Slytherins like it rough.
Nach einem langen, mühsamen Kampf schälte sich Hermine schließlich aus der Bettdecke. Es war seltsam, das Bett zu verlassen. Es war, als würde sie damit ihren Traum zurücklassen. Ihr war, als könne sie in der Realität ihres Traumes bleiben, wenn sie im Bett bliebe. Als könne sie ewig auf Snapes Schoß sitzen und mit ihm Bücher durchwälzen, wenn sie sich nur wieder fest in ihre Decke schlang und zurück ins Traumreich segelte. Diese Aussicht war überaus verlockend – und dennoch hatte sich Hermine dazu bewegen können, den Schlafsaal zu verlassen (natürlich nicht, ohne noch einmal sehnsüchtig zum Bett zurückzublicken), und runter zur großen Halle zu huschen und dort zu frühstücken.
Nach einem gehetzten Marsch 7 Stockwerke nach unten, quetschte sie sich zwischen Harry und Ron, die bereits am Gryffindortisch saßen und einen Toast nach dem anderen in sich hineinschoben.
„Du siehst umnächtigt aus", sagte Harry zwischen zwei Bissen.
„Ach, wirklich?", frug Hermine gehetzt und etwas atemlos, während sie sich Butter auf einen Toast schmierte
„Und du bist total außer Atem", fügte Ron hinzu.
„Wäre mir gar nicht aufgefallen", erwiderte Hermine kalt. Ron schien diese harsche Antwort etwas verschreckt zu haben und Hermine tat es fast ein bisschen leid. Aber eben nur ein bisschen. Dennoch fügte sie direkt hinzu: „Ich hab verschlafen."
„Vielleicht solltest Du früher ins Bett gehen."
„Ist nur nicht so einfach, wenn Snape mich die ganze Zeit in Schach hält", antwortete Hermine und iss freudig zum ersten Mal in ihren Toast. Sie wusste selbst nicht genau, ob sie ihren Traum oder die Nachhilfe meinte.
Plötzlich verspürte sie etwas. Ein leichtes Stechen. Als würde sie beobachtet werden. Sie schaute links und rechts über ihre Schulter, in der Hoffnung etwas zu erspähen. Doch alles was sie erblickte, waren ein Haufen gesenkter Schülerköpfe, die munter schwatzten oder in Gedanken vertieft Müsli oder andere Sachen in sich hinein schaufelten. Vielleicht war es ja nur bloße Einbildung gewesen. Oder Zufall. Oder Snape.
Hermine schauderte bei ihren eigenen Gedanken. Nichtsdestotrotz wagte sie einen verhaltenen Blick in Richtung Lehrertisch. Da saß Snape tatsächlich, aber er schien so vertieft in sein Gespräch mit Professor McGonagall zu sein, dass Hermine sich nicht vorstellen konnte, dass er auch nur die geringste Zeit dafür finden konnte, Hermine anzustarren. ...aber was, wenn das Gespräch nur ein Alibi sein sollte…? Nein, das war paranoid! Hermine schüttelte den Kopf.
„Ist was?", frug Ron, der das Kopfschütteln bemerkt hatte, mit halbvollem Mund.
„Äh, nee, nichts!", lachte Hermine verlegen.
„Du wirst immer merkwürdiger", schloss er, während er mit einem Löffel voll Ei auf sie deutete.
‚Na schönen Dank', dachte sich Hermine, ‚bleib du mal bei solchen Träumen und so einem Nachhilfelehrer normal.'
Der Schultag war langwierig und noch langweiliger, aber auch schnell erzählt – es passierte nichts Spannendes, nichts Außergewöhnliches und vor allem: sie begegnete keinem Snape. Hermine war hin- und hergerissen, ob das nun etwas Gutes oder Schlechtes war. Schlimmer noch, den gesamten Schultag über sehnte sie sich nach ihrem Bett. Sie wollte sich auf's Laken schmeißen, sich in die Kissen wühlen, sich eine warme Höhle bauen und wieder dahin zurückgehen, wo sie die Nacht verbracht hatte. Vermutlich würde sie auch ihr ganzes Leben mit Schlafen verbringen, wenn sie könnte! Während sie also zusammen mit Harry und Ron in diversen Klassenräumen und Schulbänken saß, grübelte sie nur darüber, was ihr dieser Traum sagen sollte und wie sie schnellst möglichst wieder dahin kam.
Und wie sie so darüber nachdachte...: im Nachhinein erschien es Hermine doch ausgesprochen seltsam, wie schnell sie sich auf Snapes Annäherungsversuche eingelassen hatte, obwohl sie sich zuvor so gestritten hatten… es fühlte sich merkwürdig an, den „Schlammblutkonflikt" einen Streit zu nennen… das hatte den Anklang eines einfachen Streits einen Pärchens… und diese Bezeichnung war nun doch wirklich lachhaft.
Diesem Gedankengang wurde schnell ein Ende gemacht, als auch die letzte Stunde vorbei war. Zu Hermines Freude verabschiedeten sich Harry und Ron, kaum dass die Stunde beendet war; Harry wollte unbedingt noch für das morgige Quidditchspiel trainieren und fragte, ob die beiden anderen Gryffindors beim Training zusehen wollten. Ron brannte natürlich sofort darauf, mitzukommen, Hermine redete sich jedoch dadurch raus, dass sie ja eh wegen der Nachhilfestunde nicht beim Spiel zusehen konnte - da würde es sie nur deprimieren, wenn sie dem Training beiwohnen könne, dem Spiel aber nicht. Das war natürlich glatt gelogen. Das einzige, was sie deprimieren würde, wäre der Gedanke daran, draußen auf einer Quidditchtribüne zu frieren, obwohl sie in ihrem kuscheligen Bett sein konnte. Bei einem kuscheligen Snape.
Ihre Wege trennten sich also im Foyer, als Harry und Ron das Schloss durch das große Tor verließen und Hermine sich ihren Weg wieder zurück in den Gryffindorturm bahnte. Es war erst später Nachmittag – damit eigentlich eher Bibliothekenzeit als Bettzeit, … aber… aber… Hermine wollte keine Entschuldigungen für sich selbst erfinden. Sie wollte ins Bett und träumen – fertig, aus, basta.
Gerade als Hermine die Treppen zum 7. Stock erklommen hatte und das Portrait der fetten Dame in Rosa schon in Aussicht hatte - die Wärme ihres Bettes quasi schon spüren konnte! -, wurde sie am Arm gepackt und in einen kleinen, engen, dunklen Seitenkorridor gezogen. Hermine war zu erschrocken, um einen Schrei auszustoßen, und so brachte sie nur ein gepresstes, lautes Einatmen hervor. Warum wurde dieses Schloss überhaupt so gebaut, dass man ständig einfach von seinem eigentlichen Weg abgebracht werden konnte?!
Für einen Moment fühlte sich an den Moment ihres Traumes erinnert, als sie einfach auf Snapes Schoß gezogen worden war. Doch derjenige, der sie diesmal gepackt hatte, war nicht Snape – aber immerhin ein Slytherin. Da konnte man doch fast sagen „Nah dran." Hermine sah sich eisgrauen Augen gegenüber.
Malfoy. Er hatte Hermine sich gegenüber an die Wand gedrückt und ihr die Hand auf den Mund gelegt, damit sie ja nicht schreie. Ha, so ein Idiot, wer würde denn schon wegen so eines Muttersöhnchens schreien! Dennoch fühlte sich Hermine unangenehm an die Situation in Hogsmeade erinnern. Doch irgendetwas war anders. Im Vergleich zu dem Typen damals, ging von Malfoy kaum Bedrohung aus… was vielleicht daran lag, dass Hermine sich nur zu gut daran erinnerte, wie sie ihm im dritten Jahr in Hogwarts direkt ins Gesicht geschlagen hatte.
„Wenn Du schreist, jag ich Dir einen Fluch auf den Hals", flüsterte Draco drohend und hob wie zur Bestätigung seinen Zauberstab. Hermine rollte mit den Augen. Was für ein billiges Klischee. Sie musste sich nicht zusammenreißen, um nicht zu schreien – eher, um nicht laut loszulachen. Mensch, warum hatten denn alle Menschen so ein Interesse daran, sie von ihrem Bett fernzuhalten?!
Langsam nahm Draco seine Hand weg. Auf Hermines Lippen blieb ein salziger Geschmack zurück. Für so einen schleimigen Slytherin hatte Malfoy aber verdammt schwitzige Hände.
Was machte Malfoy überhaupt hier im 7. Stock? Er hatte hier gar nichts zu suchen… Moment mal, es sei denn…
„Warte Mal, hast Du mir etwa aufgelauert?", sagte Hermine aufgebracht und war dabei aufbrausender, als sie eigentlich sein wollte.
Malfoy wirkte augenblicklich ertappt, schaffte es aber irgendwie, seine ertappte Miene in eine siegessichere Überlegenheit umzuwandeln.
„Und heute Morgen in der großen Halle… da hast Du mich auch angestarrt, oder was?"
Malfoy nickte und sprühte dabei eine so umwerfende Welle von Überlegenheit aus, dass Hermine sich wirklich fragte, woher dieser kleine, blonde Wurm so viel Selbstvertrauen hernehmen konnte.
Vielleicht war dies Dracos großer Moment, auf den er jahrelang hingearbeitet hatte, um sich für Hermines Faustschlag zu revanchieren? Langsam wurde es Hermine doch etwas unwohl in ihrer Haut. Normalerweise hätte Malfoy in dieser Zeit schon dreißig Verwünschungen und noch mehr hasserfüllte Sprüche über Schlammblüter – oder zumindest über Gryffindors – losgelassen! Vielleicht hatte er sich nun eine subtilere Vorgehensweise ausgedacht? Wenn er schon soweit war, Hermine direkt vor ihrem Gemeinschaftsraum aufzulauern, warum sollte er sie dann nicht auch gleich verschleppen… sich eine Folterkammer vom Raum der Wünsche wünschen… Hermine schluckte. Wie viel war Malfoy zuzutrauen?
Seine Augen leuchteten ihr entgegen und in ihnen funkelte etwas, das Hermine beunruhigte. Sie rutschte nervös an der Wand hinter sich hin und her. Malfoy beäugte sie misstrauisch und musterte sie von oben nach unten. Hermines Anzeichen der Nervosität schienen ihn zufriedenzustellen und ein bösartiges Grinsen machte sich auf seinem fahlen Gesicht breit.
„So, so, so, Miss Graaanger", schnarrte er und klang dabei seinem großen Vorbild Snape erstaunlich ähnlich, „wo haben Sie sich nur mal wieder rein manövriert…"
Es erschien Hermine unglaublich befremdlich und unangenehm, dass er sie „Miss Granger" nannte und es so ausgedehnt betonte. Das konnte nur etwas Unheilvolles bedeuten. Andererseits hatte sie auch nie erwartet, dass er mal das Wort ‚manövrieren' benutzen würde. Vielleicht war Malfoy aber auch einfach nur von Sinnen. Er sah sich kurz prüfend um, bevor er fortfuhr: „Das Wiesel und das Narbengesicht können Dir diesmal nicht zur Hilfe kommen."
Innerlich verdrehte Hermine die Augen – natürlich; sie, als Mädchen, brauchte natürlich Männer, die sie beschützten. Gerne hätte Hermine protestiert, aber sie war zu gespannt, was das ganze hier eigentlich bedeuten sollte. So ein ausgetüftelter Hinterhalt… das musste doch mehr auf sich haben, als so ein einfacher, kleiner Übergriff, bei dem Hermine nur eingeschüchtert werden sollte – oder? Gott, versteh einer diese Slytherins! Hinterhalte waren ja schon immer Malfoys Spezialität gewesen, aber… diesmal hatte er seine beiden hohlköpfigen Schergen anscheinend im Kerker gelassen. Das war schon erstaunlich… mutig von Draco.
„Also… Granger… Schlamm-… Hermi… Granger!", Malfoy wechselte in diesen Satzfragmenten so häufig den Tonfall, dass es schon fast bewundernswert war. Er schien vergeblich auf der Suche nach der richtigen Anrede zu sein. Dabei biss er sich zwischendurch nachdenklich auf die Unterlippe und verlor erhebliche Anteile seiner bis eben gewahrten Kühle und Überlegenheit. Anscheinend hatte er diesen Übergriff nicht allzu detailliert durchgeplant.
„Granger!"
Malfoy hatte sich für eine Anrede entschieden. Als er auch nach einer längeren Pause noch nicht fortgefahren hatte, frug Hermine vorsichtig: „Malfoy?"
„Granger!", keifte Malfoy, als wolle er Hermine abwürgen und ihr jedes weitere Wort abschnüren… immer diese Slytherins, dabei wollte sie doch sowieso gar nichts weiter sagen.
Malfoys blonde Augenbrauen zogen sich dicht zusammen. Er kniff die Augen zusammen und starrte Hermine feindselig an. Dann drehte er den Kopf schnell zur Seite, als wolle er sich nicht von Hermine dabei beobachten lassen, wie sich seine Miene wieder änderte: er sah… plötzlich sanfter - und unschlüssig - aus.
Was war los mit diesem Kerl? Mehr Stimmungsschwanken hatte Hermine bisher nur bei Ginny erlebt, wenn es um ihre Männergeschichten ging. Konnte man das schon als Schizophrenie bezeichnen?
Auch sein Tonfall war sanfter geworden, als er sich wieder an Hermine wandte: „Granger…"
Wie oft konnte ein normaler Mensch eigentlich einen Namen wiederholen, bevor er sich blöd vorkam? Bei Malfoy schien dieser Punkt noch lange nicht ausgereizt gewesen zu sein. Einen Moment lang sah er Hermine mit einem fast zärtlichen Blick an, bevor seine Stimmung erneut umschlug.
„Was fällt Dir eigentlich ein, meine wunderbaren, reinen Lippen mit deinen… deinen… deinen…" Er rang nach Worten und Hermine nach Luft. Ihre Impulshandlung hatte Malfoy so aus der Fassung gebracht? Nun, sie hatte damit wohl genau die Wirkung erzielt, die sie erreichen wollte… heillose Verwirrung und Abscheu bei Malfoy. Vielleicht sollte sie öfter einfach mal Menschen küssen? …vielleicht hätte sie Snape damals einfach küssen sollen?
Gerade noch war Hermine in ihren Gedanken versunken gewesen, gerade noch hatte Malfoy sie im bissigen Tonfall angeherrscht… doch jetzt, einen einzigen Moment später, es war nur ein klitzekleiner Augenblick vergangen… da spürte sie Malfoys Körper über sich und seine trockenen Lippen an ihren.
WAS ZUM…?! Hermine wusste gar nicht, wie ihr geschah. Sie hatte einen schleimigen, schmierigen, schmutzigen, selbstgefälligen Slytherin mit spröden Lippen im Gesicht! EINEN SLYTHERIN IM GESICHT!
Sie spürte seinen seichten Atem an ihrer Nase, während er mit seinem spitzen Zinken die Luft um sie herum förmlich inhalierte.
Just in diesem Moment wollte Hermine ihre Hände an seine Schultern legen und sich gegen ihn stemmen, um ihn von sich runter zu hieven, doch da löste sich Malfoy schon von selbst von ihr. Er entfernte sich ein winziges Stück von ihr, sodass sich zwischen ihren Nasen vielleicht eine Entfernung von etwa einer Handkante befand. Ein süffisantes Grinsen breitete sich auf Malfoys Gesicht aus, als er Hermine anfeixte.
„So, Granger", schnarrte Malfoy in gewohnter Slytherin-Manier, „wie gefiel Dir das?"
Hermine hatte hunderte Antworten parat. Von „gar nicht" über „Oh Gott, Du solltest Mundspray benutzen" bis „Hey, das war meine Art, Dich fertig zu machen - such Dir deine eigene Variante!". Dennoch zog sie es vor, sich angewidert mit dem Ärmel ihres Pullis über den Mund zu fahren. Mehrmals. Doch der salzige Geschmack verschwand nicht so schnell. Sie feuchtete ihre Lippen behutsam an, in der Hoffnung, den Geschmack und das Gefühl von Malfoy auszulöschen, ohne dass allzu viel von Malfoys Bakterien und Keimen in ihren Mund gelangten.
„Überleg die das nächste Mal vorher, wem Du deine Muggel-Lippen ins Gesicht drückst!"
Hatte er das gerade wirklich gesagt? Hermine ordnete ihre Gedanken. Malfoy. Draco Malfoy. Ihr Erzfeind seit vielen Jahren. Hatte ihr gerade aufgelauert, sie in einen Seitenkorridor gezogen und ihr dann brutal seine Lippen aufgezwungen. Gut, das war fast berechtigt, immerhin hatte sie ihm dasselbe angetan – aber danach einen Spruch loszulassen, dass er sich von ihren ‚Muggel-Lippen' belästigt fühlte… meine Güte, wäre es dann nicht sehr viel sinnvoller gewesen, sich von Hermine fernzuhalten und nicht auch noch eine neuerliche Kontaktaufnahme zu erzwingen?
Das war doch… das… also… das war... das war wie mit einer furchtbaren Angst vor Spinnen in den dunklen Wald in Aragogs Grotte zu rennen!
Nun, Malfoy schien mit sich zufrieden zu sein. Viel zu zufrieden. Und das ginge Hermine gewaltig gegen den Strich. Sie ließ sich nicht länger eingeschüchtert an die Wand pressen. Sie richtete sich zu ihrer vollen Größe auf und ihre Haare standen wild und kraus in alle Richtungen ab, was ihre Bedrohlichkeit noch einmal steigerte. Ihre Augen blitzten brennend und es fehlte nicht viel, bis kleine Funken der Abscheu heraus gestoben wären.
„Malfoy, du widerliches, kleines… argh, wie bescheuert bist Du eigentlich?! Falls es Dir entgangen sein sollte, hast Du meine ‚Muggel-Lippen' gerade ganz von alleine in dein Gesicht befördert!" Hermines Hände ballten sich zu Fäusten, während sie Malfoy anherrschte. Jede Silbe spie Verachtung aus. Jeder Buchstabe triefte vor Abscheu. Hermine bebte förmlich vor Hass.
„Granger, Granger, Granger", tadelte Draco Hermine genüsslich und zog eine Augenbraue nach oben. „Ich bin kein Idiot. Ich bin nicht wie der Wieseljunge oder das Narbengesicht. ICH weiß, was ich tue!"
Selbstbewusst wandte sich Draco von Hermine ab, schritt aus dem Seitenkorridor, bog dann in den Hauptkorridor ein, dass sein Umhang nur so hinter ihm her wehte und eine Gruppe Zweitklässler, durch die er einfach hindurch stolzierte, ihm verdutzt nachsah. Nicht minder verdutzt schaute auch Hermine drein. Wenn man das, was er gerade gesagt hatte, für bare Münze nahm und eins zu eins zusammen zählen konnte… Ein kalter Schauder lief Hermine über den Körper. Nachdem Malofy nun also ihrem Blick mit wehendem Mantel entschwunden war, raffte sie sich langsam dazu auf, in den Gemeinschaftsraum zu gehen und schließlich in ihr Schlafzimmer.
Nachdem sie sich im Badezimmer ungefähr drei Mal ausgiebig die Zähne geputzt hatte und im Waschbecken nicht nur Zahnpastareste und Schaum sondern auch Blut gelandet war, da Hermine sich so energisch bemühte, ihren Mund und ihren Verstand wieder zu reinigen, schlüpfte Hermine wieder in ihr Bett.
Draußen schien noch die Sonne und blinzelte verdutzt durch's Fenster, als Hermine zu dieser ungewohnten Zeit bereits ins Bett schlich. Die Schmetterlinge flatterten draußen noch munter umher und der Klang weit entfernter Stimmen drang noch gedämpft vom See heran.
Hermine schloss schon fast krampfhaft die Augen, um sich nicht von dem Licht, das nicht einmal die Vorhänge ganz draußen halten konnten, stören zu lassen. Sie wälzte sich angestrengt und bemüht umher, um möglichst schnell weder in den Schlaf zu fallen. Ohne Decke war ihr zu kalt, mit Decke zu warm. Das Kissen war zu weich, die Matratze allein zu hart. Das Nachdenken machte ihr das Einschlafen schwer, nicht nachzudenken war langweilig. Was war das eigentlich für ein dämliches magisches Schloss, wenn es einem nicht mal das Einschlafen erleichtern konnte?!
Nach einer gefühlten Ewigkeit, die sich Hermine herumgeworfen hatte, fielen ihr endlich die Augen zu. Sie döste schwerfällig ein und fand sich nach großer Anstrengung in einem Traum wieder.
Sie lief durch einen Wald, der aus riesigen Pilzen, die weit in den Himmel ragten, bestand. Weiß und faserig waren sie, so schien es, seit Jahrhunderten gen Himmel gewachsen. Der Himmel selbst schien, statt des üblichen Blaus, in verschiedenen Rosatönen gefärbt zu sein. Unter den weiten Schirmen der Pilze tummelten sich Insekten, die weit über Hermines Kopf summten und surrten. Aufgrund der Entfernung flogen sie nur als winzige Pünktchen, die sich schwarz vor den grauweißen Pilzen absetzten, und Hermine frug sich, wie groß sie wohl sein mussten, dass sie sie noch erkennen konnte, obwohl sie so weit weg waren.
Unter ihren Füßen raschelte feuchtes Gras, das üppig kreuz und quer wuchs und von einem so satten Grün war, dass es fast schon utopisch aussah. Vereinzelt sprossen wuchernde Blumen, deren Blüten größer als Hermines Faust waren. Farbenfrohe Schmetterlinge umspielten vielfältig die Flora der Lichtung, auf der sich Hermine befand. Mit offenem Mund staunte sie um sich herum.
Sie tat einige Schritte in die eine, dann in die andere Richtung. Ab und zu vernahm sie ein leises Geräusch, das so schnell verklang, wie es ertönt war – dann wandte sie sich schnell in die Richtung, aus der es zu kommen schien, doch schon war es wieder verschwunden, als wäre es nie dort gewesen.
Das hier mochte ja ein ganz eindrucksvoller Traum sein, aber es war bestimmt nicht das, was Hermine wollte. Es fehlte etwas. Jemand. Da hatte sie sich so viel Mühe gegeben, einzuschlafen, und dann das. Großartig. Ganz toll. Ihre einzige, kleine Hoffnung blieb, dass das leise, ständig auftauchende und verschwindende Geräusch, das kleine Geraschel, vielleicht von den Schritten oder gar von dem wehendem Umhang Snapes her rührte.
Nach einer Weile des ratlosen Umsehens beschloss Hermine, dass es wohl das Klügste wäre, einfach an einer Stelle zu verweilen. Sie atmete ein. Sie atmete aus. Ab und an ein Rascheln. Das Geräusch von Grashalmen, die vereinzelt umknickten. Hermine fühlte sich, als versuche sie, das Gras wachsen zu hören. Doch langsam, sehr langsam, wurde das Geräusch hoch frequentierter. Es kam näher. Es umkreiste sie schleichend.
Normalerweise hätte sich Hermine vermutlich gefürchtet. Doch bei ihr war seit Wochen schon nichts mehr normal. Normalerweise würde sie auch nicht einfach nachmittags ins Bett kriechen, um sich ihren Träumen hinzugeben! Normalerweise würde sie Malfoy nicht einfach einen Kuss aufzwingen. Normalerweise würde Malfoy ihr auch nicht einfach einen Kuss aufzwingen.
Hermine schloss die Augen, um sich besser konzentrieren zu können. Es näherte sich. Bitte, lass es Snape sein. Zwei schnelle Schritte rechts von ihr. Es musste einfach Snape sein. Ein schleifendes Geräusch in ihrem Nacken. Wovon sollte sie denn sonst träumen? Das Geräusch zischenden Atems vor ihr. Es musste Snape sein! Die Geräusche waren ganz nah. Hermine schwankte, ob sie die Augen kurz öffnen sollte, um zu linsen, was sich ihr da näherte, doch etwas hielt sie davon ab. Außerdem war sie sich so sicher, dass es sich um Snape handelte, der ihr da auflauerte, dass sie auch gar keine Notwendigkeit darin sah, sich darüber zu vergewissern.
Gerade noch spürte Hermine einen heißen Hauch in ihrem Nacken, da legte sich plötzlich eine Hand auf ihre Augen und eine über ihren Mund. Das kam ihr seltsam bekannt vor. Mit einem Ruck wurde sie nach hinten gerissen und hart gegen einen kühlen, Brustkorb geworfen. Ihr Hinterkopf schmerzte kurz und pochend, als sie gegen die festen Rippen prallte. Die Hand, die sich über ihre Augen gelegt hatte, löste sich und wurde auf ihrer Schulter platziert, um Hermine fest an den Körper des Handbesitzers gepresst zu halten. Der salzige Geschmack auf Hermines Lippen kam ihr nur allzu bekannt vor.
Als sie hochblickte, sah sie Malfoy, der hinter ihr stand und sie fest an sich geklammert hielt. Er setzte sein spitzes Kinn auf ihre Schulter und weißblonde Strähnen seines Haares streichelten ihren schlanken Hals. Nun nahm Malfoy auch seine Hand von Hermines Mund und legte sie an ihr Kinn. Seine spindeldürren Finger fühlten sich schwer auf ihrer Haut an. Als wäre ihre Haut aus Papier und seine Finger könnten sie jederzeit mit Leichtigkeit einreißen oder zerfetzen. Sie führte sein Gesicht näher an seins, indem er ihr Kinn anhob. Sie waren sich schon wieder – wie in letzter Zeit viel zu häufig – gefährlich nah.
Schweißgebadet schreckte Hermine hoch. Malfoy. Malfoy. Warum ausgerechnet Malfoy? Warum konnte es nicht Snape sein?
Und dann auch noch so ein wirrer Traum…
Hermine erschauderte, als sie an das dachte, was sie in ihrem Traum erlebt hatte. Ein rascher Blick aus dem Fenster versicherte ihr, dass sie nicht besonders lange geschlafen haben konnte. Mit einem schnellen Kopfschütteln versuchte sie, die Erlebnisse einfach abzuschütteln.
