Die Nacht war bitterkalt. Der Himmel war sternenklar und der Mond, treuer Begleiter der Erde, hüllte die schneebedeckte Landschaft in ein silbriges, bläuliches Leuchten, das die Nacht noch kälter wirken ließ.
Kein Geräusch war zu hören, nur das leise Knirschen des Schnees unter Harrys Tritten. Das Lachen und Lärmen, das die Hogwartsianer im Schloss und damit in einiger Entfernung von dem Gryffindor veranstalteten, war schon lange nicht mehr zu hören. Die wenigen von Harrys Freunden, die sich entschlossen hatten Weihnachten in Hogwarts zu verbringen, feierten das Fest oder waren – wie im Falle von Hermine und Ron – unter vier Augen miteinander beschäftigt. Der Wanderer in der Winternacht hingegen hatte genug von dem Trubel gehabt. Daher hatte sich für einen kleinen Spaziergang entschieden, denn nach einem geselligen Abend war ihm immer nach einem kleinen bisschen trauter Einsamkeit; besonders der Kontrast war es, der ihm gefiel: Drinnen, im Schloss, war es hell und warm, und es wimmelte von Freunden und Bekannten – draußen, im Schnee, war es finster und kalt, und weit und breit war keine Menschenseele zu sehen.
Der Gryffindor war, während er gemächlich und gedankenversunken über die zugeschneiten Pfade stapfte, gründlich vor der Kälte geschützt: Er war fest in einen schwarzen Mantel eingepackt, die Haube auf dem Kopf, sein rot-goldener Seidenschal um den Hals. Seine Hände waren doppelt vor der Kälte geschützt: Einerseits trug er dünne Handschuhe, andererseits steckten seine Hände in den Hosentaschen.
Das Ziel seines kleinen Ausflugs hatte er bereits auserkoren: Der Weg würde bald, hinter einem kleinen Schlehengebüsch, eine Kehrtwendung machen und eine niedrige Anhöhe hinaufführen, von der aus man einen wunderschönen Ausblick auf das Schloss hatte: Von dort aus konnte er den See sehen, daneben das vertraute Schloss mit seinen gen Himmel strebenden Türmen, dahinter den Verbotenen Wald, gehüllt in ewige Düsternis und Finsternis, und gekrönt wurde der Anblick – um diese Uhrzeit – von einem riesigen Vollmond direkt über dem Quidditch-Feld. Das Wetter war an diesem Tag ideal für dieses Panorama: In den vergangenen Jahren hatten ihm schon die Finsternis des Neumonds oder winterlicher Regen diesen Anblick an Heiligabend vermiest. Aber heute, darauf deutete alles hin, würde es ein Bild für die Götter sein.
Auf besagtem Hügelchen stand eine kleine Holzbank mit Rückenlehne, obwohl – soweit Harry wusste – niemand außer ihm je dorthin ging, weil dieser wundersam schöne Ort vom Schloss doch recht weit entfernt lag. Aber das hieß auch: Harry konnte dort seinen Geist wandern lassen, denn dort wurde er von niemandem gestört – von keinem Lebenden, von keinem Toten, von keinem Untoten. Dort, nur noch ein kleines Stück Weg bergauf, fühlte er sich wirklich ungestört, waren seine Gedanken frei.
Langsam auf dem vertrauten Wege bergauf stapfend, blickte er, ohne weiter auf seine Schritte zu achten, zum Sternenzelt.
Er mochte Astronomie sehr und kannte daher die Sternbilder und ihre Sagen: Er sah den Jäger Orion, wie er am Himmel den schönen Plejaden nachjagt; er sah Theseus, wie er mit dem Ungeheuer ringt, das seine Geliebte Andromeda bedroht; und zwischen dem Kleinen und dem Großen Wagen sah er das Sternbild, zu dem er ein ganz besonderes Verhältnis hatte: Die Araber nennen den hellsten Stern dieser Konstellation „Thuban", was „Schlange" bedeutet – und das passt wie die Faust aufs Auge, denn dieses Sternbild war Draco, der Drache.
Harry konnte in solchen klaren Nächten nicht zum Himmel sehen, ohne den Drachen zu erblicken und notgedrungen an Malfoy zu denken. Aber das sei gesagt: Er konnte ohnehin kaum etwas tun, ohne an diesen hageren Jugendlichen mit dem zitronenfaltergelben Haar zu denken. Malfoy war überall: Malfoy war tagsüber in seinen Gedanken, war nachts in seinen Träumen; Malfoy war das letzte, woran er vor dem Einschlafen dachte, und das erste, woran er nach dem Aufwachen dachte. Malfoy war derjenige, den Harry vor seinem geistigen Auge sah, wenn er sich selbst berührte.
Denn so pflegt es nun mal zu sein, wenn man Hals über Kopf verliebt ist.
Ja, der Auserwählte des Auserwählten war Draco – obwohl Malfoy zugleich sein schlimmster Feind war und alles verkörperte, was Harry verabscheute: Eitelkeit, Süffisanz, Arroganz – die Liste hätte sich unbegrenzt weiterführen lassen. Und dennoch ... Da war da etwas in dem eitlen, süffisanten, arroganten Lächeln auf Malfoys Lippen, das Harry anzog; etwas, das in Harry das Verlangen erweckte, diese Lippen auf den eigenen zu fühlen.
Und als Harry den Blick vom Draco am Firmament zurück auf die irdischen Gefilde lenkte, war er auf der Spitze des Hügels angekommen, und wieder musste er an Malfoy denken. Aber nun aus einem ganz nachvollziehbaren Grund, denn dort erblickte er niemand geringeren als den irdischen Draco. Er konnte ihn zwar nur von hinten sehen, aber das hellblonde Haar der in Winterkleidung gehüllten Gestalt, die auf der Bank saß und in den Anblick des Schlosses vertieft schien, war unverkennbar – Harry hätte diese Silhouette überall erkannt.
Abrupt blieb Harry stehen und rang mit sich selbst: Sollte er weitergehen und gezwungenermaßen einen Streit mit dem Slytherin beginnen – denn bisher hatte noch jedes Treffen mit ihm geendet, indem sie einander mit gezückten Zauberstäben verwünschten – oder kehrtmachen und auf das lange herbeigesehnte Panorama verzichten?
Während Harry noch Für und Wider abwägte, drehte sich Malfoy plötzlich um: „Potter?"
Ein bittersüßes Seufzen entwich seinen Lippen, ehe er sich räusperte und mit fester Stimme sagte: „Was machst Du hier, Malfoy?"
Der Slytherin stand auf und tat ein paar Schritte zu Harry: „Das geht Dich nichts an. – Und ich nehme an, das gilt auch umgekehrt."
Harry nickte nur, während er sein Gegenüber inspizierte. Das helle Mondlicht und der Hintergrund aus schneebedeckten Sträuchern und Wiesen schmeichelten dem Slytherin sehr. Draco hatte ihm immer schon gefallen, aber die Mondgöttin Selene legte nun einen besonderen Zauber auf die scharfen Züge und den blassen Teint des Blonden; auf den blassen Teint, der im silbrigen Mondschein so stark mit dem schwarzen Wintermantel kontrastierte: Malfoys Schönheit war schlicht und ergreifend magisch.
Sie war so magisch, dass Harry sich entschloss ihm wenigstens den Olivenzweig anzubieten. In der felsenfesten Überzeugung, dass sein Gegenüber dieses grüne Zweiglein ablehnen und zerfetzen würde, sagte er: „Malfoy, ich habe einen Vorschlag: Heute ist Heiligabend, lass uns für diesen einen Abend so tun, als könnten wir uns leiden."
Einen Moment lang war Malfoys Mund zu einem Lächeln gebogen: „Ich wollte Dir gerade dasselbe vorschlagen. Wenn es im Ersten Weltkrieg britischen und deutschen Soldaten möglich war, die Waffen beiseite zu legen und gemeinsam in den Schützengräben Weihnachten zu feiern, dann sollte uns das doch auch möglich sein." Damit zog er seinen rechten Handschuh aus, machte einen weiteren Schritt auf Harry zu und streckte ihm die bloße Hand entgegen: „Friede?"
Harry zögerte nicht lange: An jedem anderen Tage, an jedem anderen Orte hätte er eine List vermutet. Doch er war sich sicher, dass dieser magische Ort und diese magische Nacht auch Malfoy in ihren Bann gezogen hatten. Der Gryffindor zog ebenfalls seinen Handschuh aus und schüttelte die langfingrige Hand seines Gegenübers; nicht zu schwach, um keine Unentschlossenheit zu signalisieren, aber auch nicht zu grob, um den Geist des Festes nicht zu stören: „Friede!"
Dann standen sie still und schwiegen einander an, ohne ihre Hände zu trennen. Nervös blickten sie auf ihr jeweiliges Gegenüber: seine Hand, die Schulter, das Haar, die Nase, die Lippen und schließlich die Augen. Dort sahen sie, dass der Angestarrte den Blick erwiderte, woraufhin sie erschrocken, verschämt und mit wild pochendem Herzen wieder alles andere als die Augen ansahen. Beide wussten überhaupt nicht, wie sie in dieser noch nie gewesenen Situation miteinander umgehen sollten. Schließlich schlug Malfoy vor: „Komm, setzen wir uns", und zog, weil er vergaß die Hand loszulassen, Harry hinter sich her, hin zur Bank. Er fegte den restlichen Schnee von dem kalten Holz hinunter, ehe sie sich setzten – Draco zu Harrys Rechten und zwischen ihnen ein ausgeprägter Respektsabstand – und einander vielsagend weiterhin anschwiegen.
Harry war trotz der Kälte heiß geworden – das musste zumindest Draco glauben, denn dieser konnte sicher nicht ahnen, was der wahre Grund hinter der kirschroten Farbe von Harrys Wangen war. Und auf den wahren Grund sollte der Slytherin auch nicht kommen: Der Gryffindor mit jetzt schwitzenden Händen fürchtete nämlich die schlimmsten Konsequenzen, erführe seine Nemesis, welche Rolle der Sucher des Hauses Slytherin wirklich in Harrys Träumen spielte.
Dieser Nemesis musste übrigens auch heiß gewesen sein, denn warum sonst wären die Backen des Blonden sonst jetzt so rot wie die des Schwarzhaarigen?
Harry versuchte seinen Blick auf Hogwarts' Türme zu lenken und seine Gedanken ganz normal wandern zu lassen, wie er es ursprünglich geplant hatte – doch sein Blick glitt immer wieder zu seinem Sitznachbarn, dessen schiere Gegenwart ihn aus der Ruhe brachte. Aber es war nicht nur diese ungewohnte Nähe, die Harry zu schaffen machte: Auch die Stille, die er zuvor so genossen hatte, war unerträglich geworden – die Stille fühlte sich fast ohrenbetäubend laut an.
Um das peinliche Schweigen zu brechen, versuchte er Small Talk zu führen: „Ein wunderschöner Anblick, nicht wahr?"
„Mhm, wunderschön."
Das war keine sonderlich kreative Antwort. Entweder wollte Malfoy wirklich nicht mit Harry reden und nur seine Ruhe haben oder der Blonde war im Small Talk mit Erzfeinden auch nicht wirklich firm.
„Wunderschön ...", wiederholte Harry unbewusst, obwohl das Panorama, das er bewunderte, gar nicht mehr das Schloss war. Denn mit leicht nach rechts, zu Malfoy hin gedrehtem Kopfe beobachtete er in den Augenwinkeln den Slytherin; den blonden Slytherin mit vor Kälte blassen Lippen und ebenfalls vor Kälte kirschroten Wangen, der soeben – unauffällig und ganz langsam, wie in Zeitlupe – seinen Kopf nach links drehte und Harry verstohlen, aus den Augenwinkeln, beobachtete.
Wieder trafen sich ihre Blicke und wieder wandten sie sofort die Augen ab. Beide starrten auf das Schloss und versuchten den Funken zu vergessen, den sie gespürt hatten, als sie in die Augen des anderen, die Spiegel der Seele, geblickt hatten.
Der Gryffindor atmete tief durch, zog die kalte Luft in seinen Körper, um seine Gedanken zu ordnen: Es war seine Hoffnung gewesen, dass dieser Abend des Waffenstillstands vielleicht ihre Beziehung ein wenig normalisieren könnte: Wenn er mit Draco einen Abend wie mit einem normalen Bekannten reden könnte – mit jemandem, den man nicht sonderlich mag, aber wenigstens nicht hasst –, vielleicht könnten sie dann ihre Feindschaft beenden. Daher fasst er sich ein Herz und entschloss sich, nicht so einfach aufzugeben. Um das Eis ein wenig zu brechen, sagte er: „Weißt Du, ich komm schon seit Jahren nach der Weihnachtsfeier immer wieder hierher. Es ist leider nicht jedes Jahr so schönes Wetter."
Draco nickte sanft: „Ich weiß was Du meinst. Voriges Jahr war es noch ganz aper. Ein Weihnachtsfest ohne Schnee, das ist ein wenig wie Quidditch ohne Besen."
Dass der Malfoy-Sprössling öfters dorthin kam, hatte Harry überrascht, denn er hatte immer geglaubt, dass außer ihm niemand auf diesen Hügel komme – schließlich hatte er dort noch nie jemanden gesehen. Aber offensichtlich hatte er sich geirrt; offensichtlich teilte Malfoy Harrys weihnachtliche Vorliebe für dieses Plätzchen. „Du warst voriges Jahr schon hier?"
„Ja. Seit ich in Hogwarts bin, bin ich jedes Jahr nach der Weihnachtsfeier hierher gegangen."
„Wirklich? Ich auch! Aber warum hab ich Dich dann noch nie hier gesehen?"
„Weiß nicht", zuckte Draco mit den Schultern, „aber normalerweise komm ich nicht vor elf Uhr. Heuer bin ich früher dran, weil Blaise und die anderen Alkohol getrunken haben – was Du hoffentlich, im Sinne unseres Weihnachtsfriedens, nicht den Lehrern erzählen wirst – und sie sind mir schon sehr auf die Nerven gegangen. – Aber jetzt wo Du es sagst: Mir sind in den letzten Jahren immer wieder mal Spuren im Schnee aufgefallen, die zu dieser Bank geführt haben. Das dürften dann wohl Deine Schuhabdrücke gewesen sein."
Harry nickte: „Mhm, vermutlich."
„Dann kommst Du immer allein hierher?"
„Ja ..."
„Heißt das, ... dass ich Dich störe? Willst Du allein sein?"
Harry überlegte kurz. Daran war zwar etwas Wahres dran, aber heute war die Sache anders. Er drehte sich nach rechts, zu Malfoy, der ihn fragend, mit einem fast schuldbewussten Gesichtsausdruck ansah, und sagte: „Ich bin gekommen, um alleine zu sein." Als er daraufhin sah, wie Malfoy aufstehen wollte, griff er ihm an die Schulter, drückte ihn zurück auf die Bank und fuhr fort: „Aber ich bin jetzt echt froh, dass Du hier bist. Ich bin echt froh darüber, mich einmal mit Dir normal unterhalten zu können. Warum können wir das sonst nicht tun?"
Malfoy lächelte melancholisch: „Wenn ich Dir diese Frage beantworte, Harry, müssen wir sofort wieder das Kriegsbeil ausgraben. – Lass uns darüber schweigen. Ich will nicht ständig mit Dir streiten müssen. Besonders nicht an so einem schönen Abend." Sein Lächeln wurde zu einem unschuldigen Lachen: „Das können wir meinetwegen morgen tun. Wenn Du willst, noch vor dem Frühstück."
Dann blickten sie wieder zum Schloss, starrten es an, während jeder seine eigenen Gedanken im Kopf wälzte. Harrys Gedanken wanderten zuerst zum Schloss, wo er noch wenige Stunden zuvor gesessen war und sich darüber hatte ärgern müssen, was für ein unerträgliches Arschloch Malfoy nicht sein konnte.
Daraufhin wanderte sein Blick weiter nach rechts, hin zum Quidditch-Feld; hin zu einem Gedanken, den er nie hätte aussprechen können: Harry liebte Quidditch, weil es ihm ungeheuren Spaß bereitete, aber auch, weil er es erotisch fand. Besonders aufreizend war es für ihn, Draco beim Quidditch zu sehen: mit beiden Hände fest an einer harten, langen Stange, die zwischen die Beine führte – man braucht kein Psychoanalytiker zu sein, um das interpretieren zu können.
Erst wenige Nächte zuvor hatte Harry geträumt, dass er gemeinsam mit Draco auf einem Besen flog, das heiße, unnachgiebige Holz von Dracos Besen fest zwischen den Oberschenkeln, die Arme des Slytherin an seinem Bauch und seiner Brust. Und im Traum waren sie gemeinsam immer höher geflogen, immer weiter empor, bis sie schließlich die Wolkendecke durchstießen, wobei Harry die Wasserstropfen in sein Gesicht spritzen fühlte. – In diesem Moment war er aus dem Traum aufgewacht und hatte feststellen müssen, dass es ein feuchter Traum gewesen war.
Harry ließ das Quidditch-Feld und seine unanständigen Träume links liegen, blickte weiter nach rechts. Er betrachtete den See, über dem inzwischen der Mond stand, dessen riesige Scheibe sich in der glatten Wasserfläche spiegelte. Die beiden Monde, der oben in der Luft und der unten auf dem Wasser, wirkten wie das Augenpaar eines Liegenden, und Harry fühlte sich, als würde er von diesen zwei Lichtern beobachtet.
Und als sein Blick noch weiter nach rechts wanderte, wurde er tatsächlich von zwei Lichtern beobachtet, und zwar von Dracos Augen.
Beiden fiel nicht auf, dass sie, tief in Gedanken versunken, ihre Köpfe langsam zueinander gedreht hatten und nun sehnsüchtige Blicke tief in die Augen des anderen warfen und dabei fasziniert die Reflexionen der Mondscheibe in den Pupillen beobachteten: In jeder Iris schimmerte ein kleines, silbernes Möndchen.
Dass er Draco angestarrt hatte, bemerkte Harry erst, als die Wangen des Slytherin plötzlich wieder rot aufloderten, dessen Augen sich wieder der Landschaft zuwandten und Harry dabei der Möndchen beraubt wurde: „Oh, entschuldige, Draco, ich wollte Dich nicht anstarren, ich wollte ... ich hab ... Da war ..."
„Schon gut, ich ... ich hab Dich ja auch ... angestarrt."
...
Da war sie wieder, diese unangenehme Stille. Und allmählich wurde auch die Nacht unangenehmer: Wolken zogen über den Himmel und nahmen dem Land das Mond- und Sternenlicht. Auch in der Ferne waren inzwischen die meisten der Lichter im Schloss verloschen. Und es frischte der Wind auf, vereinzelt tanzten Schneeflocken zu Boden.
Harry hoffte, dass sich das Wetter nicht verschlechtern würde. Aber weniger, weil dadurch der Rückweg mühsam würde, sondern weil er nicht gehen, diesen schönen Abend nicht beenden wollte; denn dieser Abend war der schönste, den er bisher mit ihm, dem heimlich Geliebten, verbringen konnte.
Mit Blick auf das bloße Haupt seines Sitznachbarn sagte Harry: „Hast Du keine Haube dabei?" Und als Draco den Kopf schüttelte, fuhr er fort: „Soll ich Dir meine leihen? Es wird ja doch schon recht frisch."
„Danke, aber nein danke. Und so kalt ist es auch wieder nicht."
Doch wenige Momente später kam eine eiskalte Bö, schnitt durch ihre Mäntel und entlockte Draco ein hu!. Daraufhin nahm Harry seine Haube ab und setzte sie, ohne auf den Protest des Slytherin Rücksicht zu nehmen, diesem auf: „Nimm sie an, sonst krieg ich ein schlechtes Gewissen."
Draco versuchte vergebens ein Lächeln zu unterdrücken, während er sich die Haube richtete: „Danke ... das ist ... sehr lieb von Dir." Daraufhin wandte er das Gesicht ab, aber Harry konnte trotzdem erkennen, dass es jetzt wieder rot geworden war.
Noch immer unter dem Zauber der Mondnacht nahm Harry dieses Erröten als Anlass, einen forschen Schritt zu machen: Den Blick auf seine Knie geheftet, sagte er: „Aber ... dann möchte ich Dir noch ein ... kleines Geschenk geben ... ganz im Sinne unseres Weihnachtsfriedens." Damit rückte er nach rechts, an Draco heran, bis er direkt neben ihm saß. „Ein bisschen Körperwärme ... kann ich Dir schenken."
Der Slytherin antwortete, auch mit auf seine Knie gerichtetem Blick: „Das ... ist sehr lieb von Dir, Harry, aber ... aber Du könntest mir noch mehr Körperwärme spenden, wenn Du ... einen Arm ... um meine Schulter ..." Der Rest des Satzes ging in leisem Gemurmel unter, doch Harry hatte verstanden. Und während er überlegte, ob er das wirklich tun sollte, hatte sein Arm schon reagiert und Draco eng zu sich gezogen.
Und im nächsten Moment hörte er die Stimme seines Sitznachbarn, ganz leise, ganz nah bei seinem Ohr: „Harry ..." Dabei hatte er den heißen Atem, den feurigen Hauch des Drachen, an seinem Ohr gespürt. Und er drehte langsam seinen Kopf hin zu Draco – in seinem Kopf spielten sich die wildesten Phantasien ab, was der Slytherin ihm sagen wollen könnte – und fand das Gesicht des Blonden keine fünf Zentimeter von dem seinen entfernt. Die Wangen des sonst so blassen Aristokraten schimmerten rot, seine Augen funkelten im Dunkel der Nacht.
Beide machten den Mund einen Spalt weit auf, wollten offensichtlich etwas sagen, aber brachten es nicht über ihre Lippen hinaus.
Aber das mussten sie auch nicht: Denn da berührten sich plötzlich ihre Lippen und übermittelten ihre Botschaft direkt.