Die Zehn goldenen Regeln der Fan-Fiction-Schreiberei

1. Tolkien? Wer ist das?"

DAS ist die richtige Einstellung! Du brauchst Tolkiens Bücher nicht gelesen zu haben, ja du brauchst überhaupt nichts von Tolkien zu wissen! Es reicht, wenn du den Bakshi-Film kennst (ach nein, da warst du ja noch nicht geboren) - also, wenn du die Peter-Jackson-Filme gesehen hast. Damit bist du prädestiniert, Tolkien-Fan-Fiction zu schreiben!

Baue Nebenfiguren wie Haldir, über den man bei Tolkien so gut wie nichts erfährt, der aber im Film einfach süüüß aussieht (isser nich geil?), zu Hauptfiguren und zum Objekt deiner Begierde aus. Vernachlässige dagegen Figuren wie Tom B. oder Goldberry oder Radagast, die aus dem Film gestrichen wurden.

2. Verwende Alltagssprache!

Denn wahrlich! Voreilig wäre der Autor, der Mittelerde in würdigen, gemessenen Worten darstellte, der Ehrfurcht vor des großen Meisters Stil und Sprache empfände oder heute noch die Carroux-Übersetzung studierte!

Nee, du mußt Leggi un die andern so sprechen lassen wie du selba laberst! Wenn Haldir sich so ausdrückt wie du's auf'm Pausenhof hörst dann isses erst richtig geil. Sonst verstehts ja doch keina. Also keine Angst vorm Stiel! Wer in Deutsch ne vier oder bessa hat kann auch Legolas-Stories schreiben. Wolli Krege hat's vorgemacht: "G wie g...!"

Ach ja nochn Tip: Keine Kommas verwenden!

3. Benutze Mary Sues!

Alle Leserinnen LIEBEN Mary Sues. Ohne eine Mary Sue ist keine Legolas-Romanze vollständig. Such dir einen schönen Namen für sie aus (einen, den du selber gerne tragen würdest), beschreibe ihr Äußeres so, wie du selbst gern aussehen würdest (WUNDERSCHÖN natürlich), laß ein bißchen von dir in sie einfließen (ist sie vielleicht schüchtern oder vorlaut, fühlt sie sich unverstanden, bekommt sie keinen Freund?) und fertig ist die Standard-Durchschnitts-08/15-Mary Sue! Die mußt du jetzt nur noch nach Mittelerde transportieren, das geht leicht (schließlich schreiben wir ein Märchen) durch irgendeinen Unfall, eine Explosion im Chemieunterricht oder einfach nachts im Schlaf. "Und als sie erwachte, lag sie unter einem mächtigen Mallornbaum."

4. Verkindliche die Elben!

Sind Elben wirklich so ernsthafte, würdevolle Wesen, wie Tolkien uns glauben machen will? Nein, Elben müssen sich wie Kinder benehmen (und auch so sprechen; siehe oben), das ist doch klar! Verschwende keine Zeit damit, das Silmarillion und die HoME zu lesen, um wirklich etwas über Elben zu erfahren. Legolas ist doch so schnuckelig wie dein Schwarm aus der Parallelklasse, also wird er sich wohl so ähnlich verhalten. Auch wenn er Tausende von Jahren alt ist, er muß sich noch immer wie ein pubertierender Teenager benehmen.

5. Elben brauchen Sex!

Egal ob hetero oder schwul, Elben brauchen gaaanz viel Sex! Möglichst täglich und möglichst promiskuitiv.

Bei Tolkien werden Elben nahezu asketisch dargestellt. Das war ein Fehler, den du jetzt korrigieren kannst. lechz sabber stöhn Wie sehr du ins Detail gehst, ist dir überlassen. Wenn du 14 bist und noch nicht so viel Erfahrung hast, beschränkst du dich vielleicht auf romantische Umschreibungen. Wenn du erfahren genug bist, kannst du aus dem Vollen schöpfen. Deine Reviewerinnen werden das VERSCHLINGEN! - Fan-Fiction wird nicht umsonst mit "Fan-Fic" abgekürzt ...

6. Lords und Ladies, Prinzen und Prinzessinnen

So bescheuert es auf deutsch auch klingt, mache reichlichen Gebrauch von englischen Titeln wie "Lord Elrond" und "Lady Arwen", "Lord Haldir" und "Lady Galadriel", so als ob du zu dämlich wärst, eine Geschichte ohne Anglizismen zu fabrizieren. Deine Leserinnen - verwöhnt von unzähligen FanFics - erwarten es nicht anders. Sie wollen sich vorkommen wie in einem viktorianischen Kitschroman.

Da du dich sowieso nicht in Tolkiens Welt eindenken kannst, verwende ruhig auch unangebrachte Bezeichnungen: "General Haldir, Befehlshaber des Elbenheers" oder "Prinzessin Éowyn" sind keine Stilbrüche mehr, wenn sie zur Methode werden.

Bei den Hobbits darfst du Sam statt "Herr Frodo" auch "Chef" sagen lassen - aber in deinen Geschichten kommen sowieso kaum Hobbits vor, stimmts?

Tolkien wollte eine Mythologie erschaffen. Du kannst sie zur Kleinmädchen-Märchen-Romanze verkommen lassen. Huuii, Legolas ist doch ein Prinz, dann werde ich Prinzessin, wenn ich ihn heirate. Und später ist er König und ich Königin. Juhuu!

Immer daran denken: FanFiction schreiben ist in erster Linie Wunscherfüllung.

6b. Text in German, Titles in English. Yay!

All deine Lieblings-TV-Serien und Lieblingsfilme kommen aus den U.S.A. Deine Lieblingsmusik ist in englisch und auch einige deiner Lieblingsgedichte. Englisch ist ja soo trendy und genial. Du bist zwar nicht in der Lage, eine komplette Story in englisch zu schreiben, aber dafür kannst du wenigstens den Titel (und womöglich auch die Kapitelüberschriften) aus deinem Lieblingsgedicht oder aus irgendeinem aktuellen Song entlehnen, den in ein paar Monaten kein Mensch mehr kennt. Hier einige Beispiele:

Be Thou my Vision
Sweetest Poison
A Magic Meeting
Wicked Games
Over the Hills and far away
Unbreakable
Only Time
Where Evil Dwells

Klingt doch alles viel schöner und treffender als die deutschen Entsprechungen – wenigstens für dich. Du kannst auch keinerlei Unlogik darin entdecken, deutsche Geschichten mit englischen Titeln zu versehen – schließlich gibt's ja auch so viele englische Geschichten mit deutschen Titeln, nicht wahr ... und französische Geschichten mit norwegischen Titeln ... und marokkanische Geschichten mit japanischen Titeln ... und ... und ...

6c. Verwende "Disclaimer"

Ein Disclaimer ist eigentlich eine Ausschlußklausel für finanzielle Haftung (z.B. in AGBs) oder ein Rechtsverzicht / eine Verzichtleistung / eine Anspruchsaufgabe. In Fan-Fiction-Stories scheint der Begriff eine subtile Abwandlung erfahren zu haben: Es ist ein Gnadengesuch geworden. Es ist die Bitte an die Copyright-Inhaber, von einer rechtlichen Verfolgung der von der Autorin begangenen Urheberrechtsverletzung abzusehen. Eine solche Aussage hat keine juristische Wirkung, aber du mußt mit der Herde rennen und auch so einen Disclaimer haben.

7. Dynastische Verwicklungen

Bei Tolkien werden nur zwei Personen als Prinzen bezeichnet: Imrahil, Prinz von Dol Amroth (über den kaum jemand FanFics schreibt) und Faramir, der nach dem Ende des Ringkriegs den Titel "Prince of Ithilien" erhält. Das Wort "Prinzessin" kommt bei Tolkien überhaupt nicht vor.

Nirgends hat Tolkien erwähnt, ob Legolas Thranduils ältester Sohn ist, aber für die Fan-Fiction-Gemeinde ist es selbstverständlich, daß Legolas nicht nur ein "Prinz", sondern darüber hinaus "Thronfolger" ist. Das brauchst du für hirnlose Plots wie diesen: Legolas, "Prinz von Düsterwald", soll auf König Thranduils Geheiß eine Frau heiraten, die er nicht liebt und der große Krieger, der Orks mit bloßen Händen abschlachtet, traut sich nicht, gegenüber seinem Vater aufzumucken. Nach anfänglicher Abneigung verlieben sich die beiden schließlich doch, oder aber: Thranduil hat ein Einsehen und läßt Legolas die arme, bürgerliche, aber soo liebenswerte Mary Sue heiraten. Tolkiens sterbliche Hülle vollführt zwar rapide Rotationsbewegungen, während du das schreibst, aber deine übrigen Figuren sind sowieso alle OOC ("out of character"), so daß es darauf auch nicht mehr ankommt. Die Gebrüder Grimm würden sich jedenfalls freuen.

8. Slash

Wenn du davor zurückschreckst, selber (in Gestalt einer Mary Sue) Sex mit Legolas zu haben, dann laß ihn wenigstens eine schwule Beziehung zu Haldir, Elrond, Aragorn, Gimli, Celeborn, Glorfindel, Éomer, Faramir, dem Balrog oder Sauron anknüpfen. Das lesen deine lustbunnies am zweitliebsten und das Schreiben macht auch Spaß.
Aber Achtung: das Wort "schwul" oder "homosexuell" darf nirgends auftauchen. Sowas sagt man nicht - auch nicht, wenn's stimmt.

9. Hobbits? Zwerge? Was ist das?

Oh, ab und zu darf schon mal ein Zwerg oder ein Hobbit, ein Warg oder ein Balrog, ein Horn oder eine Ente (oder wie hießen diese komischen Bäume doch gleich?) in deiner Geschichte auftauchen. Aber bitte nicht zu oft. Die sind nicht sexy genug. Die verursachen kein Kribbeln im Bauch.

10. Die neuen Leiden der jungen Wörter

Noch ein Wort zur Wortwahl. Vermeide Tolkiens altmodische Begriffe, wo du nur kannst und ersetze sie durch Neudeutsch - je krasser, desto besser. Dein Legolas trägt keine weichen Schuhe wie im Buch sondern Stiefel wie im Film. Und natürlich "Leggin(g)s" - ein Wort, das bei Tolkien nirgends vorkommt und das du keinesfalls in seiner deutschen Form "Gamasche" verwenden darfst.

Keine Schmacht-Fiction ist vollständig, wenn sie nicht wenigstens ein oder zwei Liebesschwüre in möglichst schlechtem Elbisch enthält. Hier kannst du zeigen, daß du noch nie von Ardalambion, von Gwaith-i-Phethdain, von Didier Willis' Sindarin dictionary, vom Quenya-Lehrbuch lambion-ardava und anderen Online-Ressourcen gehört hast. Und selbstverständlich dürfen auch die von dir erfundenen elbischen Personennamen nur noch entfernte oder gar keine Ähnlichkeit mit Sindarin aufweisen. Hauptsache der Name klingt süß. Wie wäre es mit "Marisú"?

Ist Aragorn nun ein Dúnadan oder ein Dúnedain? Ist Gandalf ein Istar oder ein Istari? Ein Maia oder ein Maiar? Ganz egal, nur ja keine Zeit in Recherchen investieren. Schließlich muß deine Fan-Fiction dir gefallen, nicht den Lesern.

Wie nennt man weibliche Elben? Nun, Tolkien nannte sie Elf-woman. Sonst nichts. In der deutschen Übersetzung "Elbenfrau". Inzwischen hat sich auch "Elbin" eingebürgert. Aber als FanFic-Autorin darf man gerne in ein und derselben Story "Elbin" und "Elbe" verwenden – ja, genau, "die Elbe", so als ob man von einem Fluß spricht (Goldberry hätte das gefallen. Wer Goldberry ist? – Ach je ...).


Und woran erkennst du, ob du eine gute FanFiction geschrieben hast? Nun, wenn du eine neue Tastatur anschaffen mußt, weil die alte in deinem Sabber ersäuft, bist du auf dem richtigen Wege.


Dieser Beitrag ist all jenen Autorinnen gewidmet, die noch niemals eine Legolas-Romanze geschrieben haben. Mädels, ihr gebt mir Hoffnung! ;-)