Melody saß auf ihrem Bett in dem kleinen Quartier und blickte hinaus ins All. Die Destiny war vor wenigen Minuten aus dem FTL Modus gefallen und die junge Frau war neugierig, wohin sie das Schiff dieses mal gebracht hatte. Meistens war zwar gar nichts neues zu sehen, doch hin und wieder waren andere Planeten oder Nebel in Sichtweite. Jetzt konnte sie jedoch nur die kleinen Sterne vor einem ewig schwarzen Hintergrund sehen. Zumindest auf der Seite, auf der ihr Quartier lag. Sollte sie zum Aussichtsdeck gehen und schauen, ob es da draußen doch etwas zu sehen gab?
Nach einigen Sekunden entschied sie sich dagegen. Bestimmt waren jetzt eine Menge Leute dort und sie zog es vor, eher allein zu sein. Seufzend nahm sie ihren Laptop und machte sich wieder an ihre Arbeit. Die Berechnungen, die sie noch anstellen mußte waren kompliziert, erforderten ihre ganze Konzentration und bei der Gelegenheit bedauerte sie wieder einmal, daß ihr Zahlen und Gleichungen zwar fast ebenso leicht zuflogen wie Eli, sie aber mehr Mühe damit hatte, sich völlig auf sie zu konzentrieren und aufpassen mußte, daß sie die Zahlen nicht irgendwann mit Noten verwechselte. Wenn ihr das passierte driftete sie komplett in eine andere Welt ab, was ihr des Öfteren schon Unverständnis und sogar den Spott und den Ruf als „hoffnungslose Träumerin" eingebracht hatte. Mit der Zeit hatte sie sich zurückgezogen von anderen Menschen und ließ sie lieber in dem Glauben, sie lebe in einer Traumwelt.
5 Wochen vorher…
Eli saß neben Rushs Bett. TJ und Dr. Charles war es gelungen, ihn halbwegs wieder zusammenzuflicken, aber er hatte hohes Fieber und beide wußten nicht, ob er die Nacht überleben würde.
Auf dem Planeten, den sie vor einigen Tagen besucht hatten, wurden Rush und TJ gegen Duplikate vertauscht und Rush war bei dem Versuch mit TJ zu flüchten, von zwei Pfeilen lebensgefährlich verletzt worden. Zum Glück war es Eli gelungen, beim nächsten Halt der Destiny mehrere Tore zu durchqueren und so Colonel Young und ein Team wieder auf den Planeten zu bringen, auf dem die beiden sich befanden. So schnell wie möglich brachten sie den verletzten Wissenschaftler durch die Gates zurück zur Destiny, während Colonel Young und sein Team noch etwas länger geblieben waren um das Artefakt zu zerstören, mit dem die Einheimischen ihre Raubzüge durchführen konnten.
TJ hatte sofort nach einem Arzt von der Erde verlangt und dieser war, in der Gestalt von Camile Wray, auch schnell gekommen. Danach folgte eine nervenzermürbende Warterei, denn TJ verbannte kurzerhand alle bis auf Dr. Charles und Chloe aus der Krankenstation.
Als sich Stunden später endlich die Türen öffneten wurde Elis Hoffnung auf gute Nachrichten bitter enttäuscht. Die Nacht würde die Entscheidung bringen und dem jungen Mann war es, als hätte eine eisige Hand sein Herz umklammert.
Jetzt saß der junge MIT-Abbrecher neben seinem Mentor, wechselte unermüdlich die feuchten Tücher um das Fieber zu senken und fing dabei an, leise zu ihm zu sprechen:
„…ich respektiere und schätze Sie sehr, vielleicht haben Sie nicht die besten sozialen Umgangsformen, aber… verstehen Sie das jetzt nicht falsch, Sie sind ein Mentor und…" spätestens jetzt war Elis Stimme selbst für Rush kaum hörbar, hätte er ihn hören können, "… und wie ein Vater für mich. Sie reden mit mir, arbeiten mit mir, treiben mich an und ich glaube, Sie mögen mich sogar. Aber wenn Sie mich jetzt verlassen, dann sind Sie nicht besser als mein richtiger Vater. Bitte Rush, verlassen Sie mich nicht. Wir brauchen Sie… ich brauche Sie."
Eine Stunde vorher…
Eli saß an seiner Station auf der Brücke. Dr. Rush hatte gewohnheitsmäßig den „Kirk-Stuhl" in Beschlag genommen und die übrigen Wissenschaftler Lisa Park, Dale Volker und Adam Brody saßen alle rechts von Eli. Eigentlich sollte der MIT-Abbrecher damit beschäftigt sein für Rush einige Berechnungen anzustellen, aber Eli's Gedanken waren zwar bei Rush, aber nicht bei den Zahlen.
Es war gerade zwei Wochen her, daß Dr. Rush seit dem Zwischenfall auf dem Planeten wieder arbeiten konnte, bei dem er nur knapp dem Tode entronnen war. Seither verfolgten Eli die Erinnerungen Nacht für Nacht, und in den letzten Tagen sogar tagsüber, wie er um das Leben von Rush gebangt hatte, auf der Krankenstation kaum von seiner Seite gewichen war und ihm, als er allein mit ihm war, seine innersten Gedanken und Gefühle anvertraut hatte, als der Wissenschaftler im Fieberdelirium gelegen hatte. Eigentlich war er sich sicher, daß er seine Worte nicht gehört haben konnte, aber in letzter Zeit glaubt er des Öfteren zu spüren, daß Rush ihn beobachtete. Mehr als sonst und das machte ihn äußerst nervös. Er hatte jedes Wort zwar so gemeint, wie er es gesagt hatte, aber es sollte nie jemand hören, vor allem nicht Rush.
Gedankenverloren tippte er mit dem Zeigefinger auf der Konsole neben den Buttons herum, bis Dr. Parks Stimme ihn schließlich aus seinen Gedanken riß.
„Ich glaube, so langsam wäre es Zeit für das Mittagessen."
Volker und Brody hielten sofort inne und Dale stimmte ihr da nur allzugern zu indem er meinte: „Die erste vernünftige Idee des Tages. Ich habe gehört, es gibt heute frischen Salat und den letzten Rest Fleisch."
Lisa lächelte und fragte dann: „Dr. Rush? Kommen Sie auch mit?"
Rush hatte bisher zwar zugehört, seine Arbeit aber nicht unterbrochen. Das tat er auch jetzt nicht und meinte nur seufzend: „Nein, ich habe noch zu tun. Aber wenn es unbedingt sein muß, dann gehen Sie. Eli, bevor Sie sich auch vor der Arbeit drücken brauche ich noch ihre Berechnungen."
Park, Brody und Volker überlegten nicht lange, standen auf und gingen zur Tür.
„Eli? Kommen Sie?" fragte Volker nach, als der junge Mann keinerlei Anstalten machte aufzustehen.
„Gehen Sie schon vor, ich komme gleich nach", meinte Eli seufzend und sah den drei Wissenschaftlern schon fast neidisch nach, die jetzt etwas essen gehen konnten.
Rush blickte hoch und sah Eli mit zusammengekniffenen Augen durchdringend an. Der junge Mann wandte sich schnell ab und versuchte sich nun auf seine Arbeit zu konzentrieren. Er hörte nur, wie sich die Tür schloß, dann war es still. Ein paar Sekunden arbeitete er an den Zahlen, dann spürte er, daß jemand hinter ihm stand.
„Ich bin gleich soweit", sagte er hastig und versuchte, seine Hand so neben das Display zu legen, daß Rush nichts sehen konnte.
„Sie haben gerade erst angefangen", stellte der Wissenschaftler nüchtern fest.
Eli nahm die Hand wieder weg und fuhr sich damit einmal durch das Haar.
„Ich weiß, tut mir leid, Dok."
„Sie sind in den letzten Tagen sehr unkonzentriert und nachlässig", stellte Rush in den Raum.
Eli zuckte unter der Kritik ein wenig zusammen und spürte, wie seine Wangen anfingen zu brennen.
„Zu wenig geschlafen", murmelte er eine fadenscheinige Ausrede und hoffte, Rush würde sich damit zufrieden geben.
„Ach wirklich?" entgegnete dieser unüberhörbar ironisch. „Mr. Wallace, wenn Sie ein Problem haben sollten Sie vielleicht einmal mit TJ reden."
Elis Wangen brannten noch mehr und Rush seufzte. Er hatte bemerkt, daß seine Worte Eli getroffen hatten, aber eine kalte Dusche hatte bisher noch niemandem geschadet. Jetzt fragte er sich, ob er nicht etwas über sein Ziel hinausgeschossen war, denn er wußte wohl, was der Junge ihm anvertraut hatte, als er auf der Krankenstation gelegen hatte. Doch Rush wollte niemanden mehr näher kommen lassen, als auf einer distanzierten, rein kollegialen Basis. Über den Verlust von Gloria, seiner Frau, würde er niemals hinweg kommen und Dr. Perry war, bis auf die kurzen Besuche auf der Destiny, für ihn ebenfalls unerreichbar. Eli hatte es allerdings geschafft seine imaginäre Mauer zu untergraben. Obwohl Rush sich selber immer wieder versuchte einzureden, daß Eli nur ein Schüler für ihn war, konnte er seine tatsächlichen Gefühle nicht leugnen. Tatsächlich mochte er Eli sehr gerne und vertraute ihm mehr, als allen anderen hier, auch wenn ihn seine manchmal kindische Ader hin und wieder die Nerven raubte. Das Geständnis des jungen Mannes hatte sogar noch mehr dazu beigetragen, daß Rushs Schutzwall instabil geworden war. Trotzdem versuchte er sich nichts anmerken zu lassen und es wäre nicht in Elis Interesse, wenn Rush ihn jetzt auf einmal verhätscheln würde. Das war auch gar nicht seine Art.
Dennoch sagte er jetzt: „Sie sind intelligenter als die anderen und ich bin auf Ihre Hilfe angewiesen. Und auch, wenn Sie das vielleicht nicht glauben mögen, aber ich schätze Ihre Arbeit ebenso wie ich Sie schätze, aber bitte", er betonte das letzte Wort extra, „konzentrieren Sie sich jetzt auf Ihre Aufgabe."
Damit ging Rush wieder zu seinem Sessel und arbeitete weiter.
Eli brauchte genau zwei Sekunden, bis ihm klar wurde, daß seine Befürchtungen wahr geworden waren. Rush hatte alles gehört, was er gesagt hatte. Für einen Moment wurde ihm schlecht und das Schamgefühl nahm überhand. Er wollte jetzt überall sein, nur nicht hier. Doch er mußte Gewißheit haben. Langsam drehte er sich in seinem Sessel um und fragte dann leise: „Sie haben alles gehört, oder?" Unfähig Rush anzusehen, blickte er nach unten, nestelte an seinen Händen herum und wartete auf eine Antwort.
Rush schloß kurz die Augen und seufzte, bevor er zu Eli hinüberblickte und dann, ebenfalls recht leise, nur „ja", sagte.
„Sie hätten das nicht hören sollen", sagte Eli leise. „Tut mir leid. Vergessen Sie es einfach."
Schnell stand er auf, griff noch nach seinen Notizen und flüchtete von der Brücke. Es war ihm im Moment herzlich egal, daß er seine Berechnungen noch nicht beendet hatte, er wollte nur weg.
Rush sagte nichts sondern ließ ihn gehen. Als sich die Türen hinter Eli geschlossen hatten lehnte er sich im Sessel zurück, fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und starrte für einen Moment die Decke an.
Das hätte nicht passieren dürfen, dachte er nur und ärgerte sich, daß er sich offenbar verplappert hatte. Nun ja, jetzt war es doch geschehen und er beschloß, daß es das beste wäre, wenn er Eli jetzt einen Moment für sich gönnen und ihn später so wie immer behandeln würde, als wäre nichts passiert.
Daß die Destiny nur 10 Minuten später aus dem Hyperraum fiel war eine willkommene Ablenkung.
„Young an Rush", kam auch schon die Stimme des Colonels aus Rushs Funkgerät.
Rush tippte schnell einige Buttons, um nach Toren zu suchen und antwortete dann: „Ja Colonel, es sind 2 Tore in Reichweite. Ich komme zum Gateraum. Rush Ende."
Er wollte gerade erneut auf die Sende-Taste drücken um Eli erreichen, überlegte es sich dann aber anders. Der Junge mußte auch nicht immer dabei sein, das fliegende Auge konnte er selber schicken und vielleicht war er sowieso da. Rush nahm seinen Notizblock, der inzwischen auf wenige leere Blätter geschrumpft war, und machte sich auf den Weg.
Als er den Gateraum betrat, schaute er sich schnell nach Eli um, doch der junge Mann war nicht anwesend. Young hatte vermutlich gedacht, er würde mit Rush zusammen auftauchen, daher fragte er jetzt: „Wo ist Mr. Wallace?"
Rush zuckte die Schultern, wollte aber auch nicht, daß Young ihn gleich herzitierte und meinte daher: „Er muß einige komplizierte Berechnungen für mich machen und kann später dazu kommen."
Young nickte nur und Rush griff eines der Kinos, die Eli immer sorgfältig im Gateraum deponierte, und wählte das erste Tor an. Dann schickte er das fliegende Auge hindurch und verkündete dann zur allgemeinen Freude: „Reiche Vegetation, angenehmes Klima, Sauerstoff-Stickstoff-Atmosphäre, ein See ist gleich in der Nähe."
„Lieutenant Scott", wandte sich der Colonel nun an seinen Untergebenen, „stellen Sie ein Team zusammen und schauen Sie nach, ob es da wirklich so schön ist wie Dr. Rush behauptet."
„Ja Colonel", erwiderte Scott und wollte gerade losgehen, als Young ihn noch einmal zurückhielt und leise meinte: „Und Lieutenant – falls Sie auf Einheimische treffen sollten, denken Sie an die letzte Begegnung und bleiben Sie skeptisch. Ich möchte nicht schon wieder meine Leute verlieren."
„Natürlich, Sir", meinte Scott und machte sich dann auf den Weg.
Eli's erster Weg, nachdem er die Brücke verlassen hatte, führte in sein Quartier, um dort seine Notizen und auch das Funkgerät abzulegen. Er war viel zu aufgewühlt um sich jetzt auf seine Berechnungen konzentrieren zu können und hatte das Bedürfnis, eine Weile einfach allein zu sein. Kaum hatte er beides auf sein Bett geworfen, verließ er auch schon wieder sein Quartier und steuerte auf eine Schiffssektion zu, die unbewohnt war. Vor einigen Wochen hatte er in dem Bereich einen kleinen Aussichtsraum entdeckt mit einer recht bequemen Sitzgelegenheit. Diesen Raum suchte er nun auf, schloß die Tür hinter sich und seufzte dann, während er sich die Stirn rieb. Sein Blick fiel auf die Sitzgelegenheit und er ließ sich einfach drauf fallen und schaute ins All.
„Warum kann ich nicht einfach meine dämlich Klappe halten?" murmelte er halblaut vor sich hin. Er konnte an nichts anderes denken, als daß er vor Rush entblößt war. Und jetzt, wo er wußte, daß Rush alles gehört hatte, kam ihm erstmals auch in den Sinn, daß der Wissenschaftler wohl nicht sehr begeistert darüber war, daß Eli ihn als Ersatzvater betrachtete. Diese Erkenntnis ließ das Schamgefühl in ihm noch höher kochen und er vergrub seinen Kopf zwischen seinen Händen.
Was soll ich jetzt machen?, grübelte er immer und immer wieder. Dann überlegte er, wie Rush wohl mit der Situation umgehen würde.
Er ignoriert es, was sonst, dachte er etwas verbittert. Einerseits war er froh draüber, daß Rush vermutlich mit keiner Silbe mehr Elis Geständnis erwähnen und es einfach vergessen würde, andererseits verletzte es ihn sehr, daß Rush es einfach ignorieren würde. Er sprach nur äußerst selten über seine Vergangenheit. Selbst als Colonel O'Neill und Dr. Rush damals vor seiner Haustür auftauchten, nachdem er in dem Spiel den Code geknackt hatte und sie ihn für das Icarus-Projekt gewonnen hatten wußten sie zwar, daß seine Mutter krank war, aber keine Details.
Eli hatte Rush in der Nacht einen sehr großen Vertrauensbeweis erbracht und er würde es ignorieren. So sehr er auch versuchte sich einzureden, daß es so besser wäre, er war zutiefst verletzt und beschämt. Er würde ab jetzt alles dafür tun, dem Wissenschaftler so oft wie möglich aus dem Weg zu gehen und am besten, auch allen anderen. Seine Anwesenheit auf der Brücke oder im Kontrollraum wurde zwar verlangt, aber er konnte sich aussuchen, wo er arbeiten würde. Zugriff auf die Daten erhielt er von beiden Orten. Ja, das war doch schon eine Lösung. Er wußte zwar, daß er das nicht auf Dauer machen konnte, aber für den Anfang war er mit der Idee zufrieden.
„Irgendwann ist Gras über die Sache gewachsen", versuchte er sich selber etwas Zuversicht zu geben.
Er beschloß, noch eine Weile hier zu bleiben. Natürlich hatte er bemerkt, daß die Destiny angehalten hatte, aber er würde nicht in den Gateraum gehen. Noch nicht. Was tat er dort auch schon immer groß? Das fliegende Auge durchschicken und dem Colonel sagen, ob die Luft atembar war…
Er schnaubte kurz. Völlig unwichtig, das kann jeder machen, dachte er nur und hatte auf einmal das Gefühl, daß zwischen ihm und den ganzen anderen Leuten an Bord eine große Lücke klaffte. Er wußte, daß es dumm war so etwas zu denken, aber er konnte einfach nicht anders. Bisher war er trotz aller widrigen Umstände gerne auf der Destiny gewesen, doch jetzt wünschte er sich zurück in sein Bett auf der Erde und zu seiner Mutter, die ihm ihre berühmten Chocolate cookies backen würde.
Eli seufzte erneut, das waren Wunschträume. Er war hier und mußte jetzt irgendwie mit der Situation umgehen.
Vielleicht haben wir Glück und der Colonel gewährt uns allen Landurlaub, schoß es ihm durch den Kopf. Daß dieser Wunsch erfüllt werden würde, erfuhr er allerdings erst später.