PROLOG ~ Das Ende
"García, das sind die Murieta-Brüder!"
Jack, ein muskulöser Mann mit weißen Haaren und Bart, zog seine Gefangenen an den Seilen zu den Soldaten. Die beiden waren große Männer, der eine mit glattem, mittellangem Haar und listigen Augen. Der Andere hatte eine lange, wild gelockte Mähne und einen großen Bart.
Jack sprach den Korporal auf Spanisch an.
"Na, mein Freund? Erkennst du die beiden?" Er riss ihm den Steckbrief aus der Hand, auf dem eine schlechte Zeichnung der beiden Gefangenen und ein Kopfgeld zu sehen waren. Der Korporal nahm seine gesamte Autorität zusammen, deutete auf die beiden Männer und sagte:
"Diese Männer sind nun im Gewahrsam von Korporal Armando García. Wir nehmen sie den Rest des Weges mit und du kannst dir dein Kopfgeld in Glasgow abholen."
Jack lachte verächtlich. "Natürlich. In Glasgow."
Der Gefangene mit der wilden Mähne trat vor und fragte: "Wie viel gibt's denn für uns?"
Jack schubste ihn zurück, sagte dann aber:"Naja... alles in allem... so um die Zweihundert Pesos, Alejandro."
Alejandro und sein Bruder sahen sich ratlos an. Der anscheinend Ältere fragte: "Zweihundert Pesos pro Nase? Mehr nicht? Nach all den Lohngeldern, die wir geraubt haben? Mehr sind wir nicht wert?" Er schien wütend.
"Was dachtest du denn?", ertönte da plötzlich eine Mädchenstimme hinter den Soldaten. Ein Mädchen war aus dem Haus gekommen. Es war sehr hübsch, hatte mittellanges, rotblondes Haar. Sie beobachtete die Gruppe mit einem schelmischen Lächeln, blieb aber direkt vor dem Haus stehen.
"Du? Hier?", fragte Alejandro.
"Wir verschwenden unsere Zeit", sagte García. Es sollte herrisch klingen, hatte aber einen verwirrten Unterton.
Da meldete sich Jack wieder. "Moment mal - zweihundert Pesos... für euch beide zusammen..."
Die Brüder machten große Augen. Das Mädchen verkniff sich ein Lachen.
Alejandro stürmte zu Jack: "Bist du verrückt? Lass dich damit nicht abspeisen!"
García trat einen Schritt vor, brüllte:"Ruhe jetzt!" und schlug Alejandro hart ins Gesicht. Dann geschah alles sehr schnell. Joaquín, der ältere Dieb, streifte seine Fesseln ab, als wären sie nicht da, packte García am Kragen, zog seine Pistole und hielt sie gegen den Korporal gerichtet.
"Fass meinen Bruder noch einmal an", sagte er kalt, "und ich leg dich um." Mit diesen Worten stieß er ihn gegen die verdatterten Soldaten. Alejandro sprang vor, packte den Korporal am Kragen, sagte „Der macht das wirklich!" und schubste ihn dann gegen die anderen Soldaten.
Das Mädchen verdrehte die Augen.
Einer sagte: „He - ich dachte ihr wärt gefesselt!"
Joaquín lachte kalt und richtete seine Pistole auf die Soldaten. „Da siehst du mal wie dumm du bist." Fast keiner hatte gemerkt, dass Jack das Ende des Seils aufgehoben hatte, an das Joaquín angeblich gebunden gewesen war. Doch jetzt trat auch Alejandro vor, und die beiden schwangen das Seil wie ein Springseil gegen die Beine der Soldaten, die Augenblicklich hinfielen. Jack zog eine Pistole und stieß ein paar Warnschüsse in Luft. Alejandro zielte mit einem Gewehr auf die Soldaten, die nun ängstlich die Hände hoben.
„So...", sagte Joaquín ruhig, „Wir wissen das ihr eine Geldkassette habt. Wo ist sie?"
García deutete zitternd auf den Wagen.
Joaquín grinste. „Na los, Fettsack", er stupste den unter sich liegenden Korporal mit dem Gewehr an. „Aufstehen. Wir sperren euch in die Hütte da drüben. Sagen wir... ihr dürft in zwei Stunden herauskommen und um Hilfe rufen."
Die Soldaten zögerten, doch als Jack sie mit seinem Gewehr anstubste, rappelten sie sich hoch und gingen zusammengedrängt vor Jacks geladener Waffe her. Joaquín wandte sich dem Mädchen zu.
„Du hast mir immer noch nicht gesagt was du hier machst", sagte er unfreundlich.
„Guten Tag, Bruder. Ich freue mich auch dich zu sehen", sagte das Mädchen ohne zu lächeln und dem Blick ihres Bruders standhaltend.
Sie erklärte: "Ich bin zufällig hier. Eigentlich wollte ich etwas kaufen, aber ihr seid mir wohl etwas zuvor gekommen. Ihr hättet nicht das ganze Essen stehlen müssen."
Jack kam mit zufriedenem Gesichtsausdruck zu den Dreien.
„Ah Honey, meine Schöne."
Honey ignorierte diese Begrüßung und fragte: „Was habt ihr jetzt vor?"
"Mit dem Wagen zum Pueblo", erklärte Alejandro. "Wir können dich mitnehmen."
Honey nickte. Doch dann sagte sie stirnrunzelnd:
"Ich wüsste nur gerne, wie weit ihr im Pueblo kommt."
"Was meinst du?", fragte Alejandro.
Honey nickte zu den Steckbriefen, auf denen ihre Brüder abgebildet waren.
"Ach … vorher kannte uns auch schon jeder."
"Vorher wart ihr aber keine 200 Pesos Kopfgeld wert."
"Hör mal", sagte Joaquín mit kühler Stimme, "das hatten wir schon. Misch dich nicht in Angelegenheiten, die dich nichts angehen."
"Ganz bestimmt nicht. Umso mehr bemühe ich mich um Angelegenheiten, die mich etwas angehen." Sie trat einen Schritt auf Joaquín zu. Dieser lachte verächtlich.
"Ich beginne zu zittern, wenn ich deine Entschlossenheit sehe."
"Ich auch, wenn ich an das denke, was passiert, wenn man euch erwischt", Honey ließ nicht locker.
„Kümmere Dich um deine Probleme."
„Ihr seid mein Problem! Ihr-"
Joaquín packte Honey grob an den Schultern.
„Hör mal zu. Bis jetzt haben wir dir alles geboten. Wir haben dir Essen gegeben, Geld - glaubst du, du würdest so leben wenn du uns und unser Diebesgut nicht hättest?", er drückte noch grober zu und beugte sein Gesicht leicht zu Honey herunter, „wenn du weiterhin etwas zu Essen haben willst und wenn du die Sicherheit willst, dass wir nicht mal ausversehen dich oder deine kleinen Freunde bestehlen, dann benimm dich!" Den letzten drei Worten versetzte er einen drohenden Nachdruck. Er schubste Honey von sich weg, machte kehrt und lief zum Wagen. Honey sah ihm schweigend hinterher. Alejandro sah den Schmerz in ihren Augen und wusste, dass Joaquín sie mit seinen Drohungen verletzt hatte.
"Er meint es nicht so. Ich - wir würden niemals damit aufhören, dir Essen zu geben. Wir würden dir nichts antun. Und man erwischt uns nicht, Honey."
Honey lächelte Alejandro an - doch es war gezwungen.
Die vier stiegen auf den Wagen, Jack nahm die Zügel. Er trieb die Pferde an. Sie fuhren aus dem Hof und in die Steppe. Immer gerade aus, hier und da eine Biegung. Joaquín warf Honey böse Blicke zu, Honey ignorierte ihn.
Als sie um die vierte Biegung fuhren, stockte ihnen der Atem. Jack hielt die Kutsche an.
Dort war ein dutzend berittener Soldaten mit mexikanischer Flagge - und in ihrer Mitte der Hauptmann. Sie waren in eine Falle getappt.
Der Hauptmann trug eine Yankeeuniform und hatte ein langes Gewehr auf dem Schoß.
"Nicht bewegen", flüsterte Honey, doch die Männer ignorierten sie. Sie sprangen vom Wagen und Joaquín zog Honey mit. "Nein!", rief sie. Doch es war zu spät. Jack wurde im Sprung von einer Kugel getroffen und blieb mit verletztem Bein am Boden liegen. Honey rief Jacks Namen, und wollte neben ihm niederknien, doch die anderen Männer rannten weiter und zogen Honey gewaltsam mit sich. Da knallte es wieder - und Joaquín sackte zusammen. Eine Kugel hatte seinen Oberschenkelknochen zerschmettert. Er schrie vor Schmerz und ließ Honey los.
Alejandro machte kehrt und kniete sich neben seinem Bruder nieder.
"Geht, alle Beide! Euch soll er nicht auch noch kriegen!", flehte Joaquín.
"Nein! Wir-" Alejandro zog an Joaquín, doch dieser versetzte ihm einen verzweifelten Schlag, sodass Alejandro in Richtung Fluchtweg taumelte.
„Geht!", flehte Joaquín.
Alejandro nickte Honey zu und rannte davon, doch sie bewegte sich nicht vom Fleck.
„Honey!", brüllte Alejandro entfernt.
Es war zu spät. Die Soldaten hatten sie fast erreicht. Honey sah Joaquín verzweifelt an.
„Ich kann nicht."
„Es tut mir Leid", flüsterte er.
Die Soldaten bildeten einen Kreis. Honey lief verängstigt rückwärts, doch ein Soldat sprang vom Pferd, verdrehte ihr den Arm auf dem Rücken und legte den anderen um ihren Hals. Sie keuchte auf.
Alejandro war außer Atem. Noch rechtzeitig versteckte er sich einige Meter entfernt im dichten Gebüsch. Er konnte das Geschehen beobachten, doch hier, das wusste er, würden sie ihn nicht finden.
Inzwischen waren die Soldaten bei Honey und Joaquín angekommen. Sie bildeten einen Kreis um sie und ließen den Hauptmann durch eine Lücke in die Mitte reiten.
Er hielt sein Pferd direkt vor Joaquín. Nun konnte man sein Gesicht genau sehen - er hatte fast schulterlanges, blondes Haar und einen anliegenden Bart. Der Offizier würdigte Honey keines Blickes. Erst sah er Joaquín verächtlich an, dann zog er langsam seinen Degen.
"Damit du' s weißt,", sagte er kalt zu ihm, "das ist mir eine Ehre."
Joaquín verstand. Aber er würde sich nicht ermorden lassen. Sekundenschnell spuckte er vor dem Hauptmann auf den Boden. Dann zog er seine Pistole und - erschoss sich.
Honey schrie nicht. Sie starrte nur entsetzt auf ihren Bruder, der mit einem erstickten Schmerzensschrei zu Boden fiel und reglos liegen blieb.
„Nein", flüsterte sie.
Es schien nicht wirklich zu sein. Für sie schien die Zeit stehen geblieben zu sein. Sie wollte ihren Bruder ansehen, seinen Blick auf ihr spüren, doch da lag er.
Der Hauptmann saß ungerührt, sogar scheinbar ungehalten auf seinem Pferd. Er holte Luft, stieg langsam ab und ging auf die Leiche zu, dabei ward er Honey einen kurzen, flüchtigen aber durchdringenden Blick zu. Das Mädchen schluchzte. Sie bebte leicht unter dem festen Griff des Soldaten. Der Hauptmann holte aus; in einem Bruchteil einer Sekunde verstand Honey. Der Mann vor ihr ließ den Degen hinunterfahren und - in einem Zug war Joaquíns Kopf vom Körper getrennt. Honey schrie „NEIN!".
Nicht im Stande, die Leiche anzusehen hatte sie den Hauptmann angeschaut und sich so das grauenhafte Schauspiel nicht genau sehen müssen. Auch jetzt sah sie ihm entsetzt ins Gesicht. Er wandte sich von der kopflosen Leiche ab.
"Die Leiche vergraben - den Kopf einpacken", wies er knapp seine Leute an. Er wischte das Blut mit einem Tuch vom Degen.
„Was ist mit ihr?", fragte der Soldat, der Honey festhielt. Love drehte sich um.
Als er auf Honey zuging, begann sie, sich leicht zu wehren. Der Soldat verstärkte den Griff um ihren Hals. Love blieb nahe vor ihr stehen und musterte sie abschätzend.
„Wie ist dein Name?"
Honey schloss die Augen und eine Träne rollte ihr über die Wange.
„Honey." Der Mann lächelte kalt.
„Und woher, kennst du diesen Mann, Honey?" Das Mädchen schluckte.
„Er…", sie schluckte erneut, sah verzweifelt zur Seite, dann zu dem Soldaten und flüsterte fast unverständlich leise; „Er war mein Bruder."
Der Hauptmann sah auf. „Tatsächlich?" Er lächelte kalt. „Von einer Schwester habe ich noch nichts gehört." Er blickte sie an.
Sie stieß ein schluchzendes, trotziges Geräusch aus.
Wie eine gerade ankommende Erkenntnis flüsterte sie kläglich: „Er ist tot!"
Der Mann vor ihr lachte leise und wandte sich ab.
"Was ist mit ihr?", fragte der Soldat, der sie hielt.
"Wegschaffen", antwortete der Hauptmann ohne sie noch eines Blickes zu würdigen.

Honey fuhr hoch. Als das Bild vor ihren Augen klar wurde, sah sie sich um.
Es war dunkel, ein kleiner Spalt Sonnenlicht flutete durch ein kopfgroßes Loch in der Wand, dass jedoch mit drei festen Gitterstäben gesichert war.
Honey begann zu frieren, sie wollte sich aufrappeln, doch als sie sich bewegte, hörte sie ein klimpern.
Sie war angekettet, am rechten Fuß. Jetzt erst spürte sie den Schmerz, der Kettenring umschlang ihren Fuß eng und das Eisen stach ihr in die Haut.
Sie musste nicht nachdenken, wo sie war. Mit aller Kraft versuchte sie die Erinnerungen an das Geschehene zu verdrängen, doch trotzdem kamen ihr Tränen.
Sie sank wieder in sich zusammen und lehnte den Kopf an die Wand.
Da hörte sie ein Geräusch. Jemand kam näher.
Dann wurde ein Schlüssel in die schwere Holz- Eisentür gesteckt, die Honey einsperrte, und zweimal herumgedreht.
Die Tür ging auf. Obwohl Honey nichts anderes erwartet hatte, zuckte sie zusammen, als sie den Mann sah, der ihre Zelle betrat.
Langsam und bedrohlich kam er auf sie zu. Als er in ihr Gesicht sah, lächelte er. Er blickte in ihre tränengefüllten Augen und meinte:
"Tz tz tz… Du weinst ja. Immer noch."