Einsam, obwohl Dich jemand liebt

Alexander wachte an diesem Herbstmorgen früher als sonst auf. Er griff neben sich. Die Seite neben ihm war wieder einmal leer. Er stand auf, griff nach seinem Bademantel und ging hinunter in die Küche. Lisa saß, bereits fertig angezogen, am Fenster und sah hinaus in den Regen. Sie bemerkte gar nicht, dass er sich eine Tasse aus dem Schrank holte und sich Kaffee eingoss. Unseren 10. Hochzeitstag hatte ich mir anders vorgestellt. Alex seufzte leise. Er ging auf sie zu. „Guten Morgen, Schatz!" Lisa fuhr beim Klang seiner Stimme zusammen und sah ihn verschreckt an. „Guten Morgen." Die Gefühlsregung hatte nicht lange gedauert. Wo er gerade noch ein Erschrecken in Ihren azurblauen Augen gesehen hatte, machte sich wieder diese unendliche Traurigkeit breit, die ihn Anfangs fasziniert hatte und von der er gehofft hatte, sie komplett daraus vertreiben zu können. Doch über die Jahre war sie immer dominanter geworden und wenn er ehrlich war, machte ihm das Angst.

Er setzte sich an den Küchentresen und trank langsam seinen Kaffee. Draußen rauschte der Regen. Das und das Ticken der Uhr waren die einzigen Geräusche. Er hatte dieses Haus nie haben wollen, aber Lisa hatte sich bei ihrem ersten gemeinsamen Urlaub auf Sylt in das alte Gemäuer verliebt. Ihm war es viel zu dunkel. Selbst bei strahlendem Sonnenschein musste man die Lichter anmachen, da die großen, dichten Bäume, auf dem Grundstück, jeden Sonnenstrahl aussperrten. Lisa stand auf, stellte ihre Tasse in die Spüle und wollte den Raum verlassen. „Wo gehst Du hin?" Alex Stimme klang vorwurfsvoller als beabsichtigt. Lisa blieb im Türrahmen stehen und sah ihn an. „Ich geh spazieren." Sie drehte sich um und lief hinaus. Alex ging ihr hinterher. Sie war schon dabei, die Gummistiefel anzuziehen. „Aber es regnet in Strömen. Ich hatte gedacht,….." er brach ab. Sie sah ihm direkt in die Augen. Der Blick traf ihn direkt ins Herz. Es ist ihr egal, alles ist ihr egal. Sogar unser Hochzeitstag.
„Nichts, geh nur!" er lief an ihr vorbei, als sie den Regenmantel anzog. Langsam ging er die Treppe nach oben. Nachdem die Haustür ins Schloss gefallen war, hörte er wieder nur das Rauschen des Regens und das Ticken der Uhr.

Januar 2008 JFK-Airport New York City, USA

Alexander stand am Gate und wartete darauf, dass sein Flug endlich bereit zum boarden war. Drei Wochen New York lagen hinter ihm und er freute sich wieder auf zuhause, auf Berlin. Endlich wurde über Lautsprecher durchgesagt, dass die Businessclass nun das Flugzeug besteigen konnte. Er griff nach seiner Aktentasche, drehte sich um und ging Richtung Schleuse. „Können sie nicht aufpassen?" er war mit jemandem zusammengestoßen. Seine Aktentasche lag geöffnet auf dem Boden und einige Papiere waren heraus gefallen. „Oh, das tut mir entsetzlich leid!" die junge Frau, die mit ihm zusammengestoßen war, bückte sich und sammelte alle Blätter wieder ein. Sie war rot angelaufen, als sie ihm seine Tasche wieder in die Hand gab. „Nicht so schlimm, ist ja nichts passiert!" Alexander sah sie fasziniert an. Diese blauen Augen. „Fliegen sie auch nach Berlin?" Sie sah ihn überrascht an. „Oh, entschuldigen Sie, bitte. Von Leonberg, Alexander von Leonberg." Er streckte ihr seine Hand hin. Die junge Frau ergriff sie zögerlich. „Elisabeth Plenske. Ja, ich fliege auch nach Berlin." Langsam gewann sie ihre Sicherheit zurück. „Aber dazu sollten wir langsam einsteigen." Sie löste ihre Hand aus seiner und Alexander wurde bewusst, dass er sie viel zu lange gehalten hatte. „Ähm! Ja!" er räusperte sich und folgte Lisa in die Maschine.

Ohne Lisa zu fragen, tauschte er mit ihrer Sitznachbarin den Platz. Anfangs war Lisa sehr ruhig und Alex bestritt den größten Teil der Unterhaltung. Erst nach und nach, erfuhr er, dass sie ebenfalls in Berlin wohnte und die Chefin von Kerima Moda war. Für Alex verging der Flug nach Berlin viel zu schnell. Er hätte ewig neben Lisa sitzen bleiben können. Er hoffte, dass es ihr genauso ging. Als sie sich schon im Landeanflug auf Tegel befanden, holte er aus seiner Aktentasche eine Visitenkarte hervor. „Ich würde mich freuen, Sie wieder zu sehen, Frau Plenske!" er gab ihr die Karte. „Bitte rufen Sie mich an!" Lisa nahm die Karte, steckte sie in ihre Handtasche und lächelte ihn an. Nachdem die Maschine gelandet war und alle nach draußen drängten, verlor Alexander sie aus den Augen. Er ging sogar extra noch eine Runde durch die Halle, doch er konnte sie nirgends entdecken. Auch auf dem Weg zu den Taxis, sah er sie nicht wieder. Sie ist sicher abgeholt worden. Alexander stieg in ein Taxi und ließ sich nach hause fahren.

Die nächsten Wochen vergingen, ohne dass sich Lisa bei ihm gemeldet hätte. Alex musste jeden Tag an sie denken. Vor allem ihre Augen gingen ihm nicht mehr aus dem Kopf. Warum blickten sie immer so traurig, fast schon melancholisch?
Mitte Februar hielt Alex es nicht mehr aus. Er musste Lisa einfach wieder sehen. Er beschloss einfach bei Kerima vorbei zugehen. Lisa war überrascht ihn zu sehen, willigte aber ein, sich mit ihm zum Abendessen zu treffen.

In den nächsten Wochen und Monaten trafen sie sich immer regelmäßiger und Alex verliebte sich jedes Mal mehr in Lisa. Bei Lisa hatte er zwar nicht den Eindruck, dass sie sich, wie er, Hals über Kopf in ihn verliebt hatte, aber er spürte, dass sie sich in seiner Gegenwart wohl fühlte und gern mit ihm Zeit verbrachte. In dieser Zeit erfuhr Alex auch, dass Lisa das Abenteuer Ehe schon einmal hinter sich hatte. Er wusste nur, dass die Ehe mit David Seidel nur einige Wochen gehalten hatte und unter recht wirren Umständen zustande gekommen war. Mehr wollte Lisa ihm darüber nicht erzählen. Aber die Vergangenheit interessierte Alex sowieso nicht. Für ihn gab es nur noch die Zukunft, seine Zukunft mit Lisa.
Im Juli nahm er all seinen Mut zusammen und fragte Lisa, ob sie seine Frau werden wolle. Und zu seiner größten Freude sagte sie Ja. Er konnte sein Glück kaum fassen, als Lisa am 01.09.2008 seine Frau wurde. Es war der schönste Tag seines Lebens und auch die Tatsache, dass Lisa seinen Nachnamen nicht annehmen wollte, konnte ihn nicht trüben.

Alex seufzte tief. Er stand am Kamin im Wohnzimmer und hielt ihr Hochzeitsbild in den Händen. Er betrachtete sich selbst auf dem Bild. Wie glücklich ich damals war! Die Zukunft lag, in meinen Träumen, in den schillernsten Farben vor uns. Ich wollte eine ganze Herde Kinder. Warum konntest Du nicht meine Träume teilen, Lisa?