schloss Sarah ihre Augen. "Was ist, wenn ich es nicht schaffe", dachte sie gerade noch verzweifelt, doch da hatte sie die Veränderung schon gespürt. Ein summendes Vibrieren lief durch den Kristall und floss in ihre Hände.
"Hast du es?" fragte Jareth leise.
"Ja, es fühlt sich wundervoll an. So... warm und.... ich weiss nicht."
"Gut, das ist es. Lass dich völlig davon durchdringen. Stell dir vor, dass du es an einem Punkt versammelst." Er sprach langsam und eindringlich, während er sie genau beobachtete.
Sarah nickte und wieder fiel es ihr ganz leicht, diese Gefühle auf einen Punkt zu focusieren.
"Wenn du soweit bist, dann kannst du deine Augen wieder aufmachen."
Langsam öffnete sie ihre Augen und blickte Jareth an.
"Gut gemacht", lobte er sie. "Doch jetzt kommt der schwierige Teil. Nun musst du diese gesammelten Gefühle freisetzen und aus diesem Kristall einen zweiten Kristall formen."
"Wie soll ich das machen?" rief Sarah in plötzlicher Panik.
"Es geht schon, nur die Ruhe", beruhigte er sie. "Zentriere deine Gefühle wieder zurück auf den Kristall und stell dir vor, wie aus diesem Kristall ein weiterer Kristall hervortritt. Ähnlich wie wenn du aus einem Tonklumpen..." doch weiter kam er nicht, denn Sarah flüsterte aufgeregt: "Ich glaube es passiert etwas."
Jareth senkte seinen Blick und sah, dass zwischen ihren Fingern ein warmes goldenes Licht hervorblitzte.
"Ja, das ist es! Ganz ruhig jetzt. Konzentriere dich weiter - du darfst den Faden nicht verlieren. Öffne jetzt ganz langsam deine Hände, damit der zweite Kristall hervortreten kann."
Sarah tat wie ihr geheissen und öffnete behutsam ihre Hände und schon fühlte sie, wie etwas warmes, rundes von unten dagegen drückte. Langsam schälte sich ein leuchtender Kristall aus dem Originalkristall heraus und fiel schliesslich mit einem leichten "Plopp" in ihre auffangbereit gewölbten Hände.
"Ich habe es geschafft, ich habe es geschafft", jubelte sie ekstatisch. Sie konnte kaum den Blick von diesem sagenhaften, schimmernden Kristall wenden.
"Das hast du phantastisch gemacht", freute sich auch Jareth. "Doch noch ist es nicht vorbei. Einen Schritt musst du noch unternehmen. Schliess am Besten wieder die Augen. Konzentriere dich wieder auf den Kristall in deinen Händen - und dann musst du die Energie des Kristalls in dich fliessen lassen und sie völlig in dir aufnehmen. Wenn du das geschafft hast, löst sich der Kristall auf."
Für diesen letzten Schritt benötigte Sarah allerdings mehrere Versuche, doch schliesslich spürte sie ein Kitzeln in ihren Handflächen und als sie durch ihre Lider blinzelte, sah sie, wie sich der Kristall vor ihren Augen auflöste, als ob er in ihren Körper sickern würde.
"Ich habe es geschafft!" sagte Sarah ungläubig.
"Ich habe keine Sekunde daran gezweifelt", erwiderte Jareth und zog sie liebevoll in seine Arme. Dankbar lehnte sie sich an ihn und bemerkte dabei, wie erschöpft und ausgepumpt sie sich fühlte. Jareth küsste sie sanft auf die Stirn.
"Genug für heute, meine kleine Zauberin."
Tatsächlich waren die Tage des Paares so ausgefüllt, dass sie nachts übermüdet ins Bett sanken und höchstens noch matt über die Farbe der Vorhänge in ihren neuen Räumen stritten, die Sarah schliesslich doch noch ausfindig gemacht hatte. Die Räume wurden teils durch Handwerker, teils durch Magie verändert, wobei Sarah ihre neuen Kräfte erproben konnte. Jareth liess sogar eine Dusche installieren, doch das Wasser floss natürlich nur, wenn man magische Kräfte wirken liess. Doch Sarah war mehr als glücklich damit und konnte es kaum noch erwarten, die neuen Räume auch zu beziehen. Die restliche Zeit verbrachten sie damit gemeinsam mit Telramon und Darius ihre Hochzeit vorzubereiten, was sich als relativ schwierig herausstellte, da nur bruchstückhafte Aufzeichnungen von früheren königlichen Hochzeiten erhalten geblieben waren. Dennoch war es von entscheidender Wichtigkeit, die Zeremonie so korrekt wie möglich zu planen, damit alles der Tradition entsprechen würde, denn auf Tradition wurde in den Nachbarreichen sehr viel Wert gelegt. Also holten sie soviel Informationen ein, wie sie nur bekommen konnten, doch es blieben immer noch viele Lücken übrig, die sie mit eigener Inspiration füllen mussten. Die Zeremonie würde von der Feenkönigin Allegra durchgeführt werden, die dieses Jahr die oberste Herrscherin aller Reiche war. Dieser Ehrentitel wurde jedes Jahr nach einer bestimmten Reihenfolge weiterverliehen. Auch Jareth würde ihn nun eines Tages für ein Jahr innehaben. Da königliche Hochzeiten immer im Freien stattzufinden hatten, musste schnell ein Termin gefunden werden. Denn durch die Aufhebung des Fluches würde es im Koboldreich auch wieder reguläre Jahreszeiten geben. Endlich bestand Einigkeit darüber, dass die Hochzeit in 6 Wochen am 31. August stattfinden sollte. Wieder verschickte Jareth die Einladungen per Kristallnachricht und die Zwergengruppe beschloss daraufhin, gleich hierzubleiben. Es blieb also nicht mehr viel Zeit für die ganzen Vorbereitungen, doch alle Untertanen arbeiteten fröhlich an den zusätzlich benötigten Unterkünften für die zu erwartenden Gäste. Denn nur die königlichen Hoheiten würden im Schloss untergebracht werden. Auch dort hatte die Dienerschaft alle Hände voll zu tun. Die Räume mussten geputzt und gelüftet werden, Sarah zauberte - unter Ausschluss der Öffentlichkeit - stundenlang neue Bettwäsche und Vorhänge um alles ein wenig wohnlicher zu gestalten. Schliesslich erreichte sie eine reizende Kristallnachricht von Königin Allegra, die traditionsgemäss eine Woche vorher anreisen wollte, um Sarah mit ihrem Hochzeitskleid zu helfen und um das Brautpaar auf die Zeremonie vorzubereiten. Mitten in diesem Trubel hätte Sarah fast den Geburtstag ihrer Tochter vergessen.
Doch gerade als sie über dem festlichen Menü brüteten, das am Hochzeitsabend serviert werden sollte, setzte sie sich kerzengerade auf und ein Schrei durchschnitt die Stille.
"Jasmina!"
Träge blickte Jareth von einer Karte auf, die er gerade studierte. "Was ist mit Jasmina?"
"Jasmina hat in drei Tagen Geburtstag, du Rabenvater!" rief Sarah aufgebracht.
Mit Genugtuung beobachtete sie, wie Jareth sich schuldbewusst auf die Lippen biss.
"Ihr habt eine Tochter?" Telramons Blick wanderte perplex zwischen Sarah und Jareth hin und her.
"Sie lebt auf der Erde", warf Jareth ein, ohne den Blick von Sarah zu lassen. "Aber das ist eine lange Geschichte - ich werde sie Euch ein anderes Mal erzählen." Er machte eine kurze Pause. "Verstehe ich dich richtig, dass du mir die ganze Schuld in die Schuhe schieben willst? Du hast ihren Geburtstag doch genauso vergessen, wie ich."
"Du hättest ja auch mal daran denken können!"
"Ach, du willst Streit? Gut, dann sag' mir doch mal, warum du unserer Tochter in deinem 800-Seiten-Brief nicht erklärt hast, wie sie den magischen Spiegel in deinem Schlafzimmer benutzen kann?"
"Weil es diesen Spiegel nicht mehr gibt", stiess Sarah mit einem Unterton hervor, der stark in die trotzige Richtung ging.
"Wieso gibt es den Spiegel nicht mehr?" Auf Jareth's Gesicht breitete sich Verblüffung aus.
"Er ist zerbrochen und dann habe ich ihn eben weggeworfen", erklärte Sarah ungerührt.
"Ich wette, er ist nicht von allein zerbrochen", murmelte Jareth gerade laut genug, dass Sarah es hören musste. "Nun hör mir mal gut zu, du kleine Furie - ich entschuldige mich ja dafür, dass ich in den letzten Tagen wirklich nicht mehr an unsere Tochter gedacht habe. Was hältst du davon, wenn ich sie heute abend kurz besuche, ihr einen neuen Spiegel mitbringe, und sie ihren Geburtstag hier verbringen darf?"
Die Gewitterwolken von Sarahs Stirn waren bei seinen Worten wie weggewischt und sie sprang auf um ihm um den Hals zu fallen.
"Oh, das wäre wirklich das Beste! Vielen, vielen Dank." Sie küsste ihn stürmisch und deshalb sah keiner von beiden, wie Telramon ungläubig den Kopf schüttelte.
Solche Temperamentsausbrüche hatte er schon lange nicht mehr erlebt.
Jareth hielt Wort. Als der Abend gekommen war, verabschiedete er sich von Sarah und machte sich zu einem Besuch bei ihrer Tochter auf. Jasmina hatte sein Kommen gefühlt und warf sich ihm, kaum dass er aufgetaucht war freudig um den Hals.
"Hallo Daddy! Ist das schön, dass du endlich kommst. Wo ist Mum? Warum hast du sie nicht mitgebracht? Ich habe schon fast gedacht, dass ihr mich vergessen habt!" Sie formte einen reizenden Schmollmund während Jareth das schlechte Gewissen schlug. Behutsam löste er ihren Würgegriff um seinen Hals. "Ich freue mich auch, dich wiederzusehen, du Wirbelwind. Deine Mutter kann dich deshalb noch nicht selbst besuchen, weil ihre Magie dazu noch nicht stark genug ist. Später einmal..."
"Mum kann zaubern?" unterbrach ihn seine impulsive Tochter.
"So würde ich das nicht gerade nennen, aber zum Ausgleich habe ich zwei Überraschungen für dich."
"Für mich?" quietschte Jasmina aufgeregt. "Was für Überraschungen? Wo sind sie?"
"Du bist wirklich nichts weiter als ein lästiges kleines Koboldbaby", tadelte Jareth mild. "Wenn du nicht aufhörst so herumzuhopsen, kann ich dir die erste Überraschung nicht geben. Sie ist zerbrechlich." Vorsichtig zog er aus seiner Weste einen mittelgrossen Handspiegel hervor. Er war sehr schlicht in einen silbernen Rahmen gefasst, doch nichtsdestotrotz war es ein richtiger Zauberspiegel.
"Ein Spiegel?" Enttäuschung malte sich auf Jasminas Gesicht.
"Es ist ein Zauberspiegel", erläuterte Jareth lächelnd. "Wenn du hineinsiehst und den Namen der Person, mit der du sprechen möchtest, laut aussprichst - dann erscheint diese Person im Spiegel."
Schnell wie eine Schlange grapschte Jasmina nach dem Spiegel und hielt ihn begeistert in der Hand. "Cool! Wie ein Bildtelefon! Und damit kann ich jetzt mit Mum sprechen?"
*Will ich wirklich noch weitere Kinder?* dachte Jareth bei sich. Laut sagte er jedoch: "Ja, das kannst du. Aber auch meine Magie hat ihre Grenzen. Dieser Spiegel funktioniert nur von hier aus. Wir können dich damit nicht *anrufen*."
"Kein Problem", sagte Jasmina lässig. "Und was ist die zweite Überraschung?"
"Du bist ein Nimmersatt", schimpfte Jareth und zog seine Tochter ein wenig an den Haaren. "Die zweite Überraschung ist, dass du deinen Geburtstag bei uns verbringen darfst."
Jasmina strahlte ihn mit grossen Augen an. "Ist das wahr? Ist das wirklich wahr?" Und als er zur Bestätigung nickte, hing sie ihm schon wieder um den Hals. "Oh, Daddy, das ist das allerbeste Geburtstagsgeschenk aller Zeiten." Sie rückte ein wenig von ihm ab und richtete einen bohrenden Blick auf ihn. "Aber warum der plötzliche Sinneswandel? Du hast dich doch sonst immer geweigert, mich einmal mit zu nehmen."
Er stupste sie mit dem Finger leicht auf die Nasenspitze. "Weil es diesmal deine Mutter erlaubt hat." Er lachte bei ihrem grimmigen Gesichtsausdruck. "Nein, das ist nicht die ganze Wahrheit. Es ist so, dass sich die magischen Verhältnisse seither etwas verändert haben, so dass du uns ohne Risiko besuchen kannst. Vielleicht solltest du nicht unbedingt länger als 3 Wochen bleiben, aber sonst sehe ich keine Schwierigkeiten."
"Und warum bekomme ich dann nur einen Zauberspiegel und kein Amulett, wie Robin und Tobias? Das ist nicht fair!"
"Jetzt klingst du schon genau wie deine Mutter!" Jareth schwankte zwischen Ärger und Belustigung. "Ich habe dir schon ein paar Mal erklärt, dass du dafür nicht genug eigene Magie hast und du deshalb kein Amulett bekommst."
"Aber Robin und Tobias schon, oder was?!" begehrte sie auf.
"Ja! Die beiden haben genug Magie und du nicht. Und deshalb werde ich dich an deinem Geburtstag auch hier abholen und dich begleiten. Nein, keine Diskussion mehr, weder du noch ich können daran etwas ändern. Ausserdem wirst du dir schleunigst bessere Manieren angewöhnen, oder du darfst nicht zu unserer Hochzeit kommen - und wie sähe das wohl vor den Leuten aus."
Jasmina schnappte nach Luft. "Oh, das ist... das ist... und ich darf wirklich... ich freue mich so für euch!" stammelte sie. "Es ist nur schade, dass ich nun nie mehr wissen werde, wie das Labyrinth früher ausgesehen hat."
Durch ihre Freude besänftigt, strich Jareth ihr mit einem Finger über die Wange. "Glaub' mir, verglichen mit jetzt hast du absolut nichts versäumt. Aber das mit deinem Benehmen habe ich durchaus ernst gemeint. Immerhin bist du *Ihre königliche Hoheit, Erbprinzessin Jasmina*."
"Wow", hauchte Jasmina beeindruckt. "Ich habe das eigentlich nicht so richtig ernst genommen, als du letztes Jahr davon gesprochen hast." Sie dachte kurz nach. "Aber was ist, wenn ihr noch Kinder bekommt? Ich meine, wie heissen die dann?"
"Eine gute Frage, aber einfach zu beantworten. Solltest du noch Geschwister bekommen wären das dann *Ihre königlichen Hoheiten, Kronprinzessin oder Kronprinz*, denn er oder sie würde dann meinen Thron erben."
"Cool. Aber jetzt zeigst du mir, wie ich mit Mum telefonieren kann", forderte sie in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.
Jareth seufzte. Einerseits hätte er schon noch gerne einen Erben gehabt.... andererseits, wenn alle Kinder von ihm und Sarah so ausfallen würden, wie dieser Quälgeist....
Obwohl Jasmina dachte, die Tage bis zu ihrem Geburtstag würden nie vergehen, so brach der grosse Tag doch schliesslich an - wie jeder andere auch. Ihr Vater holte sie ab und brachte sie direkt ins Schloss, wo sie allen Gästen ihrer Eltern vorgestellt wurde, bevor sich alle zu einem ausgedehnten Frühstück niedersetzten. Jasmina war schwer beeindruckt von ihrer Umgebung und davon, wie strahlend ihre Mutter aussah und wie ehrerbietig ihr Vater von allen Anwesenden behandelt wurde.
"Ich weiss gar nicht, worüber du dir solche Sorgen gemacht hast", flüsterte Sarah zwischen zwei Schlucken Tee in Jareths Ohr. "Sie benimmt sich doch ganz manierlich."
"Das ist vermutlich nur der Kulturschock", flüsterte Jareth pessimistisch zurück. "Die Frage ist nur, wie lange der noch anhält."
Leider erwies sich Jareths Misstrauen als begründet. Denn kaum war das Frühstück vorbei hatte Jasmina wieder zu ihrem eigenen, unbändigen Selbst zurückgefunden und ging auf Entdeckungstour wobei sie wie eine wilde Hummel durch das ganze Schloss tobte. Nach zwei Stunden waren Sarah und Jareth von dem Elan ihrer Tochter völlig erschöpft und wussten sich nicht mehr anders zu helfen, als sie an Hoggle abzuschieben, der den Auftrag erhielt Jasmina durch das Labyrinth zu führen.
"Und du dachtest, ich würde mir unnötig Sorgen machen", sinnierte Jareth aus einem tiefen Sessel heraus in dem er es sich bequem gemacht hatte. "Und? Wer hatte jetzt recht?"
Sarah legte zwar ihre Stirn in Falten, kuschelte sich dann aber doch in einen zweiten Sessel und legte die Füsse auf einen kleinen Hocker. "Ich bin zu schlapp um mit dir zu streiten, Jareth - ich gebe ja zu, dass du Recht hattest."
"Dabei verstehe ich das nicht", fügte sie nach einer kleinen Weile hinzu. "Sie war doch früher nicht so.... das muss sie von dir haben!"
"Von mir? Also, wenn ich daran denke, wie ich in dem Alter war, gebe ich gern zu, dass ich für Tandor eine Katastrophe war, aber ich war ganz sicher kein Tornado auf zwei Beinen wie unsere liebe Tochter."
"Jetzt wirst du ungerecht", murmelte Sarah matt.
"Ungerecht? Ausserdem haben deine Erbanlagen augenscheinlich auch nicht dazu beigetragen ihr Temperament zu zügeln."
Während sich ihre Eltern halbherzig stritten, durchstreifte Jasmina unter Hoggles Führung das Labyrinth. Hoggle hatte sich nicht lange bitten lassen um ihr die Geschichte vom ersten Zusammentreffen ihrer Eltern zu erzählen. Nach einer Weile wurde Jasmina allerdings klar, dass die geschilderten Geschehnisse sich wohl nicht ganz so zugetragen hatten, schilderte Hoggle die ganze Angelegenheit doch sehr aus seiner Sicht und keinesfalls so objektiv, wie Jasmina sich das gewünscht hätte. Es fiel ihr auch nicht leicht, in dem jetzigen Gewirr von Gängen und Hecken das bedrohliche Labyrinth zu entdecken, welches ihre Mutter zu bewältigen hatte. Doch je länger sie Hoggles farbigen Berichten lauschte, tauchte sie immer tiefer in dieser fremde Welt ein, die ihr zu Anfang wie ein atemberaubender Fantasy-Film vorgekommen war. Sie begann zu begreifen, dass dies alles Realität war und kein gut inszenierter Freizeitpark. Hoggle führte sie derweil um eine Biegung nach der anderen, bis sie verblüfft vor Alf und Ralf stand.
"Na komm, frag sie was!" forderte Hoggle sie vergnügt auf.
Jasmina knabberte unsicher an ihrer Unterlippe. "Also gut", sagte sie zu sich selbst und trat auf den rechten Wachtposten zu. "Wohin..." doch schon wurde sie unterbrochen.
"Halt, junge Dame! Du darfst nur eine Frage an einen von uns stellen", sagte Alf.
"Und einer von uns lügt immer", ergänzte Ralf.
"Und der andere sagt immer die Wahrheit", setzte Alf hinzu.
"Eine der Türen führt direkt ins Schloss", meldete sich Tim zu Wort und Jasmina machte einen kleinen Satz rückwärts als sie Jim und Tim zum ersten Mal bemerkte.
"Und die andere in den sicheren Untergang", dröhnte Jim.
"Na toll", murmelte Jasmina. "Und jetzt?" fragte sie Hoggle.
"Das hast du doch gehört. Stell ihnen eine Frage." Hoggle grinste von einem Ohr zum anderen.
"Einer sagt immer die Wahrheit und der andere lügt immer", wiederholte Jasmina nachdenklich. "Und was ist, wenn das schon gelogen war?" Sie blickte streng zwischen Alf, Ralf, Jim, Tim und Hoggle hin und her.
"Ah haaa", machten Alf und Ralf, während Hoggle noch breiter grinste und Jim und Tim anerkennend nickten.
"Was hat meine Mutter an dieser Stelle gemacht?" fragte sie Hoggle
"Oh, sie hat nachgedacht, das Rätsel durch Logik gelöst und ist durch eine der Türen gegangen. Sie hat nicht wie du daran gedacht, das Rätsel in Frage zu stellen."
"Und was ist nun die Lösung?"
"Es gibt keine!" eröffnete Hoggle mit sichtlicher Genugtuung. "Das ist nur ein Zeitverschwender-Rätsel. Von denen gab es hier früher einige. In Wirklichkeit sind die Wege hinter den Türen absolut identisch."
"Ja, aber ich denke, eine führt zum Schloss und die andere..."
"Beides ist richtig", trumpfte Hoggle auf. "Je nachdem wie du den Weg bewältigst führt er dich direkt zum Ziel, oder in den sicheren Untergang."
"So ein Blödsinn", dachte Jasmina und ging kopfschüttelnd auf eine der Türen zu, öffnete sie und ging hindurch. Sie hörte Hoggle noch "Achtung!" rufen und wusste auch schon im nächsten Augenblick, warum er sie warnen wollte, doch da war es schon zu spät und sie fiel in den Schacht der helfenden Hände, die sie ohne zu fragen auf den Boden in die Oubliette gleiten liessen.
Erschreckt und verstört hockte Jasmina auf dem Boden der dunklen Kammer und starrte an die Decke, wo sich die Öffnung langsam schloss.
"Hoggle wird mich gleich hier raus holen", sagte sie leise in die Dunkelheit. Doch obwohl sie wusste, dass die Rettung nicht mehr lange auf sich warten lassen würde, hatte sie Angst - schreckliche Angst. Wie musste sich wohl erst ihre Mutter gefürchtet haben? Die Erkenntnis, dass sie Tobys Befreiungsaktion durch ihre Mutter so lange zu Unrecht als grossen Spass betrachtet hatte, überwältigte sie und sie konnte nicht verhindern, dass einige Tränen aus ihren Augen tropften. In der Dunkelheit verlor sie ihr Zeitgefühl und so schien es ihr eine Ewigkeit zu dauern, bis Hoggle endlich mit einer kleinen Fackel, die flackerndes Licht verströmte vor ihr stand. Sie schnüffelte noch einmal kurz auf, wischte sich über die Augen und erhob sich.
"Hast du dir weh getan?" fragte Hoggle besorgt und Erleichterung breitete sich auf seinem Gesicht aus, als sie den Kopf schüttelte.
"Ich wollte dich noch warnen", sagte er entschuldigend, während er an einem Türschloss herumnestelte. "Aber du warst einfach zu schnell." Er hatte die Tür geöffnet und beleuchtet den Durchgang. "So, hier geht's lang."
Jasmina sah ihre Eltern erst wieder beim festlichen Abendessen, das von einer gigantischen Geburtstagstorte gekrönt wurde. Sowohl Jareth und auch Sarah fiel auf, wie merkwürdig ruhig und in sich gekehrt ihre ungestüme Tochter während des Essens war und betrachteten sie besorgt. Nachdem die Torte fast vollständig verspeist war, beugte sich Jareth zu Jasmina.
"Geht es dir nicht gut?"
"Nein, ich bin nur ein bisschen müde", wich Jasmina dem fragenden Blick ihres Vaters aus.
"Ach, komm, Jasmina", mischte sich Sarah ein. "Ich kenne dich ein bisschen besser. Was hast du denn, mein Schatz? Du kannst es uns ruhig sagen."
"Ich... ich hab' mich die ganze Zeit so dumm benommen", sagte sie leise mit stockender Stimme. "Ich habe heute sehr viel gesehen... und ich glaube, ich verstehe jetzt alles besser." Sie sah ihre Eltern treuherzig an. "Ich habe euch beide sehr lieb."
"Das haben wir auch", versicherten ihre Eltern ihr gerührt.
Jareth stand von seinem Sitz auf und erhob sein Glas.
"Auf Prinzessin Jasmina!" rief er stolz.
"Auf Prinzessin Jasmina!" erscholl es aus unzähligen Kehlen während Jasmina zum ersten Mal in ihrem Leben vor Verlegenheit errötete.
Kapitel 53
Die Zeit war weit vorangeschritten und bis zur Hochzeit von Sarah und Jareth fehlte nur noch eine Woche. Für übermorgen hatten sich Jasmina, Robin und Tobias angekündigt und bereits heute sollte die Königin der Feen eintreffen. Beim Frühstück bemerkte Sarah zu ihrer Genugtuung, dass sogar Telramon etwas nervös wirkte. Königin Allegra sollte - wie es die Tradition verlangte - Sarah bei der Erstellung ihres Hochzeitkleides helfen und die Braut sah dieser Aktion mit sehr gemischten Gefühlen entgegen. Mitten in diese Überlegungen hinein erleuchtete ein gleissendes Licht den Raum, welches fast sofort wieder erlosch und an seiner Stelle stand eine grossgewachsene, stattliche junge Frau mit wallendem rotblondem Haar. Ihr langes, weites Kleid aus zartgrüner, glänzender Seide wurde von einem prachtvollen goldenen Gürtel zusammengehalten. In ihrer rechten Hand hielt sie einen silbrig glänzenden Zauberstab.
Als sie die verblüfften Gesichter um sich herum sah, lachte sie mit melodischer heller Stimme fröhlich auf.
"Na, ist das eine Art eine regierende Feenkönigin zu begrüssen?"
Sarah und Jareth sprangen bei diesen Worten auf und zumindest Sarah fühlte sich seltsam beschämt, dass sie ihren Gast so angestarrt hatte. Doch diese schien es nicht übel zu nehmen.
Ohne eine Antwort abzuwarten, schritt die rotblonde Frau auf Jareth zu. "Du musst Jareth sein. Ich freue mich sehr, dich endlich persönlich kennenzulernen. Ich bin Allegra."
"Ich freue mich sehr Ihre Bekanntschaft zu machen, Königin Allegra", äusserte Jareth förmlich und verbeugte sich vor Allegra.
"Warum so förmlich? Du kannst ruhig Allegra zu mir sagen. Wir gekrönten Häupter duzen uns alle untereinander." Ihr Blick wanderte durch den Raum. "Du bist sicher Sarah - ach, und Telramon ist auch schon da." Allegras Augen zwinkerten amüsiert. "Keine Sorge, ich werde meine spitze Zunge dort lassen wo sie hingehört, alter Freund." Sie hakte sich bei Sarah unter. "Ich denke, wir fangen am besten gleich an. Am sinnvollsten wird sein, wir gehen in einen Raum, wo wir ungestört sind."
"Möchten Sie - möchtest du nicht erst eine Kleinigkeit zu dir nehmen?" wagte Sarah einzuwenden.
"Nein, nein - danke. Ich habe gerade erst etwas gegessen. Übrigens dürfte mein Hofstaat gleich hier ankommen. Jareth, du kümmerst dich doch sicher darum", sagte sie noch über die Schulter, bevor sie mit Sarah den Raum verliess.
"Am besten gehen wir in mein altes Zimmer, dort dürften wir vor Unterbrechungen sicher sein", schlug Sarah Allegra vor, während sie die Treppe hinaufstiegen.
"Dein altes Zimmer?" Allegra zog spöttisch eine Augenbraue in die Höhe, doch ihre Stimme war immer noch freundlich. "Du willst doch nicht etwa behaupten, ihr wärt schon zusammen gezogen? Und das noch vor der Hochzeit."
Sarah konnte nicht verhindern, dass sie bei diesen Worten leicht errötete und Allegra lachte amüsiert.
"Keine Angst, ich werde nichts verraten", scherzte sie.
Als sie Sarahs altes Zimmer betraten hatten, schlossen sie sorgfältig die Tür hinter sich ab und Sarah bot der Feenkönigin einen bequemen Sessel an.
"Ich nehme an, Jareth hat dir schon deine magischen Kräfte verliehen?" fragte Allegra.
Sarah zögerte kurz mit der Antwort. "Mmh, ja, das hat er allerdings."
"Dem Himmel sei dank!" stiess Allegra inbrünstig hervor. "Wir brauchen also keinen *Feuerfest-Zauber*." Ein Blick auf Sarah, die krampfhaft versuchte, sich ein Lachen zu verbeissen veranlasste sie zu einer weiteren Bemerkung. "Ich sehe, du kennst die Geschichte von meinem Vater und der Explosion", stellte sie trocken fest.
"everything I've done, I've done for you"
Kapitel 54
"Seid ihr bald soweit?" fragte Tobias, noch bevor er völlig im Zimmer war. "Die Gäste warten schon." Ein leichter Anflug von Panik schwang in seiner Stimme mit. Immerhin würde er in ganz kurzer Zeit als Brautführer seiner Schwester in Aktion treten müssen.
"Ach, ist es schon Zeit?" fragte Allegra überrascht. "Persena, du musst mir die Geschichte später zu Ende erzählen. Ich sollte vor der Zeremonie noch kurz bei Jareth vorbeischauen", entschuldigte sie sich bei der Elfenkönigin mit der sie gerade geplaudert hatte.
Doch auch Persena, eine kleine zierliche Elfe mit braunen Haaren, die sie in eine aufwendige Zopffrisur geflochten hatte, wandte sich zum Gehen. "Ach, ich komme gleich mit. So wie ich meinen Mann kenne, sitzt er auch bei Jareth und macht ihn nervös. Ich werde ihn besser dort abholen."
Mit diesen Worten rauschten beide Königinnen schmunzelnd an Tobias vorbei.
Auf dem Weg zu Jareth, der sich zu Beginn des Tages in die Bibliothek zurückgezogen hatte, kam ihnen Robin entgegen.
"Entschuldigen Sie, Allegra. Haben Sie zufällig Jasmina gesehen?" fragte er nervös.
Persena riss erstaunt ihre leicht schrägen Augen auf, sagte jedoch nichts.
"Nein, gesehen habe ich sie nicht, aber ich weiss, dass sie sich bereits im Pavillon aufhält. Was möchtest du denn von ihr?" antwortete Allegra freundlich.
"Ich habe hier einen Trank von Darius für sie - gegen die Nervosität", erläuterte Robin.
"Na, dann bring ihn ihr nur schnell, obwohl ich nicht glaube, dass sie ihn nötig hat", verabschiedete Allegra den jungen Mann lächelnd.
Persena wartete, bis Robin ausser Hörweite war und legte dann los.
"Du gestattest ihm, dich Allegra zu nennen?"
"Warum nicht? Hast du nicht gesehen, wie er Prinzessin Jasmina ansieht? Über kurz oder lang wird er sowieso zur königlichen Familie gehören." Allegra zuckte mit den Schultern.
"Naja, wenn das so ist..." gab Persena zögernd zu. "Aber du wirst doch diesem Kind nicht tatsächlich erlaubt haben auf der Hochzeit zu singen!"
"Doch, auch das habe ich erlaubt", entgegnete Allegra eine Spur heftiger. "Sie ist Jareths Tochter und sie hat mich sehr nett um Erlaubnis gefragt. Ihre Manieren sind wirklich über die Massen erfreulich und ausserdem war es ihr Herzenswunsch. Ich habe es in ihrer Aura gesehen", schloss Allegra etwas milder.
"Ach herrje, deshalb brauchst du dich doch nicht gleich so aufzuregen. Wirklich, Allegra, für eine Königin bist du manchmal entsetzlich aufbrausend."
"Ausserdem sind deine Bedenken völlig unnötig. Sie hat mir vorgesungen und ich kann dir versichern, dass sie für jemand von der Erde eine ungewöhnlich faszinierende Stimme hat", beendete Allegra den kleinen Disput mit ihrer Freundin.
Mittlerweile hatte Robin das Schloss verlassen und war in den Garten getreten, wo seit einigen Tagen der Hochzeitspavillon aufgebaut wurde. Gestern war alles fertig geworden und die weissen Rosen strahlten mit der Sonne um die Wette. Fast alle Stühle waren schon besetzt und noch immer strömten die Gäste aus dem kleinen Salon, wo Erfrischungen gereicht wurden hinaus auf den smaragdgrünen Rasen.
"Die Stühle werden wohl doch nicht reichen", schoss es Robin flüchtig durch den Kopf, doch dann hatte er Jasmina entdeckt.
Schnell ging er auf sie zu und zog sie hinter eines der Laubengitter.
"Wo warst du nur so lange?" sagte Jasmina halblaut und ein besorgter Blick traf Robin.
"Darius hat mich noch kurz aufgehalten um dir einen Trank gegen die Nervosität zu geben. Hier!" Er hielt ihr das kleine Fläschchen hin.
"Oh, ich... ich weiss nicht", flüsterte Jasmina unentschlossen. "Schadet es der Stimme?"
"Das weiss ich nicht, aber...", plötzlich lachte Robin leise auf. "Ich weiss nicht, warum du überhaupt aufgeregt bist. Okay, es geht gleich los, aber Telramon wird dir gleich deinen Platz zeigen, Allegra findet, dass du eine tolle Stimme hast und du siehst absolut phantastisch aus."
Sein Blick glitt über ihr duftiges, fliederfarbenes Kleid und blieb an ihrem süssen Gesicht hängen. Ihr blondes Haar fiel in sanften Wellen bis auf ihre Schultern hinab.
"Weißt du eigentlich, dass ich dir sehr liebe?" sagte Robin dann und gab Jasmina einen Kuss auf ihre überrascht gewölbten Lippen.
"Oh, Robin", seufzte Jasmian. "Jetzt fühle ich mich wirklich viel, viel besser."
In diesem Moment betrat Jareth in Begleitung des Zwergenkönigs Bogumil und des Elfenkönigs Galahan, welche als Trauzeugen ausgewählt worden waren den kleinen Salon. Er schritt rasch durch die lächelnde Menge, nickte hier und da einem bekannteren Gesicht zu und begab sich schliesslich auf seinen Platz im Hochzeitspavillon. Er war aufgeregter, als er zugeben wollte. Doch dann nahm auch Allegra ihren Platz vor ihm ein und lächelte ihm aufmunternd zu.
Jareth zupfte noch ein letztes Mal an seinem weissen Spitzenkragen herum und handelte sich damit einen bösen Blick von Allegra ein.
Er hatte zu einer engen, weissen Hose ein weites ebenfalls weisses Spitzenhemd angezogen. Darüber trug er eine dunkelrote Samtweste und ein Cape in der gleichen Farbe hing über seinen Schultern.
"Es geht los", flüsterte ihm Galahan leise ins Ohr. Im gleichen Augenblick setzte auch schon die Musik ein und Jareth drehte sich um, damit er keine Sekunde von Sarahs Auftritt verpasste. Schliesslich hatte er seine Braut seit gestern abend nicht mehr gesehen. Seine Geduld und die der Gäste wurde nicht lange auf die Probe gestellt und Sarah erschien an Tobias Arm am Eingang des Pavillons.
Tobias trug einen traditionellen schwarzen Anzug, doch Sarah glitt in einer Vision aus weisser Seide und Spitze über einem weiten Reifrock durch den Mittelgang. Der einzige Kontrast bildete eine weinrote Schärpe die sie quer über den Oberkörper trug und ihr rabenschwarzes Haar, das ihr von Allegra in einer kunsvollen Hochfrisur gelegt worden war. An einem kleinen Diadem, das auf ihre zukünftige Königinnenwürde verwies war ein halblanger Schleier aus Spitze befestigt, der sich nun in einer sanften Brise um ihr strahlendes Gesicht leicht aufbauschte.
Als sie endlich neben ihm stand nahm er ihre Hände in die seinen und sah ihr tief in die Augen.
Ein freudiges Raunen lief durch die Menge und Allegra trat in ihrem schlichten taubenblauen Kleid vor und hob die Hände.
"Bevor wir mit der eigentlichen Zeremonie beginnen, haben wir noch eine kleine Überraschung für unser Brautpaar vorbereitet." Sie gab der Kapelle ein Zeichen und führte dann Jasmina hinter einem Laubengitter hervor.
Reichlich blass musterte Jasmina die erstaunten Gesichter ihrer Eltern und der übrigen Gäste, doch dann konzentrierte sie sich auf die Musik und fing an zu singen:
"Like the beat, beat, beat of the tom-tom
When the evening shadows fall,
Like the tick, tick, tock of the stately clock
As it stands against the wall,
Like the drip, drip, drip of the raindrops
When the summer shower is through,
So a voice within me keeps repeating,
You. You. You.
Night and day,
you are the one ...
Only you beneath the moon
and under the sun
Whether near to me or far
It's no matter, darling,
where you are
I think of you day and night.
Night and day ...
Why is it so
that this longing for you
follows wherever I go?
In the roaring traffic's boom,
In the silence of my lonely room,
I think of you day and night.
Night and day,
under the hide of me
There's an ... oh,
such a hungry yearning
burning inside of me ...
And its torment
won't ever be through
until you let me spend my life
making love to you.
Day and night ...
night and day."
Der letzte Ton verklang und für einen Moment herrschte Stille. Doch dann brach zu Jasminas Erleichterung der ersehnte Beifall aus. Sarah blickte ihre Tochter mit schimmernden Augen an und Jareth sagte lautlos Danke. Das war alles was Jasmina gewollt hatte und so zog sie sich rasch zurück, damit die Zeremonie ihren weiteren Verlauf nehmen konnte.
Allegra zeigte sich den Anforderungen völlig gewachsen, eine Hochzeit zu zelebrieren, die aus menschlichen Traditionen und alten Kobold-Überlieferungen zusammengestellt worden war. Es gelang ihr mit Hilfe von Jareth und Sarah etwas Neues, Einzigartiges und Wunderschönes entstehen zu lassen.
Schliesslich war die Stelle erreicht an der sich das Brautpaar das Ja-Wort geben durfte.
Allegra nahm von Hoggle das Silbertablett mit den Ringen entgegen und hob es weit über ihren Kopf um den Segen des Himmels zu erflehen. Dann streute sie etwas Sand darauf, den sie anschliessend weg pustete um auch den Segen der Erde und der Luft zu erhalten. Den Segen des Wassers erhielt sie indem ein wenig Wasser aus einer Karaffe über das Tablett verspritzt wurde.
"Gesegnet durch die Elemente frage ich dich Jareth, König der Kobolde, willst du die hier anwesende Lady Sarah zu deiner Frau nehmen, um sie zu lieben und zu ehren und mit ihr Seite an Seite voll Liebe und Weisheit über dieses Land zu regieren?"
"Ja, das will ich", sagte Jareth mit fester Stimme und nahm einen der Ringe vom Tablett.
"Willst du, Lady Sarah, den hier anwesenden Jareth, König der Kobolde zum Manne nehmen, um ihn zu lieben und zu ehren und mit ihm Seite an Seite voll Liebe und Weisheit dieses Land zu regieren?"
"Ja, das will ich", antwortete auch Sarah und nahm den zweiten Ring an sich und steckte ihn Jareth auf den Ringfinger.
"Sehnsucht meiner Seele", flüsterte sie dazu leise.
"Liebe meines Lebens", antwortete er genauso leise während er ihr den Ring ansteckte.
Wieder tönte Allegras melodische Stimme durch den Pavillon.
"Gesegnet durch die Elemente erkläre ich euch hiermit vor den hochwohlgeborenen Zeugen König Galahan und König Bogumil für Mann und Frau."
Applaus und Hoch-Rufe brandeten auf, als Jareth und Sarah in einem leidenschaftlichen Kuss versanken.
Sehr viel später in dieser Nacht trug Jareth seine Frau über die Schwelle ihrer Zimmerflucht. Behutsam setzte er sie ab. Ein silberner Mond beschien die engumschlungenen Körper.
Als sich ihre Lippen wieder voneinander lösten brach Jareth das Schweigen.
"Immer noch nicht müde?" neckte er sie.
"Oh, es war wundervoll", seufzte sie wohlig.
"Immerhin hast du bei der Übergabe der Magie den Pavillon nicht in Brand gesteckt, obwohl ich zugeben muss, dass wir den Glitzerregen nicht abgesprochen hatten", stichelte er liebevoll weiter.
"Du bist gemein", beschwerte sie sich halbherzig. "Ich war einfach zu aufgeregt."
"Ich glaube, unseren Gästen hat es gefallen." Er knabberte sanft an ihrem Ohr. "Zumindest haben mir das einige auf dem anschliessenden Empfang bestätigt."
"Der Empfang", entgegnete Sarah mit leicht schwankender Stimme. "Der Empfang war allerdings ein wenig strapaziös. Hat dich das ständige Händeschütteln und Lächeln nicht auch angestrengt?"
"Das sind eben königliche Pflichten." Er küsste spielerisch ihren Nacken. "Du wirst dich bald daran gewöhnen."
"Ja", stöhnte Sarah leise.
"Einen Empfang werden wir wohl auch so bald nicht wieder geben müssen", fuhr er fort, "aber einen Ball mit Dinner wie den von heute, ich denke daran könnte ich mich gewöhnen."
"Ich auch", schnurrte Sarah. "Besonders mit so einem göttlichen Tänzer wie mit dir."
"Hast du eigentlich auch bemerkt, dass Tobias ziemlich oft mit einer der Nymphen getanzt hat?"
"Ich denke, das war nicht zu übersehen. Aber darüber können wir auch morgen noch reden, oder nicht?"
"Was könnten wir denn sonst noch mit dem angebrochenen Abend machen?" neckte Jareth sie mit einem erotischen Unterton in der Stimme und diesem bestimmten Glitzern in den Augen, von dem ihr immer wieder die Knie weich wurden.
Das Mondlicht liess auch Sarahs Augen verführerisch schimmern, als sie ihrem Mann mit nur zwei Worten antwortete.
"Liebe mich."
"Das werde ich - für immer und ewig", hauchte Jareth, bevor er sie enger an sich zog und ihre Lippen mit einem hingebungsvollen Kuss verschloss.
Epilog
"Dauert es noch lange?" fragte Jareth zweifelnd.
"Lange?" entgegnete Persena kurz angebunden. "Deine Frau hat erst seit zwei Stunden Wehen und du hast schon keinen Geduld mehr? Reib ihr lieber die Handgelenke, dann bist du wenigstens beschäftigt."
"Ich glaube nicht, dass es noch allzu lang dauert", griff Allegra besänftigend ein. "Die letzten Presswehen können jeden Moment einsetzen."
"Ich wünschte, ihr würdet nicht so ein Getue machen", murrte Sarah. "Das ist schliesslich nicht meine erste Geburt."
"Du sollst nicht reden, sondern atmen", mahnten Persena und Allegra unisono.
Sarah legte sich gehorsam in die Kissen zurück und atmete vorschriftsmässig. Jareth hatte vor ein paar Minuten auf Persenas Rat hin einen leichten Betäubungszauber über sie gesprochen und die Schmerzen waren deshalb erträglich. Durch das geöffnete Fenster wehte ein Hauch von Frühling und Sarah empfand diese Geburt - vor allem auch dank Jareths Anwesenheit - als wesentlich angenehmer, als damals, als sie Jasmina auf die Welt gebracht hatte.
Doch ohne Vorwarnung setzten plötzlich die Presswehen ein und Sarah konnte und wollte einen Aufschrei nicht unterdrücken.
Kurz darauf legte ihr Persena ein kleines, schreiendes Bündel in die Arme.
"Ihr habt einen Sohn", sagte sie leise und wischte sich verstohlen über die Augen. Nach einem ersten Blick auf das Neugeborene legte Jareth einen Arm um Sarah und küsste sie auf die Schläfe.
"Du wundervollste aller Frauen", flüsterte er zärtlich.
In diesem Moment hörte der Säugling auf zu schreien und öffnete langsam die Augen.
Verblüfft musterten seine Eltern dieses kleine Gesicht.
Sarah fand zuerst ihre Sprache wieder. "Er hat deine Augen!"
Und tatsächlich blinzelten zwei verschiedenfarbige Augen vertrauensvoll in die Zukunft.
ENDE
Die Entstehung dieser Geschichte hat mit Unterbrechungen fast vier Jahre in Anspruch genommen. Deshalb werde ich hier noch ein paar "Dankeschöns" anbringen.
Danksagungen:
Ich danke meinem Mann, dass er während den ganzen Jahren nie über meine Labyrinth-Marotte gelächelt hat.
Ich danke allen Labyrinth-Fans auf der ganzen Welt, die mir mit ihren Homepages so manche Inspiration gegeben haben.
Ich danke besonders den Lesern des Fanfiction.net für ihre lieben Reviews (die ich leider bei einem Update versehentlich gelöscht habe).
Und ich danke natürlich David Bowie dafür, dass er für diesen fabelhaften Film diese ebenso fabelhaften Strumpfhosen angezogen hat.
Lorelei Lee im April 2002