Mendoza starrte immer noch rüber zu der Stelle, wo der Maskierte verschwunden war und schüttelte den Kopf. Wie nur hatte der Bandit unbemerkt in die Hacienda eindringen können, bei all den Soldaten? Was übersah er?
Eigentlich war es müßig; sich darüber Gedanken zu machen. Es war eben Zorro.
So, wie der Held auch immer schnell zur Stelle war, wenn Not am Mann war und er gebraucht wurde. Fast schien es, als habe er tausend Ohren, die im ganzen Pueblo verstreut waren. Mendoza war sich recht sicher, dass der Maskierte mindestens einen Spion haben musste, wenn nicht mehrere, die sich im Ort aufhielten und ihn ausspähten. Und aller Wahrscheinlichkeit teilte ihm auch Viktoria einiges mit.
Der Soldat kicherte leise und erinnerte sich an die einige Male, als er nachts eine verdächtige Gestalt am Fenster oder auf dem Dach ihrer Taverne gesehen hatte. Es war naheliegend, dass der schwarze Reiter seine Liebe heimlich besuchte, und genau deshalb beauftragte sie der Alkalde immer wieder, nachts Wache zu stehen. Dies geschah zum ersten Mal jedoch zu einem Zeitpunkt, an dem sich Zorro bereits den heimlichen Respekt der Soldaten erworben hatte. Und so übersah das Heer seltsame Schatten einfach oder – denn zu oft nichts zu sehen wäre auch verdächtig gewesen – man rief bisweilen laut ‚Wer ist da?' oder dergleichen, um den Banditen genügend Zeit für die Flucht zu geben.
Der Sergeant wusste, dass er nie an die Raffinesse des Fuchses würde heranreichen würde – andererseits hatte es auch seine Vorteile, sich bisweilen ein wenig dümmer anzustellen als man tatsächlich war.
Zumindest wurde man mehr in Ruhe gelassen.
Nicht auszudenken, wenn dieser Unbekannte mit seinen Fähigkeiten tatsächlich dieser böser Outlaw gewesen wäre, wie DeSoto stets behauptete.
Mendoza war dankbar, dass dem nicht so war. Und so ließ er ihm gerne diese kurzen Momente mit dieser resoluten Frau und hoffte einfach, dass der Mann mit der Maske der Gentleman war, für den er ihn hielt.
So also schwieg er und tat so, als sei er blind und hätte nichts gesehen. Wie die anderen Soldaten auch.
Manchmal hatte der Sergeant das unterschwellige Gefühl, dass die Lösung sehr nahe war – dass sie alle zu blind waren, um die Wahrheit zu erkennen. Und schon oft war ihm Zorro vage bekannt vorgekommen. Aber irgendetwas hielt ihn davon aus, weiter darüber nachzudenken und zu graben. Was er nicht wusste, konnte er nicht verraten und es wäre noch ein Punkt auf seiner Liste gewesen, bei dem sein Gewissen mit dem seiner Pflichten als guter Offizier kollidierte.
So blieb ihm also nur die Hoffnung, dass der Held auch weiterhin richtig mit seinen überlegenen Fähigkeiten umzugehen wusste.
Während er so weiter seinen Gedanken nachhing, drang auf einmal eine rufende Stimme an sein Ohr: „Jamie?"
War das nicht die Stimme von Zorro? Hatte er etwas vergessen?
In diesem Moment erkannte er die Gestalt, die sich ihm näherte. Diego!
Ihn für einen kurzen Augenblick für den Volkshelden zu halten, war nun in der Tat lächerlich.
Etwas außer Atem war der junge Vega nun bei ihm angelangt. In seiner rechten Hand trug er einen großen Tonkrug.
„Verzeih mir bitte, Jamie, dass ich so lange gebraucht habe. Aber die Vaqueros waren mit der ganzen Situation etwas überfordert. Wir haben selten einen ganzen Trupp Soldaten bei uns."
„Das ist schon in Ordnung, mein Freund." Jamie blickte neugierig auf das Gefäß, dass der junge Adlige mit sich trug. Egal, wo sich der andere rumgetrieben hatte – Hauptsache, er brachte etwas für den Durst mit. „Was hast du da für mich?"
„Ein wenig Wein. Aber keine Sorge, er ist stark mit Wasser verdünnt", erklärte der junge Mann lachend. „Nicht, dass dir die Hitze noch mehr zu Kopfe steigst und du mir hier noch einschläfst."
Der Sergeant zog eine Grimasse. Diese Worte erinnerten ihn nur zu sehr an das, was vor einigen Minuten geschehen war.
Offensichtlich war seine Minenspiel zu deutlich, denn Diego schaute ihn verwirrt an und erkundigte sich: „Was ist los, Jamie? Ist etwas passiert? Oder geht es dir nicht gut?"
Die Antwort war eine unwillige Handbewegung. „Nein, alles ist in Ordnung. Du wirst es nicht glauben, aber meine Suche hat sich tatsächlich erledigt."
„Ich verstehe nicht." Unter anderen Umständen hätte dem Offizier dieser verwirrte Gesichtsausdruck amüsiert. Aber es war ein anstrengender Tag gewesen, und er war einfach müde. Davon abgesehen, störte ihn etwas an Diegos Reaktion, ohne dass er sagen konnte, weshalb. Sie wirkte irgendwie – unecht, fast geschauspielert.
Es musste an seiner Erschöpfung liegen. So seufzte er vernehmlich und langte stattdessen nach dem Krug, der ihm entgegengestreckt wurde. Erst nach einem kräftigen Schluck befriedigte er die Neugierde des jungen Vega. „Zorro – er war hier!"
„Zorro? Hier?! Auf der Hacienda?!"
Er zog es vor, nichts darauf zu sagen, sondern trank erneut. Das tat einfach gut.
„Du bist sicher, dass er hier war?" Der Adlige schüttelte ungläubig den Kopf.
„Natürlich! Diego! Ich habe sogar mit ihm geredet."
Der junge Vega antwortete nicht sofort, sondern wurde nachdenklich. Dann nickte er besonnen und schien endlich die Tatsache zu akzeptieren, dass der Bandit offensichtlich genug Talent hatte, um sie alle ein wenig an der Nase herumzuführen.
„Wie er das wohl gemacht hat, so unentdeckt zu kommen und wieder zu verschwinden. Ich verstehe das nicht! Ich habe ihn nicht bemerkt."
Jamie verkniff sich eine ehrliche Erwiderung, da er seinen Freund nicht beleidigen wollte. Tatsache war, dass es keine große Kunst war, sich unbemerkt an Diego de la Vega vorbeizuschleichen. Auch wenn dieser gerade kein Buch las oder nicht in irgendwelchen Gedanken über die Wissenschaft vertieft war.
„Mach dir nichts daraus. Das ist eben Zorro."
„Dann hast du mit ihm geredet und konntest das, was immer du auch wolltest, mit ihm besprechen?"
„Ja.", war die einsilbige Antwort.
„Mach dir keine Gedanken, darüber. Ich bin sicher, du hast das richtige getan. Zorro ist ein Mann, der weiß, was zu tun ist und ehrenvoll damit umzugehen weiß, was immer du ihm auch gesagt haben magst."
Mendoza sah den Jüngeren erstaunt an. Diego äußerste sich selten über den Volkshelden und wenn, so schien er als friedlicher Mensch eher irritiert oder ablehnend über dessen Methoden zu sein. Dass der Vega sogar Respekt vor Zorro hatte und sein Verhalten guthieß, war ein neuer Zug an ihm.
Aber es sollte ihm recht sein. Weiter darüber nachdenken wollte er nicht. Stattdessen setzte er das Trinkgefäß erneut an seine Lippen und genoss die angenehme Kühle, die seinen Rachen hinunterrann.
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„Eine gute Idee, so an Mendozas Informationen zu kommen", lobte Don Alejandro. Die Soldaten waren bereits vor einer halben Stunde wieder aufgebrochen, um ins Pueblo zurückzukehren. „Aber du solltest deine Spielchen nicht übertreiben. Den armen Sergeanten stundenlang nach Zorro suchen zu lassen, ist nicht gerade die feine Art."
„Ich weiß. Aber da ich so oft schon Jamies Essen und Trinken bei Viktoria bezahlt habe, wirst du mir nachsehen. Im Übrigen diente es auch seinem Schutz."
Alejandro schmunzelte verstehend. „Ich habe Zorro immer bewundert, wie er es schafft, über die Aktionen der Soldaten informiert zu sein. Weiter darüber nachgedacht habe ich allerdings nicht. Als ich aber erkannte, dass du es bist, wurde mir klar, warum du den Sergeanten so gerne einlädst."
Der junge Vega nickte. „Du hast natürlich Recht, Vater. Und ja, anfangs war es tatsächlich nur aus Berechnung. Etwas, worauf ich übrigens nicht gerade stolz bin. Aber Jamie hat sich wirklich verändert in all den Jahren und ist mir ein guter Freund geworden."
„Er weiß aber nichts von deinem Doppelleben, oder? Zumindest hast du bisher nichts entsprechendes angedeutet."
„Nein, Vater. Du und Felipe, ihr beiden seid die einzigen, die mein Geheimnis kennen."
„Und ich bin froh, dass ich mittlerweile die Wahrheit weiß." Der Ältere wirkte bekümmert, erinnerte er sich doch an die verlorene Zeit mit seinem Sohn. „Ich schäme mich immer noch, wie schlecht ich dich behandelt und über dich gesprochen habe, Diego."
„Vater, bitte..." Der junge Mann seufzte.
Hatte er gedacht, dass nun alles einfacher werden würde, so war dies nur teilweise erfüllt worden. Alejandro machte sich noch immer Vorwürfe. Und das wiederum nagte an ihm.
Damals, zu Beginn der Scharade, war alles so klar erschienen und er war sich sicher gewesen, das Richtige zu tun. Allerdings hatte er auch nicht ahnen können, dass sein Kampf als maskierter Unbekannte Jahre andauern sollte. Im Nachhinein wäre die Alternative, seinem Vater von Anfang an reinen Wein einzuschenken, wohl besser gewesen.
Aber wie so oft war man im Nachhinein klüger.
„Du solltest dich damit nicht quälen. Es war meine Entscheidung, scheinbar zum Feigling zu werden, um mich und euch zu schützen. Deine offen zur Schau gestellte Enttäuschung war so gesehen das beste, was Zorro passieren konnte. Du hast mir, wenn auch unbewusst, dadurch sehr geholfen."
„Mag sein. Trotzdem bedaure ich so vieles, mein Sohn, was in der Vergangenheit geschehen ist", war die leise Antwort. „Aber wechseln wir lieber das Thema – wie wirst du jetzt vorgehen? Nachdem du jetzt weißt, dass dieser Carlos in der Tat eine Bedrohung darstellt?"
„Zuerst einmal muss ich Viktoria möglichst rasch in Sicherheit bringen. Sie kann bei uns hier auf der Hacienda aushelfen, so ist sie sicherer. Und Zorro wird sie aufklären, was diesen Fremden betrifft."
„Klingt nach einem guten Plan. Du weißt aber auch, wie ich über dich und Viktoria denke."
Natürlich! Sein Vater unterstützte Diegos Bemühungen und würde Viktoria mit Freuden als Schwiegertochter in die Familie aufnehmen.
Gleichzeitig jedoch wäre er vermutlich weniger erfreut gewesen wüsste er, wie oft und intensiv der Bandit und die Tavernenbesitzerin heiße Küsse ausgetauscht hatten. Alejandro würde bei allem Wohlwollen darauf achten, dass der gute Ruf beider erhalten blieb.
Innerlich seufzte Diego. Der alte Mann meinte es gut, aber er war eben sein Vater mit – seines Erachtens – etwas altmodischen Ansichten. Blieb nur zu hoffen, dass er sich etwas zurückhielt, um das Geheimnis seines Sohnes vorerst noch zu wahren.
Andererseits würde er wohl nicht ewig tatenlos zusehen, wie Diego der Frau die Wahrheit vorenthielt. Hier war der junge Vega mit ihm allerdings auch einer Meinung – es war an der Zeit, dieses doppelte Spiel zu beenden.
Ob das der Grund war, dass er sich so wenig im Griff hatte? War er innerlich zu ungeduldig und unterliefen ihm daher all diese Fehler? Vergaß er deshalb seine Tarnung und zeigte immer wieder, was er wirklich fühlte und dachte?
Nach kurzem Nachdenken verwarf er diesen Gedanken. Nicht nur gegen Viktoria, sondern auch gegenüber anderen passierte das immer wieder. Er hatte sich zeitweise nicht im Griff und handelte impulsiv und unüberlegt.
„Diego, was ist los? Worüber grübelst du?"
Wie? Der Blick seines Vater war sorgenvoll.
Der Sohn zwang sich zu einem Lächeln. „Alles in Ordnung, Vater. Ich muss nur demnächst etwas abklären."
Der Verdacht war ihm schon vor einigen Tagen gekommen. Nur war er durch die Sorgen um seinen Vater und die Arbeit auf der Hacienda nicht dazu gekommen, ihm nachzugehen.
Morgen würde er – besser gesagt Zorro – sich mit seiner Liebsten treffen. Es sollte möglich sein, sich so weit zurückzunehmen, dass die Frau keinen Unterschied bemerken würde. Als Outlaw musste er sich weniger verstellen und somit war dies auch einfacher. Die Herausforderung war vielmehr, sich zuvor als Diego, unverdächtig zu verhalten.
Danach würde er endlich versuchen herausfinden, was mit ihm los war.