Titel: Der Herr der Zeit (33/35+Epilog)

Autor: KimRay

e-mail: KimRay

Kategorie: ?

Unterkategorie: Drama

Inhalt: Der schwarze Lord übernimmt in England die Macht und Hogwarts erstarrt in der Zeitfalle, doch wie es der Zufall gibt es zwei Schüler, die wie üblich nicht das tun, was sie eigentlich tun sollten.

Was passiert, wenn Harry Potter den Helden spielt, Draco Malfoy mit Hauselfen und Velas streitet und Severus Snape seine Meinung ändert?

Lest selbst! Das ist wirklich eine üble Inhaltsangabe! *heul*

DISCLAIMER: Alle urheberrechtlich geschützten Figuren in dieser Story gehören natürlich den jeweiligen Eigentümern. Ich habe sie mir nur ausgeliehen. Einzig die Idee und neue Charaktere sind komplett von mir.

Anmerkungen: Auch diesmal...kein Kommentar. Es gibt wohl nichts mehr zu sagen. Danke an alle, die dieser Story die Treue halten.

Kein Beta.

Kapitel 33

Klare Fronten

„Iesch muss sagen, iesch bin…wirklich ein wennig positiv überrascht…Ich ge'öre ja zu denen, die kein Problem damit 'aben, die Muggelwelt zu nutzen, wenn es mier gefällt und iesch mag London…so viel ste't fest…" Das Lächeln, das Fleur Narcissa Malfoy schenkte, war ehrlich und das überraschte, Draco eigentlich am meisten, denn Gabrielle verdrehte die Augen, als er ihr einen Blick zuwarf. Die beiden waren seit drei Tagen in England und Fleur hatte es sich ohne Zweifel zur Aufgabe gemacht, ihn voll und ganz in Anspruch zu nehmen. Zu Anfang hatte er den fruchtlosen Versuch gemacht, sich ihren Wünschen zu entziehen, doch da hatte ihm seine Mutter einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Fleur und Gabrielle waren Gäste und man hatte Gäste mit aller Zuvorkommenheit zu behandeln. Das Resultat war, dass Fleur ihn durchs ganze Land schleifte und auch vor der Welt der Muggel nicht Halt machte. Inzwischen war er sich ziemlich sicher, dass das seiner Mutter nur Recht war, denn sie behandelte Fleur, wie eine Freundin, die sie schon seit Jahren kannte.

Er hatte seit vier Tagen nichts von Harry gehört – und er fühlte sich, als sei er amputiert. In einem gut verborgenen Winkel seines Verstandes wusste er, dass das nicht gut war, doch im Moment war ihm das vollkommen egal. Er wollte ihn zurück, am besten vorgestern.

Draco war sich ziemlich sicher, dass Harry im Moment vollkommen in seinem Kopf gefangen war und sich die schlimmsten Vorwürfe wegen des Vorfalls vor vier Tagen machte. So nannte er Harrys Attacke auf sich und er wusste, dass es einen weiteren Winkel in seinem Verstand gab, in dem er seine Angst vor noch so einem Zwischenfall verbarg. Er konnte dieser Angst nicht nachgeben. Sie würde ihn auffressen und Harry zerstören. Noch immer war er der Meinung, dass es nicht Harry gewesen war, der ihn attackiert hatte, doch er wagte es nicht, mit jemandem über diese Meinung zu diskutieren, weil er befürchtete, das jeder in seinem Umfeld diese Meinung innerhalb von Minuten in ihre Bestandteile zerlegen würde.

„Draco, was denkst du…?"

Draco sammelte sich. Er hatte keine Ahnung, was Fleur von ihm wollte.

„Ich wüsste nicht wirklich, was ich vorziehen würde,", ließ sich seine Mutter vernehmen. „Ich mag Bath, aber auch Edinburgh hat seinen ganz eigenen Charme." Draco erkannte einen Strohhalm, wenn er ihm begegnete und das letzte, was er wollte war Sightseeing an einem so langweiligen Fleckchen Erde, wie Bath.

„Nach Bath bringen mich keine zehn Hippogreife… wenn du mich heute wieder wie einen Kofferkuli durch Brittannien schleifen willst, wirst du wohl mit Edinburgh vorlieb nehmen müssen…", hielt er Fleur bissig entgegen und sah Gabrielle aus dem Augenwinkel grinsen.

„Was 'abt iehr Briten eigentlisch mit diesem ungastlischen Schottland…", nuschelte Fleur daraufhin und Narcissa begann zu lachen. Draco hatte keine Zweifel, dass sie die beiden Französinnen mochte.

„Schottland ist nicht ungastlich, meine liebe Fleur…es ist nur anders…und ich muss Draco beipflichten…ich würde Edinburgh Bath ebenfalls vorziehen…"

„Mylady Malfoy….", Narcissa wurde von Tibby, einer der Hauselfen unterbrochen und Draco sah ihr an, dass sie irritiert war. „Es gibt einen kleinen Zwischenfall in der Küche…wenn Mylady vielleicht kommen würden…", piepste die Hauselfe.

„Soll ich mich vielleicht darum kümmern?", warf Draco ein. Tibby warf ihm einen Blick zu und Draco hatte das sichere Gefühl, dass ihr diese Idee gar nicht gefiel.

„Nein, nein…ich mach das schon." Narcissa war irritiert. Das war für Draco nicht zu übersehen, doch sie hielt sich wacker. „Macht ihr eure Pläne für den Tag…" Sie stand auf und verließ den Speisesalon.

„Das 'eißt dann also Edinburgh…" Fleur warf ihm einen koketten Blick zu und Draco fügte sich in sein Schicksal. Er hatte es so gewollt. Und selbst, wenn es ab und zu ein wenig nervig war, war er doch dankbar, dass sie ihn und seine Launen einfach so zwang, sich auf etwas anderes als das Desaster, das sein Leben im Moment war, zu konzentrieren.

Narcissa hielt inne, kaum, dass sie die Küchentür einen Spalt breit aufgeschoben und ihn sitzen sehen hatte. Er saß da am Küchentisch, den Kopf in die Linke gestützt, noch immer blass, dünn und müde. Sie hatte geglaubt zu wissen, wie sie reagieren würde, wenn er wieder auftauchte, doch sie hatte sich getäuscht.

Angst und Fürsorge fochten eine unerbittlichen Kampf in ihrem Inneren. Eine Hälfte ihres Herzens wollte ihren Sohn vor allem Leid beschützen – und egal, was sie hofften, Harry bedeutete Leid so lange er es nicht schaffte, sein Leben in den Griff zu bekommen – die andere wollte den Jungen auf der Küchenbank in die Arme nehmen und in einen warmen Mantel aus grenzenloser Liebe hüllen, denn mit dem Herzen einer Mutter wusste sie, dass es genau das war, was ihm sein Leben lang gefehlt hatte.

Und dann war da noch etwas anderes; er war hier unten und hatte nach ihr geschickt; dass er das getan hatte konnte sie nicht bezweifeln, denn in jedem anderen Fall wäre er oben im Speisesalon erschienen. Immerhin gab es kaum einen Bann, den er nicht durchbrechen konnte. Er war hier unten in der Küche. Draco hatte davon gewiss keine Ahnung. Und sie wusste ganz genau warum.

Harry würde akzeptieren, wenn sie ihm nicht erlaubte, dass er nach Malfoy Manor zurück kam und er würde das so regeln, dass es Draco gar nicht mitbekam. Warum nur fand er für alle anderen immer die bestmögliche Lösung, während er für sich selbst überhaupt keinen Ausweg fand? Weil er keinem weh tun will, beantwortete sie sich ihr Frage selbst und sie wusste, dass sie es nicht übers Herz bringen würde, ihm die Rückkehr zu verbieten.

Wortlos ging sie zu ihm hinüber und als er sie bemerkte, aufstand und unsicher ansah nahm sie ihn in die Arme und fragte,

„Wie geht es dir, mein Junge?" Sie konnte spüren, wie er sich einen Moment lang verspannte, doch das hielt nur kurz.

„Es geht", entgegnete er leise. „Ich kann immer noch nicht fassen, was ich getan habe…"

Es überraschte Narcissa ein wenig, als sie begriff, dass sie ähnlich dachte. Auch sie konnte nicht wirklich fassen, was geschehen war. Tagelang hatte sie sich mit den Fakten und ihrer Angst auseinandergesetzt. Selbst über die Auswirkung, die das Ganze auf Harry haben musste, hatte sie nachgedacht, doch diese wenigen Worte, die er da gerade gemurmelt hatte, waren wie eine kalte Dusche. Auch sie konnte nicht fassen, was er getan hatte, denn es passte absolut überhaupt nicht zu seinem Verhalten bis dahin und so stellte sie die erste Frage, die ihr angesichts dieser Erkenntnis in den Kopf kam.

„Wie…wie konnte das passieren, Harry?" Er richtete sich auf, sah sie jedoch nicht an.

„Ich habe keine Ahnung…nicht die geringste. Es muss eine Art Selbstschutzreaktion gewesen sein, anders kann ich es mir nicht erklären. Draco ist keine Bedrohung für mich und doch…und doch hat etwas in mir reagiert als sei er eine. Das ist das letzte, was ich will, Narcissa. Das allerletzte! Das musst du dir glauben."

Narcissa spürte einen Kloß im Hals. Sie konnte ihm anhören, wie sehr ihn das aufwühlte und doch spürte sie gleichzeitig, wie sich ihre Angst erneut ins unermessliche steigerte.

„Ich glaube… ich… ich will dir wirklich glauben, Harry, aber ich… ich frage mich, ob dir wirklich bewusst ist, wie gefährlich du…" Sie schluckte und sah nun ihrerseits zu Boden, denn im Grunde wollte sie nicht sagen, was sie zu sagen hatte, doch sie wusste, dass es falsch wäre, nicht ehrlich zu sein. Es war jedoch Harry, der weitersprach,

„Ich bin mir bewusst, wie gefährlich ich bin. Mir ist nicht viel so überdeutlich bewusst, wie diese Tatsache, Narcissa." Es schwang kein Vorwurf in seiner Stimme mit und das ließ Narcissa auf sehen. Er starrte ins Leere und konstatierte beinahe emotionslos die Fakten. „Ich denke du weißt ganz genau, warum ich hier bin und du weißt sicher auch, warum wir hier unten in der Küche stehen. Ich kann verstehen, wenn du nicht möchtest, dass ich nach Malfoy Manor zurück komme. Immerhin habe ich klar bewiesen, wie… wie gefährlich ich für jeden in meiner Nähe bin… selbst für Draco, aber… ich… ich…" Wieder verstummte er und starrte zu Boden.

Er brauchte auch nicht weiter zu sprechen. Sie wusste, was er nicht herausbrachte. Sie hatte es bei ihrem Sohn gesehen, seit Harry fort war. Bei Merlin und Morgana sind die beiden verliebt in einander… Unglaublich.

„Sieh mich an, Harry", sagte sie leise. Es würde ihr nicht leicht fallen, zu sagen, was sie zu sagen hatte und sie wollte, dass er sie ansah und begriff, dass sie es ernst meinte. Es machte es ihr um einiges leichter zu wissen, dass er sich der Gefahr, bewusst war. Er wandte sich ihr zu und sah sie an, die Augen umschattet und voller Sorge. Noch immer war er viel zu dünn und mit dem Schlafen schien es auch nicht besser zu sein.

„Als ich dich gerade eben hier unten sitzen sehen habe, wusste ich sofort, worum es gehen sollte. Das hast du gut erkannt", begann sie mit einem traurigen Lächeln, „…und ich muss sagen ich bin dir sehr dankbar, dass du Draco da erst einmal nicht mit reingezogen hast… Er hätte es definitiv nicht einfacher gemacht. Ich würde lügen, wenn ich behaupte, diese Entscheidung fällt mir leicht, denn grundsätzlich ist es für mich das Wichtigste, Draco zu beschützen, soweit mir das möglich ist. Ich will nicht, dass ihm in seinem Zuhause jemand weh tut. Du bist dir im Klaren, dass ich er dir von diesem Standpunkt gesehen nicht erlauben kann zurück zu kommen." Sie konnte ihn bei diesen Worten schlucken sehen, doch er schwieg und sah sie noch immer an, sich offenbar bewusst, dass sie noch nicht fertig war. „Das Problem ist, dass es dann ich bin, die ihm weh tut… Er vermisst dich fürchterlich, Harry, und es scheint ihm vollkommen egal zu sein, was passiert ist. Es mag sein, dass Fleur ihn ablenkt, aber das ist nur die Oberfläche. Ich weiß, dass er nichts mehr hofft, als dass du endlich zurück kommst. Du kannst dir also denken, wie meine Antwort ausfällt. Ich erlaube dir, nach Malfoy Manor zurückzukommen, aber ich habe eine Bedingung… eine einzige.

„Ich möchte nicht, dass ihr im selben Zimmer schlaft, Harry. Das mag sich für dich seltsam anhören, doch ich denke, darin liegt die größte Gefahr, denn im Schlaf verlierst du offenbar die Kontrolle und ich möchte das nicht noch einmal erleben."

„Es hört sich nicht im geringsten seltsam an und ich sage es dir gleich im Voraus, auf dieses Risiko hätte ich mich eh nicht eingelassen. Nicht nach dem, was passiert ist", entgegnete er ohne auch nur einen Augenblick zu zögern."

„Tja… dann haben wir nur noch ein Problem."

„Du meinst, es Draco begreiflich zu machen?", meinte Harry mit einer gewissen Ironie im Blick und angesichts der Tatsache, dass er genau wusste, was das bedeutete, konnte sie sich ein leises Lachen nicht verkneifen.

„Willst du es ihm gleich sagen?" Er schüttelte den Kopf.

„Ich werde es definitiv nicht wagen, Fleurs Pläne für den Tag zu durchkreuzen…" Daraufhin lachte Narcissa richtig.

„Ich lasse dir Zimmer im Westflügel bei Sirius herrichten…", meinte sie dann. „Und du kommst, wenn du so weit bist. Danke für dein Verständnis, Harry."

„Ich muss dir danken, Narcissa. Das weißt du. Danke."

xox

„Harry…Narcy sag, dass du wieder da bist und dass du jetzt Zimmer neben meinen hast." Sirius platzte durch die Tür seiner neuen Räumlichkeiten und schreckte ihn aus seinen Gedanken. Mit ein paar Schritten war er bei ihm, zog ihn aus dem Sessel in dem er gesessen und vor sich hin gestarrt hatte und nahm ihn mit einer Kraft in die Arme, die Harry die Luft aus den Lungen presste. „Junge… ich bin so froh, dass… dass es…" …dir gut geht hatte er sagen wollen, doch auf halben Weg war ihm bewusst geworden, dass das vielleicht nicht ganz korrekt war und er Harry damit nur erneut unter Druck setzten würde.

Harry erwiderte seine Umarmung mit ähnlichem Nachdruck und meinte leise,

„Mag sein, dass es mir noch nicht wieder gut geht… aber es geht mir besser… ein bisschen…"

Das war es, was Severus ihm als Versprechen abgerungen hatte, bevor er zugestimmt hatte, ihn wieder nach Malfoy Manor zurück gehen zu lassen. Er musste ehrlich sein, sagen, wie es ihm wirklich ging und wenn ihm etwas überhaupt nicht passte. Er hatte nicht die Kraft, auch noch die ganze Zeit seinem Umfeld weiszumachen, dass es ihm gut ging, obwohl er doch eigentlich nur seine Ruhe wollte.

Harry wusste, dass das bei Draco ein harter Kampf werden würde und er war beinahe dankbar, dass Fleur und Gabrielle hier waren, denn er war sich sicher, dass Fleur seinen blonden Liebsten an die Leine nehmen würde, sobald sie begriff, worum es ging.

Er atmete tief durch und ließ es zu, als Sirius ihn ein wenig von sich schob um ihn anzusehen. Noch immer verbarg er seinen Zustand und er würde das auch so schnell nicht ändern. Jeder Blick in einen Spiegel sagte ihm, dass alle in seinem Umfeld entsetzt die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und ihn sofort in Watte packen würde, wenn sie sahen, wie schlecht er wirklich aussah. Er übertrieb es nicht mehr, wie zuvor, doch diese Wahrheit behielt er noch immer lieber für sich, wenn er die Wahl hatte.

„Harry, du hast keine Vorstellung, wie sehr ich mir wünsche, dir helfen zu können, aber Snape hat es uns allen noch einmal nachdrücklich um die Ohren geknallt. Wir sollen aufhören, in dich zu drängen. Nur du könntest entscheiden, ob und wie wir dir helfen können." Harry ließ sich wieder in seinen Sessel sinken und zog die Knie zur Brust.

„Severus meint es gut. Es tut mir leid, wenn er dich vor den Kopf gestoßen hat, Sirius. Es tut mir leid, dass ich dich vor den Kopf gestoßen habe. Aber leider hat Severus recht. Es hilft mir nicht, wenn jemand versucht, mich zu etwas zu zwingen. Ich hab eher das Gefühl, dass es das schlimmer macht. Das ist aber nicht euer Fehler. Es ist meine Entscheidung, wie ich mit dem Ganzen umgehe…"

Sirius ließ sich in den anderen Sessel fallen, der neben dem kleinen Tisch stand, rieb sich mit den Händen übers Gesicht,

„Es fällt mir unendlich schwer, auf das zu hören, was Snivellus sagt, aber die Erfahrung der letzten Wochen hat leider gezeigt, dass er es am besten weiß. Ich dachte zwar, dass das auch Draco wüsste, aber… wie sich gezeigt hat, lag ich da falsch. Harry…ich hab eingesehen, dass ich mich da wohl voll und ganz auf dich verlassen muss. Auch wenn ich es nicht mag, aber die Jahre haben gezeigt, dass du allein klar kommst, ob gut oder schlecht sei mal dahin gestellt, aber einer Sache bin ich mir ziemlich sicher. Am Ende triffst du die richtige Entscheidung. Das hast du mir endgültig bewiesen."

Harry kam nicht umhin ihn angesichts dieser Rede irritiert anzusehen und dann begriff er es. Auch Sirius hatte das schlimmste befürchtet, nach diesem Vorfall mit Draco. Es trieb ihm das Blut in die Wangen, doch gleichzeitig spürte er, wie sich etwas in ihm löste. Der Zwischenfall beim Quidditch saß ihm noch immer im Genick und obwohl er geahnt hatte, dass es alle in seinem näheren Umfeld als das erkannt hatten, was es gewesen war – ein Selbstmordversuch – nahm es den Druck von ihm, als er begriff, dass sie gewillt waren konstruktiv damit umzugehen. Es war ein gutes Gefühl von Sirius zu hören, dass er in gewissem Sinne stolz auf ihn war, dass er nicht noch einmal denselben Fehler gemacht hatte.

„Danke…", rutschte es ihm heraus. „Danke für dein Vertrauen… ich bin noch lange nicht am Ziel, aber es hilft mir ungemein von dir zu hören, dass du mir zutraust, dass ich es schaffe, Sirius."

„Immer, mein Junge, immer. Du hast es immer und immer wieder geschafft, das Unmögliche möglich zu machen. Du schaffst auch das. Daran werde ich niemals zweifeln." Er sah seinem Paten an, dass er meinte, was er sagte und das gab ihm mehr Zuversicht, als er erwartet hätte.

Ein paar Stunden später saß er in Dracos Zimmer auf dem Fenstersitz und starrte in die Dunkelheit, die die Ländereien von Malfoy Manor einhüllte. Draco war schon seit einer Weile zurück und er war auch schon in seinen Räumen gewesen, doch Harry hatte gewartet bis im Haus Ruhe einkehrte. Er hatte mit Sirius und Narcissa zu Abend gegessen und dann darauf gewartet, bis Draco mit Fleur und Gabrielle zurückkam, doch er hatte es vermieden den beiden Delacours zu begegnen. Er wollte erst einmal mit Draco allein reden. Es gab einiges zu klären und Harry war sich auch ziemlich sicher, dass Draco nicht sonderlich gut darauf reagieren würde, wenn er ihm sagte, dass sie erst einmal für eine Weile eine gewisse Distanz einhalten mussten.

Er gab es nur ungern zu, doch er war einer der Gründe, der ihn anspornte, sein Leben in den Griff zu bekommen. Er wollte keine Distanz zu Draco. Er war noch immer in dem Stadium, in dem er grundsätzlich nur an seiner Seite sein wollte.

Die Tür ging auf und die Lichter im Raum und der Kamin erwachten zum Leben. Draco legte den Umhang ab und platzierte ihn sorgsam auf der Lehne eines Sessels. Bevor er zum Kamin hinüber ging und hinein starrte. Er fühlte sich zweifellos vollkommen unbeobachtet und kam nicht einmal auf die Idee, dass er nicht allein sein könnte.

Harry nahm die Illusionszauber herunter und wappnete sich für die Reaktion, die er möglicherweise bekommen würde. Er konnte Draco nichts mehr vormachen. Das hatte er schon viel zu lange versucht und er wusste, dass er ihn damit verletzt hatte; möglicherweise mehr, als mit dieser Attacke, die ihn schlussendlich auf die Klippe getrieben hatte.

„Hey Dray…"

Er fuhr herum wie von einer Tarantel gestochen und starrte ihn an, als könne er nicht glauben, was er sah, doch er fing sich augenblicklich und war mit wenigen langen Schritten bei ihm, riss ihn auf die Füße und zog ihn mit einem Hauch von Verzweiflung in seine Arme, der Harry die Luft zum atmen nahm.

„Tu das nie wieder, hörst du… nie, nie wieder. Ich will nie wieder glauben, ich hätte dich verloren…hörst du?"

Harrys Arme schoben sich um Dracos Taille, seine Finger krallten sich in sein Hemd und er schluckte mühsam das Schluchzen hinunter, dass seiner Kehle entwischen wollte. Das musste aufhören. So durfte es nicht weitergehen. Er hatte geglaubt, für Draco leben zu können, doch das war nicht richtig. Er durfte das Draco nicht aufbürden.

„Nie wieder…", kam es ihm über die Lippen. „Nie wieder, Draco. Es tut mir so leid. Ich wollte dir nicht weh tun. Du bist der letzte Mensch auf der Welt, dem ich weh tun will."

„Das weiß ich doch… und es ist mir auch scheißegal, was da passiert ist. Das warst nicht du…" Es gab Harry einen Stich diese Worte von Draco zu hören und es veranlasste ihn, ihre Umarmung zu lösen. Er konnte wieder einmal überdeutlich sehen, dass er Draco irritierte und entschärfte seine Reaktion damit, dass er ihm mit kalten Fingern über die Wange streichelte, sich seines Blickes überdeutlich bewusst.

Er konnte sehen, wie Draco Stück für Stück realisierte, was er sah, sah den Schock darüber in seinen grauen Augen und er wusste, dass es seine nächsten Worte nicht besser machen würden,

„Doch Draco, das war ich…das bin ich. Das ist, was von mir übrig ist. Und egal, was du dir einredest. Ich habe dich angegriffen. Ich habe dich verletzt und du tust gut daran, Vorsicht walten zu lassen, denn ich bin eine Gefahr. Im Moment bin ich eine Gefahr für jeden in meiner Nähe. Ich habe keine Ahnung, was an diesem Morgen geschehen ist, aber ich weiß, dass es immer wieder passieren kann."

„Harry…" Draco nahm Harrys Hand in seine und presste ihm einen Kuss auf die Fingerspitzen.

„Nein Draco… mach die Augen auf. Sieh mich an."

„Ich sehe dich. Ich habe dich immer gesehen…und ich habe immer gewusst, dass du mir was vorzumachen versuchst…Es ist mir egal. Wir schaffen das."

Harry schwieg. Er war sich bewusst, dass Draco immer mehr gesehen hatte, als ihm Recht gewesen war, doch was er da sagte überraschte ihn schon ein wenig. Draco zog ihn wieder in seine Arme und er ließ es zu, denn was auch immer er in den letzten Tagen begriffen hatte, das hier war genau das was er wollte.

„Versprich mir nur eins…", hörte er da von Draco und zu seiner eigenen Überraschung fragte er sich, was kommen würde. „Versteck dich nicht vor mir. Damit sperrst du mich aus und nimmst mir jede Chance einzuschätzen, wie es dir wirklich geht… mal ganz davon abgesehen, dass es mir das Gefühl gibt, du weist mich zurück… und das mag ich ganz und gar nicht. Ich kann alles ertragen, solange ich glaube, du stehst zu mir…"

Harry schwieg und er wusste, dass er Draco damit ein weiteres Mal enttäuschte, noch konnte er ihm das nicht versprechen. Zu groß waren die Diskrepanzen zwischen dem, was er sein wollte und dem, was er war. Er schwieg, doch er löste sich nicht aus Dracos Umarmung, die gerade eben noch ein wenig enger geworden war. Harry wappnete sich. Er wusste, dass er sagen musste, was er sich schon den ganzen Tag lang vorgenommen hatte, obwohl er eigentlich wusste, dass es keinen schlechteren Zeitpunkt geben konnte. Er versuchte damit all die Risse zu kitten, die er in den letzten Wochen verursacht hatte und das war eigentlich nicht der Sinn der Sache, doch er ahnte, dass es das war, was Draco brauchte und vielleicht brauchte er es ja selbst genauso sehr.

„Ich kann dir das nicht versprechen, Dray, nicht im Moment. Ich muss erst einmal selbst erkennen, was… was ich bin… wer ich bin… Ich kann dir versprechen, dass ich nicht mehr versuchen werde, dir etwas vorzumachen, wenn es um meinen Gesundheitszustand geht… das kann ich versprechen…" Er konnte spüren, wie bei diesen Worten die Anspannung in Dracos Körper merklich nachließ und verspürte selbst eine gewisse Erleichterung. „Es geht mir beschissen…", fuhr er nichtsdestotrotz fort und entlockte seinem Liebsten ein trockenes Schnauben.

„Und es gibt noch etwas anderes, was ich dir versprechen kann… Ganz egal, wie schlecht es mir geht. Egal auch was du vielleicht glaubst nach all dem Drama in den letzten Wochen…Ich liebe dich…mehr als mein Leben und es ist eine Schande, dass ich dir das nicht schon lange gesagt habe…"

Draco starrte den Himmel über seinem Bett an und wusste, dass er in diese Nacht wohl kein Auge zu tun würde. Harry hatte ihn in den letzten eineinhalb Stunden durch ein Wechselbad der Gefühle gejagt und hatte er geglaubt in den letzten Wochen bis an die Belastungsgrenze abgehärtet worden zu sein, so hatte ihn sein Geliebter heute eines besseren belehrt.

Das letzte, mit dem er gerechnet hatte, mal von Harrys Auftauchen in Malfoy Manor abgesehen, war eine Liebeserklärung gewesen. Im Grunde seines Herzens hatte er niemals an Harrys Gefühlen gezweifelt, doch er hatte ebenso wenig damit gerechnet, dass dieser ihm das so bald eingestehen würde. Es hatte ihn von den Socken gehauen, genauso wie das, was gefolgt war.

Denn der Liebeserklärung war die Eröffnung gefolgt, dass Harry Abstand brauchte. Er hatte ihm erschreckend nüchtern dargelegt, dass er im Moment so gefangen in einem Berg aus Problemen war, dass es ihm nicht half, wenn sie jede freie Minute gemeinsam verbrachten. Er, Draco, habe ein eigenes Leben und eigene Probleme und Harry habe nicht das Recht, ihn vollkommen zu vereinnahmen, mal ganz davon abgesehen, dass er im Grunde genug damit zu tun hatte, sich mit seiner eigenen Problematik auseinander zu setzen und dabei nicht wirklich Zeugen brauchte. Das war ja schon ernüchternd gewesen.

Härter hatte es ihn getroffen, als Harry ihm erklärte, dass er jetzt eigene Räume hatte und da auch schlafen würde. Da war Draco kurzzeitig ausgeflippt und hatte ihn gefragt, ob das die Idee seiner Mutter gewesen sei, doch dann war Harrys Blick düster in die Ferne gewandert und er hatte gesagt.

‚Ich kann nicht neben dir in diesem Bett liegen und riskieren, dass ich dich das nächste Mal vielleicht töte. Wie stellst du dir das vor?'

Das hatte ihm die Sprache verschlagen und ihm war noch einmal nachdrücklich klar geworden, wie schlimm es wirklich war. Harry war ein extrem mächtiger Zauberer, der seine Kraft nicht unter Kontrolle hatte. Wie das enden konnte hatte er am eigenen Leib erfahren und auch, wenn er sich unerschrocken gab, wusste er, dass Harry recht hatte. Es konnte wieder passieren und niemand wusste, wie es dann ausgehen würde und er konnte im rationalen Teil seines Verstandes verstehen, dass Harry dieses Risiko nicht eingehen wollte.

Er hatte es abgemildert, ihn aufs Bett geschupst und sich unverschämt an ihn gekuschelt, doch während Draco sich bewusst war, dass er recht schnell recht dösig geworden war nach diesem langen und emotional aufwühlenden Tag, war er sich untergründig die ganze Zeit überdeutlich bewusst, dass Harry hellwach war. Er lag neben ihm, hielt ihn sogar im Arm und streichelte zärtlich seinen Nacken, doch er blieb hellwach.

Irgendwann hatte er ihm einen Kuss auf die Stirn gepresst, ihm ‚Gute Nacht und träum süß' zugemurmelt und war gegangen – und als die Tür ins Schloss gefallen war, war Dracos Müdigkeit wie weg geblasen.

Seit dem kreisten seine Gedanken und er hatte inzwischen aus gemacht, was sich fundamental verändert hatte. Harry konfrontierte seine Umwelt endlich mit seiner Wahrheit. Es sagte ihm eins: Er war an seine Grenzen gestoßen und es war alles viel schlimmer, als sie alle ahnten.

xox

Als die Tür hinter ihm zu gefallen war, rieb Harry sich schon wieder völlig erledigt übers Gesicht. Er hatte wie inzwischen üblich in der Nacht, nachdem er Dracos Räume verlassen hatte, kein Auge zugemacht, denn die wenigen Momente, in denen sie ihm unbeabsichtigt zugefallen waren, hatten ihm schnell gereicht.

Also war er wach geblieben, hatte sich ein Buch zum Lesen gesucht und im Morgengrauen Curd gerufen und ihn gebeten ihm Bescheid zu geben, wenn Draco und die Delacour Schwestern zum frühstücken kamen. Er war sich zwar von vorn herein nicht sicher gewesen, ob es eine gute Idee war dort aufzutauchen, doch er hätte dieser Begegnung eh nicht auf Dauer aus dem Weg gehen können und immerhin traf er Draco. Dieser hatte sich über sein Auftauchen gefreut und das war ihm genug gewesen.

Fleur und Gabrielle waren da schon etwas anderes. Er hatte sie nach den Ereignissen bei diesem Quidditchspiel in Hogwarts nicht mehr getroffen und ihre Fürsorge und Empörung angesichts des Verhaltens seiner Teamkameraden war ein bisschen überwältigend gewesen. Wenn es nach Gabrielle gegangen wäre, hätte er sie heute auch gleich auf einen weiteren Ausflug begleiten sollen, doch dem hatten interessanter Weise Draco und Fleur einen Riegel vorgeschoben, mit exakt derselben Begründung: er sei noch nicht wieder fit genug nach allem, was passiert war.

Harry fragte sich, was Draco ihr alles erzählt hatte. Im Grunde wusste er, dass man Fleur auch nicht viel erzählen musste. Sie hatte ein Talent, den Dingen selbst auf die Spur zu kommen und immerhin gab es Zauber, von denen selbst er keine Ahnung hatte. Sie hatte ihm links und rechts einen Kuss auf die Wangen gedrückt, als er sich ohne viel gegessen zu haben entschuldigte und ihm zugeflüstert, dass sie ihm später einen Besuch abstatten würde. Harry war sicher, dass das nicht glimpflich abgehen würde, doch er wusste auch, dass es keinen Sinn machte ihr aus dem Weg zu gehen.

Doch das war im Moment alles nebensächlich. Er war todmüde und brauchte eigentlich Schlaf, doch er wagte es kaum, auch nur für ein paar Minuten die Augen zu schließen, weil er genau wusste, dass ihn seine Alpträume wenig später wieder hoch fahren lassen würden. Resigniert ließ er sich in den Sessel sinken, in dem er auch schon die Nacht verbracht hatte.

Es war unerträglich. Er brauchte Schlaf, hatte aber Angst davor zu schlafen. Er hatte Hunger und brachte am Tisch kaum einen Bissen hinunter ohne dass ihm übel wurde. Er war zurückgekommen um wieder in Dracos Nähe zu sein, stellte aber fest, dass er immer wieder seine Fassade aufbaute und damit seine eigenen Reserven verschwendete.

„Es ist ein Teufelskreis… Ich bin wie ein Hamster im Laufrad und drehe mich im Kreis…", murmelte er beinahe wütend. Sein Blick wanderte leer durchs Zimmer und blieb wieder einmal an dem Spiegel hängen, in dem er sich von seinem Platz aus in all seinem Elend betrachten konnte und wenn er die obligatorischen Illusionszauber herunter nahm war der Anblick noch ein wenig besorgniserregender. Wenn er es genau nahm gab es nur noch zwei Dinge, die er von dem, der er einmal gewesen war wieder erkannte; seine grünen Augen und das widerspenstige, dunkle Haar.

„Was hast du dir angetan, Harry?", fragte er leise und plötzlich hatte er das schwere Buch in der Hand, in dem er in der Nacht gelesen hatte und schon erhoben um es in den verdammten Spiegel zu schleudern und ihn in eine Million Kleinteile zu zerlegen, als eine andere Szene vor seinem inneren Auge erschien: Draco in der heulenden Hütte, wie er immer und immer wieder den Spiegel zerschlug und neu zusammensetzte, weil er nicht ertragen konnte, was er sah und offenbar gleichzeitig nicht wirklich loslassen konnte.

„Curd!" Der Hauself erschien auf der Stelle. „Ist Master Draco noch im Hause?", bevor der Hauself seine Dienstbeflissenheit zum Ausdruck bringen konnte. Curd war sichtlich verdattert, doch er antwortete.

„Master Draco sollte noch in seinen Räumen sein, doch sie wollen jeden Moment aufbrechen…"

„Danke…" Im nächsten Moment war er disappariert und ließ den völlig schockierten Curd zurück.

Draco machte beinahe einen Satz rückwärts als Harry aus dem Nichts vor seinem Bett erschien und ihn mit der Frage, die er stellte völlig überrumpelte,

„Draco, was hast du in diesem Spiegel gesehen?"

„Spiegel?" Er war sich ziemlich sicher, dass er Harry nicht besonders intelligent ansah, wie er da so stand in einer Jeans, die Fleur ihm bei ihrem letzten Shoppingtrip aufgedrängt hatte und dem Hemd noch in der Hand, doch gleichzeitig hatte er nicht den Eindruck, dass Harry diese Tatsachen registrierte. Harry starrte ihn mit leicht gerunzelter Stirn an und seine Wangen waren schwach Rosa angehaucht. Draco sammelte sich, nun selbst überrascht, dass er seinen Liebsten mit dem Umstand nur halb angezogen zu sein offenbar aus dem Konzept gebracht hatte. Wie lange war es her, dass sie einander so betrachtet hatten? Okay, Schluss jetzt. Gabrielle kann jeden Moment in der Tür auftauchen, riss er sich zusammen.

„Harry…was für ein Spiegel?" Er konnte sehen, wie Harry sich aus seiner Starre riss und ihm nun ins Gesicht sah.

„Der Spiegel in der Heulenden Hütte. Den du zerschlagen und dann wieder zusammengesetzt hast…Was hast du darin gesehen?"

Die Erinnerung an die Szene, die Harry da beschrieb, trieb nun ihm die Farbe in die Wangen, denn das damals war nicht gerade eine seiner Glanzleistungen gewesen.

„Mich logischer Weise… aber gleichzeitig habe ich die Ähnlichkeit mit meinem Vater gesehen und mein Gesicht wurde zu seinem. Das konnte ich damals einfach nicht ertragen, ihn in mir zu sehen… ihm so ähnlich zu sein."

„Du bist ihm nicht ähnlich…", entgegnete Harry prompt auf diese Aussage und Draco lächelte.

„Ich weiß… heute weiß ich das. Aber damals… nach allem, was wir durchgemacht hatten, konnte ich nur meine große Ähnlichkeit mit ihm sehen…und ich konnte den Gedanken, wie er zu sein nicht ertragen… und…", nun senkte er doch noch den Blick, denn der Gedanke war schmerzhaft, „…und gleichzeitig war es doch ich…da in diesem Spiegel. Keine Ahnung…vielleicht war es der Selbsterhaltungstrieb, der mich veranlasst hat den Spiegel am Ende immer wieder zusammen zu setzen."

„Oder Eitelkeit…" Irritiert blickte Draco auf, angesichts dieser trocken geäußerten Stichelei. Da war kein Grinsen und kein Schalk in Harrys Gesicht und doch war der Ausdruck in seinen Augen neu und ihm unbekannt. „War 'n Scherz…", schickte er nun ebenso trocken nach, machte zwei Schritte auf ihn zu, küsste ihn verlangend und war im nächsten Moment verschwunden, während fast gleichzeitig die Zimmertür aufflog und Gabrielle hereinspazierte.

„Bist du fertig, Draco?"

Draco hätte sie am liebsten hinauskomplimentiert und nach Harry gesucht, doch er hatte das unbestimmte Gefühl, dass das in mehrfacher Hinsicht ein Fehler sein könnte.

Harry erschien in seinem Zimmer wieder, exakt an dem Punkt, von dem er vor ein paar Minuten verschwunden war. Er atmete tief durch und streifte ab, was ihn gerade eben noch beschäftigt hatte, ließ seine Fassade fallen und starrte im Spiegel an, was von ihm geblieben war – ein blasser Junge bei dem er nur noch sein schwarzes Haar und seine grünen Augen erkannte. Er schloss die und erinnerte sich an den, der er einmal gewesen war, vor zwei Jahren, als er für sein fünftes Schuljahr nach Hogwarts zurückgekehrt war. Es war ein leichtes für ihn, die Illusion zusammen zu spinnen und nach außen zu projizieren.

Und wieder starrte er in diesen Spiegel. Er erkannte das Bild. Es ähnelte einem Spiegelbild von kurz vor dem Halloween-Ball vor zwei Jahren – ein hübscher Junge mit grünen Augen und schwarzen Haaren. Es schockierte ihn vollkommen, als ihm klar wurde dass sich seine Gefühle nicht im geringsten von denen unterschieden, die er kurz zuvor bei dem Anblick den er jetzt bot empfunden hatte. Der Drang, diesen schweren Wälzer in den Spiegel zu schleudern und diesen Bild ebenso zu zerstören wie das andere war unverändert groß.

Harry streckte die Hand aus und das Buch flog hinein und einen Moment später schleuderte er es mit brutaler Gewalt in den Spiegel, so dass dieser tatsächlich in eine Million Einzelteile zerstob. Ohne den Hauch eines Gefühls starrte er die Scherben an und wartete auf eine Reaktion, doch der Wunsch den Spiegel wieder zusammen zusetzen kam nicht. (Disturbed ‚Sound of Silence')

xox

„Harry…" Draco schob die Tür zu Harrys Zimmer leise auf und versuchte im Raum etwas zu erkennen, doch es war schon so dunkel, dass ohne Licht gar nichts zu sehen war. Entschlossen schob er die Tür auf und trat ein, beinahe sicher, dass Harry hier nicht war. Mit einem Wisch seines Zauberstabes ließ er die Kerzen aufflammen und entfachte das Feuer im Kamin, doch wie erwartet war niemand hier.

Sein Blick blieb an den Spiegelscherben hängen. Noch immer war ihm nicht ganz klar, was Harry am Morgen mit seinen Fragen bezweckt hatte, aber die Scherben am Boden und das zerfledderte Buch mitten drin ließen ihn befürchten, dass es ihm nicht wirklich geholfen hatte. Immerhin hatte er den Spiegel nicht wieder zusammengesetzt. Er richtete seinen Zauberstab auf die Scherben und das Buch um beides wieder in Ordnung zu bringen, bevor er resigniert nach einem Hauselfen rief, nicht gewillt zu versuchen, Harry allein in diesem riesigen Haus aufzuspüren.

Er wusste von seiner Mutter, dass er da war, auch wenn er nicht bei den Mahlzeiten gewesen war. Snape hatte von Dumbledore einen Bann legen lassen, den wohl nicht einmal Harry umgehen konnte, ohne, dass es registriert wurde.

Es war Tibby, die auf seinen Ruf hin erschien,

„Master wünschen?"

„Bring mich zu Harry."

„Wie Ihr befehlt…" Sie nahm ihn zaghaft am Ärmel und einen Moment später fand er sich in einem dunklen Gang wieder. Tibby schnipste und entzündete so die Kerzen, während Draco sie ein wenig irritiert ansah, denn eigentlich war sein Befehl klar gewesen, doch dann begriff er wo sie sich befanden.

„Master Harry ist im Zimmer der bösen Hexe. Es ist uns nicht erlaubt einzutreten. Es tut Tibby leid." Das war korrekt. Nathalie Bonacures Salon hatte vermutlich seit ihrem Tod vor mehr als hundert Jahren niemand mehr betreten.

„Du kannst gehen…" Tibby verbeugte sich tief, bevor sie mit einem leisen Knacken verschwand. Draco starrte inzwischen die Tür an.

Es war NIEMANDEM erlaubt, diesen Raum zu betreten. Schon zu Lebzeiten seiner Urgroßmutter hatte sie nicht zugelassen, dass die Hauselfen dort sauber machten und Zauber über den Raum gelegt, die dafür sorgten, dass er sauber blieb und nach ihrem Tod hatte das Portrait, das dort drin hing mit bösen Blicken und hässlichen Zufällen dafür gesorgt, dass es dabei blieb. Schon sein Großvater hatte verboten, dass man den Raum betrat und angesichts der Gemeinheit, für die Nathalie Bonacure über ihren Tod hinaus berühmt war, hatte es auch nie jemand versucht.

Und nun war Harry in diesem Raum.

Dracos Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Er war der Herr von Malfoy Manor und er würde sich nicht von alten Geschichten abschrecken lassen. Entschlossen drückte er die Klinke. Es war nicht abgeschlossen. Auf alles gefasst schob er langsam die Tür auf.

An der Wand gegenüber der Tür brannten auf einer zierlichen Kommode zwei Kerzen schwach und spendeten ein wenig Licht. Rechts von der Tür glomm noch ein wenig Glut im Kamin und darüber hing das Portrait, das Draco überraschender Weise sofort in seinen Bann zog.

Sie war die schönste Frau, die er jemals gesehen hatte. Er wusste, dass sie zu Dreivierteln das Blut einer Veela besessen hatte und nur zu einem Viertel Hexe war, doch die alten Geschichten sagten, dass sie sogar dieses bisschen magische Blut zu einer verdammt mächtigen Hexe gemacht hatte. Das war der Grund, das sein Urgroßvater Tiberius alle Konventionen ignoriert und sie gegen den Willen seiner Familie geheiratet hatte. Draco wusste, dass das genaugenommen seinen Reinblüterstatus zerstörte, doch sein Urgroßvater hatte mit Macht, Einfluss und einer Menge Hexerei dafür gesorgt, dass diese Geschichte in der Familie blieb.

Die Geschichten sagten auch, er habe sie über alle Maßen geliebt und nur aus diesem einen Grund geheiratet, doch einen Gefallen hatte er ihr damit nicht getan. Ihre Schönheit hatte sie zu einer Geächteten in der Gesellschaft gemacht. Männer wollten sie, obwohl ihre Veelamacht gebannt war, Frauen hassten sie, weil sie überirdisch schön war und alle außer ihrem Mann fürchteten sie, weil ihr Zorn grenzenlos und sehr leicht erregbar gewesen war.

Draco konnte sie nur anstarren und sie starrte zurück. Mit silbernen Augen, die im Halbdunkel zu leuchten schienen. Es kam ihm vor wie eine Ewigkeit und er war nicht in der Lage, den Blick zu lösen. Er fragte sich, was sie damit bezweckte und wurde regelrecht davon überrascht, als sie sich abrupt abwandte und nun aus dem Fenster starrte, neben dem sie in ihrem Portrait stand. Ein Schauer rann ihm über den Rücken, als er sich im Zimmer umsah und Harry schlafend in einem der zierlichen Sessel entdeckte. Er machte gerade den ersten Schritt auf ihn zu, als ein einziges Wort ihn augenblicklich stoppte.

„NON." Es war von Nathalie Bonacures Portrait gekommen und als er ihr wieder den Blick zuwandte, waren ihre Augen erneut auf ihn gerichtet, streng und unnachgiebig. Es war nicht so, dass er sich direkt von ihr einschüchtern ließ, doch er blieb stehen und sah Harry an. Im schwachen Licht der Kerzen sah er noch schlechter aus, als letzte Nacht und Draco wusste, dass er seine Illusionen weggenommen hatte, doch etwas anderes fiel ihm ins Auge.

Er wirkte entspannt, wie er ihn lange nicht mehr gesehen hatte und das verblüffte ihn immens.

„Du lässt ihn schlafen", stellte er leise auf Französisch fest, bevor er den Zauberstab hob, eine Decke herauf beschwor und sie mit Magie über Harrys schlafende Gestalt gleiten ließ. Seine Ahnin hatte Recht, wenn Harry friedlich schlief, musste er ihn schlafen lassen. Und immerhin bestand ja noch immer die Gefahr, dass er attackierte ohne zu denken, wenn er aus dem Schlaf schrak. Und so wandte er sich fast geräuschlos wieder der Tür zu um zu gehen. Bevor sie leise hinter ihm ins Schloss fiel murmelte er leise,

„Merci." Er wusste nicht, ob er es sich einbildete, doch er glaubte, ein ‚De rien' (Bitte sehr.) vom Portrait seiner Urgroßmutter zu hören.

Er traf Harry am nächsten Morgen in der Küche und war überrascht festzustellen, dass er tatsächlich ein wenig erholt aussah. Offenbar konnte Nathalie Bonacure tatsächlich dafür sorgen, dass er traumlos schlief, auch wenn Draco nicht den Hauch einer Ahnung hatte, wie sie das von ihrem Portrait aus tat.

„Hey Harry", grüßte er ihn, ging zu ihm hinüber und gab ihm einen Kuss auf die Wange, bevor er sich auf die Bank ihm gegenüber setzte. Er war sehr früh dran und ziemlich sicher, dass Fleur und Gabrielle noch schliefen. Außerdem hatte er gehofft ihn hier zu treffen, da er ja gestern schon nicht viel gegessen hatte.

„Hey…", entgegnete er leise, ein wenig rosa um die Wangen, ob des Kusses. „Du warst gestern in meinem Zimmer?"

„Ich dachte mir ich bring das wieder in Ordnung, bevor sich jemand Gedanken macht, nachdem ich dich nicht gefunden habe. Woher weißt du, dass ich es war?"

„Ich habe die Hauselfen gefragt… und ich glaube wenn es jemand anderes gewesen wäre, hätte es Fragen gegeben."

„Es hat dir nicht weiter geholfen oder?" Harry starrte auf seinen Teller, auf dem heute ausnahmsweise kein zerfleischter Toast lag. Statt dessen war er angebissen.

„Doch… ich glaube schon. Auch wenn ich noch nicht weiß, was ich damit anfangen soll."

„Warum hast du ihn zerschlagen?" Harry atmete tief durch.

„Weil ich das nicht bin in diesem Spiegel… egal, welche Tricks ich versuche." Einen Augenblick später saß Draco der Harry gegenüber, der er vor zwei Jahren gewesen war und sah ihn aus funkelnd, grünen Augen an. Er spürte, wie diesmal ihm das Blut in die Wangen stieg, denn er erinnerte sich an diesen Harry. Er hatte ihn dabei beobachtet, wie er mit Cho Chang rumgeknutscht hatte.

„Wünschst du es dir zurück?" Etwas zwang Draco diese Frage zu stellen, denn dieser Harry hatte es definitiv leichter gehabt.

„Eher nicht…", entgegnete er wieder einmal nüchtern und emotionslos. „Es zeigt mir genauso wenig, wer ich bin wie das, was ich im Spiegel sehe, wenn ich all meine Illusionen fallen lasse." Genau das tat er in diesem Moment auch und sein Blick war traurig, als er Dracos begegnete. Dieser schwieg, doch er fasste nach Harrys Hand und schenkte ihm ein kleines Lächeln, als er den Druck seiner Finger erwiderte und dann die Hand wegnahm, bevor die Küchentür aufging und Sirius erschien.

„Wie geht es ihm?" Sirius starrte auf die Tür, die gerade hinter Harry zugefallen war. Er war noch eine Weile bei ihnen sitzen geblieben und hatte sogar noch einen weiteren Bissen von seinem Toast genommen. Draco funkelte seinen Stiefvater in Spe von der Seite an. Wieso fragten eigentlich immer alle ihn, wie es Harry ging? Konnte Sirius ihn das nicht selber fragen? Dieser hatte seinen finstern Blick gar nicht mitbekommen und starrte noch immer die Tür an. „Sah fast ein klein wenig besser aus. Ist zumindest mein Eindruck", fuhr er fort und Draco entschied sich dagegen eine Diskussion vom Zaun zu brechen. Davon hatte er im Moment genügend.

„Er hat geschlafen…deswegen", beantwortete er Sirius Frage und dieser atmete tief durch.

„Ein Anfang… oder?"

„Vielleicht…" Draco würde Sirius keine Hoffnungen machen, die es noch lange nicht gab. Er war sicher, dass Harry nur wegen seiner Urgroßmutter geschlafen hatte, egal, wie das funktionierte. Und er war sich ziemlich sicher, einen winzigen Einblick in Harrys Problem bekommen zu haben. Es machte ihn nicht wirklich zuversichtlicher. Harry wusste nicht mehr, wer er war. Es schien, als sei die Beziehung zwischen ihnen das einzige, das er wirklich definieren konnte und offensichtlich auch wollte. Was aber würde passieren, wenn das nicht mehr zu der Person passte, die er am Ende seines Weges fand?

Draco spürte, dass ihm das Angst machte. Mehr Angst als alles andere, dass er bis jetzt mit Harry durchgemacht hatte, und er wusste, dass er keinen Einfluss darauf haben würde.

Diesen Weg konnte Harry nur ganz allein gehen. Das hatte er klargestellt.

Zu seiner Überraschung fand er Harry zwei Stunden später in seinen Räumen vor. Er lag auf dem Bett und sah ihm entgegen, als Draco den Raum betrat.

„Was hat sie vor, dass sie dich zurückgelassen hat?", fragte Harry, als er sich mit einem amüsierten Grinsen neben ihm auf dem Bett ausstreckte.

„Woher willst du wissen, dass sie mich zurückgelassen hat?"

„Weil du ansonsten glaube ich nicht hier wärst…" Draco stützte den Kopf auf und fixierte Harry mit einem aufmerksamen Blick und einem wissenden Lächeln auf den Lippen.

„Warum bist du hier, Harry?" Harry beugte sich zu ihm und küsste ihn, bevor er murmelte,

„Ich mag im Moment nicht hier schlafen. Das heißt aber nicht, dass mir das gefällt." Draco schob ihn auf den Rücken und rutscht auf ihn.

„So… es gefällt dir also nicht, allein zu schlafen?"

„Nein…tut's nicht… und außerdem steht ich drauf, wenn du mich von der Realität ablenkst…"

„Nichts lieber als das…" und damit senkte er den Kopf und führte fort, was Harry angefangen hatte.

xox

Am Spätnachmittag stand Harry dann wieder einmal vor der Tür zu Nathalie Bonacures Salon um eine Erklärung dafür zu finden, warum er einzig in diesem Raum schlafen konnte ohne zu träumen. Schlaf war auch der Grund, warum er Draco allein zurückgelassen hatte. Sein Geliebter war vor nicht allzu langer Zeit eingeschlafen und schlafen war etwas, was Harry in Dracos Nähe garantiert nicht tun würde. Stattdessen hatte er ihm eine Nachricht hinterlassen wo er war und vermutlich würde Draco glauben, er schliefe, doch das hatte er diesmal nicht vor. Er musste dieser Sache auf den Grund gehen, denn immerhin bestand die Chance, dass ihn dass endlich in seinem Kampf mit seinen Erinnerungen, die er noch immer störrisch verdrängte, weiterhelfen.

Inzwischen wusste er alles, was Draco ihm über seine Urgroßmutter hatte sagen können und er wusste auch, warum er in diesem Raum seine Ruhe hatte. Draco hatte ihm erzählt, wo er ihn in der Nacht gefunden hatte und nebenbei auch gleich seine Verblüffung darüber geäußert, dass sie ihn nicht aus dem Salon jagte; ihn im Gegenteil allem Anschein nach beschützte.

Auch dafür hatte Harry keine Erklärung. Sie ließ ihn schlafen. Da war er fast sicher, auch wenn er keine Ahnung hatte, wie sie das anstellte. Immerhin war sie nur ein Portrait. Er hatte jedoch die feste Absicht der Sache auf den Grund zu gehen.

Es war dämmrig ihm Raum. Das Wetter war heute nicht besonders und dank der Wolken und des Regens war es den ganzen Tag nicht richtig hell geworden. Harry entzündete die Kerzen und den Kamin, denn es war auch nicht sonderlich warm im Raum und er ahnte, warum Draco ihm in der Nacht eine Decke verpasst hatte. Dann baute er sich vor dem Portrait auf und starrte Nathalie Bonacure unverwandt an. Sie ignorierte ihn. Warum sie das manchmal tat wusste er nicht, doch heute gefiel es ihm nicht. Er war entschlossen, dieser Sache auf den Grund zu gehen und mit einem Wisch seiner Rechten jagte er alle Analysezauber über das Portrait.

Es war nur ein einfaches, magisches Portrait. Das war das einzige Ergebnis, das er bekam, doch er hatte den Eindruck, als habe sich ihr Mundwinkel ein wenig gehoben. Er ahnte, dass es nur einen Weg gab,

„Okay!… WIE-SO?… Wieso kann ich schlafen ohne zu träumen, wenn ich in diesem Zimmer bin?" Er wusste nicht, ob sie überhaupt ein Wort verstand. Immerhin war sie Französin. Doch es war ihm egal. Er würde nicht aufgeben, denn es war der erste Hoffnungsschimmer, den er seit Wochen hatte. Sie zeigte keine Reaktion, starrte nur aus dem Fenster, die Linke auf der Kristallkugel, die Harry im Original an exakt dem selben Platz sehen konnte, an dem sie auf dem Bild war; auf der Kommode unter dem Fenster, wo sie den ganzen Tag im Licht funkelte, wenn es nicht gerade regnete.

Ihm fiel ein, was er vor ein paar Wochen bei Professor Trelawney in einer ähnlichen Kugel gesehen hatte und was die Lehrerin nach dieser Stunde zu ihm gesagt hatte: ‚So lange Sie Angst haben sich zu erinnern, Mister Potter, werden Sie sich auch nicht erinnern'

Sie war von diesem letzten Todesserüberfall auf Hogwarts widerlegt worden, doch Harry war sich beinahe sicher, dass sie ausnahmsweise einmal gewusst hatte, wovon sie redete, denn er hatte zwar nichts gesehen, doch er hatte seine grenzenlose Angst gespürt, als er die Kristallkugel berührt hatte – und er hatte den Schutz erahnt, den ihm der schwarze Stoff gewährt hatte. Er war sich inzwischen ziemlich sicher, dass er symbolisch für Dracos Winterumhang stand, der das einzige gewesen war, das ihm in den düsteren Monaten auf der Jagd nach Voldemort ein Gefühl von Geborgenheit vermittelt hatte.

Was würde er wohl sehen, wenn er jetzt einen Blick hinein tat?

Schon in dem Moment, als ihm diese Frage in den Kopf schoss, wusste er, dass er es tun würde, egal, was es bedeutete. Alles war besser als diese Hilflosigkeit, die er im Moment verspürte. Zögernd hob er die Hand, sich nicht einmal bewusst, dass Nathalie Bonacure ihn nun aus ihrem Bild heraus mit äußerst kritischem Blick fixiert hatte und ihr gar nicht zu gefallen schien, was er tat. Einen Moment lang hielt er noch inne, doch dann legte er seine Hand auf das kühle Kristall der Kugel.

Bilder explodierten in seinem Kopf, so schnell und intensiv, dass er nicht wirklich folgen konnte und begannen um ihn herum zu wirbeln – die Bilder aus seinen Alpträumen. Harry schnappte nach Luft, doch er hielt die Augen geschlossen und versuchte der Angst stand zu halten. Die Ereignisse aus den letzten Wochen und Monaten rasten an seinem inneren Auge vorbei und zogen wie in ein Wirbelsturm immer schnellere Kreise. Quidditch, Durmstrang, Ron, Helsinki, das Ministerium, Voldemorts Massaker, Immanuels Experimente, sein Angriff auf Hermione, der Vampirlord und die Bergkobolde mit dem lila Blut, Draco auf den Stufen von Hogwarts um ihn zu vernichten, die massakrierten Kinder in Beauxbaton, Hogsmeade, Dracos Judaskuss, Voldemorts Folter im Gryffindorturm, Terrence Goyle und der Tod von Gregs Mutter…

Harry spürte, dass Tränen in Strömen über sein Gesicht rannen und er war schon lang unerträglich, doch er blieb wo er war. Die Bilder wurden massiver, echter, beinahe greifbar und dazwischen erschienen dunkle Sturmwolken. Er konnte Dracos Lippen beinahe spüren, bevor der Cruciatus kam. Lichtblitze blendeten Harry in seinem eigenen Verstand. Er sah den Vampir mit Dracos Gesicht in Flammen aufgehen und spürte das Feuer von Ignis expurigo. ‚Ich muss ihn töten' donnerte es in seinem Kopf und er sah den Moment, als er seinen Zauberstab auf Draco richten, doch das gab ihm den Rest und sein Verstand gab auf. (Tides of change – Bill Connors) Die Beine sackten unter ihm weg, er brach bewusstlos zusammen und seine Hand glitt endlich von der Kristallkugel, die ihm einen ungefilterten Einblick in seine gebrochene Seele gegeben hatte.

Das Türschloss klickte, als es den Zugang versperrte und zog den Blick der Frau auf dem Portrait auf sich, weg von der gebrochenen Gestalt am Boden vor dem Fenster. Die grenzenlose Magie Harrys hatte das Kommando übernommen und es gab kein Zurück mehr.

Als Harry wieder zu sich kam, war er von Panik und Angst erfüllt und so wach, wie schon lange nicht mehr. Er rutschte rückwärts über den Teppich von der Kristallkugel weg, bis er mit dem Rücken gegen einen der zierlichen Sessel stieß, den Blick auf das Folterinstrument gerichtet, dem er sich ausgesetzt hatte. Er atmete schwer und konnte die Qual die, die Bilder ausgelöst hatten noch immer spüren. Erneut sah er den Vampir mit Dracos Gesicht vor sich in Flammen aufgehen.

„Ess warr zu frü'… Du warst noch niescht so weit…"

Nathalie Bonacures Sprechweise erinnerte ihn erschreckend an Fleur.

„Was tut dieses Ding?", stieß er keuchend hervor, nicht im Geringsten überrascht, dass sie nun plötzlich mit ihm redete.

„Coinneal zeigt dier deine Seele… Du 'ättest me'rr Zeit und me'rr Kraft gebraucht…Du warst noch niescht so weit."

Harry fixierte das Portrait. Die Panik ebbte langsam ab und sein ursprüngliches Ziel rutschte wieder in seinen Fokus. Er wollte antworten und offenbar war sie jetzt bereit zu reden auch wenn er dem Sinneswandel noch nicht folgen konnte.

„Woher weißt du das?"

„Diese Kriestallkugel iest aus reinem Bergkristall. Sie iest geschaffen alles Negative in diesem Raum in siesch aufzune'mmen und zu reinigen."

„Sie… sie hat meine Alpträume aufgenommen weil sie die Atmosphäre gestört haben… Es tut mir leid", fiel er automatisch in ein wohlbekanntes Verhaltensmuster zurück; alle Schuld bei sich selbst zu suchen.

„Es tut DIER leid?" Offene Empörung schwang in Nathalie Bonacures Stimme mit, „Es sollte jenen leidtun, die dier das angetan 'aben. Du biest ein 'albes Kiend…und diese Kristallkugel wartet schon seit me'rr als ein'undert Jahren auf einen neuen Meister…iesch bin se'rr froh, dass du 'ier 'err gekommen biest… iesch 'abe nie ein Wesen gese'en, das die 'ilfe von Coinneal me'rr gebraucht 'at, als du…"

„Coinneal?"

„Das iest iehr Name…der Name der Kriestallkugel. Sie iest seit ze'nn Generationen ien meiner Familie und nun ge'ört sie dier."

„WAS?" Harry spürte, dass er erneut von Panik ergriffen wurde. Er wollte keine Kristallkugel, egal, wie ihr Name war.

„Iehr Name bedeutet Liescht…und sie 'at diesch erwä'llt. Iesch weiß, dass sie diesch se'en lassen 'at…Iesch 'abe es gese'en."

Eine halbe Stunde später saß Harry wieder einmal in der Küche und schaufelte ohne zu denken Nierenpastete in sich hinein. Er wusste, dass er Nathalie Bonacure vor den Kopf gestoßen hatte, als er aus dem Salon gestürmt war, doch es war ihm gleich. Was geschehen war, hatte ihn aufgewühlt und für den Moment vollkommen überfordert. Er hatte die Panik unter Kontrolle bekommen, doch zur Ruhe kam er nicht. Er war von dem, was passiert war, so abgelenkt, dass er nicht einmal realisierte, dass er aß; wirklich aß.

Das war es jedoch, was die Hauselfen begriffen und sie beeilten sich, ihn nicht ohne Essen dasitzen zu lassen, denn inzwischen wusste jeder im Hause Malfoy, dass es absoluten Vorrang hatte für Harry Potters wohl zu sorgen und so kam es, dass nach der Nierenpastete Apfelkuchen aufgetischt wurde, den er ebenfalls aß und Tibby ihm auch noch eine große Schüssel Karamellpudding hinstellte. Das war dann zwar zu viel des Guten, doch er hatte an diesem Spätnachmittag mehr gegessen, als in den letzten zwei Wochen und so waren die Hauselfen zufrieden.

Weniger glücklich waren sie über den Umstand, dass nur Augenblicke später Fleur Delacour hereinschneite und Harry effektiv vom Essen ablenkte.

„Harry, mon cherie, man sieht diesch ja kaum! Wie ge'tt es dier… und versuch gar niescht erst, miesch anzulügen… Iesch kann dursch all deine Illusionen 'indurschse'en." Sie beugte sich zu ihm und presste ihm links und rechts einen Kuss auf die Wangen."

„Das hab ich fast befürchtet. Im Moment ist es nicht besonders toll", gab Harry offen zu.

„Immer'in 'ast du ja offensieschtlich gegessen."

„Das hat mich selbst überrascht… aber ich glaube es schadet nicht, wenn ich ein bisschen mehr esse."

„Wo'll wa'rr. Iesch 'abe diesch gesucht. Vielleischt 'at Draco dier ja gesagt, dass Gabrielle und iesch 'eute deine Freundin Miss Granger besucht 'aben?"

Das hatte Draco tatsächlich getan, auch wenn er ihn ganz schnell wieder davon abgelenkt hatte und die Erinnerung erst gerade eben von Fleur wieder aufgefrischt worden war. Gedankenverloren starrte er die Tischplatte an, denn er wusste sehr wohl, dass er seine Umwelt in den letzten Wochen schwer vernachlässigt hatte. Draco und Sirius waren in seiner Nähe und wussten immer ungefähr, wie es ihm ging. Severus ließ sich nicht abwimmeln, doch Hermione hatte nicht einmal eine Möglichkeit ihn zu erreichen, denn Severus' Signatur hatte er neutralisiert und er war noch immer von seinem Reducio Veritae Persona verborgen. Die Tatsachen sorgten augenblicklich für ein schlechtes Gewissen bei ihm.

„Wie geht es ihr?", fragte er leise ohne aufzusehen.

Er hatte Hermiones Leben ins Chaos gestürzt. Dessen war er sich bewusst. Doch im Moment konnte er sich damit nicht auch noch auseinandersetzen.

Fleur schob einen dicken Pergamentumschlag über den Tisch.

„Der iest für diesch. Sie bittet disch mal zurückzuschreiben, obwohl sie es auch verste't wenn niescht. Ich glaube sie weiß recht gut, wie es dier ge'tt und iesch denke isch konnte sie auch ein wenig beru'igen."

„Danke, Fleur."

„Keine Ursache, 'arry. Für diesch immer…Isch wünschte… isch wünschte wirklisch, iesch könnte dir me'rr 'elfen. Aber Draco 'at mier in aller Deutlieschkeit klar gemacht, dass das wo'll keiner von uns kann. Das fällt gerade ihm ziemliesch schwer, aber iesch 'abe iehn inzwieschen ganz gut unter Kontrolle. Also musst du keine Angst 'aben, dass err wieder zur Nanny wird…" Harry war selbst überrascht, dass er bei dieser Bemerkung einen Hauch Amüsement verspürte und er war fast sicher, dass Fleur ihm das ansehen konnte.

„Sollte das ein Läscheln werden?", fragte sie mit geschürzten Lippen nach.

„Fast…", gab Harry zu und diesmal schenkte er ihr ein schwaches Lächeln. „Danke…"

„Noch einmal: Keine Ursache… und glaub mier, es giebt niescht viel, was ich niescht für diesch tun würde", erwiderte sie, diesmal mit einem strahlenden Lächeln. „Ich überlasse diesch deinem Nachtisch… und sorge dafür, dass Draco weiter unter Kontrolle bleibt. Iesch glaube 'eute Abend werde iesch ihn zwiengen mit uns ins Musical zu ge'en…" Noch einmal gab sie ihm einen Kuss auf die Wange, bevor sie sich erhob und die Küche verließ. Harry stellte fest, dass er beinahe ein wenig Mitleid mit Draco empfand.

Dann fiel sein Blick auf Hermiones Brief. In einer Ecke seines Verstandes wollte er ihn sofort lesen, wissen, wie es ihr ging, ihre Sorgen beruhigen, doch er wusste, dass das ein Fehler war. Alles in seinem Verstand sagte ihm, dass er heute zum ersten Mal einen Schritt in die richtige Richtung gemacht hatte und es wäre nicht gut, sich jetzt ablenken zu lassen.

Er stand auf, bedankte sich bei den Hauselfen, die sich inzwischen nicht mehr vor Peinlichkeit wanden, wenn er das tat und verließ die Küche, entschlossen sich auf die Suche nach Hedwig zu machen. Er würde Hermione eine Nachricht schicken und sie um ein wenig mehr Zeit bitten. Wenigstens das hatte sie verdient.

„Wo treibt sich eigentlich Harry die ganze Zeit herum?" Seit Draco Harry in Nathalie Bonacures Salon gefunden hatte war eine Woche vergangen. Fleur und Gabrielle waren wieder abgereist und Draco war wieder sich selbst überlassen. Darum war er nicht wirklich böse, dass ihm seine Mutter heute offenbar beim Frühstück Gesellschaft leisten wollte.

„Wenn ich dir das sage, wirst du es mir nicht glauben."

„Versuche es", entgegnete sie mit einem leisen Lachen.

„Von dem ausgehend, was er die ganze Woche über getan hat, würde ich sagen, er ist wie immer im Salon der bösen Hexe." Diese Aussage sorgte dann doch für Verblüffung.

„Er ist bei deiner Urgroßmutter?", stieß Narcissa überrascht hervor und sah ihn überrascht an. Die Antwort kam jedoch aus vollkommen anderer Richtung.

„Nein, bin ich nicht…" Harry kam zur Tür herein. „Guten Morgen…" Er schenkte Draco ein schwaches Lächeln, als er sich zu dessen Linken an den Tisch setzte und wie aus dem Nichts ein Gedeck für ihn erschien, inklusive einer Tasse dampfenden Tees.

„Hallo Harry." Narcissa fing sich schnell und erwiderte Harrys Begrüßung. Draco funkelte ihn an.

„Hey… was verschafft uns die Ehre?

„Ich hab gut geschlafen…", Harry ließ sich von Dracos leicht gereiztem Ton nicht aus der Ruhe bringen und nahm sich Rührei und Würstchen. Dabei bemerkte er weder Dracos noch Narcissas verblüfften Blick, bevor die beiden einander ansahen.

„In diesem Sessel?... Das ist nichts Neues…", stichelte Draco vorsichtig weiter und ließ ihn nicht aus den Augen.

„In meinem Bett… nicht in DIESEM Sessel, wie du dich so nett ausdrückst…" Das sorgte endgültig für Verblüffung bei den beiden Malfoys und Draco machte schon den Mund auf um Harrys Aussage genauer zu hinterfragen, doch dann sah er aus dem Augenwinkel seine Mutter warnend den Kopf schütteln.

„Das hört man doch gern, Harry", meinte sie und Harrys Wangen färbten sich rosa, als er kurz von seinem Frühstück aufsah und ihr ein Lächeln schenkte.

„Wo steckt eigentlich Sirius", fragte er unvermittelt.

„Er hatte heute sehr früh eine Anhörung im Ministerium wegen seiner Rehabilitation und später hat er noch einen Termin wegen seines Erbes… Er ist der letzte Black Nachfahre in direkter Linie… Es sollte eigentlich keine weiteren Probleme geben. Soweit ich weiß hat ihn sein Vater wieder als Alleinerbe eingesetzt, nachdem sein Bruder starb." Das zog Harrys volle Aufmerksamkeit auf sich.

„Was würde das bedeuten?"

„Das er bald ein sehr reicher und vermutlich auch einflussreicher Mann sein wird. Immerhin hat er auf Seiten des Widerstandes gekämpft", antwortete Draco und konnte sehen, dass das Harry vollkommen überraschte. „Wusstest du nicht, dass seine Familie zu den ältesten rein magischen Familien Englands gehörte?"

„Woher sollte ich das wissen?… Ich hab ihn bis vor fünf Wochen ganze dreimal gesehen. Am Ende des dritten Schuljahres, während des Trimagischen Turniers und nach Voldemorts Rückkehr im Krankenflügel in Hogwarts." Draco schaffte es nicht, seine schockierte Verblüffung angesichts dieser Fakten zu verbergen und sah beinahe hilflos zu seiner Mutter. Ihr war jedoch nichts anzusehen und er begriff, dass sie das alles wohl schon gewusst hatte.

„Harry…", begann sie leise und Draco war sicher, dass sie für Sirius in die Bresche springen wollte, doch Harry stoppte sie und Draco war noch ein wenig schockierter bei dem was er dann sagte, denn es gab keinen Zweifel, dass er es vollkommen ernst meinte,

„Das ist okay… war…okay. Was hätte er denn tun sollen? Und mich hat er schon glücklich gemacht, als er mir nach diese Geschichte am Ende des dritten Schuljahres angeboten hat bei ihm zu leben. Es war nicht seine Schuld dass Pettigrew abhauen konnte und nichts daraus geworden ist." Es brachte Harry vollkommen aus dem Konzept, als Narcissa plötzlich neben seinem Stuhl stand, ihn auf die Beine zog und fest in die Arme nahm,

„Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie viel diese Worte Sirius bedeuten werden, meine Junge. Du bist wirklich was ganz besonderes." Offensichtlich vollkommen überwältigt presste Narcissa Harry einen Kuss auf die Stirn, trat dann einen Schritt zurück und rauschte einen Moment später zweifellos mit Tränen in den Augen aus dem Raum.

Harry sah ihr vollkommen verdattert nach.

„Du bist echt unglaublich. Weißt du das?" Draco sah ihn an, mit einem undefinierbaren Lächeln auf den Lippen.

„Was hab ich denn getan…?"

Draco sah in diese grünen Augen, die ihm schon eine ganze Weile alles bedeuteten und ahnte, dass Harry es wieder einmal nicht sehen konnte. Er griff nach seinen Händen und zog ihn zu sich, als er aufstand.

„Du hast Black von seiner Schuld freigesprochen…"

„Er stand nie in meiner Schuld…"

„Das glaubst du… und ICH weiß, dass du es auch so empfindest. Du bist eben so. Aber Black macht sich wegen all dem schon seit Wochen fertig und Mum weiß das. Darum der Gefühlsausbruch… Hast du es nur immer noch nicht begriffen?"

„Sie sind…sie sind doch nicht etwa…?" Harrys gerunzelte Stirn sagte alles und das brachte nun doch ein breites Grinsen auf Dracos Lippen.

„Oh doch, Harry…sind sie. So wie das aussieht wird dein Pate wohl irgendwann in nicht allzu ferner Zukunft mein Stiefvater… aber das interessiert mich im Augenblick weniger." Draco umschlang ihn fest mit den Armen und war einen Augenblick später mit ihm disappariert. „Ich will vielmehr wissen, was mit dir los ist. Ich mag was ich sehe…", setzte er seinen Satz fort, als sie aufeinander in Dracos Bett gelandet waren.

„Ein paar Tage noch, Draco, okay?"

„So viel Zeit, wie du brauchst… das ist so abgemacht… Aber ein paar Minuten, wirst du doch für mich übrig haben…?" Dracos Lippen wanderten langsam von seinen Lippen zu seiner Kehle hinunter.

„Die paar Minuten, bis Severus auftaucht?", kam es unschuldig von Harry und Draco fühlte sich, als habe jemand einen Eimer kaltes Wasser über ihm ausgeleert, als sein Kopf hochnippte und er ihn schockiert anstarrte.

„Nicht dein Ernst oder?" Sein Gegenüber hatte die Frechheit zu Grinsen,

„Nein, aber ich bin um 11Uhr mit ihm in Hogwarts verabredet. Du hast also noch ein paar Minuten."

Der Knuff in die Seite, den er Harry daraufhin verpasste, war alles andere als zärtlicher Natur, doch der Kuss, der dann folgte, ging schon eher wieder in die richtige Richtung.

„Doch… mir gefällt wirklich, was ich sehe. Daran könnte ich mich glatt gewöhnen…", murmelte er wenig später noch einmal bevor Harry ihn grimmig anfunkelte und seinen klaren Gedanken dann nachdrücklich ein Ende setzte.

xox

„Was zu Teufel willst du mit dem Ding?"

Harry war vor wenigen Minuten in Severus Snapes Büro in den Kerkern von Hogwarts erschienen und dieser war positiv von dem überrascht, was er sah. Der Junge sah um Längen besser aus, als vor ein paar Tagen, etwas, dass er nicht wirklich erwartet hatte, nachdem er darauf bestanden hatte, nach Malfoy Manor zurück zu kehren – entgegen Severus' Rat. Er war der Meinung, Harry brauchte noch ein wenig mehr Zeit, zur Ruhe zukommen, doch offenbar hatte er falsch gelegen. Im Gegenteil schien er sich mit Nachdruck daran gemacht zu haben, sein Leben in den Griff zu kriegen und es schien sich tatsächlich zu bestätigen, was Severus fast geahnt hatte. Nur Harry selbst konnte es schaffen, sich von seinen Dämonen zu befreien. Der Gedanke hatte ihm Sorgen bereitet, doch es sah ganz so aus, als habe er einen Weg gefunden. Was er dabei allerdings mit Dumbledores Denkarium wollte, war Severus nicht ganz klar. Er fand es nur bezeichnend, dass Harry sich nicht selbst mit Dumbledore auseinandersetzen wollen hatte. Offenbar war er nicht gut auf den Schulleiter zu sprechen.

„Ich komme ziemlich weit was meine Erinnerungen angeht, doch mir fehlt die Möglichkeit, das Ganze als Außenstehender zu betrachten", erklärte sein Schützling gerade und starrte dabei die steinerne Schale an, die Severus zwischen ihnen auf seinem Schreibtisch platziert hatte.

„Er will das Ding wieder haben. Das ist dir hoffentlich klar…"

„Ich habe eine ungefähre Ahnung, wie das Denkarium funktioniert. Ich muss es nur noch genau analysieren um mein eigenes anfertigen zu können", fuhr Harry fort und berührte den steinernen Rand mit dem Zauberstab. Severus schürzte die Lippen um sich das schwache Lächeln zu verbeißen, das an seine Lippen kräuseln wollte. „Es würde dir nicht schaden, wenn du tatsächlich mal ein Lächeln zu Stande bringen würdest", kam es da von Harry und augenblicklich wurde seine Miene düster, als er Harry daraufhin jedoch schwach grinsen sah, schnaubte er trocken,

„Das wäre ja noch schöner…"

Daraufhin grinste Harry richtig.

Es war später Nachmittag, als er wieder in Nathalie Bonacures Salon auftauchte. Der Raum hatte sich ein wenig verändert. Harry hatte die Möbel neu arrangiert und sich damit für eine Weile den Zorn des Portraits zugezogen. Es hatte nicht lange gedauert, bis er nach seinem ersten Zusammenstoß mit Coinneal wieder in diesen Raum gekommen war, denn den Fakt, dass etwas in Bewegung geraten war hatte er nicht lange ignorieren können.

Nathalie Bonacure war zweifellos nicht überrascht gewesen, auch wenn sie ihn erst einmal wieder wie Luft behandelt hatte. Harry war es gleich gewesen. Etwas sagte ihm, dass die Bilder in dieser Kristallkugel der Schlüssel waren, wenn er sie nur geordnet bekam und so versuchte er es immer und immer wieder, doch jedes Mal war er von Neuem an die Grenzen des erträglichen gestoßen und zusammengeklappt. Am dritten Tag hatte sie dann begonnen ihn anzuleiten. Da hatte er begriffen, worum es ging.

Was er sah, wenn er die Kristallkugel berührte, war seine Seele, sein gesamtes Sein – das Chaos und die Qual in dieser Kugel, das war er.

Ein Wirrwarr aus Bruchstücken von Ereignissen, von den Dingen, die er getan hatte, von dem, was er sich gewünscht hatte, was ihm angetan worden war, was er anderen angetan hatte und von Zauberkraft, die er nicht begreifen konnte; von Verletzungen und von verletzt werden, Wut, Hoffnung, Qual und Liebe. Doch über allem stand die Angst, die Angst vor dem, zu was er fähig war, was er sein konnte und was er schon gewesen war.

Es war diese Angst, die ihn immer wieder in die Bewusstlosigkeit schickte, die es ihm unmöglich machte wirklich vollkommen durch diese Erinnerungen bis auf den Grund seines Seins vorzudringen. Nathalie hatte ihm gezeigt, wie er an diesen vordergründigen Schatten vorbei kam und das Ende des Chaos erreichte und es hatte Harry schlussendlich nur begrenzt überrascht, dass in Mitten der Hölle zu der sein Leben geworden war ein weinender, kleiner Junge saß, der alles verloren hatte.

Doch nachdem er diesen kleinen Harry endlich gefunden hatte und ihn bei der Hand nehmen konnte, war er in der Lage gewesen, seine Schritte mit unschuldigen Augen zu betrachten, er sah, wie er zu dem Harry wurde, der mit elf nach Hogwarts kam, sah wie er dort endlich Freunde fand und schaute zu wie er entschied den Stein der Wissen zu retten, Ginny aus der Kammer Schreckens zu befreien und Sirius und Seidenschnabel vor dem sicheren Tod zu bewahren. Er sah sich im Trimagischen Turnier schier unlösbaren Aufgaben gegenüber, sah Cedric sterben und Voldemort zurückkehren. Und er sah den Hass, den er zu Beginn des fünften Schuljahres für Draco empfunden hatte, spürte überdeutlich wie es dazu kommen konnte, genau, wie er später spürte, dass er den Blonden retten musste.

Bis dahin war es erträglich gewesen, doch was dann kam, war die Hölle. Schritt für Schritt ging er weiter und sah zu, wie er aus einem fünfzehnjährigen Zauberschüler einen Schwarzmagier machte, der seinesgleichen suchte und dem am Ende nicht einmal Voldemort gewachsen gewesen war. Die ganze Zeit konnte er imaginäre Tränen auf seinen Wangen spüren, die er für seine verlorene Unschuld vergoss und war sich erst viel später bewusst geworden, dass sie auch in Wirklichkeit über sein Gesicht geronnen waren. So wie er sich auch erst am Ende dieses dunklen Weges bewusst wurde, dass der kleine Harry noch immer an seiner Seite war und inzwischen ihn führte, anstatt von ihm geführt zu werden.

Harry hatte losgelassen und war ins Bewusstsein zurückgestolpert, den Blick fragend auf das Portrait gerichtet, doch die Frau darauf hatte sich von ihm abgewendet und sah aus dem Fenster. Dass sie dabei gelächelt hatte, war ihm zu diesem Zeitpunkt gar nicht aufgefallen, doch es war die erste Nacht gewesen, in der er in seinem eigenen Bett zumindest für eine ganze Weile geschlafen hatte ohne zu träumen.

Inzwischen war er diesen Weg schon einige Male gegangen und hatte immer neue Details entdeckt, genug, um inzwischen nach alternativen Lösungen zu suchen, doch bis jetzt hatte er nicht eine gefunden – darum das Denkarium. Er brauchte einen unverschleierten Blick auf diese Erinnerungen, denn inzwischen fragte er sich, ob der kleine, unschuldige Harry, den er Tief im Chaos seiner Seele gefunden hatte, nicht vielleicht seinen Blick trübte. Er hatte Nathalie Bonacure nicht danach gefragt, denn er wusste, dass sie den klaren Blick ihrer Kristallkugel niemals anzweifeln würde und war entschlossen, sich ein unabhängiges Abbild seiner Erinnerungen zu schaffen.

„Was 'ast du vor?" Nathalie beäugte von ihrem Portrait aus das Denkarium, das er auf dem Tisch abgestellt hatte.

„Ich mache eine letze Analyse bevor ich beginne meinen eigenen Erinnerungssammler anzufertigen…", antwortete Harry geistesabwesend.

„Err'innerungssammler?" Er lächelte schwach und verpasste wieder einmal ihr zufriedenes Lächeln.

„Ich werde ein Abbild dieser furchtbaren Monate in einem Denkarium sammeln."

„Warum?"

„Ich muss es sehen… als Beobachter."

„'ast du noch niescht genug beobachtet? 'ast du noch iemmer niescht begriff'en, dass es keine Alternativen gab?"

Harry warf ihr einen schiefen Blick zu. Nicht zum ersten Mal fragte er sich, woher sie all das wusste. Hatte eine gewisse Ahnung, wusste jedoch nicht, ob das tatsächlich möglich war. Konnte die Magie der Kristallkugel tatsächlich so wie die Persönlichkeit eines Zauberers in einem Bild festgehalten sein?

„Woher weißt du das, Nathalie?"

„Was glaubst duu, wo'er iesch das weiß?", fragte sie ein wenig arrogant zurück.

„Die Kugel oder?", entgegnete er ohne sie anzusehen. „Wie zu Teufel hast du das hingekriegt?"

„Iesch war eine 'erausragende 'exe…"

„Ja…Draco hat schon so etwas angedeutet…"

„Err iest ungewönnliesch… dein Geliebter…" Diese Aussage überraschte Harry ein wenig und er fragte sich, wozu die Hexe in diesem Portrait wirklich fähig war.

„Warum und woher weißt du das?"

„Iesch weiß, dass sie alle denken, iesch bin immer 'ier in diesem Raum… aber iesch beobachte und bilde mier ein Urteil über jeden, der 'ier lebt… Und Draco iest ungewöhnliesch, weil er es tatsäschlich geschafft 'at, siesch aus dem dieschten Netz aus Konventionen zu befrei'en in dem er aufgewachsen iest. Sein Vater war ein Narr das niescht zu se'en und zu schätzen…"

„Schätze mal, der war zu sehr gefangen in dem Netz, das Voldemort gesponnen hatte…"

„Den Blödsinn mit dem reinen Blut? Das iest wahr, vor allem, weil er ja miesch in der Ahnenrei'e 'at…" Das entlockte Harry wieder einmal ein ehrliches Lächeln.

„Korrekt…" Auch Nathalie lächelte in ihrem Rahmen und sah ihn mit überraschend offensichtlichem Wohlwollen an.

„'arry, du brauchst kein weiteres Abbild deiner Er'inner'ungen. Duu kennst die Antwort, die duu suchst schon…"

Harrys Gesicht war ausdruckslos geworden und sein Ton flach. Er hatte geahnt, dass sie so dachte und er ahnte, dass sie dafür einen triftigen Grund hatte, doch er musste es selbst sehen, mit eigenen unvoreingenommenen Augen.

„Vielleicht… vielleicht auch nicht…Ich muss das tun… und danach kannst du mir sagen, warum du dir mit dieser Antwort so sicher bist…"

„Gut, gut… dann zeig mier eben noch ein wenig von deiner unglaublischen Zauber'ei… Es iest iemmer wieder eine Freude dier zuzuschau'en. Du biest definitiv ein würdiger Malfoy…" Auf diese letzte Bemerkung schnaubte Harry nur, dann knallte er mit dem Zauberstab auf den Tisch und ließ eine große Schale aus schwarzem Mamor auf dem Tisch erscheinen, bevor er begann, sich sein eigenes Denkarium zu kreieren.

„Hey, mein Junge, hast du wieder einmal das Abendessen verpasst?" Sirius schob sich auf den Platz gegenüber Harrys an dem Tisch in der Küche, wo ihm Curd gerade eine Portion Kalbspastete aufgetragen hatte. Es war nicht zu übersehen, dass er in düsterer Stimmung war und Sirius fragte sich, ob es eine gute Idee war, ihn heute hier abzupassen. Draco hatte erwähnt, dass er in den letzten Tagen wieder in schlechterer Stimmung gewesen war, obwohl das scheinbar seinem Appetit keinen Abbruch mehr tat, denn er aß vernünftig.

Er hatte Harry in den letzten Tagen kaum gesehen. Um genau zu sein, war er kaum in Malfoy Manor gewesen, denn die Dinge hatten sich für ihn in London ein wenig überschlagen. Völlig überraschend war er vom großen Zaubergamot ohne weitere Anhörungen und Verdächtigungen endgültig freigesprochen worden. Das Resultat davon war, dass er nun in der Pflicht stand, die Angelegenheiten seiner Familie zu regeln und da hatte sich über die Jahre einiges angesammelt, denn immerhin waren Vater und Mutter verstorben, als er im Gefängnis gesessen hatte. Die Liegenschaften der Familie waren über Jahre vernachlässigt worden, Gläubiger seines Vaters hatten innerhalb von Stunden mit ihren Forderungen vor seiner Tür gestanden, Gringotts hatte ihn mit Eulen bombardiert, dass der Familiennachlass am besten sofort geregelt werden musste, nachdem nun endlich ein rechtmäßiger Erbe da war und die erste Klage eines entfernten Verwandten hatte er auch schon am Hals. Sirius gab es nicht gern zu, aber er war im Moment vollkommen überfordert und dann kam da Narcissa und erzählte ihm, was Harry bei diesem denkwürdigen Frühstück gesagt hatte.

Er war in den nächsten Sessel gefallen und hatte erst einmal einen Feuerwhisky gebraucht. Manchmal wollte er den Jungen an den Schultern packen und durchschütteln. Er konnte einfach nicht fassen, dass er das einfach so abtat, dass er es hinnahm, im Stich gelassen worden zu sein, dass er immer mit allem allein klar kommen wollte und musste und genau das auch jetzt tat. Es hatte ein wenig gedauert, bis ihm klar geworden wurde, dass der Junge nun einmal so aufgewachsen war. Er hätte das ändern können, wenn er vor fünfzehn Jahren nicht blind seiner Wut und seinen Rachegedanken gefolgt und die Verantwortung übernommen hätte, die ihm als Pate und Vormund auferlegt waren, doch das hatte er nicht getan und so war Harry auf sich gestellt gewesen und seinen eigenen Weg gegangen. Was er da beim Frühstück gesagt hatte, war eigentlich nur der krönende Abschluss und Sirius wusste, dass er nur eine Wahl hatte mit diesem Thema umzugehen. Er musste es akzeptieren.

„Wie geht es dir, Junge?", fragte er gerade heraus, sich düster erinnernd, dass Snivellus mal erwähnt hatte, dass man Probleme mit Harry nur frontal angehen konnte. Zu seiner Überraschung antwortete ihm Harry tatsächlich ebenso direkt.

„Besser… auf jeden Fall um einiges besser. Ich würde nicht sagen, dass ich wieder der Alte bin. Der werde ich wohl nie mehr sein. Aber es geht mir besser. Wie geht es dir? Ich hab gehört, du versinkst ein wenig im Chaos…"

„Dieses Haus hat Ohren oder?"

„Zweifellos. Ich glaube die Portraits sind alle loyal, wenn man einmal von Nathalie absieht?"

„Die böse Hexe ist also wirklich deine neue, beste Freundin?"

Harry starrte auf seinen fast leeren Teller und Sirius setzte schon dazu an, sich zu entschuldigen, denn er plapperte nur nach, was ihm Narcissa über dieses Portrait erzählt hatte, doch seine Patensohn sprach, bevor er loslegen konnte.

„Ich weiß nicht, was alle mit ihr haben… Draco hat dasselbe gesagt, weißt du. Ich kann es nicht mit Sicherheit sagen, aber ich glaube mir hat sie das Leben gerettet. Ich weiß nicht warum, aber ich habe das Gefühl, sie mag mich, auch wenn ich keine Ahnung habe warum…"

Sirius starrte auf seinen gesenkten, schwarzen Haarschopf und hätte ihn am liebsten in seine Arme gezogen, denn auch wenn er keine wirkliche Ahnung davon hatte, was er durchgemacht hatte, wirklich durchgemacht hatte, wusste er, dass er die Wahrheit sagte. Dieses verrückte Portrait hatte dafür gesorgt, dass er sich mit den Geschehnissen auseinander setzte und es scheinbar auch schaffte, sie zu verarbeiten.

„Wirst du irgendwann darüber reden?", fragte er stattdessen.

„Im Moment würde ich sagen ‚Nein'. Aber vor einem Monat hätte ich auch nicht erwartet, dass ich jemals dahin komme, wo ich heute bin", murmelte er und hob den Kopf, ein schwaches Grinsen auf den Lippen. „Also…vielleicht irgendwann."

„Deine Eltern wären stolz auf dich…das ist dir hoffentlich klar… und damit meine ich nicht das, was du als Herr der Zeit getan hast."

„Ich bin noch lange nicht am Ziel, Sirius"

„Am Ziel vielleicht nicht… aber am Leben… und das reicht mir, denn ich weiß, dass du auch den Rest noch schaffen wirst. Du hast schon immer das unmögliche möglich gemacht." Ohne nachzudenken stand er auf und gab Harry einen flüchtigen Kuss auf den Scheitel, „Geh zu Bett, Junge, du hast noch einiges aufzuholen…Gute Nacht." Er konnte Harrys Blick auf seinen Rücken beinahe körperlich spüren, als er die Küche verließ.

Tbc

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